Sozialgericht Düsseldorf:
Urteil vom 10. November 2006
Aktenzeichen: S 25 AL 50/06

(SG Düsseldorf: Urteil v. 10.11.2006, Az.: S 25 AL 50/06)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Insolvenzgeld.

Die Klägerin schloss mit Datum vom 07.02.2004 einen Arbeitsvertrag mit der Firma P AG, dieser war unterzeichnet von der Klägerin und von dem Aufsichtsratsvorsitzenden, Herrn L1 - sowie dem Vorstand, Herr C. Die Klägerin nahm auch die Beschäftigung für das Unternehmen auf, obwohl die P AG de jure nicht existierte; vielmehr bestand lediglich die P I GmbH. Beide Firmen firmierten unter der gleichen Anschrift in L2. Von der P AG erhielt die Klägerin keinen Arbeitslohn. Die P AG stellte unterdessen die Betriebstätigkeit ein.

Die Klägerin beantragte am 14.05.2004 Insolvenzgeld für die Zeit vom 15.2. bis 09.03.2004. Mit Bescheid vom 29.08.2005 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Insolvenzgeld ab. Hiergegen legte die Klägerin mit Datum vom 01.10.2005 Widerspruch ein. Den Widerspruch wies die Widerspruchsstelle mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2006 als unbegründet zurück. Die Klägerin sei angestellt gewesen bei der Firma P AG, Xstraße 0 - 00, 00000 L2, das Arbeitsverhältnis sei durch Kündigung am 09.03.2004 beendet worden. Eine Eintragung dieser Firma ins Handelsregister sei nicht erfolgt. Für die AG sei als Aufsichtsratsvorsitzender ein Herr L1 aufgetreten. Dieser habe in der Vergangenheit mehr als 50 Scheinfirmen gegründet, die Staatsanwaltschaft habe gegen ihn ermittelt. Er soll für die Firma P AG die Einstellung von 500 Mitarbeitern angekündigt haben, 3000 Interessenten sollen sich beworben haben, 100 Bewerber sollen eingestellt worden seien, ohne Gehalt erhalten zu haben. Die Arbeitsverträge seien jeweils von dem Aufsichtsratsvorsitzenden für die Arbeitgeberin unterschrieben worden. Unter der Adresse der Firma P AG sei auch den die Firma P I GmbH gemeldet gewesen, die der Aufsichtsratsvorsitzender L2 mit notariell beglaubigtem Vertrag vom 19.08.2003 erworben habe. Dieser GmbH habe später angeblich in eine AG umgewandelt werden sollen. Im November 2004 sei die GmbH aber aus dem Handelsregister gelöscht worden. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der P AG sei als unzulässig abgewiesen, da die Antragsteller ihre Befugnis zu Stellung nicht nachgewiesen hätten. Offen bleiben könne die Frage der rechtzeitigen Antragstellung ebenso wie die Frage, ob der gegenwärtige Aufenthaltsort des Aufsichtsratsvorsitzenden ermittelt werden könne. In jedem Fall fehle es an dem erforderlichen offenen Anspruch auf Arbeitsentgelt. Die AG sei mangels Eintragung in das Handelsregister nicht entstanden und scheide daher als Schuldnerin aus. Eine persönliche Haftung des Herrn L1 im Sinne von § 41 Absatz 1 Aktiengesetz scheide schon deshalb aus, weil keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Vorgesellschaft gegründet worden sei, die die Voraussetzungen des § 23 Aktiengesetz (notariell beurkundete Satzung) erfülle. Auch eine Haftung in entsprechender Anwendung des § 179 BGB löse lediglich einen Schadensersatz, aber keine Arbeitsentgeltanspruch aus. Die GmbH sei zu keinem Zeitpunkt als Vertragspartnerin aufgetreten. Zwar sei dieses Ergebnis unbefriedigend für die Beteiligten, Insolvenzgeld sei allerdings kein geeignetes Instrument, nicht gezahlte Fantasiegehälter von Scheinfirmen zu ersetzen.

Mit ihrer Klage vom 04.03.2006, beim Sozialgericht Düsseldorf am 06.03.2006 eingegangen, verfolgt die Klägerin weiterhin ihr Begehren, auf Bewilligung von Insolvenzgeld.

Die Klägerin ist der Ansicht, bei der Bewilligung von Insolvenzgeld müssten Ansprüche auf Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt werden. In verschiedenen Arbeitsgerichtsprozessen von Kollegen sei deren Anspruch auf Lohnzahlung gegenüber der P I GmbH zuerkannt worden, dennoch weigere sich die Beklagte, Insolvenzgeld zu bewilligen. Die Beklagte sei unberechtigterweise der Ansicht, bei der Insolvenzgeldbewilligung sei allein auf die AG abzustellen; obschon die überhaupt niemals existiert habe. Bei der P I GmbH sei auch unterdessen Vermögenslosigkeit eingetreten, sie habe unterdessen auch die Betriebstätigkeit eingestellt.

Außerdem müsse bei einem Anspruch auf Insolvenzgeld auch berücksichtigt werden, dass zur P AG auch Arbeitslose durch die Beklagte geschickt worden seien. Zu diesem Zeitpunkt sei den Beteiligten (Arbeitnehmern und Beklagte) nicht bekannt gewesen, dass es die AG noch gar nicht gab. Die Klägerin habe auch beide Firmen auf Lohnzahlung verklagt. Nachdem sich nachträglich herausgestellt habe, dass es die Firma P AG nicht gab, habe die Klägerin diese Klage zurückgezogen. Die P I GmbH sei hingegen für den streitgegenständlichen Zeitraum, für den hier Insolvenzgeld verlangt werde, also den 15.2. bis 09.03.2004 vom Arbeitsgericht L2 durch Versäumnisurteil auf Lohnzahlung verurteilt worden. Die Vollstreckung sei hingegen fruchtlos verlaufen. In Absprache mit der Beklagten sei sogar nachgewiesen, dass die GmbH vermögenslos sei und der Betrieb eingestellt worden sei. Sie müsse es auch nicht gegen sich gelten lassen, dass die Beklagte sie für diese Arbeitsstelle vermittelt habe und sich dann herausstellen, dass die angegebene Firma noch nicht existiere

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.02.2006 zu verurteilen, dem Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Insolvenzgeld stattzugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, das Versäumnisurteil sei für sie nicht bindend. Sie könne auch nicht alle Firmen kontrollieren. Es obliege dem Bewerbern selbst, sich von der Seriosität eines Arbeitgebers zu überzeugen. Aus dem Arbeitsverhältnis zur P AG ließe sich kein Arbeitsverhältnis zur P I GmbH fingieren. Dass ausnahmsweise bei der Mitarbeiterin M Insolvenzgeld bewilligt worden sei, sei dem Sonderfall geschuldet, dass die GmbH in diesem Fall ein Arbeitsentgeltanspruch gegen sich - wenn auch ohne Rechtsgrund per Vergleich - anerkannt habe. Dieser Sachverhalt läge in keinem der übrigen anhängigen Fälle vor.

Die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten lag vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Gründe

I. Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben worden. Sie ist im Übrigen auch zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG statthaft.

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids ist rechtsmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klage ist daher abzuweisen.

1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Insolvenzgeld im Sinne von § 183 Abs. 1 S. 1 SGB III zu. Die Klägerin hat bereits kein insolvenzgeldfähiges Arbeitsentgelt in der Beschäftigungszeit vom 15.2. bis 09.03.2004 zu beanspruchen.

a. Ein Arbeitsverhältnis zur existierenden Firma P I GmbH besteht nicht. Zwar hat die Klägerin durch Versäumnisurteil vor dem Arbeitsgericht L2 einen entsprechenden Titel auf Arbeitsentgelt gegen die Firma P I GmbH feststellen lassen. An dieses Versäumnisurteil ist die Kammer jedoch nicht gebunden. Im Rahmen des Versäumnisurteils hat das zuständige Arbeitsgericht lediglich eine einfache Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Beim Erlass eines Versäumnisurteils ist das zuständige Arbeitsgericht ausschließlich auf den Vortrag des auf Arbeitsentgelt klagenden Arbeitnehmers angewiesen. Das Arbeitsgericht, das nach den Grundsätzen des Parteibeibringungsgrundsatzes urteilt, hat keine weitergehenden Feststellungen zum möglichen Arbeitsverhältnis der Klägerin zur Firma P I GmbH angestellt. Im Rahmen des im Sozialgerichtsprozess vorherrschenden Amtsermittlungsgrundsatz im Sinne von § 103 SGG hat das Sozialgericht und damit auch die erkennende Kammer alle nahe liegenden und zugänglichen Informationen bei der Beurteilung einer Rechtsfrage auszuwerten und im Sinne des § 128 SGG nach seiner freien Überzeugung zu werten. Hier war der Arbeitsvertrag zwischen der Firma P AG und der Klägerin vom 07.02.2004 maßgeblich. Zwar residierten sowohl die P AG als auch die Firma P I GmbH unter derselben Anschrift in L2. Allein die Adressidentität reicht aber vor dem Hintergrund des abgeschlossenen Arbeitsvertrages nicht aus, auch auf ein Arbeitsverhältnis zur Firma P I GmbH schließen zu können. Andere Umstände, die auf ein solches Arbeitsverhältnis schließen lassen könnten, hat die Klägerin weder dargetan noch sind diese erkennbar.

b. Ansprüche auf Arbeitsentgelt gegenüber der Firma P AG bestehen nicht. Nach übereinstimmender Einlassung aller Beteiligten war die Firma P AG bei Abschluss des Arbeitsvertrages am 07.02.2004 nicht existent und wurde nie in das Handelsregister eingetragen.

c.Die Klägerin kann auch keine Ansprüche auf Arbeitsentgelt auf der Grundlage der Handelndenhaftung bei einer Aktiengesellschaft in Gründung im Sinne von § 41 Abs. 1 S. 2 Aktiengesetz geltend machen. Ein Anspruch gegen den unterzeichnenden Aufsichtsratsvorsitzenden, Herrn L1, auf Arbeitsentgelt scheidet aus. Nach § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG haftet, wer vor Eintragung der Aktiengesellschaft in ihrem Namen handelt. Diese Haftung setzt voraus, dass die Gesellschaft bereits errichtet, aber noch nicht in das Handelsregister eingetragen ist (BAG 5. Senat, Urteil vom 12. Juli 2006, Az: 5 AZR 613/05, in: DB 2006, 1944 (Leitsatz und Gründe) = BB 2006, 1970-1971 (Leitsatz und Gründe); ebenso Hüffer AktG 7. Aufl. § 41 Rn. 23; K. Schmidt in GroßKomm AktG 4. Aufl. § 41 Rn. 35; MünchKomm/AktG/Pentz § 41 Rn. 130). Dies setzt regelmäßig die Feststellung der notariell beurkundeten Satzungen im Sinne von § 23 AktG. Tritt eine Person bereits vor Feststellung der Satzung (§ 23 AktG) im Namen einer Aktiengesellschaft oder einer in Gründung befindlichen Aktiengesellschaft auf, wird der wahre Rechtsträger aus dem Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet, wenn der Handelnde entsprechend bevollmächtigt ist. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 11 Abs. 2 GmbHG, wonach eine Handelndenhaftung vor der Gründung der Vorgesellschaft ausscheidet (7. Mai 1984 - II ZR 276/83 - BGHZ 91, 148; zust. Baumbach/Hueck/Fastrich GmbHG 18. Aufl. § 11 Rn. 50; Hachenburg/Ulmer GmbHG 8. Aufl. § 11 Rn. 104; Scholz/K. Schmidt GmbHG 9. Aufl. § 11 Rn. 97). Da vorliegend für die P AG keine Satzung festgestellt wurde und damit die Gesellschaft nicht errichtet war, haftet der Handelnde Aufsichtsratsvorsitzende, Herrn L1, nicht nach § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG für die von der Klägerin begehrten Ansprüche auf Arbeitsentgelt (zum Ergebnis vergleiche: BAG 5. Senat, Urteil vom 12. Juli 2006, Az: 5 AZR 613/05, aaO). Auch eine entsprechende Bevollmächtigung des Aufsichtsratsvorsitzenden etwa durch die Gesellschafter ist nicht erkennbar. Gleiches gilt auch für den den Arbeitsvertrag mitunterzeichnenden Vorstand, Herr C.

d.Zwar kommt darüberhinaus grundsätzlich eine Haftung des Handelnden nach § 179 BGB in Betracht (zu der Möglichkeit vergleiche ebenfalls: BAG 5. Senat, Urteil vom 12. Juli 2006, Az: 5 AZR 613/05, aaO). Vertreter im Sinne dieser Bestimmung ist nicht nur derjenige, der ohne rechtsgeschäftliche oder gesetzliche Vertretungsmacht im Namen eines Dritten tätig wird. Die Vorschrift ist vielmehr entsprechend anzuwenden, wenn jemand im Namen einer nicht vorhandenen Person vertragliche Vereinbarungen trifft, der angeblich Vertretene also gar nicht existiert (BGH 20. Oktober 1988 - VII ZR 219/87 - BGHZ 105, 283, zu 1 der Gründe). Diese Anspruchsvorschrift stellt aber lediglich einen sekundären Anspruch auf Schadensersatz dar. Diese Anspruchsgrundlage räumt der Klägerin jedoch keinen Primäranspruch auf Arbeitsentgelt ein. § 179 Abs. 1 BGB räumte der Klägerin daher kein insolvenzgeldfähiges Anspruch auf Arbeitsentgelt im Sinne von § 183 Abs. 1 S. 1 SGB III ein.

e. Gleiches gilt auch für etwaige sekundäre Schadensersatzansprüche gegenüber den möglichen Gesellschaftern der Vorgründungsgesellschaft, so wie es das Bundesarbeitsgericht in der oben genannten Entscheidung offen gelassen hat.

f. Soweit sich die Klägerin darauf beruft, die Beklagte habe die Firma nicht ausreichend kontrolliert, erwächst hieraus allenfalls ein Amtshaftungsanspruch im Sinne von § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 Grundgesetz, der in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit fällt.

2. Auf die Entscheidungsgründe im Widerspruchsbescheid wird im übrigen Bezug genommen § 136 III SGG.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.






SG Düsseldorf:
Urteil v. 10.11.2006
Az: S 25 AL 50/06


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