Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 3. Mai 1999
Aktenzeichen: 13 S 2427/98

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 03.05.1999, Az.: 13 S 2427/98)

Für ein Verfahren, das auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gerichtet ist, erhält der Rechtsanwalt des Antragstellers drei Zehntel der in § 31 BRAGO (BRAGebO) bestimmten Gebühren, weil die Entscheidung über eine ausländerrechtliche Duldung ein Akt der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 114 Abs 7 BRAGO (BRAGebO) ist (wie VGH Bad-Württ, Beschluß vom 19.1.1999 - 9 S 3097/98 -, VBlBW 1999, 190f, im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 19.12.1995 - 13 S 3199/94 -, VBlBW 1996, 152; aA OVG Berlin, Beschluß vom 7.7.1998 - 7 K 26.98 -, NVwZ 1998, 992 und Bay VGH, Beschluß vom 26.10.1998 - 10 C 98.1971 -, NVwZ Beilage 2 1999, 12).

Gründe

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller gegen die Kostenfestsetzung ist nicht begründet. Zu Recht haben der Kostenfestsetzungsbeamte durch Kostenfestsetzungsbeschluß vom 10. Juni 1998 die zu erstattenden Kosten auf 322,25 DM festgesetzt und das Verwaltungsgericht durch Beschluß vom 23. Juli 1998 die Erinnerung gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluß zurückgewiesen.

Die Höhe der Gebühr, die den Prozeßbevollmächtigten der Antragsteller zusteht, richtet sich entgegen ihrer Auffassung nach § 114 Abs. 7 BRAGO. Danach erhält der Rechtsanwalt "im gerichtlichen Verfahren über einen Akt der Zwangsvollstreckung (des Verwaltungszwangs) drei Zehntel der in § 31 bestimmten Gebühren" (§ 114 Abs. 7 Satz 1 BRAGO). Diese Regelung greift ihrem Wortlaut und Zweck nach nur dann ein, wenn es sich bei dem Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens um einen "Akt der Zwangsvollstreckung" handelt und vom Gericht nicht die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes überprüft wird. Denn dies rechtfertigt eine Reduzierung der Gebühr auf drei Zehntel. Ist dagegen Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens neben dem Vollstreckungsakt auch der (kraft Gesetzes oder behördlicher Anordnung sofort vollziehbare) Grundverwaltungsakt, so ist § 114 Abs. 7 BRAGO nicht anwendbar (siehe hierzu im einzelnen den Senatsbeschluß vom 19.12.1995, VBlBW 1996, 152, 153 m.w.N.).

Hieraus folgt zunächst, daß § 114 Abs. 7 Satz 1 BRAGO auch dann anzuwenden ist, wenn das gerichtliche Verfahren (sei es ein Eil- oder Klageverfahren) eine Abschiebungsandrohung zum Gegenstand hat (Senatsbeschlüsse vom 19.12.1995, VBlBW 1996, 152 und vom 3.5.1999 - 13 S 2529/98; ferner die Beschlüsse des VGH Bad.-Württ. vom 12.2.1996, NVwZ-RR 1997, 261 und vom 22.9.1998 - 11 S 1469/98 -, NVwZ-Beilage I 1999, 13; Hutschenreuther-von Emden, NVwZ 1998, 714, 715). Denn bei der Abschiebungsandrohung und auch bei der nachfolgenden Abschiebung handelt es sich um Akte des für das Ausländerrecht spezifischen Verwaltungszwangs und damit um Vollstreckungsakte.

Im vorliegenden Verfahren haben die Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung das Absehen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beantragt. Gegenstand des Verfahrens waren damit ausländerrechtliche Duldungen. Auch wenn der Prozeß eine ausländerrechtliche Duldung zum Gegenstand hat, ist § 114 Abs. 7 Satz 1 BRAGO anzuwenden, so daß der Rechtsanwalt hierfür lediglich drei Zehntel der in § 31 BRAGO bestimmten Gebühr erhält (VGH Bad.-Württ., Beschluß vom 19.1.1999 - 9 S 3097/98 -, VBlBW 1999, 190f.; Verwaltungsgericht Sigmaringen, Beschluß vom 12.5.1997 - A 8 K 20310/96; Hutschenreuther-von Emden, NVwZ 1998, 714, 715; a.A. OVG Berlin, Beschluß vom 7.7.1998, NVwZ 1998, 992 und Bay.VGH, Beschluß vom 26.10.1998, NVwZ-Beilage I 1999, 12). Die Duldung ist nach ihrer Legaldefinition in § 55 Abs. 1 AuslG die zeitweise Aussetzung der Abschiebung. Weil die Abschiebung selbst ihrer Rechtsnatur nach eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung ist (Hailbronner, AuslR, § 49 AuslG RdNr. 2 m.w.N.), ist auch die zeitweise Aussetzung der Abschiebung eine vollstreckungsrechtliche Maßnahme. Hierfür spricht auch die Gesetzessystematik, welche die Duldung im vierten Abschnitt des Ausländergesetzes "Beendigung des Aufenthalts" unter der Überschrift "2. Durchsetzung der Ausreisepflicht" regelt. Dementsprechend bleibt die Ausreisepflicht eines geduldeten Ausländers unberührt (§ 56 Abs. 1 AuslG) und erlischt die Duldung mit der Ausreise des Ausländers (§ 56 Abs. 4 AuslG). Dies belegen auch der Normzweck und die Entstehungsgeschichte. Das Rechtsinstitut der Duldung soll dem Umstand Rechnung tragen, daß die Ausreisepflicht eines Ausländers nicht in allen Fällen ohne Verzögerung durchgesetzt werden kann. Um die Funktion der Duldung als Aufenthaltstitel für Fälle faktischer Aufenthaltsgewährung zu beseitigen (so die weit verbreitete Praxis zu § 13 Abs. 1 AuslG 1965), wurde die Erteilung einer Duldung an die tatbestandlichen Voraussetzungen eines gesetzlich normierten Duldungsgrundes geknüpft. Dadurch soll die Erfüllung der gesetzlichen Abschiebepflicht besser gewährleistet werden. Der Gesetzgeber wollte die Duldung mithin auf ihre eigentliche vollstreckungsrechtliche Funktion zurückführen (BVerwG, Urteil vom 25.9.1997, NVwZ 1998, 297, 298 m.w.N.; Hailbronner, a.a.O., § 55 AuslG RdNr. 2).

Diese rein vollstreckungsrechtliche Funktion der ausländerrechtlichen Duldung wird weder durch die Formvorschriften noch durch die Rechtswirkungen der Duldung um weitere Funktionen angereichert (so aber Bay.VGH, Beschluß vom 26.10.1998, a.a.O. S. 13). Es ist nicht zu erkennen, warum die Schriftform (§ 66 Abs. 1 Satz 1 AuslG) der Duldung über das Vollstreckungsrecht hinaus eine weitere Funktion zuweisen soll. Grund für das Schriftformerfordernis sind die Rechtsstaatlichkeit, die Rechtssicherheit, die Rechtsklarheit und die Ermöglichung eines effektiven Rechtsschutzes für den Betroffenen (Hailbronner, a.a.O., § 66 AuslG RdNr. 3 unter Verweis auf BT-Drs. 11/6321, S. 79). Zum rechtlichen Charakter und der rechtlichen Funktion der Duldung ergibt sich hieraus nichts.

Eine weitere Funktion der Duldung über das Vollstreckungsrecht hinaus folgt auch nicht daraus, daß die Duldung ein unentbehrliches ausländerpolitisches Instrument zur Regelung des Status eines Ausländers wäre, der zwar mangels eines Aufenthaltsrechts zum Verlassen des Bundesgebiets verpflichtet ist, dessen Ausreisepflicht aber aus humanitären, rechtlichen oder sonstigen Gründen nicht durchgesetzt werden kann oder soll. Diese Funktion, auf die sich das OVG Berlin beruft (Beschluß vom 7.7.1998, a.a.O.), hatte die Duldung nach § 17 AuslG 1965 in der Praxis erhalten. Ziel der Neuregelung in § 55 AuslG war es dagegen gerade, die Duldung wieder auf ihre vollstreckungsrechtliche Funktion zu beschränken (vom OVG Berlin, a.a.O., werden die Funktionen der Duldung nach dem alten und dem neuen Ausländerrecht verwechselt und daher auch Hailbronner, a.a.O., nicht zutreffend zitiert). Eine weitere Funktion über das Vollstreckungsrecht hinaus ergibt sich auch nicht daraus, daß die Duldung für ihren Geltungszeitraum den Aufenthalt des Ausländers legalisiert (Hailbronner, a.a.O., § 55 RdNr. 5) und die Strafbarkeit entfallen läßt (§ 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG). Weil die Duldung kein Instrument zur Regelung eines Daueraufenthalts ist (BVerwG, Beschluß vom 20.7.1994, InfAuslR 1995, 4), sondern wieder auf ihre vollstreckungsrechtliche Funktion zurückgeführt wurde, kann ihr auch keine "statusregelnde Funktion" neben der vollstreckungsrechtlichen Funktion zukommen.

Gegen die Anwendbarkeit von § 114 Abs. 7 BRAGO kann im übrigen weder der individuelle Arbeitsaufwand noch das Fehlen einer vollstreckbaren Grundverfügung im Hinblick auf die gesetzliche Ausreisepflicht eingewandt werden (vgl. den Senatsbeschluß vom 19.12.1995, a.a.O. und den Beschluß des 9. Senats des erkennenden Gerichtshofs vom 19.1.1999, a.a.O.). Unverständlich sind schließlich die Einwendungen der Antragsteller in der Beschwerdebegründung, daß es sich in der Hauptsache nicht um die Prüfung eines reinen Vollstreckungsaktes, sondern um die Rechtmäßigkeit eines Grundverwaltungsaktes handle, denn das gerichtliche Verfahren hat ausschließlich den Erlaß einer auf Duldung gerichteten einstweiligen Anordnung zum Gegenstand.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 13 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 03.05.1999
Az: 13 S 2427/98


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