Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 27. April 2012
Aktenzeichen: 1 AGH 6/12

(OLG Hamm: Urteil v. 27.04.2012, Az.: 1 AGH 6/12)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Be­klagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu voll­streckenden Betrages leistet.

Der Geschäftswert wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der am 18.01.1965 in P geborene Kläger ist seit dem 05.02.1997 als Rechtsanwalt im Bezirk der Beklagten zugelassen.

Am 07.08.2009 erließ die Beklagte gegen den Kläger eine Widerrufsverfügung wegen Vermögensverfalls, welche nach Zurückweisung des Antrags des Klä­gers auf gerichtliche Entscheidung durch den erkennenden Senat in dem Ver­fahren 1 AGH 66/09 am 20.11.2009 in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof am 21.03.2011 (AnwZ (B) 35/10) zurückgenommen wurde. Durch Beschluss vom 21.03.2011 legte der Bundesgerichtshof die Kosten dem Kläger auf.

Nachdem über das Vermögen des Klägers mit Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 06.09.2011 (43 IN 739/11) das Insolvenzeröffnungsverfahren eröffnet worden war, gab die Beklagte mit Schreiben vom 25.11.2011 dem Klä­ger Gelegenheit zur Stellungnahme zu seinen Vermögensverhältnissen binnen von zehn Tagen. Der Kläger teilte mit undatiertem Schreiben (Eingang bei der Beklagten am 15.12.2011) mit, dass er zwar in finanzielle Probleme geraten sei, diese jedoch erkannt und seine selbständige Tätigkeit aufgegeben habe und seit dem 15.09.2011 als angestellter Rechtsanwalt in die Kanzlei L eingetreten sei. Dort habe er keinen Zugriff auf Gelder und Konten. Die Schul­den bei Finanzamt, Krankenversicherung und Versorgungswerk beruhten auf einer zu hohen Schätzung seiner Einkünfte durch das Finanzamt C. Er sei optimistisch, mittels ausstehender Gebührenforderungen seine Vermögens­situation in überschaubarer Zeit zu regeln. Er sei gerne Rechtsanwalt, nicht jedoch für die Selbständigkeit geschaffen.

Daraufhin widerrief die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 13.01.2012 die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft aus den Grün­den des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Nrn. 3, 4, 14 und 15 der Forderungsübersicht nicht erledigt seien. Zudem sei durch Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 14.12.2011 wegen Zahlungs­unfähigkeit das Insolvenzverfahren eröffnet worden, so dass schon deshalb von einem Vermögensverfall auszugehen sei. Im Übrigen habe der Kläger zu seinen Vermögensverhältnissen nicht konkret Stellung genommen, so dass auch deshalb von ungeordneten Vermögensverhältnissen auszugehen sei. An­haltspunkte, dass die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet würden, seien nicht ersichtlich.

Gegen diese Widerrufsverfügung vom 13.01.2012 wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage.

Der Kläger beantragt,

die Widerrufsverfügung der Beklagten vom 13.01.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die Rechtmäßigkeit ihres Bescheides.

Gründe

Die zulässige Klage des Klägers ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 13.01.2012 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat die Beklagte durch den angefochtenen Bescheid die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft widerrufen.

1.

Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu wider­rufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögens­verfall wird vermutet, wenn entweder ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet worden ist oder der Rechtsanwalt in das vom Insol­venzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis eingetragen ist. Im Übrigen liegt ein Vermögensverfall vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeord­nete, schlechte finanzielle Verhältnisse gerät, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann und außerstande ist, seinen Zahlungsverpflichtungen geregelt nachzukom­men. Beweisanzeichen sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn.

2.

Vorliegend kann für den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung am 13.01.2012 das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vermutung eines Vermögensverfalls festgestellt werden.

Denn durch Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 14.12.2011 ist wegen Zahlungsunfähigkeit des Klägers das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden.

Wird ein Vermögensverfall - wie hier - vermutet, ist es Sache des Klägers im Ein­zelnen nachzuweisen, dass tatsächlich ein Vermögensverfall nicht besteht. Hierzu fehlt jeglicher Vortrag. Deshalb ist die Vermutungswirkung nicht widerlegt.

3.

Darüber hinaus kann das Vorliegen eines Vermögensverfalls zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung festgestellt werden.

Zwar weist die der Widerrufsverfügung beigefügte Forderungsübersicht aus, dass der Kläger die in der Widerrufsverfügung als ungetilgt bezeichneten For­derungen zu den lfd. Nrn. 3 und 4 bereits am 18.03.2011 bezahlt hat, jedoch ist es außer Streit, dass die Forderungen zu den lfd. Nrn. 3 und 4 ungetilgt fortbe­stehen. Die geringe Höhe dieser Forderungen belegt, dass der Kläger noch nicht einmal in der Lage ist, Gläubiger von Bagatellforderungen zu befriedigen.

Hinzu kommt, dass in der jüngeren Vergangenheit bereits zweimal Haftbefehle gegen den Kläger ergangen sind. Auch in den Forderungsangelegenheiten zu den lfd. Nrn. 14 und 15 ist es zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Oktober bzw. November 2011 gegen den Kläger gekommen. Berücksichtigt man schließlich, dass der Kläger selbst im Verwaltungsverfahren vor der Beklagten von Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt C, dem Versorgungs­werk und der Krankenversicherung berichtet hat und sich allein die Forderung des Finanzamtes per 24.04.2012 auf 54.511,00 EUR beläuft, so kann kein Zweifel bestehen, dass das Vorliegen eines Vermögensverfalls auch positiv für den maßgeblichen Stichtag festgestellt werden kann.

4.

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 29.06.2011 AnwZ (Brfg) 11/10; NJW 2011, 3234 = BRAK-Mitt. 2011, 246) ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwalt­schaft nach der mit Wirkung ab 01.09.2009 erfolgten Änderung des Verfahrens­rechts allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens abzustellen, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beur­teilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten. Hier lag - wie dargelegt - zum Zeitpunkt des Erlasses des angefoch­tenen Widerrufsbescheids ein Vermögensverfall vor bzw. ein solcher wird vermutet, so dass es auf die vom Kläger auch nur ganz äußerst pauschal vorgetragenen Be­mühungen um eine nachträgliche Konsolidierung in diesem Verfahren nicht an­kommt.

5.

Der Widerruf wegen Vermögensverfalls kommt dann nicht in Betracht, wenn die Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall nicht gefährdet sind. Dies ist bei einem Vermögensverfall nur ganz ausnahmsweise der Fall. Denn der Vermögensverfall führt regelmäßig zu einer derartigen Gefährdung insbesondere mit Blick auf den eigenen Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern sowie auf den darauf möglichen Zugriff seiner Gläubiger. Anhaltspunkte dafür, dass hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt, sind nicht gegeben. Sein Vortrag im Verwaltungsver­fahren, er sei nunmehr als angestellter Rechtsanwalt tätig ohne Zugriff auf Konten und Gelder, reicht zur Erfüllung der Vorgaben der Rechtsprechung (dazu etwa Vossebürger in Feuerich/Weyland, 8. Aufl., § 14 BRAO Rz 61 bis 63) nicht aus.

6.

Damit erweist sich die Klage des Klägers als unbegründet.

Ein Anlass, die Berufung nach § 124 VwGO, § 112c Abs. 1 BRAO zuzulassen, be­steht nicht.

Weder weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkei­ten auf noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§§ 124a Abs. 1 Satz 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO); die entscheidungserheblichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.

Ein Fall der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist ebenfalls nicht gegeben, weil das Urteil des Senats tragend weder von der Rechtsprechung des Bundesge­richtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesverfassungsgerichts oder des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht.

7.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 167 Abs. 2 VwGO,

§ 709 Satz 1, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag ist bei dem Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Heßlerstraße 53, 59065 Hamm, zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen,

1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche

Schwierigkei­ten aufweist,

3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, des

Bun­desverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten

Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und

auf dieser Ab­weichung beruht oder

5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrens-

mangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung

beruhen kann.

Vor dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richter­amt zugelassen. Ferner sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 der Verwaltungs­gerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Personen und Organisationen als Bevoll­mächtigte zugelassen. Ein nach dem Vorstehenden Vertretungsberechtigter kann sich selbst vertreten; es sei denn, dass die sofortige Vollziehung einer Widerrufsverfügung angeordnet und die aufschiebende Wirkung weder ganz noch teilweise wiederhergestellt worden ist. Behörden und juristische Personen des öf­fentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Auf­gaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richter­amt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts ein­schließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.






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