Oberlandesgericht München:
Urteil vom 31. März 2011
Aktenzeichen: 29 U 4835/10

(OLG München: Urteil v. 31.03.2011, Az.: 29 U 4835/10)

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 23. September 2010 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Gründe

I.

Der Kläger ist ein 2008 gegründeter eingetragener Verein, dessen Mitglieder Unternehmen sind, die auf dem Markt für Gewinn- und Glücksspielwesen auftreten. Er macht gegen seine Mitglieder keine lauterkeitsrechtlichen Ansprüche geltend; nachdem er anfangs auch gegen ihm nicht angehörende Privatunternehmen vorgegangen war, wendet er sich nunmehr ausschließlich gegen die im Deutschen Lotto- und Totoblock DLTB organisierten, letztlich öffentlich-rechtlichen Lotterieveranstalter (im Folgenden: DLTB-Mitglieder).

Der Beklagte zu 1., ... ist ein DLTB-Mitglied. Er veranstaltet über seine Staatliche Lotterieverwaltung, deren Präsident der Beklagte zu 2. ist, in ... die Lotterie LOTTO, an der über Lotterieannahmestellen als Handelsvertreter teilgenommen werden kann.

Der Kläger hat vorgetragen, solche Lotterieannahmestellen hätten mit überhöhten Angaben zur Größe des Jackpot-Gewinns geworben. Er hat das als Verstoß gegen das in § 5 Abs. 2 Satz 3 GlüStV verankerte Irreführungsverbot und damit gemäß § 4 Nr. 11 UWG sowie gemäß § 5 UWG als Wettbewerbsverstoß angesehen und beantragt, beide Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, im Bereich des Glücksspielwesens mit unrichtigen Gewinnhöhen zu werben.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Sie haben die Auffassung vertreten, die Klage sei gemäß § 8 Abs. 4 UWG unzulässig, weil der Kläger nur gegen Nicht-Mitglieder vorgehe. Die Klage sei auch unbegründet, weil die zunächst richtigen Jackpot-Angaben auf den Aufstellern der Annahmestellen von Dritten verändert worden seien.

Mit Urteil vom 23. September 2010, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage als missbräuchlich i. S. d. § 8 Abs. 4 UWG abgewiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem ersten Rechtszug und beantragt,

das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, es bei Meidung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu unterlassen, bei geschäftlichen Handlungen im Bereich des Glücksspielwesens bei der Werbung mit Höchstgewinnen (Jackpot) mit unrichtigen Gewinnhöhen zu werben und/oder werben zu lassen, insbesondere wenn dies, wie am 18. April 2009 in der Annahmestelle ... und nachstehend wiedergegeben

und/oder

wie am 28. April 2009 in der Annahmestelle ... und nachstehend wiedergegeben geschehen ist:

Die Beklagten verteidigen das angegriffene Urteil und beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31. März 2011 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht die Geltendmachung von sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG ergebenden Unterlassungsansprüchen durch den die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG erfüllenden Kläger gemäß § 8 Abs. 4 UWG als unzulässig angesehen, weil sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist.

1. Von einem Missbrauch i. S. d. § 8 Abs. 4 UWG ist auszugehen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs von sachfremden Motiven leiten lässt. Diese müssen allerdings nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein; ausreichend ist, dass die sachfremden Ziele überwiegen (vgl. BGH GRUR 2010, 454 € Klassenlotterie Tz. 19 m. w. N.).

15a) Ein Missbrauch der Klagebefugnis kann in Betracht kommen, wenn das Vorgehen eines Wettbewerbsvereins nur gegen einen von mehreren Verletzern, die alle denselben Wettbewerbsverstoß begangen haben, auf sachfremden Gründen beruht. Es ist einem Verband allerdings grundsätzlich nicht verwehrt, nur gegen bestimmte Verletzer gerichtlich vorzugehen, gegen andere aber nicht; die Entscheidung hierüber steht ebenso in seinem freien Ermessen wie es dem einzelnen Gewerbetreibenden freisteht, ob und gegen welche Mitbewerber er Klage erheben will. Es bedarf daher besonderer Umstände, insbesondere sachfremder Erwägungen eines Klägers, um eine missbräuchliche Geltendmachung anzunehmen; ein solcher Umstand kann im planmäßigen Dulden des unlauteren Wettbewerbs der eigenen Mitglieder durch einen Kläger liegen (vgl. BGH GRUR 2000, 546 (547) € Johanniskraut-Präparat; GRUR 1999, 515 (516) € Bonusmeilen; GRUR 1997, 681 (683) € Produktwerbung; GRUR 1997, 537 (538) € Lifting-Creme; wohl auch GRUR 2004, 793 (795) € Sportlernahrung II; Lehmler in: Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz € Urheberrecht € Medienrecht, 2. Aufl. 2011, § 8 UWG Rz. 122; Ohly in: Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Auflage 2010, § 8 UWG Rz. 161; Büscher in: Fezer, UWG, 2010, § 8 Rz. 292; Fritzsche in: Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 79 Rz. 255; Bergmann in: Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. 2009, § 8, Rz. 324; Jestaedt in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 6. Aufl. 2009 Kap. 20 Rz. 25; Ottofülling in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2006, § 8 UWG Rz. 472; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl. 2007, Kap. 13 Rz. 59; a. A. Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl. 2011, § 8 UWG Rz. 4.21 und in seinem vom Kläger als Anlage K 8 vorgelegten Privatgutachten).

b) Entgegen der sich aus der Berufung auf das Privatgutachten von Köhler ergebenden Auffassung des Klägers liegen in dem Abstellen auf die Behandlung der eigenen Mitglieder weder ein € regelmäßig unzulässiger € unclean-hands-Einwand noch die Statuierung einer Rechtspflicht ohne Grundlage hierfür.

Beim unclean-hands-Einwand verteidigt sich ein Schuldner damit, dass der Gläubiger seinerseits in gleicher oder vergleichbarer Weise wettbewerbswidrig gehandelt habe; nicht erfasst sind daher die Fälle, in denen der Gläubiger € wie im Streitfall € nur gegen einen von mehreren Verletzern vorgeht (vgl. Köhler, a. a. O., § 11 UWG Rz. 2.38; Ottofülling, a. a. O., § 11 UWG Rz. 278). Zudem kommt der Einwand bei einem Verband schon deshalb nicht in Betracht, weil dieser nicht selbst im Wettbewerb auftritt (vgl. Jestaedt, a. a. O., Kap. 24 Rz. 20).

Durch die Berücksichtigung der Behandlung der eigenen Mitglieder wird keine Rechtspflicht zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen begründet; vielmehr folgt daraus lediglich als Reflex aus der eigenen Satzung eines Wettbewerbsvereins eine Obliegenheit, die ihre rechtliche Grundlage in § 8 Abs. 4 UWG findet. Wenn es € wie im Streitfall € zu den satzungsmäßigen Aufgaben eines Verbands gehört, den lauteren Wettbewerb zu fördern, das Marktverhalten von Marktteilnehmern auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu kontrollieren, den unlauteren Wettbewerb zu bekämpfen und Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen zu schützen (vgl. § 3 der Satzung des Klägers (Anlage K 2)), so ist es sachfremd, nur gegen Marktteilnehmer vorzugehen, die nicht Mitglieder sind, und gleichartige Verstöße von Mitgliedern aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht zu verfolgen. Sowohl der lautere Wettbewerb als auch die berechtigten Interessen der sich lauter verhaltenden Mitglieder werden durch Wettbewerbsverstöße von Mitgliedern in derselben Weise beeinträchtigt wie durch Verstöße von Nicht-Mitgliedern. Das Kriterium der Vereinsmitgliedschaft hat keinen Bezug zu den Satzungsaufgaben, deretwegen dem Verein die Klagebefugnis zukommt, nämlich der Verfolgung unlauteren Wettbewerbs im öffentlichen Interesse (vgl. BGH GRUR 1994, 304 (305) € Zigarettenwerbung in Jugendzeitschriften m. w. N.; Köhler, a. a. O., § 8 Rz. 3.30), und ist daher sachfremd. Wenn bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf ein sachfremdes Kriterium abgestellt wird, so spricht das dafür, dass die Anspruchsdurchsetzung missbraucht wird, um andere Ziele zu verfolgen als die, deretwegen die Klagebefugnis eröffnet wurde.

c) Sind in ausreichendem Umfang Indizien vorgetragen, die für eine missbräuchliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sprechen, obliegt es dem klagenden Verband, die für eine missbräuchliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sprechenden Umstände zu widerlegen (vgl. BGH GRUR 2006, 243 € MEGA SALE Tz. 21 m. w. N.).

2. Nach diesen Grundsätzen ist die Geltendmachung der Unterlassungsansprüche im Streitfall wegen Missbrauchs gemäß § 8 Abs. 4 UWG unzulässig.

Unabhängig von den konkret durch die Beklagten aufgezeigten Verhaltensweisen von Mitgliedern verteidigt der Kläger die Auffassung, sein Ermessen dahin ausüben zu können, ausschließlich gegen die DLTB-Mitglieder vorzugehen und sich damit der Prüfung zu entziehen, ob sich seine Mitglieder wettbewerbskonform verhalten.

Nach § 5 Nr. 1 der Satzung des Klägers sind die DLTB-Mitglieder (umschrieben als "juristische Personen des öffentlichen Rechts oder privatrechtliche Gesellschaften, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar maßgeblich beteiligt sind und die sich insoweit auf originäre Grundrechtsträgerschaft nicht berufen können") von der Mitgliedschaft beim Kläger ausgeschlossen (vgl. Anlage K 2); ausgeschlossen ist gemäß § 3 Nr. 1 der Satzung auch die Förderung deren Interessen. Dieser Gegensatz zu den DLTB-Mitgliedern steht in Übereinstimmung mit der in § 3 Nr. 1 Buchst. a) der Satzung angeführten Aufgabe, "auf faire gesetzliche Rahmenbedingungen für eine freie Entfaltung verantwortungsvoller unternehmerischer Tätigkeit, insbesondere seiner Mitglieder, hinzuwirken oder solche Rahmenbedingungen gegebenenfalls zu erhalten sowie unverhältnismäßigen staatlichen Maßnahmen und Beschränkungen einer freien und verantwortungsbewussten Ausübung beruflicher und unternehmerischer Grundfreiheitsrechte politisch und rechtlich entgegenzuwirken". Aufgabe des Klägers ist es mithin, dem zu Gunsten der DLTB-Mitglieder bestehenden Glücksspielmonopol entgegenzuwirken.

Diese € für sich genommen nicht zu beanstandende € Aufgabe hat nichts mit der Lauterkeit des Wettbewerbs zu tun. Der Einsatz der Klagebefugnis gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG zu dem Zweck, den DLTB-Mitgliedern entgegenzuwirken, wird von einem sachfremden Motiv getragen und ist daher missbräuchlich (vgl. OLG Hamm GRUR-RR 2011, 17 (19 f.) € Glücksspielverband; OLG Saarbrücken GRUR-RR 2011, 20 (21) € Behinderungsabsicht; OLG Naumburg, Urt. v. 18. Juni 2010 € 10 U 61/09, juris, dort Tz. 82 ff.).

Der Kläger hat die sich aus seiner kategorischen Weigerung, Wettbewerbsverstöße seiner Mitglieder zu verfolgen, ergebende Indizwirkung nicht widerlegt. Insbesondere ist sein Hinweis darauf, dass ohne ihn Wettbewerbsverstöße der DLTB-Mitglieder nicht verfolgt würden, unbehelflich. Abgesehen davon, dass zumindest das Verhalten des Beklagten zu 1. sehr wohl auch ohne den Kläger einer lauterkeitsrechtlichen Überprüfung unterzogen wird (vgl. Senat, Beschl. v. 27. April 2010 € 29 W 1209/10 € Jackpot-Werbung II; Urt. v. 30. April 2009 € 29 U 5351/08; Urt. v. 31. Juli 2008 € 29 U 3580/07 € TATENDRANG; Beschl. v. 22. April 2008 € 29 W 1211/08 € Jackpot-Werbung; sämtlich in juris nachgewiesen), kann die Notwendigkeit der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle eines Teils der Marktteilnehmer keinen Grund dafür bieten, den anderen Teil nicht zu kontrollieren.

III.

1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter II. zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall. Auch dass andere Oberlandesgerichte bei der Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall auf der Grundlage der ihnen jeweils unterbreiteten Sachverhalte zu anderen Ergebnissen gekommen sind (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 5. November 2009 € 6 U 133/09 € LOTTO-Musik-DING, juris, dort Tz. 12 ff. € insoweit in GRUR-RR 2010, 301 nicht abgedruckt; OLG Koblenz GRUR-RR 2010, 16 (17 f.)), gebietet keine Zulassung der Revision.






OLG München:
Urteil v. 31.03.2011
Az: 29 U 4835/10


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https://www.admody.com/urteilsdatenbank/4b689e3718f7/OLG-Muenchen_Urteil_vom_31-Maerz-2011_Az_29-U-4835-10




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