Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 20. April 2006
Aktenzeichen: 2 Not 19/05

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 20.04.2006, Az.: 2 Not 19/05)

Zu den Voraussetzungen für eine vorläufige Amtsenthebung des Notars nach §§ 54 Abs. 1 Nr. 2 BNotO i.V.m. 50 Abs. 1 Nr. 6 und 8 BNotO

Tenor

<Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde vom Gericht nicht mitgeteilt.>

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und Notar mit Sitz in O1.

Mit Beschluss vom 31.8.2005 hat das Amtsgericht Friedberg auf Antrag des Finanzamts € das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet. Daraufhin hat der Antragsgegner mit Bescheid des Präsidenten des LG Gießen vom 28.9.2005 den Antragsteller nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 und 8 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNotO vorläufig des Amtes enthoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Vermutung eines Vermögensverfalls nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO angesichts der desolaten Vermögensverhältnisse des Antragstellers nicht widerlegt sei. Aus dem Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters Rechtsanwalt RA1, O2, vom 22.8.2005 ergäbe sich, dass sich die Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt auf 449.592,83 €, gegenüber verschiedener Banken auf 1.632.168,59 € sowie gegenüber Privatpersonen auf ca. 725.000,- € beliefen. Dem stünden vier Eigentumswohnungen in O3 mit einem Verkehrswert von ca. 186.000,- € gegenüber. Zur Tilgung stünden dem Antragsteller nach dem Gutachten monatlich lediglich 4.420,- € zur Verfügung. Selbst wenn es der Ehefrau des Antragstellers gelänge, das in ihrem Eigentum stehende Anwesen ... zu dem anvisierten Preis von 1,7 Mio € zu veräußern, verblieben bei Einsatz dieser Summe zur Schuldentilgung immer noch Verbindlichkeiten von mehr als 1 Mio €.

Im Hinblick auf § 50 Abs. 1 Ziff. 8 BNotO verweist der Antragsgegner darauf, dass sich der Antragsteller in der Vergangenheit mehrfach Darlehen von Dritten habe auszahlen lassen, ohne zu einer vollständigen Tilgung in der Lage gewesen zu sein. Teilweise hätten die Ansprüche gerichtlich geltend gemacht werden müssen, und es sei zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gekommen. Vor diesem Hintergrund sei die vorläufige Amtsenthebung zum Schutz des rechtsuchenden Publikums unvermeidbar und verhältnismäßig. Dabei bezieht sich der Antragsgegner insbesondere auf die Grundstückskaufangelegenheit Eheleute X ./. Y. Der Antragsteller habe am €.2005 einen Kaufvertrag zwischen den Eheleuten X als Verkäufer und Frau Y als Käuferin beurkundet. Bereits im Dezember 2004 habe er bei Frau Y ein Darlehen in Höhe von 60.000,- € aufgenommen, auf dessen rechtzeitige Rückzahlung sie angewiesen gewesen sei, um ihrer Kaufpreisverbindlichkeit nachkommen zu können. Der Antragsteller sei aber zur rechtzeitigen Rückzahlung nicht in der Lage gewesen. Gegen diese ihm am 5.10.2005 zugestellte Anordnung hat der Antragsteller am 7.11.2005 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

Dazu führt er aus:

Der Antragsgegner hätte zunächst die Gläubigerversammlung und den Versuch des Insolvenzverwalters abwarten müssen, ein Insolvenzplanverfahren durchzuführen. Dies gebiete die Entscheidung des BGH vom 22.3.2004. Der Verkehrswert der 4 Eigentumswohnungen betrage nicht 186.000,- €; vielmehr ließen sich 327.000,- € erzielen, was sich aus den bisherigen Verkaufserlösen anderer Wohnungen ergäbe, aus denen bereits 59.000,- € an das Finanzamt geflossen seien. Er, der Antragsteller, habe in der Vergangenheit seine Verpflichtungen gegenüber Geschäftsbanken und Privatpersonen bis auf wenige geringfügige Ausnahmen stets erfüllt. Durch die Maßnahme werde ihm der Boden für weitere Tilgungen entzogen. Zudem sei der von dem Insolvenzverwalter angenommene monatliche Tilgungsbetrag von 4.420,- € zu niedrig angesetzt; vielmehr sei er aufgrund der bislang jährlich erzielten Umsätze in der Lage, Verbindlichkeiten von 1.000.000,- € zu bedienen. Dieser Restbetrag werde außerdem dadurch gemindert, dass die Banken über Sicherheiten verfügten.

Hinsichtlich einer Gefährdung der Interessen Rechtsuchender führt der Antragsteller aus, in den Fällen der Privatschuldner A und B, in denen gegen ihn Versäumnis- bzw. Anerkenntnisurteil ergangen ist, habe er die sich anschließenden Tilgungsvereinbarungen bis zur Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens eingehalten.

Der Präsident des LG Gießen habe außerdem ermessensfehlerhaft angenommen, seine Wirtschaftsführung sei nicht mit der ordnungsgemäßen Ausübung des Notarsamts vereinbar; sein Amtsvorgänger habe hinsichtlich der Angelegenheit X keine Veranlassung zu einer vorläufigen Amtsenthebung gesehen. Auch habe er, der Antragsteller, bislang in keinem Fall fremdes Vermögen sachwidrig verwaltet. Der Antragsteller sieht letztlich seine verfassungsrechtlichen Rechte verletzt.

Der Antragsteller beantragt,

die Anordnung des Präsidenten des Landgerichts Gießen vom 28.9.2005 aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er verteidigt die angegriffene Anordnung.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 111 Abs. 2 S. 1 BNotO gestellt worden. Er ist aber unbegründet, da die Entscheidung des Antragsgegners keine Ermessensfehler aufweist, § 111 Abs. 1 S. 3 BNotO. Vielmehr hat er zu Recht die Voraussetzungen für eine vorläufige Amtsenthebung nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNotO i.V.m. 50 Abs. 1 Nr. 6 und 8 BNotO bejaht.

1. Nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO ist der Notar seines Amtes zu entheben, wenn er in Vermögensverfall geraten ist, wobei ein Vermögensverfall vermutet wird, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Notars eröffnet ist.

a) Mit seinem Vorbringen ist es dem Antragsteller nicht gelungen, die durch die am 31.8.2005 erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen eingetretene Vermutung des Vermögensverfalls zu widerlegen. Dazu wäre erforderlich gewesen, dass er seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darlegt und nachvollziehbar erläutert, wie seine finanziellen Verhältnisse in absehbarer Zeit wieder geordnet werden können (BGH, NJW 2004, 2018). Das kann dem Vortrag des Antragstellers aber nicht entnommen werden. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass es gelingen könnte, sowohl die vier Eigentumswohnungen zu dem von ihm angenommenen Preis als auch das Anwesen der Ehefrau zu veräußern, verblieben bei einer Aktivmasse von 95.950,- € zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung und Verfahrenskosten von über 40.000,- € immer noch Verbindlichkeiten von rund 850.000,- €. Dass ihm zur Rückführung mehr als die vom Gutachter angenommenen 4.420,- € / Monat zur Verfügung stehen würden, hat der Antragsteller weder substantiiert dargelegt noch in der mündlichen Verhandlung begründen können. Ihm ist auch nicht deshalb die Weiterführung der Geschäfte zu gestatten, um ihn überhaupt in die Lage zu versetzen, Tilgungen vorzunehmen. Ließe man dieses Argument gelten, gäbe es grundsätzlich keine Amtsenthebung wegen Vermögensverfalls mehr. Vielmehr ist allein entscheidend, ob die finanziellen Verhältnisse in absehbarer Zeit wieder geordnet werden können. Das ist aber nicht ersichtlich.

b) Der Antragsteller kann auch nicht damit gehört werden, der Antragsgegner hätte zunächst die Gläubigerversammlung und den Versuch der Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens abwarten müssen. Zum einen handelt es sich bei einer vorläufigen Amtsenthebung um eine einstweilige Sicherungsmaßnahme. Liegen zureichende tatsächliche Anhaltpunkte vor, die eine endgültige Amtsenthebung rechtfertigen würden, ist es nicht ermessenfehlerhaft, wenn die Aufsichtsbehörde die vorläufige Amtsenthebung zur Gefahrenabwehr anordnet; ein Anspruch auf Zuwarten besteht insoweit nicht. Zum anderen kann nach der vom Antragsteller selbst vorgelegten Entscheidung des BGH die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Vermutung des Vermögensverfalls (§ 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO) nicht einmal dadurch als widerlegt angesehen werden, dass die Gläubigerversammlung die vorläufige Fortführung des Notariats beschließt und den Insolvenzverwalter beauftragt, einen Insolvenzplan auszuarbeiten und vorzulegen (BGH a.a.O.). Von daher bestand dann aber auch keine Verpflichtung des Antragsgegners, auf die Durchführung einer Gläubigerversammlung zu warten.

2. Darüber hinaus liegen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers die Interessen der Rechtsuchenden gefährden, § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO. Das ist dann anzunehmen, wenn hohe, fällige und nicht beitreibbare Zahlungsansprüche gegen den Notar bestehen oder gerichtlich anhängig sind (Eylmann / Vaasen / Custodis, BNotO, 2. A., § 50 BNotO Rn. 41). Abgesehen davon, dass gegen den Antragsteller bereits zwei Gerichtsverfahren wegen mangelnder Darlehensrückzahlung anhängig waren, sind seine Schulden so hoch, dass die Gefahr besteht, dass der Notar fremde Vermögensinteressen nicht mit der gebotenen Sorgfalt wahrnimmt. Der Antragsgegner verweist hier zu Recht auf die Sache X ./. Y. Auch wenn der Antragsteller nach Intervention des Vorgängers des Präsidenten des LG Gießen das Darlehen letztlich innerhalb der ihm gesetzten Frist zurückgezahlt hat, bleibt es doch dabei, dass die Käuferin für die Finanzierung des Restkaufpreises wegen der nicht rechtzeitig erfolgten Rückzahlung des Darlehens durch den Antragsteller ein eigenes Darlehen aufnehmen musste. Dadurch sind die Interessen der Käuferin als Rechtsuchende in gravierendem Maße verletzt worden. Das rechtfertigt letztlich auch die Annahme des Antragsgegners, dass im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Interesse der Rechtsuchenden und einer geordneten Rechtspflege einerseits und dem verfassungsrechtlich geschützten Interesse des Notars andererseits schon vor Rechtskraft der endgültigen Amtsenthebung die vorläufige Amtsenthebung zur Abwehr konkreter Gefahren erforderlich war. Darauf, dass dies eventuell von dem Vorgänger des LG € Präsidenten anders gesehen wurde, kommt es ebenso wenig an wie auf den Hinweis des Antragstellers, er habe bislang in keinem Fall fremdes Vermögen sachwidrig verwaltet.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung war somit zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 111 Abs. 4 BNotO i.V.m. § 201 Abs. 1 BRAO.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 111 Abs. 4 BnotO, § 202 Abs. 2 BRAO, 30 Abs. 2 KostO.






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 20.04.2006
Az: 2 Not 19/05


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