Verwaltungsgericht Karlsruhe:
Urteil vom 18. Dezember 2007
Aktenzeichen: 11 K 2274/07

(VG Karlsruhe: Urteil v. 18.12.2007, Az.: 11 K 2274/07)

Tenor

1. Der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.06.2007 wird aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Tatbestand

Der am ... 1949 geborene Kläger wendet sich gegen die Anordnung des Ruhens seiner Approbation.

Nach Erhalt seiner Approbation als Arzt durch das Regierungspräsidium Stuttgart mit Wirkung zum 16.10.1980 ist der Kläger seit 1988 in Mannheim als niedergelassener Arzt tätig.

Mit Urteil vom 20.09.2006 - 6 KLs 616 Js 3682/01 - verurteilte ihn das LG Mannheim wegen Betrugs in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in 87 Fällen, hiervon in einem Fall des Versuchs, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten und verbot ihm für die Dauer von fünf Jahren, als selbständiger niedergelassener Arzt zu praktizieren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Kläger am 30.12.1999 und am 10.04.2000 gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Nordbaden bewusst wahrheitswidrig nicht abrechnungsfähige ärztliche Leistungen zum Ansatz brachte, um zu Unrecht Honorar in Höhe von insgesamt 53.918,66 DM zu erhalten. Weiter sah es das Gericht als erwiesen an, dass der Kläger zwischen November 1999 und Juli 2001 in 87 Fällen Patienten ohne deren Wissen und deren Einwilligung und ohne diese vorher über den Zweck und denkbare Nebenwirkungen aufzuklären, Impfstoffe injiziert bzw. zu injizieren versucht hat. Meistens habe er dabei zumindest konkludent vorgegeben, es handele sich um Spritzen zur Behandlung der jeweils akuten Beschwerden des betreffenden Patienten.

Gegen das Urteil des LG Mannheim legte der Kläger Revision ein.

Nach Anhörung des Klägers ordnete das Regierungspräsidium Stuttgart mit Bescheid vom 18.06.2007, zugestellt am 27.06.2007, das Ruhen seiner Approbation als Arzt an, verpflichtete den Kläger, seine Approbationsurkunde dem Regierungspräsidium Stuttgart nach Rechtskraft dieses Bescheids in Verwahrung zu geben, und setzte eine Gebühr von 350 EUR fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, auch unter Berücksichtigung der Einwände des Klägers gegen das landgerichtliche Urteil sei eine rechtskräftige Verurteilung wegen der ihm vorgeworfenen Straftaten zu erwarten. Aus diesen Straftaten ergebe sich die Unwürdigkeit des Klägers zur Ausübung des ärztlichen Berufes. Die Ermessensausübung erfolge aufgrund des öffentlichen Interesses an der Ruhensanordnung zu Lasten des Klägers.

Mit Beschluss vom 26.07.2007 - 1 StR 368/07 - hob der Bundesgerichtshof das Urteil des LG Mannheim vom 20.09.2006 auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, es liege mit der Missachtung der Urteilsabsetzungsfrist nach § 275 Abs. 1 StPO gemäß § 338 Nr. 7 StPO ein absoluter Revisionsgrund vor, auf das weitere Vorbringen der Revision komme es daher nicht an.

Mit seiner ebenfalls am 26.07.2007 erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.06.2007. Er macht geltend, die Maßnahme sei nicht zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich. Es bestehe zum einen keine hohe Wahrscheinlichkeit einer rechtskräftigen Verurteilung. Zum anderen gebe es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Gefahr einer Verletzung der durch eine Ruhensanordnung zu schützenden Rechtsgüter bei einer Fortsetzung der ärztlichen Tätigkeit (weiter) bestehe. Er beantragt,

den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.06.2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten (39 Vorgänge) und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.06.2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Anordnung des Ruhens der dem Kläger erteilten Approbation (Ziff. 1) durch das Regierungspräsidium Stuttgart ist materiell rechtswidrig.

1. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Bundesärzteordnung - BÄO - kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, wenn gegen den Arzt wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet ist. Die Norm ermächtigt die Behörde, schon nach der Einleitung eines Strafverfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen gegen den Arzt einzuschreiten. Die Anordnung des Ruhens der Approbation stellt einen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl dar, der nur zum Schutz wichtiger Rechtsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen darf (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 02.03.1977, BVerfGE 44, 105;VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.07.1991, NJW 1991, 2366; BVerfG, Beschl. v. 29.12.2004 - 1 BvR 2820 u. 2851/04 - JURIS ) . Art. 12 Abs. 1 GG stellt daher besondere Anforderungen an die im Rahmen der Ermessensausübung festzustellende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung wegen der dem Arzt zur Last gelegten Straftat (vgl. OVG Nds., Beschl. v. 16.03.2004, NJW 2004, 1750 "hinreichend wahrscheinlich"; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.07.1991, NJW 1991, 2366 "hohe Wahrscheinlichkeit"; OVG Saarl., Urt. v. 29.11.2005, MedR 2006, 661 "sehr hohe Wahrscheinlichkeit"). Es kann offen bleiben, welcher Wahrscheinlichkeitsgrad hinreichend ist (vgl. dazu ausf. OVG Saarl., Urt. v. 29.11.2005, MedR 2006, 661) und ob unter Berücksichtigung der in der Revisionsbegründungsschrift vom 03.02.2007 dargelegten Einwände des Klägers, ungeachtet derer der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 26.07.2007 das Strafurteil des Landgerichts Mannheim vom 20.09.2006 aufgehoben hat, eine solche Wahrscheinlichkeit einer rechtskräftigen Verurteilung des Klägers wegen einer Straftat besteht, aus der sich seine Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Denn die Ruhensanordnung erweist sich bereits deshalb als rechtswidrig, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass mit einer weiteren Berufstätigkeit des Klägers bis zu einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter begründet werden.

2. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt und wird auch vom Beklagten nicht in Abrede gestellt, dass eine - hier nicht erfolgte - Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ruhensverfügung die Feststellung voraussetzt, dass das Ruhen der Approbation schon vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.12.2004 - 1 BvR 2820 u. 2851/04 - JURIS; BVerfG, Beschl. v. 12.03.2004, NVwZ-RR 2004, 545; BVerfG, Beschl. v. 24.10.2003, NJW 2003, 3618 zum Sofortvollzug des Approbationswiderrufs; OVG NRW, Beschl. v. 31.07.2007, NJW 2007, 3300; OVG Nds., Beschl. v. 19.01.2005 - 8 ME 181/04 - JURIS; OVG Nds., Beschl. v. 16.03.2004, NJW 2004, 1750; OVG Saarl., Beschl. v. 21.01.2004, NJW 2004, 2033). Die den Sofortvollzug rechtfertigenden Gründe müssen in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen und ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens ausschließen. Sie sind nur dann anzunehmen, wenn eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls bezogen auf den Zeitraum bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über die Ruhensanordnung mit einer weiteren Berufstätigkeit des Arztes verbundene konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erkennen lässt (BVerfG, Beschl. v. 29.12.2004 - 1 BvR 2820 u. 2851/04 - JURIS; BVerfG, Beschl. v. 12.03.2004, NVwZ-RR 2004, 545; OVG NRW, Beschl. v. 31.07.2007, NJW 2007, 3300; OVG Nds., Beschl. v. 19.01.2005 - 8 ME 181/04 - JURIS; OVG Nds., Beschl. v. 16.03.2004, NJW 2004, 1750).

Auch wenn eine Gefahrenprognose in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung verbreitet lediglich im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit einer Sofortvollzugsanordnung thematisiert wird (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 31.07.2007, NJW 2007, 3300; OVG Nds., Beschl. v. 16.03.2004, NJW 2004, 1750; OVG Saarl., Beschl. v. 21.01.2004, NJW 2004, 2033; missverständlich insoweit auch BVerfG, Beschl. v. 12.03.2004, NVwZ-RR 2004, 545), gelten vergleichbare Anforderungen entgegen der Auffassung des Beklagten auch für die Ruhensanordnung selbst (a.A. BayVGH, Beschl. v. 27.10.2005, BayVBl. 2006, 408 in Interpretation des einen sofort vollziehbaren Widerruf betreffenden Beschlusses des BVerfG v. 24.10.2003, NJW 2003, 3618).

Wie der Sofortvollzug einer Ruhensanordnung im Verhältnis zum Zeitpunkt des Eintritts ihrer Bestandskraft und wie ein Berufsverbot nach § 132a StPO im Verhältnis zu einem Berufsverbot nach § 70 StGB (vgl. BVerfG, Beschl. 15.12.2005, EuGRZ 2006, 197) ist auch die Anordnung des Ruhens der Approbation eine vorläufige Maßnahme. Erst der rechtskräftige Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens erlaubt eine Feststellung der Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit des Betroffenen zur Ausübung des ärztlichen Berufes und damit ggf. einen Widerruf der Approbation. Die Anordnung des Ruhens der Approbation knüpft demgegenüber bereits an den noch nicht durch eine rechtskräftige Verurteilung bestätigten bloßen Verdacht einer die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit des Arztes begründenden Straftat an. Auch wenn die Maßnahme damit notwendig auf einer lediglich summarischen Prüfung vor Rechtskraft der strafgerichtlichen Entscheidung beruht, hat ein vorläufiges Berufsverbot gleichwohl ähnlich folgenschwere und irreparable Wirkungen für die berufliche Existenz eines Betroffenen wie der Approbationswiderruf. Für einen solchen Eingriff in die Berufswahl kann daher nicht schon die hohe Wahrscheinlichkeit genügen, dass im Strafverfahren die Begehung einer Straftat durch den Betroffenen nachgewiesen wird, aus der sich dessen Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt. Vielmehr setzt die Anordnung des Ruhens der Approbation von Verfassungs wegen die zusätzliche Feststellung voraus, dass sie schon vor einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist. Dieses Erfordernis entspricht der Funktion von Präventivmaßnahmen, mit denen für eine Zwischenzeit ein Sicherungszweck verfolgt wird, der es ausnahmsweise rechtfertigt, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Wegen der gesteigerten Eingriffsintensität, die nicht nur einer Sofortvollzugsanordnung, sondern auch dem vorläufigen Berufsverbot als solchem immanent ist, rechtfertigen nur solche Gründe eine Ruhensanordnung, die in angemessenem Verhältnis zu der Schwere des Eingriff stehen und ein Zuwarten bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des strafgerichtlichen Verfahrens ausschließen. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (BVerfG, Beschl. v. 04.10.2006 - 1 BvR 2403/06 - JURIS; BVerfG, Beschl. 15.12.2005, EuGRZ 2006, 197 zu § 132a StPO; BVerfG, Beschl. v. 02.03.1977, BVerfGE 44, 105 zu § 150 BRAGO; s.a. OVG NRW, 05.06.2007, Beschl. v. 05.06.2007, MedR 2007, 611; OVG Saarl., Urt. v. 29.11.2005, MedR 2006, 661).

Entgegen der Auffassung des Beklagten beschränkt sich nach alledem eine solche Prognose nicht auf ein Ruhen der Approbation, das im Hinblick auf den Verdacht einer die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs begründenden Straftat anzuordnen beabsichtigt wird. Dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 02.11.1992, NJW 1993, 806; s.a. BayVGH, Beschl. v. 25.04.2005 - 21 ZB 04.794 -) nur die Unzuverlässigkeit, nicht aber die Unwürdigkeit eines Arztes zur Ausübung seines Berufes aufgrund einer Gefahrenprognose zu ermitteln ist, rechtfertigt im vorliegenden Zusammenhang keine Differenzierung, denn das Erfordernis konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter durch eine fortgesetzte Berufstätigkeit resultiert nicht aus dem Begriff der Unwürdigkeit, sondern aus dem Charakter der Ruhensanordnung als vorläufige Maßnahme vor einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung.

3. Aus einer weiteren Berufstätigkeit des Klägers resultierende Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter sind zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. OVG Saarl., Urt. v. 29.11.2005, MedR 2006, 661 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.07.1991, NJW 1991, 2366) nicht zu erkennen.

a) Es sind - wovon auch der Beklagte ausgeht - keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Strafverfahren Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit von Patienten begehen oder kassenärztliche Abrechnungen manipulieren wird.

Ob ein Ruhen der Approbation zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist, hängt entscheidend von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter ab. Je bedeutsamer die Rechtsgüter sind, die durch das vorläufige Berufsverbot geschützt werden sollen, desto geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu stellen sind (OVG NRW, 05.06.2007, Beschl. v. 05.06.2007, MedR 2007, 611; OVG Saarl., Urt. v. 29.11.2005, MedR 2006, 661 m.w.N.; OVG Nds., Beschl. v. 16.03.2004, NJW 2004, 1750). Von besonderem Gewicht ist vorliegend das bei einer rechtskräftigen Bestätigung des Strafvorwurfs durch die in mehr als 80 Fällen ohne Wissen und Einwilligung der Patienten erfolgten Impfungen verletzte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit. Angesichts der Bedeutung dieses betroffenen Rechtsgutes kann unter besonderen Umständen, namentlich der Art und Weise der Tatbegehung, im Einzelfall die Straftat die Gefahr einer (erneuten) Verletzung dieser Rechtsgüter bei einer Fortsetzung der ärztlichen Tätigkeit indizieren (zur Gefahrenanalyse vgl. OVG Saarl., Urt. v. 29.11.2005, MedR 2006, 661 m.w.N.; s.a. BVerfG, Beschl. v. 02.03.1977, BVerfGE 44, 105). Die Tatbegehungen, wie sie dem Urteil des LG Mannheim vom 20.09.2006 zugrunde lagen, erfolgten zweifellos unter grober Verletzung der mit dem Arztberuf verbundenen Pflichten, indizieren aber eine solche Gefahr nicht. Dem nicht vorbestraften Kläger wird insbesondere vorgeworfen, Impfungen vorgenommen zu haben, ohne die Patienten über deren Sinn und Zweck und mögliche Nebenwirkungen aufzuklären. Eine den Straftaten immanente Widerholungsgefahr ist anhand der Art und Weise ihrer Begehung zur Überzeugung des erkennenden Gerichts auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im aufgehobenen Urteil des LG Mannheim vom 20.09.2006 nicht ersichtlich. Zwar verbot das Landgericht dem Kläger für die Dauer von fünf Jahren, als selbständiger niedergelassener Arzt zu praktizieren. Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB setzt die strafgerichtliche Anordnung eines Berufsverbotes die aufgrund einer Gesamtwürdigung des Täters und der Tat erkennbare Gefahr voraus, dass der Täter bei weiterer Ausübung des Berufs, Berufszweiges, Gewerbes oder Gewerbezweiges erhebliche rechtswidrige Taten unter Missbrauch seines Berufes oder Gewerbes oder unter grober Verletzung der mit ihnen verbundenen Pflichten begehen wird. Diese Prognose begründete das Landgericht ohne nähere Ausführungen mit den mit den Taten verbundenen Pflichtverletzungen und der Gesamtwürdigung der Person des Klägers und seiner begangenen Taten. Diese Ausführungen veranlassen das erkennende Gericht nicht zu der Prognose, der Kläger werde bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Strafverfahren Straftaten gegen das Leben und körperliche Unversehrtheit von Patienten begehen oder kassenärztliche Abrechnungen manipulieren. Dabei kommt der nach der vom Landgericht festgestellten Begehung der Straftaten vergangenen Zeit besondere Bedeutung zu. Seit den Impfungen, die der Kläger nach den Feststellungen im aufgehobenen Strafurteil des LG Mannheim zwischen dem 19.11.1999 und dem 24.07.2001 ohne Wissen seiner Patienten vorgenommen hat, sind mehr als sechs Jahre vergangen und vergleichbare Vorwürfe gegen den Kläger nicht erhoben worden. Auch seit den dem Kläger vorgeworfenen betrügerischen Abrechnungen am 30.12.1999 und 10.04.2000 sind mehr als 7 1/2 Jahre vergangen, in denen der Kläger weiterhin als niedergelassener Arzt tätig war, ohne dass (weitere) Verstöße des Klägers gegen Berufspflichten bekannt geworden wären. Angesichts dieser Zeitabläufe ist mangels weiterer Erkenntnisse von einer Wiederholungsgefahr im Zeitraum bis zu einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung nicht auszugehen. Das erkennende Gericht sieht sich durch die Ausführungen des Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid bestätigt, wonach die Gefahr weiterer Rechtsverstöße des Klägers, die wiederum seine Unwürdigkeit begründen, bis zur Rechtskraft der Ruhensanordnung nicht zu besorgen sind. Diese Gefahreneinschätzung wurde vom Beklagten-Vertreter in der mündlichen Verhandlung aktualisiert.

b) Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter ergeben sich aus einer weiteren Berufstätigkeit des Klägers bis zur rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung auch nicht im Hinblick auf das Ansehen des ärztlichen Berufsstandes und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Ärzteschaft. Zwar sind diese Elemente des Gemeinschaftsgutes der Volksgesundheit Schutzziel eines mit der Berufsunwürdigkeit begründeten Approbationswiderrufs (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.04.2006, NVwZ 2006. 1202). Vor einer rechtskräftigen Verurteilung ist die weitere berufliche Tätigkeit des beschuldigten Arztes ungeeignet, das Ansehen des ärztlichen Berufsstandes oder das Vertrauen der vom Strafvorwurf in Kenntnis gesetzten Öffentlichkeit in die Ärzteschaft zu beschädigen (a.A. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.07.1991, NJW 1991, 2366). Jedenfalls genügt die Betroffenheit dieser mit einem Widerruf der Approbation wegen Berufsunwürdigkeit zu schützenden Gemeinschaftsgüter nicht, um eine als Präventivmaßnahme besonderen Sicherungszwecken dienende Ruhensanordnung vor einer rechtskräftigen Verurteilung zu rechtfertigen. Erforderlich ist vielmehr die hier nicht zu treffende Prognose, dass der Arzt in nächster Zeit seine Berufspflichten verletzen wird (s.a. BVerfG, Beschl. v. 04.10.2006 - 1 BvR 2403/06 - JURIS; BVerfG, Beschl. v. 02.03.1977, BVerfGE 44, 105).

Ist nach alledem die Ruhensanordnung rechtswidrig und aufzuheben, sind auch die Voraussetzungen des § 52 LVwVfG für die Anordnung, die Approbationsurkunde als Arzt dem Regierungspräsidium Stuttgart in Verwahrung zu geben (Ziff. 2.), nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Beschluss

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG in Anlehnung an Nr. 16.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 07./08.07.2004 auf 50.000 EUR festgesetzt.

Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG verwiesen.






VG Karlsruhe:
Urteil v. 18.12.2007
Az: 11 K 2274/07


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