Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Oktober 2000
Aktenzeichen: 28 W (pat) 193/99

(BPatG: Beschluss v. 18.10.2000, Az.: 28 W (pat) 193/99)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Gegen die am 6. November 1996 für die Waren 12: Rollstühle für kranke und/oder Behinderte, Greifreifenrollstühle, Schieberollstühle, Transportrollstühle, Zimmerrollstühle, Pflegerollstühle, Sportrollstühle, Kinderrollstühle, Elektrorollstühle, Schiebewagen als Lernmobile für Kinder sowie Einzelteile der vorgenannten Waren.

eingetragene und am 28. Februar 1997 veröffentlichte Marke Derbyist Widerspruch erhoben worden aus der nachfolgend abgebildeten IR-Marke 575 856 siehe Abb. 1 am Endedie ua. für die Waren

"Motocyclettes, chaises roulants pour malades et toutes sortes de vehicules"

geschützt ist, und zwar mit Fristbeginn für die Aufnahme der Benutzung zum 23. Juni 1993.

Die Markenstelle für Klasse 12 hat auf die Einrede der Nichtbenutzung den Widerspruch mangels Glaubhaftmachung der Benutzung zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluß wendet sich die Widersprechende mit der Beschwerde. Zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung hat sie Unterlagen einreicht, die eine Benutzung der Widerspruchsmarke für "Motorräder" glaubhaft machen sollen. Diese seien mit den Waren der angegriffenen Marke soweit ähnlich, daß sich angesichts der Quasi-Identität der Marken die Annahme einer Verwechslungsgefahr rechtfertige.

Die Widersprechende beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse die angegriffene Marke für alle ähnlichen Waren zu löschen.

Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Nachreichung der Glaubhaftmachungsunterlagen für verspätet, abgesehen davon, daß die Unterlagen ohnehin nicht den Ansprüchen an eine Glaubhaftmachung genügten, da sie in sich widersprüchlich und fehlerhaft seien. Letztlich fehle es in der Sache aber schon an der Warenähnlichkeit, so daß eine Verwechslungsgefahr ausgeschlossen werden könne.

II.

Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden ist nicht begründet. Zwischen der angemeldeten Marke und der Widerspruchsmarke besteht keine Gefahr von Verwechslungen gemäß § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.

Bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr ist von der Ähnlichkeit der Waren, der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke und der Ähnlichkeit der Marken auszugehen. Zwischen diesen Faktoren besteht eine Wechselwirkung, so daß ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Zeichen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Waren ausgeglichen werden kann und umgekehrt (BGH GRUR 2000, 506, 508 - ATTACHÉ/TISSERAND; BGH BlPMZ 1999, 112, 114 - LIBERO).

Was die Waren betrifft kann auf die von der Markeninhaberin zulässig erhobene Einrede der Nichtbenutzung nicht von der Registerlage, dh. dem Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke, ausgegangen werden, sondern allein von den Waren, für die die Widersprechende die Benutzung der Marke glaubhaft gemacht hat. Unabhängig von der Frage, ob die Einreichung der Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Benutzung zwei Tage vor dem Termin ggfls. als verspätetes Vorbringen noch berücksichtigt werden kann und ob diese Unterlagen überhaupt in sich als Mittel der Glaubhaftmachung schlüssig sind, kommt nach dem eigenen Vorbringen der Widersprechenden danach allein eine Benutzung für Motorroller und Mopeds in Betracht, die sich unter den Oberbegriff "Motorräder" des Warenverzeichnisses subsumieren lassen. Die sich damit gegenüberstehenden Waren, nämlich "Motorräder" und (im wesentlichen) "Rollstühle", sind aber nicht ähnlich im Rechtssinne, so daß eine Verwechslungsgefahr bereits ohne jede weitere Prüfung der Markenähnlichkeit ausscheidet.

Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren sind zur Gewährleistung der Herkunftsfunktion der Marke alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren kennzeichnen. Dabei kann auch auf Umstände zurückgegriffen werden, die bislang für die Bestimmung des Warengleichartigkeitsbereichs Geltung hatten, wie Herstellung von demselben Unternehmen, Übereinstimmungen in der stofflichen Beschaffenheit, gleicher Verwendungszweck oder Berührungspunkte beim Vertrieb, weil die Waren beispielsweise in denselben Verkaufsstätten angeboten werden. Darüber hinaus sind jedoch die Art der Waren, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren zu berücksichtigen (EuGH GRUR 1998, 922, 923 Tz. 23 - Canon; BGH BlPMZ 1999, 314, 315 - Canon II; aaO - LIBERO), da die Hauptfunktion der Marke darin besteht, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Ware zu garantieren, indem sie ihm ermöglicht, diese Ware ohne Verwechslungsgefahr von Waren anderer Herkunft zu unterscheiden. Die Marke muß also Gewähr dafür bieten, daß alle Waren, die mit ihr versehen sind, unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens hergestellt oder erbracht worden sind, das für ihre Qualität verantwortlich gemacht werden kann. Daher liegt eine Verwechslungsgefahr dann vor, wenn das Publikum glauben könnte, daß die betreffenden Waren aus demselben Unternehmen oder gegebenenfalls aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen.

Diese Voraussetzungen werden von den sich vorliegend gegenüberstehenden Waren in keinem Punkt erfüllt. Vielmehr fehlt es auf allen Ebenen an den erforderlichen regelmäßigen Berührungspunkten. Das beginnt bei den Herkunftsstätten, wo selbst die Widersprechende keine Belege dafür beibringen konnte, daß Motorräder und Rollstühle ihren Ausgang etwa in denselben Fertigungsstätten haben. Das ist auch ohne weiteres sachlich nachvollziehbar, denn nach den Feststellungen des Senats werden Rollstühle als Produkte des Pflege-, Sanitäts- und Orthopädiebereichs in speziellen Betrieben nach Maß und teilweise von Hand unter Verwendung vorgefertigter Teile hergestellt, während bei Motorrädern die industrielle Fertigung als vor allem motorisiertes Fahrzeug im Vordergrund steht. Des weiteren unterscheiden sich die Waren auch im grundsätzlichen Verwendungszweck und in ihrer Nutzung, so daß vor allem von etwa einander ergänzende Waren überhaupt keine Rede sein kann. Ebenso unterschiedlich sind die Vertriebswege, die bei Rollstühlen auf Sanitätshäuser und Reha-Fachgeschäfte (sowie ggfls. auf die Zuteilung durch Krankenkassen) beschränkt sind. Gravierende Unterschiede sind schließlich auch bei den von den Waren angesprochenen Abnehmern festzustellen. Das gilt auch für den Fall, daß ein Behinderter etwa ein motorisiertes Fortbewegungsmittel sucht, da selbst Rollstühle, die zB mit einem Elektromotor ausgerüstet sind, von ihrer gesamten Konzeption her mit einem Motorrad allenfalls die Räder gemein haben.

Vor diesem Hintergrund besteht für den Verkehr mithin keinerlei Veranlassung, die Waren "Motorräder" und "Rollstühle" wirtschaftlich in irgendeiner Weise einander oder gemeinsamen Herkunftsstätten zuzuordnen, so daß das Vorliegen einer Warenähnlichkeit nach § 9 Abs 2 Nr. 1 MarkenG verneint werden muß. Das hat aber zur Folge, daß es bereits an einer der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Verwechslungsgefahr fehlt und der Widerspruch deshalb ohne jede weitere Prüfung etwa der Markenähnlichkeit zurückzuweisen war. Die Beschwerde konnte damit im Ergebnis keinen Erfolg haben. Ein Anlaß, einer der Beteiligten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aus Billigkeitsgründen aufzuerlegen (§ 71 Abs 1 MarkenG), bestand indes nicht.

Stoppel Richterin Grabrucker hat Urlaub und kann daher nicht selbst unterschreiben Stoppel Martensprö

Abb. 1






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Az: 28 W (pat) 193/99


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