Bundesgerichtshof:
Urteil vom 12. Oktober 2010
Aktenzeichen: X ZR 91/08

(BGH: Urteil v. 12.10.2010, Az.: X ZR 91/08)

Tenor

Die Berufung gegen das am 27. März 2008 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 511 430 (Streitpatents), das eine US-Priorität vom 1. Mai 1991 in Anspruch nimmt und am 2. Juli 1991 angemeldet wurde. Das Streitpatent betrifft eine Konservierungslösung für Zellen und umfasst in der erteilten Fassung zehn Patentansprüche.

Patentansprüche 1 und 7 des Streitpatents haben in der englischen Verfahrenssprache des Streitpatents folgenden Wortlaut:

"1. An aqueous alcoholbuffer solution for substantially ambient, in vitro preservation of mammalian cells for a selected duration, said solution comprising A. a watermiscible alcohol in an amount sufficient to fix the mammalian cells;

B. an anticlumping agent in an amount sufficient to prevent the cells from clumping in said solution; and C. a buffering agent which maintains said solution, with the cells, at a pH range of between about 2 to about 7 for said duration.

7. A method of longterm, ambient, in vitro preservation of mammalian tissue cells, comprising the steps of:

A. providing a sample of mammalian tissue cells; and B. within a time from said sampleproviding step, suspending said cells in a preservation solution that comprises:

(i) a watermiscible alcohol in an amount sufficient to fix said cells without coagulation;

(ii) an anticlumping agent in an amount sufficient to prevent the cells from clumping; and

(iii) a buffering agent which maintains the solution, with the cells, at a pH range of between about 4 to about 7."

Die Klägerinnen haben geltend gemacht, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig sei.

Die Beklagte hat die Sachansprüche 1 bis 6 des Streitpatents als Verwendungsansprüche in zwei eingeschränkten Fassungen in deutscher Sprache verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie in erster Linie begehrt, die Klage abzuweisen. Als Hilfsantrag I beantragt sie, die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass in Patentanspruch 1 das Wort "wässrige" durch die Worte "Verwendung einer wässrigen" und in den Patentansprüchen 2 bis 6 jeweils das Wort "Lösung" durch das Wort "Verwendung" ersetzt wird. Als Hilfsantrag II verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags 1 mit der weiteren Maßgabe, dass in Patentanspruch 7 hinter dem Begriff "Säuger-Gewebezellen" die Worte "und -Gewebe" eingefügt werden. Als Hilfsantrag III bittet sie darum, die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass in den Patentansprüchen 1 und 7 das gegen die Klumpenbildung gerichtete Mittel dahin konkretisiert wird, dass es sich um das in Patentanspruch 3 bezeichnete Mittel handelt.

Die Klägerinnen beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. M. W. , Universität H. , Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnolo- gie, Abteilung Biologie, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

I. Das Streitpatent betrifft eine Lösung und ein Verfahren zur Invitro-Konservierung von Zellen bei Umgebungstemperatur.

1. In der Streitpatentschrift wird ausgeführt, dass es wünschenswert sei, Zellen, Gewebe oder Abstrichproben, die etwa zur Durchführung einer zytologischen oder histologischen Analyse entnommen würden, zu konservieren, wenn die Analyse der Probe nicht unmittelbar nach der Entnahme (Biopsie) erfolgen könne. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass die Zellen in der Zeit zwischen Entnahme und Analyse ihre Integrität verlören, was den Wert der Analyse verringern könne.

Zu einer solchen Konservierung von Zellproben sind nach den weiteren Angaben in der Patentschrift verschiedene Kochsalzlösungen oder ausgewogene Salzlösungen im Handel erhältlich. Dazu zählten die ausgewogene Salzlösung nach Hanks, ein ein Minimum essentieller Komponenten enthaltendes Gewebekulturmedium (minimal essential (MEM) tissue culture medium), das Erzeugnis Polisal und normale Kochsalz-Lösung. In der Streitpatentschrift wird angemerkt, dass Polisal zwar für eine Lagerung für relativ kurze Zeit geeignet sei, jedoch weder ein bakterielles Wachstum verhindere noch eine längere Lagerung unter Umgebungsbedingungen erlaube. Hinsichtlich der ausgewogenen Salzlösung nach Hanks wird erläutert, dass Zellen ihre Lebensfähigkeit (viability) nach 20 Minuten in dieser Lösung verlören, was eine zytopathologische Analyse beeinträchtige.

Nach den weiteren Ausführungen in der Streitpatentschrift enthalten viele Arten klinisch relevanter Gewebe und Zellproben Fremdproteine, die eine anschließende Färbung und Analyse stören. Das Einlagern von Zellproben in einer Kochsalzlösung berücksichtige derartige Randprobleme nicht. Schließlich führe eine sich über längere Zeit erstreckende Konservierung von Proben oft zum Wachstum von Bakterien, das auch durch die Bestandteile von normalen oder mit Zusätzen versehenen Kochsalz-Lösungen genährt werde.

Nach den Angaben in der Streitpatentschrift ist es die Aufgabe der Erfindung, eine Lösung zur Konservierung und Fixierung von Zellen für eine anschließende zytologische oder histologische Analyse zu schaffen.

Patentanspruch 1 schlägt dazu vor:

1. eine wässrige Alkohol-Puffer-Lösung für eine im Wesentlichen bei Umgebungstemperatur stattfindende Invitro-Konservierung von Säugerzellen für eine vorbestimmte (selected) Dauer, 2. wobei die Lösung umfasst:

a) einen mit Wasser mischbaren Alkohol in einer zur Fixierung der Zellen ausreichenden Menge, b) ein gegen Klumpenbildung gerichtetes Mittel in einer zur Verhinderung eines Verklumpens der Zellen in der Lösung ausreichenden Menge undc) einen Puffer, der die Lösung mit den Zellen in einem pH- Bereich zwischen etwa 2 und etwa 7 hält.

Patentanspruch 7 schlägt ein Verfahren mit folgenden Merkmalen vor:

1. Verfahren der Invitro-Konservierung von Säuger-Gewebezellen über lange Zeit bei Umgebungsbedingungen, wobei das Verfahren die Schritte umfasst:

2. eine Zellprobe wird bereitgestellt und 3. die Zellen werden sodann in einer Konservierungslösung suspendiert, die umfasst:

a) einen mit Wasser mischbaren Alkohol in einer zur Fixierung der Zellen ohne Koagulation ausreichenden Menge, b) ein gegen Klumpenbildung gerichtetes Mittel in einer zur Verhinderung eines Verklumpens der Zellen in der Lösung ausreichenden Menge undc) einen Puffer, der die Lösung mit den Zellen in einem pH-Bereich zwischen etwa 2 und etwa 7 hält.

2. Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist demnach eine wässrige Alkohol-Puffer-Lösung für eine im Wesentlichen bei Umgebungstemperatur stattfindende Invitro-Konservierung von Säugerzellen für eine vorbestimmte Dauer, welche die in der Merkmalsgruppe 2 genannten Komponenten umfasst.

a) Das Patentgericht hat in der auf die Invitro-Konservierung von Säugerzellen gerichteten Zweckangabe lediglich eine von vielen Verwendungsmöglichkeiten der patentgemäßen Lösung gesehen. Die Beschaffenheit der Lösung werde dadurch nicht näher beschrieben. Dies schöpft den Sinngehalt des Merkmals 1 nicht aus.

Grundsätzlich gilt, dass die Merkmale eines Erzeugnisanspruchs, wie ihn Patentanspruch 1 darstellt, die Funktion haben, die geschützte Sache als solche zu beschreiben, so dass der auf diese Weise regelmäßig räumlichkörperlich definierte Gegenstand unabhängig davon geschützt ist, zu welchem Zweck er verwendet wird. Gleichwohl sind im Patentanspruch enthaltene Zweckangaben nicht etwa bedeutungslos. Sie haben vielmehr regelmäßig die Aufgabe, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die räumlichkörperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar ist (BGHZ 112, 140, 155 f. - Befestigungsvorrichtung II; BGH, Urteil vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 140/05, GRUR 2009, 837 - Bauschalungsstütze, mwN).

Dies bedeutet für den hier in Rede stehenden Patentanspruch 1, dass die wässrige Alkohol-Puffer-Lösung zur Durchführung einer im Wesentlichen bei Umgebungstemperatur stattfindende Invitro-Konservierung von Säugerzellen für eine bestimmte Dauer geeignet sein muss. Für ein solches Verständnis spricht zunächst die ausdrückliche Erwähnung dieses Verwendungszwecks in Merkmal 1 sowie Merkmal 2a, welches einen mit Wasser mischbaren Alkohol in einer zur Fixierung der Zellen ausreichenden Menge vorsieht. Gestützt wird diese Auslegung durch Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents. Sie erläutern dem Fachmann - bei dem es sich nach den unangefochtenen Feststellungen des Patentgerichts um einen Mediziner (Pathologen oder klinischen Mediziner), Biochemiker, Mikrobiologen oder Pharmazeuten mit besonderen Kenntnissen im Bereich zytologischer oder histologischer Untersuchungen handelt - allgemein, dass die Erfindung eine Lösung und ein Verfahren für eine Invitro-Konservierung von Säugerzellen und -gewebe bei Umgebungstemperatur betrifft (S. 2 Z. 39 f.; S. 3 Z. 4 f.). Entsprechend sind auch ausschließlich Säugerzellen Gegenstand der Ausführungsbeispiele des Streitpatents (S. 3 Z. 46 ff., S. 5 Z. 41 ff.). Schließlich bezeichnet Patentanspruch 7 eine Probe von Säuger-Gewebezellen als Gegenstand des erfindungsgemäßen Konservierungsverfahrens, und der Patentstreitschrift ist kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass Verfahrensanspruch 7 sich insoweit auf einen engeren Gegenstand beziehen soll als der Erzeugnisanspruch 1.

b) Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Begriff der Invitro-Konservierung dahin zu verstehen sei, dass die in die Konservierungslösung eingebrachte Zellprobe für eine spätere zytologische Analyse tauglich gehalten werde und demnach die Zellen in ihrem zytologischen Informationsgehalt, insbesondere hinsichtlich der Vitalität, der Morphologie und des Zellverbunds, weitgehend unverändert blieben. Es solle sowohl verhindert werden, dass sich nach dem Zellabstrich weitere Zellklumpen bilden als auch, dass sich vorhandene Zellklumpen auflösen, weil ihr Erhalt für die Analyse wichtig sei. Demgegenüber hat das Patentgericht für diese Auslegung keinen Anhalt in der Patentschrift gesehen. Vielmehr werde darin ausgeführt, dass die Zellen innerhalb eines vorbestimmten oder speziell angegebenen Zeitrahmens im Anschluss an die Biopsie in einer Konservierungslösung suspendiert würden. Eine Suspension bedeute aber die Verteilung bzw. Vereinzelung der Zellen in einer Flüssigkeit, mithin eine Veränderung der Probe. Diesem Verständnis des Patentgerichts ist beizutreten.

Nach der Lehre des Patentanspruchs 1 soll mit der wässrigen Alkohol-Puffer-Lösung die Invitro-Konservierung von Säugerzellen bei Umgebungstemperatur für eine gewählte Dauer erreicht werden. Hierzu ist es, wie die Beschreibung des Streitpatents erläutert, wünschenswert, dass die Integrität der Zellprobe in der Zeit zwischen Biopsie und Analyse erhalten bleibt ("konserviert" wird). Die Zellen sollen ihre morphologischen Eigenschaften behalten und nicht durch das Wachstum von Mikroorganismen (wie etwa Bakterien) zerstört werden, damit sie ohne Informationsverlust der jeweils beabsichtigten Analyse unterzogen werden können (vgl. Beschreibung, S. 2 Z. 5 ff., 15 ff., 33 ff.; vgl. auch Sachverständigengutachten, S. 8 Abs. 1 letzter Satz), etwa ein Färben ohne einen signifikanten Verlust der Integrität ermöglicht wird (Beschreibung, S. 3 Z. 2 f.). Dabei ist dem Fachmann bewusst, dass die Zellen bei ihrer Konservierung zwar abgetötet werden, aber die Zellstrukturen dabei erhalten bleiben (Sachverständigengutachten, S. 9 Fn. 1).

Zur Erreichung der genannten Ziele umfasst die erfindungsgemäße wässrige Alkohol-Puffer-Lösung drei Komponenten.

Zum einen wird ein mit Wasser mischbarer Alkohol in einer zur Fixierung der Zellen ausreichenden Menge verwendet. In der Beschreibung wird dazu erläutert, dass die wässrige Alkohol-Puffer-Lösung die Kernstruktur der Zellen verbessert, indem sie die Zellmembran für ein anschließendes zytologisches Färben intakt hält. Außerdem zerstört die Lösung wirksam mikrobielle Pathogene der Probe und inhibiert die Aktivität von Retroviren (S. 3 Z. 6 f.). Die Alkoholkomponente hat mithin als Bestandteil der erfindungsgemäßen Lösung die Funktion, die Zellen in ihrer morphologischen Struktur zu fixieren und das Wachstum von Mikroorganismen zu verhindern. Allerdings kann eine zu hohe Alkoholkonzentration eine Zellkoagulation zur Folge haben (S. 3 Z. 20 ff.).

Der zweiten Komponente kommt deshalb die Aufgabe zu, der Bildung von Zellklumpen (Koagulation) entgegenzuwirken, wie sich bereits unmittelbar aus dem Wortlaut des Merkmals 2b ergibt. Dafür kommen insbesondere das chelatisierende Mittel Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) und deren Salze in Betracht (S. 3 Z. 28 ff.).

Auch der Zweck der dritten Komponente folgt unmittelbar aus dem Anspruchswortlaut, nach dem der Puffer einen bestimmten pH-Wert der Lösung gewährleisten soll (näher S. 3 Z. 32 ff.).

Hingegen findet sich an keiner Stelle der Streitpatentschrift ein Hinweis darauf, dass es bei der erfindungsgemäßen Lösung neben der Erhaltung der Zellstruktur, der Verhinderung der Bildung von Zellklumpen und der Stabilisierung des pH-Wertes auch darauf ankommen soll, Zellverbände, die nach der Biopsie vorhanden sind, für die zytologische oder histologische Analyse zu erhalten. Selbst für den bevorzugten Fall, dass die Alkohol-Komponente - wie in Unteranspruch 2 geschützt - aus der aus Ethanol, Isopropanol und Methanol bestehenden Gruppe gewählt ist, wird lediglich erwähnt, dass die Integrität der Zell-DNA aufrechterhalten und die Einzelheiten des Zellkerns für eine anschließende zytologische Anfärbung und Analyse bewahrt werden (S. 3 Z. 17 f.); hingegen ist auch insoweit nicht davon die Rede, dass auch bei der Entnahme vorhandene Zellverbände erhalten bleiben sollen.

Diesem Verständnis des Fachmanns steht jedenfalls nicht entgegen, dass nach den Erläuterungen in der allgemeinen Beschreibung des Streitpatents vorgesehen ist, die Zellen in der erfindungsgemäßen Lösung zu suspendieren (vgl. S. 2 Z. 58 f.). Dabei kann dahinstehen, ob unter dem Begriff des Suspendierens aus Sicht des Fachmanns stets und in jedem Zusammenhang die Verteilung bzw. Vereinzelung der Zellen in einer Flüssigkeit zu verstehen sind, wie das Patentgericht angenommen hat und von der Beklagten in Frage gestellt wird. Denn jedenfalls gibt der Hinweis in der Streitpatentschrift auf die Suspension keinen Anhalt dafür, dass neben dem Erhalt der Strukturen der einzelnen Zellen auch der Erhalt vorhandener Zellagglomerationen erreicht werden soll.

Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass es in der Beschreibung des Streitpatents als Aufgabe der Erfindung bezeichnet wird, eine Lösung zur Konservierung und zum Fixieren von Zellen sowie ein Verfahren zu schaffen, mit denen Zellen "und Gewebe" für eine anschließende zytologische oder histologische Analyse konserviert werden können (S. 2 Z. 37 f.; vgl. auch S. 3 Z. 41), worauf die Beklagte in der Verhandlung hingewiesen hat. Denn die Invitro-Konservierung von Gewebe ist nicht Gegenstand der Ansprüche 1 und 7 in der erteilten Fassung. In den Ansprüchen wird als Zweck der wässrigen Alkohol-Puffer-Lösung bzw. des Verfahrens ausschließlich die Invitro-Konservierung von "Säuger-Zellen" bzw. "Säuger-Gewebezellen" erwähnt. Im Übrigen fehlt in der Beschreibung jeglicher Anhalt dafür, dass entgegen dem allgemeinen Verständnis der Begriffe Invitro-Konservierung von "Säuger-Zellen" bzw. "Säuger-Gewebezellen" im Rahmen der Lehre des Streitpatents auch die Invitro-Konservierung von Gewebe zu verstehen ist.

II. Das Patentgericht hat den Gegenstand des Patentanspruchs 1 als u.a. durch die Veröffentlichung von Donzanti et al.: "An Improved And Rapid HPLC-EC Method For The Isocratic Separation Amino Acid Neurotransmitters From Brain Tissue And Microdialysis Perfusates", Life Sciences 1988, S. 913 (Anlage N 10) vorweggenommen angesehen. Die Veröffentlichung betrifft die Auftrennung und Detektion von Aminosäure-Neurotransmittern mittels Hochleistungsflüssigkeitschromatographie. Dabei wird ein wässriges Laufmittel eingesetzt, das aus 28 % Methanol, 0,13 mM Na2EDTA und 0,10 mM Phosphatpuffer (pH 6,0 oder 6,4) besteht. Dass die Eignung zur Invitro-Konservierung nicht angegeben ist, hat das Patentgericht - nach seinem Ausgangspunkt konsequent - für unschädlich gehalten.

Patentanspruch 1 habe auch in der Fassung des Hilfsantrags (also als Verwendungsanspruch) keinen Bestand, weil der so definierte Gegenstand durch den Stand der Technik, insbesondere die Veröffentlichung von Oud et al., "The Development of a Cervical Smear Preparation Procedure for the BioPEPR Image Analysis System" in Analytical and Quantitative Cytology 1981, 73 (Anlage N 6) in Verbindung mit der Arbeit von Chiori et al., "A potentiating effect of EDTA on the bactericidal activity of lower concentrations of ethanol" (International Journal of Pharmaceutics 1983, 121, Anlage N 18) nahegelegt gewesen sei.

III. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung ist nicht patentfähig. Es fehlt bereits an der Neuheit (Art. 52 Abs. 1, 54 EPÜ).

Gegenüber den Ausführungen des Patentgerichts zur Entgegenhaltung N 10 rügt die Berufung, nach der Schrift werde die Lösung im Vakuum entgast; durch die Entfernung des Sauerstoffs aus der Lösung werde die Überlebensfähigkeit der Sauerstoff veratmenden Säugerzellen in der Lösung vernichtet. Das greift nicht durch. Denn wie der Sachverständige in seinem Gutachten (S. 14 Fn. 2) ausgeführt und bei seiner Anhörung bestätigt hat, werden die Zellen in der Konservierungslösung infolge der Zugabe von Alkohol ohnedies abgetötet.

IV. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist auch in der Fassung des 1. Hilfsantrags nicht patentfähig, weil er nicht neu war.

1. Patentanspruch 1 in der Fassung des 1. Hilfsantrags ist im Vergleich mit Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung auf die Verwendung einer wässrigen Alkohol-Puffer-Lösung für eine im Wesentlichen bei Umgebungstemperatur stattfindende Invitro-Konservierung beschränkt.

2. Die Beschränkung von einem Erzeugnis- auf einen Verwendungsanspruch ist zulässig, wenn der Verwendungszweck in der Patentschrift offenbart ist (vgl. Senatsurteil vom 17.9.1987 - X ZR 56/86, GRUR 1988, 287, 288 - Abschlussblende; Urteil vom 24.3.1998 - X ZR 39/95, GRUR 1998, 1003, 1005, 1006 - Leuchtstoff). Das ist hier der Fall; die beanspruchte Verwendung ist bereits durch die Zweckangabe in Patentanspruch 1 offenbart. Entsprechende Stellen finden sich überdies in der Beschreibung (etwa S. 2 Z. 39).

3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung des 1. Hilfsantrags war jedoch gegenüber der japanischen Offenlegungsschrift Sho 63-168563 (Anlage N 3) nicht neu. Diese betrifft eine Lösung, die geeignet ist, schleimige Zytodiagnose-Proben (etwa den Hustenauswurf von Lungenkrebs-Patienten) zu fixieren und zu konservieren, sowie über schleimlösende (mukolytische) Eigenschaften verfügt. Der Entgegenhaltung ist zu entnehmen, dass eine solche fixierende und konservierende Lösung aus 0,2 % Methylcystein, 2 % Saccharose oder Propylenglykol, 10 ppm wasserlöslichem Entschäumer und 40 % Ethanol zu 0,01 mol Phosphatpufferlösung (0,1 mol Phosphat-Kochsalz-Pufferlösung [PBS]), welche 0,8 bis 0,9 % Tafelsalz enthält, bestehen kann (deutsche Übersetzung Anlage N 3b, S. 10 Abs. 1). Dem Fachmann wird damit eine wässrige Alkohol-Puffer-Lösung offenbart, welche einen mit Wasser mischbaren Alkohol (40 % Ethanol) in einer Menge enthält, die ausreichend zur Fixierung der Säugerzellen ist und zudem über ein pufferndes Mittel (PBS) verfügt, das die Lösung mit den Säugerzellen für eine gewählte Dauer bei einem pH-Wert im Bereich zwischen etwa 2 und etwa 7 hält, und zwar bei einem pH-Wert von etwa 6,7 bis 7 (vgl. etwa Anlage N 6, S. 74, linke Sp. letzter Satz, übergehend auf rechte Sp.), so dass die Merkmale 1, 2a und 2c verwirklicht sind.

Nach den Ausführungen in der Entgegenhaltung gerinnt der Schleim in einer Probe, wenn er mit (normaler) Fixierflüssigkeit in Berührung kommt, was ein Eindringen der Fixierflüssigkeit in den Schleimklumpen verhindert und eine ungleichmäßige Fixierung der Zellen zur Folge hat (Anlage N 3b, S. 7 Abs. 1). Es wird daher Methylcystein als Mukolytikum zugegeben, womit erreicht wird, dass sich der Schleim gut auflöst und die Zellen in einem "verstreuten und schwebenden" Zustand fixiert werden (S. 13 unten). Der Sachverständige hat dies - von der Beklagten unbeanstandet - ohne weiteres mit der Verhinderung eines Verklumpens der Zellen gleichgesetzt (Sachverständigengutachten 10 unten). Der Lösung wird also ein Mittel zugefügt, welches die in Merkmal 2b des Patentanspruchs 1 des Streitpatents vorgesehenen Eigenschaften aufweist.

Dem steht nicht entgegen, dass die mukolytische Wirkung des Methylcysteins zur Auflösung von Zellklumpen führen kann und soll. Denn wie dargelegt soll mit der Invitro-Konservierung zwar erfindungsgemäß der Erhalt der Zellstrukturen bis zur Durchführung der zytologischen oder histologischen Analyse erreicht werden, nicht aber notwendigerweise auch die Konservierung vorhandener Zellklumpen. Danach ist es hinreichend, wenn in der Patentanmeldung hervorgehoben wird, dass der Cystein-Wirkstoff die Färbung und Zytodiagnose nicht behindert (vgl. Anlage N 3b, S. 9 Abs. 3).

Wie der gerichtliche Sachverständige im Termin bestätigt hat, ist es hinsichtlich der mucolytischen bzw. die Bildung von Zellkoagulationen verhindernden Wirkung des Methylcysteins auch unschädlich, dass die Entgegenhaltung ferner Tafelsalz empfiehlt, um eine "maßvolle" Fixierstärke zu ermöglichen, mit der Zellklumpen verhindert werden (Anlage N 3b S. 7 Abs. 3 und S. 9 letzter Abs. übergehend auf S. 10).

4. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des 1. Hilfsantrags wurde im Übrigen auch von der japanischen Offenlegungsschrift Sho 63-168562 (Anlage N 4) vorweggenommen. Diese beinhaltet - wie die Entgegenhaltung N 3 - eine Lösung, die geeignet ist, schleimige Zytodiagnose-Proben zu fixieren und zu konservieren, sowie über mukolytische Eigenschaften verfügt. Anspruch 6 der Patentanmeldung schlägt eine Lösung vor, die jeweils eine Konzentration von 30 bis 40 % Ethylalkohol, 0,8 bis 0,9 % Kochsalz, 2 % Saccharose, 1,5 bis 2 % Propylenglykol, 0,1 bis 0,2 % Methylcystein und 0,01 Mol Phosphat an Phosphatpuffer aufweist (Anlage N 4b, S. 3). Als Puffer kann PBS eingesetzt werden (Anlage N 4b, S. 16 Abs. 1). Entsprechend den Ausführungen zur Entgegenhaltung N 3 ist damit der Gegenstand des Patentanspruchs 1 auch in dieser Entgegenhaltung offenbart.

V. Der Gegenstand von Patentanspruch 7 ist weder in der erteilten Fassung noch in der Fassung des 2. Hilfsantrags patentfähig.

1. Patentanspruch 7 in der Fassung des 2. Hilfsantrags unterscheidet sich von Patentanspruch 7 in der erteilten Fassung dadurch, dass dieser - bei sonst nicht verändertem Wortlaut - ein Verfahren der Invitro-Konservierung nicht nur von "Säuger-Gewebezellen" sondern von "Säuger-Gewebezellen und Gewebe" betrifft.

Aus Sicht des Fachmanns ist Patentanspruch 7 in der Fassung des 2. Hilfsantrags (im Anschluss an die obigen Ausführungen zur Auslegung von Patentanspruch 1 bzw. 7 in der erteilten Fassung) dahin zu verstehen, dass das anspruchsgemäße Verfahren geeignet sein soll, neben Zellen auch Gewebeteile, die bei einer Probenentnahme gewonnen wurden, zu konservieren, damit sie für eine anschließende zytologische oder histologische Analyse verwendet werden können (vgl. S. 2 Z. 37 f.; S. 2 Z. 44 f.). Wie der Sachverständige im Termin erläutert hat, können neben den Zellen auch die Gewebeteile, die etwa bei einer Biopsie erhalten wurden, für eine spätere zytologische oder histologische Untersuchung von Interesse sein. Hingegen ist Patentanspruch 7 in der Fassung des 2. Hilfsantrags unter Berücksichtigung der Beschreibung nicht zu entnehmen, dass verfahrensgemäß auch Zellklumpen (Zellkoagulationen) konserviert werden sollen, die kein Gewebe sind.

2. Ob es sich bei dem Gegenstand von Patentanspruch 7 in der Fassung des 2. Hilfsantrags um eine zulässige Beschränkung des Patentanspruchs 7 in der erteilten Fassung handelt, was von den Klägerinnen unter dem Gesichtspunkt fehlender Deutlichkeit (vgl. Art. 84 EPÜ) und einer unzulässigen Erweiterung (Art. 123 Abs. 2 EPÜ) gerügt worden ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst wenn diese Frage zugunsten der Beklagten verneint wird, erweist sich der Gegenstand von Anspruch 7 auch in der Fassung des 2. Hilfsantrags wegen fehlender Neuheit als nicht patentfähig.

3. Der Gegenstand von Patentanspruch 7 in der erteilten Fassung und in der Fassung des 2. Hilfsantrags wurde ebenfalls von der japanischen Offenlegungsschrift Sho 63-168563 (Anlage N 3) bzw. der japanischen Offenlegungsschrift Sho 63-168562 (Anlage N 4) vorweggenommen. Insoweit kann zunächst auf die obigen Ausführungen zu Patentanspruch 1 in der Fassung des 1. Hilfsantrags verwiesen werden, die im Hinblick auf den Gegenstand von Patentanspruch 7 entsprechend gelten. Soweit Patentanspruch 7 in der Fassung des 2. Hilfsantrags die Eignung des Verfahren zur In-Vitro-Konservierung nicht nur von Säuger-Gewebezellen, sondern auch von Gewebe in der Probe vorsieht, steht dem die mukolytische Wirkung des Methylcysteins zur Auflösung von Zellklumpen nicht entgegen. Denn, wie der gerichtliche Sachverständige in der Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, wird die Konservierung von Gewebeteilen in der oben erwähnten Alkohol-Puffer-Lösung gemäß der Entgegenhaltung N 3 bzw. der Entgegenhaltung N 4 durch die mukolytische Wirkung des Methylcysteins nicht beeinträchtigt.

VI. Die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 7 in der Fassung des 3. Hilfsantrags sind nicht patentfähig.

1. Patentansprüche 1 und 7 in der Fassung des 3. Hilfsantrags unterscheiden sich von Patentanspruch 1 in der Fassung des 1. Hilfsantrags und Patentanspruch 7 in der Fassung des 2. Hilfsantrages dadurch, dass das gegen die Klumpenbildung gerichtete Mittel dahin konkretisiert ist, dass es sich bei diesem um ein chelatisierendes Mittel handelt, das aus der aus Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) und deren Salzen bestehenden Gruppe gewählt ist.

2. Diese Gegenstände der Patentansprüche 1 und 7 waren zwar gegenüber den Entgegenhaltungen N 3 und N 4 neu, weil diese als gegen die Klumpenbildung gerichtetes Mittel Methylcystein, nicht EDTA vorsehen.

3. Sie ergaben sich für den Fachmann jedoch in naheliegender Weise. Wie ausgeführt, befasst sich die Entgegenhaltung N 3 mit dem Problem, die Zellen in Auswurfproben bei Lungenkrebs in der Zeit zwischen der Entnahme und der Zytodiagnose nicht nur gut zu fixieren, sondern auch gut zu konservieren (vgl. Anlage N 3 b, S. 6). In der Entgegenhaltung wird erwähnt, dass in mukolytischen Auswurf-Fixierflüssigkeiten in Japan in der Vergangenheit als mukolytische Wirkstoffe N-Acetyl-L-Zysteine und Dithiotreitol verwendet worden seien. Bei einer YM-artigen Fixierflüssigkeit sei auch Dihydroxy-Dithiolbutan oder ein Enzym beigefügt worden (Anlage 3 b, S. 5 Abs. 2). Wie der gerichtliche Sachverständige in der Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, kamen aus Sicht des Fachmanns, der die Entgegenhaltung N 3 zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents zur Kenntnis nahm, aufgrund seines Fachwissens als weitere Alternative zu dem als mukolytischen Wirkstoff in der Entgegenhaltung vorgeschlagenen Methylcystein weitere chelatisierende Mittel wie insbesondere auch EDTA in Betracht. Denn chelatisierende Mittel verfügen über die Eigenschaft, auf den Zellen sich anlagernde Kalziumkationen zu komplexieren und damit die Bildung von Zellklumpen zu verhindern.

Dass diese Kenntnis damals zum allgemein geläufigen Fachwissen gehörte wird auch durch den Aufsatz von Husain et al. "A Sample Preparation for Antomated Cervical Lancer Screening", Acta Cytologica, 1978, S. 15, aus dem Jahre 1978 (Anlage N 5) über die Aufbereitung von Zellproben für automatisierte Vorsorgeuntersuchungen zur Erkennung von Gebärmutterhalskrebs belegt. Darin werden in den einleitenden Ausführungen auch Calciumchelatbildende Verbindungen erwähnt, die eingesetzt werden, um die erneute Aggregation getrennter Zellen zu vermeiden (Anlage N 5, S. 15 rechte Sp. Abs. 2: "... to prevent reaggregation of the seperated cells".). In dem Aufsatz wird dann als Lösung zur Konservierung von Gebärmutterhalsabstrichmaterial eine ca. 2 ml Cellfix-Lösung vorgeschlagen, die aus 6,80 g KH2PO4, 29,60 ml NaOH (1,0 N), 2,92 g NaCl, 1,0 Dithiothreitol, 400 ml Ethylalkohol und Wasser bis zu einem Liter besteht, wobei der endgültige pH-Wert der Lösung bei 7,0 +/- 0,05 liegt (Anlage N 5, S. 16 linke Sp. Abs. 1).

Dass neben Dithiothreitol auch EDTA als chelatbildendes Mittel für die Konservierung von Gewebezellen aus Sicht des Fachmanns in Betracht kam, wird durch den Aufsatz von Spencer "A cytological basis for the biochemical study of bronchial epithelium", The Journal of Histochemistry and Cytochemistry 1958, 105 (Anlage N 20) gestützt. Dieser beschreibt eine Methode mit der Zellen aus Bronchialepithelien vereinzelt werden können bzw. deren Verklumpung verhindert werden kann. Dafür wird vorgeschlagen, die Zellen in isotonischer Saccharoselösung sowie 0,01 M EDTA bei pH 7,4 zu inkubieren und EDTA als Chelatbildner für zweiwertige Kalziumionen und zur Pufferung zu verwenden (vgl. Anlage N 20, S. 107 rechte Sp.). Dass EDTA als chelatbildendes Mittel nicht nur bei isotonischen Lösungen, sondern auch bei Alkohol-Puffer-Lösungen zum geläufigen Fachwissen gehörte, hat der gerichtliche Sachverständige in der Verhandlung bestätigt.

VII. Die auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2, 4 bis 6 sowie die auf Patentanspruch 7 rückbezogenen Unteransprüche 8 bis 10 in den Fassungen des Hauptantrages und der drei Hilfsanträge betreffen dem Fachmann ohne weiteres zur Verfügung stehende Weiterbildungen, deren Patentfähigkeit nicht anders zu beurteilen ist. Hierfür ist auch von der Beklagten nichts geltend gemacht worden.

Hinsichtlich des auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteranspruchs 3 in der Fassung des Hauptantrags und der ersten beiden Hilfsanträge wird auf die vorstehenden Ausführungen zum 3. Hilfsantrag verwiesen.

VIII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck Berger Grabinski Hoffmann Schuster Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 27.03.2008 - 3 Ni 53/05 (EU) -






BGH:
Urteil v. 12.10.2010
Az: X ZR 91/08


Link zum Urteil:
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