Landessozialgericht der Länder Berlin und Brandenburg:
Beschluss vom 8. Juni 2010
Aktenzeichen: L 19 AS 651/10 B PKH

(LSG der Länder Berlin und Brandenburg: Beschluss v. 08.06.2010, Az.: L 19 AS 651/10 B PKH)

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. Februar 2010 in der Fassung des Beschlusses vom 4. März 2010 geändert.

Der Klägerin wird ab 23. November 2009 die T Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin, beigeordnet.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Streitig ist die Beiordnung einer Rechtsanwaltsgesellschaft mit beschränkter Haftung (mbH) im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH).

Mit Beschluss vom 3. Februar 2010 hat das Sozialgericht B (SG) mit Wirkung ab 23. November 2009 für das Verfahren vor dem SG Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt und Rechtsanwalt O G, B, beigeordnet. Der Beschluss wurde der prozessbevollmächtigten T Rechtsanwaltsgesellschaft mbH am 15. Februar 2010 zugestellt. Am 17. Februar 2010 hat die Bevollmächtigte beantragt, den Beschluss zu ändern und die T Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwalt G, B, als Prozessbevollmächtigten beizuordnen.

Das SG hat mit Beschluss vom 4. März 2010 diesen Antrag abgelehnt mit der Begründung, dass nach dem Wortlaut des § 121 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nur ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beigeordnet werden könne. Damit lasse der Wortlaut der Norm die Beiordnung einer GmbH nicht zu. Ein Bedürfnis, diese Vorschrift entsprechend dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17. September 2008 (IV ZR 343/07) über seinen Wortlaut hinaus auszulegen und die Beiordnung weiterer €Rechtsformen€ zuzulassen, bestehe im sozialgerichtlichen Verfahren nicht. Das SG folge insoweit den Ausführungen im Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 2. September 2009 (L 8 U 5402/08 PKH-A).

Gegen den ihr am 15. März 2010 zugestellten Beschluss hat die Bevollmächtigte am 29. März 2010 bei dem SG Beschwerde eingelegt. Das SG übersehe, dass nach § 73 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen seien, durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter handelten. Dies treffe auf die Rechtsform einer GmbH zu. Zwar seien juristische Personen und Vereinigungen grundsätzlich nicht prozessfähig und könnten deswegen im Regelfall nicht Bevollmächtigte sein. Derartige abweichende Regelungen fänden sich aber in § 73 Abs. 2 Satz 3 SGG iVm § 73a Abs. 2 SGG sowie in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Als Prozessbevollmächtigte beauftragt werden könne nach § 591 Satz 1 BRAO die Rechtsanwaltsgesellschaft, d. h. eine nach Maßgabe der §§ 59c ff BRAO zugelassene Rechtsanwalts-GmbH. Diese Regelung dürfte § 121 ZPO ergänzend konkretisieren. Das LSG Berlin-Brandenburg habe im Beschluss vom 23. Oktober 2009 (L 18 AS 1685/09 B PKH) bereits entschieden, dass eine Rechtsanwalts-GmbH beigeordnet werden könne.

II.

Die innerhalb der Frist des § 173 Satz 1 SGG eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 3. Februar 2010 in der Fassung des Beschlusses vom 4. März 2010 ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG zulässig und auch nicht durch § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung (Gesetz vom 26. März 2008, BGBl. I S. 444) ausgeschlossen. Denn das SG hat nicht ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint, sondern PKH ohne Festsetzung von Raten bewilligt. Es fehlt somit bereits an der Eingangsvoraussetzung des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG. Zudem kann nach § 73a SGG iVm § 121 ZPO jederzeit eine Änderung der Beiordnung aus €triftigem Grund€ durch das Gericht vorgenommen werden (vgl. Kalthoener/Büttner, Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 3. Auflage, Rn. 538). Daher war die mit schriftlicher Vollmacht vom 16. November 2009 wirksam bevollmächtigte T Rechtsanwaltsgesellschaft mbH nicht verpflichtet, den Beschluss des SG vom 3. Februar 2010 hinsichtlich des Ausspruches zur Beiordnung direkt mit der Beschwerde anzufechten. Vielmehr hat sie in rechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, zunächst einen Antrag auf Änderung der Beiordnung bei dem SG zu stellen. Im Beschluss des OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Mai 2008 (3 O 434/08, juris) wird diese Befugnis offenbar stillschweigend vorausgesetzt.

Die Beschwerde ist auch begründet.

Nach § 73a SGG iVm § 121 Abs. 1 ZPO kann der Klägerin im Rahmen der PKH-Bewilligung auch eine Rechtsanwalts-Gesellschaft (hier: die Bevollmächtigte) beigeordnet werden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Oktober 2009, L 18 AS 1685/09 B PKH, nicht veröffentlicht; BGH, Beschluss vom 17. September 2008, IV ZR 343/07, juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 15. Juli 2002, 10 BF 1443/02, juris). Die bevollmächtigte T Rechtsanwaltsgesellschaft mbH hat gemäß § 591 BRAO die Rechte und Pflichten eines Rechtsanwaltes und handelt nach § 73a Abs. 2 Satz 3 SGG durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragen Vertreter.

Der Wortlaut des § 121 Abs. 1 ZPO steht einer Beiordnung der Rechtsanwalts-GmbH nicht entgegen. Danach €wird der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet.€ Eine entsprechende Formulierung (€einen Rechtsanwalt€) findet sich auch in § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG. Die entsprechenden Formulierungen werden bereits seit 1. Januar 1981 (Gesetz vom 13. Juni 1980, BGBl. I S. 667) verwendet. Die bloße Wortlautauslegung des § 121 Abs. 1 ZPO bzw. des § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG ist im Hinblick auf die zeitlich späteren Änderungen im anwaltlichen Berufsrecht (§§ 59c ff, 591 BRAO) teleologisch zu eng und zudem im sozialgerichtlichen Bereich auch mit Sinn und Zweck des § 73 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGG in der ab 1. Juli 2008 geltenden Fassung (Gesetz vom 12. Dezember 2007, BGBl. I S. 2840) nicht vereinbar (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 73 Rn. 31). Eine sprachliche Anpassung des § 121 Abs. 1 ZPO an die Änderungen im anwaltlichen Berufsrecht (dazu LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. September 2009, L 8 U 5402/08 PKH-A, juris) wäre möglicherweise vorteilhaft, ist aber nicht erforderlich. Vielmehr ist § 121 Abs. 1 ZPO bzw. § 73a Abs. 1 Satz 2 SGG im Lichte der §§ 59c, 59l BRAO, 73 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 SGG verfassungskonform im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) auszulegen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 17. September 2009, aaO): Nach § 59c Abs. 1 BRAO können Gesellschaften mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten ist, als Rechtsanwaltsgesellschaft zugelassen werden. Die Rechtsanwaltsgesellschaft kann als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigte beauftragt werden (§ 59l Satz 1 BRAO). Sie hat dabei die Rechte und Pflichten eines Rechtsanwalts (§ 59l Satz 2 BRAO). Im sozialgerichtlichen Verfahren ist die Möglichkeit der Vertretung durch juristische Personen (neben einer Vertretung durch natürliche Personen und Vereinigungen) seit der Neufassung des § 73 SGG zum 1. Juli 2008 ausdrücklich in § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 9 SGG für spezielle Fallgestaltungen (Geschäftsanteile müssen sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummern 5 bis 8 bezeichneten Organisationen stehen) geregelt. Im Übrigen handeln Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, gemäß § 73 Abs. 2 Satz 3 SGG durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter. Somit kann Rechtsanwalt im Sinne des § 121 Abs. 1 ZPO bzw. des § 73a Abs. 1 Satz 2 iVm § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG auch eine Rechtsanwaltsgesellschaft sein.

Die Kostenentscheidung für das PKH-Beschwerdeverfahren beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).






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Beschluss v. 08.06.2010
Az: L 19 AS 651/10 B PKH


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