Bundespatentgericht:
Urteil vom 14. September 2005
Aktenzeichen: 2 Ni 57/03

(BPatG: Urteil v. 14.09.2005, Az.: 2 Ni 57/03)

Tenor

1. Das deutsche Patent 41 26 626 wird für nichtig erklärt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist für die Klägerin im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist am 5. November 2003 als Rechtsnachfolgerin der seit dem 29. April 2003 eingetragenen Inhaberin des deutschen Patents 41 26 626 (Streitpatent), der Diageo Scotland Ltd., Edinburgh (Vereinigtes Königreich), ins Register eingetragen worden. Das Streitpatent, das am 12. August 1991 unter Inanspruchnahme zweier britischer Prioritäten vom 15. August 1990 (GB 9 017 939) bzw vom 27. November 1990 (GB 9 025 790) angemeldet worden ist, betrifft einen markierten Materialkörper sowie ein Verfahren zu dessen Herstellung.

Es umfasst in der erteilten Fassung 23 Patentansprüche, von denen die unabhängigen Patentansprüche 1 und 17 folgenden Wortlaut haben:

Patentanspruch 1:

"Verfahren zum Versehen eines Materialkörpers mit einer unter der Oberfläche angeordneten Markierung, dadurch gekennzeichnet, daß auf eine Oberfläche des Körpers ein Strahl hoher Energiedichte gerichtet wird, für den das Material durchlässig ist, und der Strahl an einem Ort fokussiert wird, der von der Oberfläche einen Abstand aufweist und innerhalb des Körpers angeordnet ist, so daß lokalisierte Ionisierung des transparenten Materials und die Schaffung einer Markierung innerhalb des transparenten Materials in Form eines Gebietes von erhöhter Undurchlässigkeit für elektromagnetische Strahlung im wesentlichen ohne irgendeine feststellbare Änderung an der Oberfläche bewirkt wird."

Patentanspruch 17:

"Markierter Materialkörper, dadurch gekennzeichnet, daß die Markierung aus einer Zone mit Defekten innerhalb des Materialkörpers besteht, die als Ergebnis lokalisierter Ionisierung von einer Oberfläche des Körpers einen Abstand aufweist."

Wegen der Patentansprüche 2 bis 16 und 18 bis 23 wird auf die Patentschrift DE 41 26 626 C2 Bezug genommen.

Mit ihrer Nichtigkeitsklage, die sie gegen die im Zeitpunkt der Klageerhebung 21. Oktober 2003 noch als Inhaberin im Register eingetragene Rechtsvorgängerin der Beklagten gerichtet hat, macht die Klägerin geltend, das Patent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne (§ 21 Abs 1 Nr 2 PatG). Darüber hinaus sei der Gegenstand des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig (§ 21 Abs 1 Nr 1 iVm §§ 1 bis 5 PatG).

Zur Stützung ihres Vorbringens nennt die Klägerin ua folgende Unterlagen:

Ni 6) Koechner "Solid State Laser Engineering", Springer-Verlag, 2. Aufl 1988, S 540-589 Ni 7) Müller ua "Basic Laser Tissue Interaction", Workshop-Papier, Nov 1988, S 7-15 Ni 8) Dickmann ua "Innenbearbeitung von Glas mit Nd:YAG-Laser", Laser-Magazin 1/95, S 16-19 Ni 9) Gutachten zum Thema: Laserinduzierte Modifikationen in transparenten Dielektrika, Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie, 29. Mai 2000; S 1-23 Ni 10) DD 237 972 A3 Ni 11) Herrmann/Wilhelmi "Laser für ultrakurze Lichtimpulse", Physik-Verlag, 1984, S 64-67 und 131-136 Ni 12) Smith ua "Threshold and Nonlinear Refractive Index Measurements and Damage Morphology". In: NBS Special Publ. 435, 1975, S 321-330 Ni 13) Hack ua "Laserresistenz von Glas", SCHOTTinformation, 2/1982, S 8-14 Ni 17) US 4 467 172 Ni 18) US 3 715 734 Ni 19) US 4 744 647 Ni 20) DE 34 25 263 A1.

Die Klägerin beantragt, das deutsche Patent 41 26 626 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 19. August 2005 beschränkt verteidigte Patent richtet.

Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und bezieht sich in ihrem Vorbringen ergänzend auf die Druckschriften B1) US 4 769 310 B2) US 3 657 085 sowie auf das Gutachten vom 17. August 2005

"Laser-Innengravur transparenter Materialien" von Prof. Dr. Reinhard Ulrich.

Die Beklagte verteidigt das Streitpatent nur noch in der oben genannten beschränkten Fassung. Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 15 haben danach (mit hinzugefügter Gliederung; Änderungen unterstrichen) folgenden Wortlaut:

Patentanspruch 1:

1.1) Verfahren zum Versehen eines Materialkörpers mit einer unter der Oberfläche angeordneten Markierung, dadurch gekennzeichnet, 1.2) daß auf eine Oberfläche des Körpers ein Strahl hoher Energiedichte gerichtet wird, für den das Material durchlässig ist, 1.3) und der Strahl an einem Ort fokussiert wird, der von der Oberfläche einen Abstand aufweist und innerhalb des transparenten Körpers angeordnet ist, so daß lokalisierte Ionisierung des transparenten Materials und die Schaffung einer Markierung vorbestimmter Form, insbesondere einer dreidimensionalen Markierung und / oder einer Markierung, die eine oder mehrere Ziffern, Buchstaben, Symbole oder eine Kombination derselben aufweist, innerhalb des transparenten Materials in Form eines Gebietes von erhöhter Undurchlässigkeit für elektromagnetische Strahlung im wesentlichen ohne irgendeine feststellbare Änderung an der Oberfläche bewirkt wird.

Patentanspruch 15:

15.1) Markierter Materialkörper, dadurch gekennzeichnet, 15.2) daß die Markierung eine Markierung vorbestimmter Form, insbesondere einer dreidimensionalen Markierung und / oder einer Markierung, die eine oder mehrere Ziffern, Buchstaben, Symbole oder eine Kombination derselben aufweist, ist und 15.3) aus einer Zone mit Defekten innerhalb des Materialkörpers besteht, die 15.3.1) als Ergebnis lokalisierter Ionisierung 15.3.2) von einer Oberfläche des Körpers einen Abstand aufweist.

Wegen der geltenden Unteransprüche 2 bis 14 und 16 bis 19 wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 19. August 2005, wegen des Parteivorbringens im Übrigen auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Klägerin und die ursprüngliche Beklagte sowie deren Rechtsnachfolgerin haben übereinstimmend einem Parteiwechsel zugestimmt.

Gründe

Die Klage ist zulässig. Beklagte dieses Verfahrens ist nach den in der mündlichen Verhandlung zum Parteiwechsel abgegebenen Erklärungen die im Register eingetragene Rechtsnachfolgerin der ursprünglich Beklagten.

Das Streitpatent ist zunächst schon ohne Sachprüfung insoweit für nichtig zu erklären, als es über die von der Beklagten in zulässiger Weise nur noch beschränkt verteidigte Fassung gemäß Hauptantrag hinausgeht. Die weitergehende Klage hat Erfolg, weil der mit ihr angegriffene Patentgegenstand in der von der Beklagten verteidigten Fassung nicht patentfähig ist.

I.

1. Das Streitpatent bezieht sich gemäß den geltenden Patentansprüchen 1 bzw 15 auf ein Verfahren zum Versehen eines Materialkörpers mit einer unter der Oberfläche angeordneten Markierung bzw auf einen markierten Materialkörper.

In der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift wird auf die Problematik der fälschungssicheren Markierung von Materialkörpern beispielsweise in Gestalt von Behältnissen für Parfums der höheren Preisklasse eingegangen. Zum druckschriftlichen Stand der Technik wird bezüglich Oberflächenmarkierungen auf die US-Patentschriften 4 758 703 und US 4 769 310 hingewiesen. Zu Markierungsverfahren unterhalb der Oberfläche eines Materialkörpers wird auf die Druckschriften US 3 657 085 und WO 89/07 302 A1 Bezug genommen.

Nach den Angaben in der Streitpatentschrift (Sp 2, Z 64 ff) wird demgegenüber die streitpatentgemäße Aufgabe darin gesehen, ein Verfahren, mit dem eine deutliche und dauerhafte Markierung unter der Oberfläche eines transparenten Körpers geschaffen werden kann, und einen damit markierten Materialkörper zu schaffen.

2. Die in die geltenden Patentansprüche 1 und 15 aufgenommenen Änderungen gehen aus den erteilten Ansprüchen 4, 5 und 11 bzw 11, 21 und 22 hervor und somit zulässig. Die Lehre des Streitpatents ist auch ausführbar, denn die Vorgehensweise bei der Markierung unterhalb der Oberfläche eines Materialkörpers wird durch Fig 1 und die zugehörige Beschreibung ausführlich behandelt. In der Streitpatentschrift finden sich auch Angaben zu markierungsgeeigneten Materialien - Glas oder Kunststoff (Sp 5, Z 25 und Z 54) - und zur Spezifikation der hierbei erforderlichen (Laser-)Strahlen hoher Energiedichte (Sp 4, Z 33-51; Sp 7, Z 28-49). Im Übrigen sind dem Fachmann, einem Physiker mit Fachhochschul- oder Universitätsausbildung und mehrjähriger einschlägiger Berufserfahrung, bei der Ausführung der Lehre eines Patents auch entsprechende Versuche zuzumuten (vgl Schulte, PatG, 7. Aufl § 21 Rdn 34 mit § 34 Rdn 369 und 389-395). Dass in den Patentansprüchen 1 und 15 keine konkreten Angaben zu den zu markierenden Materialien und den Kenndaten der hierbei eingesetzten Strahlen hoher Energiedichte enthalten sind, kann den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Ausführbarkeit nicht stützen, denn diesbezüglich ist nicht nur der Inhalt des Haupt- und gegebenenfalls Nebenanspruchs von Bedeutung, sondern die gesamte durch das Streitpatent aufgezeigte technische Lehre (BGH in Mitt 2003, 114 "Kupplungsvorrichtung II").

3. Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 15 beruhen nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Bei der diesbezüglichen Prüfung dieser Gegenstände bleibt das in den genannten Ansprüchen jeweils nur fakultativ enthaltene Teilmerkmal "insbesondere einer dreidimensionalen Markierung und / oder einer Markierung, die eine oder mehrere Ziffern, Buchstaben, Symbole oder eine Kombination derselben aufweist" außer Betracht.

a) Patentanspruch 1 Der aus Ni 19 (US 4 744 734) ersichtliche Stand der Technik offenbart ein Verfahren zum Versehen eines Materialkörpers in Gestalt einer Kontaktlinse mit einer unter der Oberfläche angeordneten Markierung (Sp 2, Z 18-28) - Merkmal 1.1. Hierbei wird ein Laserstrahl, dh ein Strahl hoher Energiedichte, auf eine Oberfläche der Linse gerichtet, wobei das Material, aus dem die Linse besteht, für den besagten Laserstrahl durchlässig ist (Sp 3, Z 14-16 und Z 21-23) - Merkmal 1.2. Der Laserstrahl wird im Inneren der Kontaktlinse, dh im Abstand zu deren Oberfläche, fokussiert (Sp 2, Z 33-36), wodurch die Schaffung einer Markierung vorbestimmter Form innerhalb des transparenten Kontaktlinsenmaterials in Form eines Gebietes von erhöhter Undurchlässigkeit für elektromagnetische Strahlung (S 2, Z 25-28 und Z 31-33; Sp 3, Z 3-8; Sp 4, Z 31-36) im wesentlichen ohne irgendeine feststellbare Änderung an der Linsenoberfläche bewirkt wird (Sp 3, Z 61-64; Anspruch 24). Somit ist auch Merkmal 1.3 beim Verfahren nach Ni 19 weitgehend realisiert. Ein Unterschied besteht lediglich insoweit, als in Ni 19 für die Erzeugung der Gebiete erhöhter Undurchlässigkeit für elektromagnetische Strahlung innerhalb der Linse die im Laserstrahlbrennpunkt entstehende thermische Energie als ursächlich angesehen wird, wobei diese thermische Energie durch Schmelz- oder Verdampfungsprozesse punktuelle, die besagte Undurchlässigkeit hervorrufende Materialdefekte (mikroskopische Trübungen, Blasen, Risse oder Spalten) bewirkt (Sp 3, Z 1-8; Sp 4, Z 1-6). Beim Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents wird hingegen dieses Resultat mittels lokalisierter Ionisierung des transparenten Materials herbeigeführt. Dieser Unterschied läßt den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents allerdings nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen. Dem Fachmann ist nämlich durch die Druckschrift Ni 12 (Smith ua "Threshold and Nonlinear Refractive Index Measurements and Damage Morphology" in: NBS Special Publ. 435, 1975, S 321-330) eine Studie über Laserinduzierte, sichtbare Materialdefekte innerhalb von transparenten Körpern, darunter KCl (Fig 5) und NaCl (Fig 8) und die weiteren in Tabelle 1 (S 322) angegebenen Materialien bekannt. Aus den gemessenen Daten wird in dieser Druckschrift der Schluß gezogen, dass es sich bei dem materialverändernden Vorgang um "Lawinenionisierung" handelt (S 321, Absätze 1 und 2; S 324, Absätze 4 und 6; S 326, Abs 2 und "Summary"). Nach S 322, 3. Abs wird der mit Laserpulsen zu beaufschlagende Körper während dieser Prozedur bewegt, so dass jeder Laserpuls mittels punktuell wirkender, dh lokalisierter Ionisierung auf ein neues Volumenelement einwirkt und auf diese Weise ein Muster hervorgerufen wird (Fig 8). Es liegt folglich für den Fachmann nahe, sich bei der in Ni 19 beschriebenen Innenmarkierung von Körpern mit Laser in Kenntnis von Ni 12 auch der dort beschriebenen Methode der lokalisierten Ionisierung zu bedienen.

Demzufolge beruht das Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

b) Patentanspruch 15 Der Gegenstand des nebengeordneten Patentanspruchs 15 des Streitpatents ist durch die Druckschriften Ni 19 und Ni 12 ebenfalls nahegelegt. Ni 19, Anspruch 15 iVm Sp 2, Z 26-29 und Z 32-34 beschreibt einen "markierten Materialkörper", der mit jenem nach Patentanspruch 15 des Streitpatents bezüglich der Merkmale 15.1, 15.2 (unter Außerachtlassung des fakultativen Teils), 15.3 und 15.3.2 übereinstimmt. Ein Unterschied besteht lediglich insoweit, als die die Markierung vorbestimmter Form ausmachende "Zone mit Defekten" das Ergebnis lokalisierter Ionisierung ist. Derartiges Herstellen von Zonen mit Defekten durch lokalisierte Ionisierung ist jedoch, wie bereits zum Patentanspruch 1 aufgezeigt, dem Fachmann aus Ni 12 bekannt. Die Zusammenschau der Druckschriften Ni 19 und Ni 12 führt in naheliegender Weise zum markierten Materialkörper nach Patentanspruch 15; folglich ermangelt es auch diesem Gegenstand an erfinderischer Tätigkeit.

4. Einen eigenständigen erfinderischen Gehalt der angegriffenen, auf die selbständigen Patentansprüche 1 und 15 rückbezogenen Unteransprüche macht die Beklagte nicht geltend. Diese Unteransprüche fallen demzufolge mit dem Haupt- und Nebenanspruch (Benkard, PatG, 9. Aufl, § 22, Rdn 15; BGH in GRUR 1991, 120, 122 li Sp - "Elastische Bandage").

II.

Als unterlegene Partei hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Meinhardt Prasch Schuster Martens Baumgardt Pü






BPatG:
Urteil v. 14.09.2005
Az: 2 Ni 57/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/59118cf781e2/BPatG_Urteil_vom_14-September-2005_Az_2-Ni-57-03




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share