Oberlandesgericht Celle:
Beschluss vom 8. September 2000
Aktenzeichen: 16 W 33/00

(OLG Celle: Beschluss v. 08.09.2000, Az.: 16 W 33/00)

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wird zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 3.985,55 DM.

Gründe

1. Der Klägerin ist durch Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 3. März 1998 für die erste Instanz sowie durch Beschluss des Senates vom 7. Februar 2000 für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt worden. Der Rechtsstreit ist durch einen vor dem Senat am 10. Februar 2000 abgeschlossenen Vergleich beendet; danach hat die Beklagte an die Klägerin einen Betrag von 15.500 DM gezahlt.

Unter dem 21. Juli 2000 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Lüneburg die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 120 Abs. 4 ZPO abgeändert und die Nachzahlung der Gerichts- sowie Rechtsanwaltskosten durch Zahlung eines Einmalbetrags von 3.985,55 DM angeordnet.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der sie rügt, ihre finanzielle Situation habe sich nicht zum Positiven geändert, da sie weiterhin erhebliche Verbindlichkeiten habe und auch unter Berücksichtigung der Vergleichssumme aus dem streitgegenständlichen Werkvertrag keinen Gewinn gemacht habe.

2. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig (§§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO, 11 Abs. 1, 20 Nr. 4 c RPflG), in der Sache aber nicht begründet.

a) Die Änderungsbefugnis nach § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO umfasst nicht nur die Entscheidung über die Höhe der zu leistenden Raten, sondern ermöglicht auch die Anordnung der Erstattung der im Prozess zu Lasten der betroffenen Partei angefallenen Gerichts- und Anwaltskosten. Zwar spricht der Wortlaut des § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO nur davon, dass "die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen" geändert werden kann. Der Senat schließt sich jedoch der nahezu einhellig vertretenen Meinung an, dass bei einem späteren Vermögenserwerb gemäß dem Zweck der gesetzlichen Regelung - unberechtigte Zahlungen von der Staatskasse fernzuhalten oder eine nachträgliche Korrektur zu ermöglichen (BT-Drucks. 10/3054, S. 18) - auch die Anordnung einer sog. Einmalzahlung aus dem nachträglich erworbenen Vermögen möglich ist (so auch KG MDR 1990, 450; OLG Celle Rpfleger 1990, 263; OLG Bamberg, JurBüro 1990, 760/1307; 1991, 255; OLG Karlsruhe KostRspr. § 120 ZPO Nr. 104; OLG Frankfurt KostRspr. § 120 ZPO Nr. 124, OLG Köln AnwBl. 1993, 298; OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 1266; s. a. Zöller-Philippi, 21. Aufl., § 120 ZPO, Rn. 24; Stein-Jonas-Bork, 21. Aufl., § 120 ZPO, Rn. 23).

Gegen diese Betrachtungsweise spricht auch nicht, dass das Gesetz die sog. Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung in § 124 ZPO gesondert geregelt hat. Aus dieser Vorschrift lässt sich entgegen der Auffassung des LAG Bremen (JurBüro 1990, 1194) nicht ableiten, dass bei veränderten Verhältnissen die Anordnung von Vermögenszahlungen, die die Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe decken, nicht möglich wäre. Denn Aufhebung und Abänderung der Prozesskostenhilfe unterscheiden sich schon darin, dass es bei der Abänderung bei den grundsätzlichen Wirkungen der Bewilligungsentscheidung nach § 122 ZPO bleibt. Der beigeordnete Prozessbevollmächtigte kann seine Gebührenansprüche also nicht gegen die vertretene Partei, sondern nur gegen die Staatskasse geltend machen (§§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, 122 ff. BRAGO). Im Falle der Aufhebung entfallen hingegen sämtliche Wirkungen; der bis dahin beigeordnete Prozessbevollmächtigte kann dann unbeschadet des Fortbestehens seiner bereits entstandenen Vergütungsansprüche gegenüber der Staatskasse seinen Anspruch auf die volle gesetzliche Vergütung auch gegen den Mandanten verfolgen und eine Festsetzung gemäß § 19 BRAGO beantragen (vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf, a.a.O.). Hiervon unterscheidet sich jedoch die Änderung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung, die entsprechend dem Gesetzeszweck auch bei nachträglichem Vermögenserwerb möglich sein muss.

b) Bei der Frage, ob ein Vermögenserwerb durch Realisierung der streitgegenständlichen Forderung bzw. durch Erfüllung eines im Streitverfahren abgeschlossenen Vergleichs im Sinne des § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO "wesentlich" ist, sodass der Partei deren Einsatz zum Zwecke der Kostentragung ganz oder teilweise zumutbar ist, kommt es nicht darauf an, ob durch den Vermögenserwerb sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei grundlegend geändert haben, die bisher "arme" Partei nunmehr "vermögend" geworden ist.

Vielmehr ist insoweit - wie im Rahmen einer Erstentscheidung über ein Prozesskostenhilfegesuch - nach §§ 115 Abs. 2 ZPO, 88 Abs. 2 BSHG zu prüfen, ob der Einsatz des Vermögens zumutbar ist (vgl. OLG Celle, a.a.O.), wobei dies unter Berücksichtigung der Regelung in § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG i.V.m. der entsprechenden Durchführungsverordnung (BGBl. 1988, I, S. 150) zu entscheiden ist (vgl. in diesem Sinne auch KG a.a.O.; OLG Bamberg, JurBüro 1990, 1307; 1991, 255; OLG Köln, a.a.O.).

Hier verbleibt der Klägerin auch nach Abzug der Kosten von 3.985,55 DM noch ein Betrag, der deutlich über der gesetzlich festgelegten Freigrenze gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Durchführungsverordnung liegt.

In einem solchen Fall ist nach Auffassung des Senates der Einsatz des neu erworbenen Vermögens für die Bestreitung der Prozesskosten zumutbar. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die Klägerin weiterhin nicht unerhebliche Verbindlichkeiten und aus dem streitgegenständlichen Auftrag nach ihrer Darstellung keinen Gewinn erzielt hat. Jedenfalls dann, wenn aus dem Rechtsstreit, für dessen Durchführung Prozesskostenhilfe bewilligt wird, der klagenden Partei Zahlungen in der die Freibeträge erheblich übersteigenden Höhe zufließen, ist es der Partei zuzumuten, die auf sie entfallenden Kosten aus dem Vermögenserwerb zu bestreiten und dieses Geld nicht vorrangig anderweitig, ggf. auch zur Tilgung anderer Schulden einzusetzen (vgl. auch OLG Bamberg JurBüro 1990, 760).

Dies widerspricht nicht dem Sinn und Zweck der Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind (Artikel 3 Abs. 1 GG), in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 1 GG) gebieten es dem Staat, dafür zu sorgen, dass die Rechtsverfolgung oder -verteidigung einer Partei nicht durch Geldmangel unverhältnismäßig erschwert wird (BVerfG NJW 1967, 1267). Dieser Zugang zum Gericht ist der Klägerin durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in beiden Instanzen gewährt worden. Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe ist es aber nicht, einer Partei die durch Urteil oder Vergleich erstrittene Zahlung ungeschmälert zu belassen und sie damit letztlich anders als eine Partei zu behandeln, die keine Prozesskostenhilfe bekommen hat und insoweit als finanziellen Erfolg des Rechtsstreites auch nur den Reingewinn (Zahlung abzüglich Kosten) für sich verbuchen kann.






OLG Celle:
Beschluss v. 08.09.2000
Az: 16 W 33/00


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