Amtsgericht Dortmund:
Urteil vom 11. Oktober 1999
Aktenzeichen: 132 C 6509/99

(AG Dortmund: Urteil v. 11.10.1999, Az.: 132 C 6509/99)

Einem Arbeitgeber, der an seinen durch einen Verkehrsunfall schuldlos verletzten

Arbeitnehmer den Lohn weiterzahlt und einen Rechtsanwalt beauftragt, den gemäß

§ 6 Abs. I EFZG auf ihn übergegangenen Schadensersatzanspruch gegen den Schä-diger und dessen Haftpflichtversicherung geltend zu machen, steht ein Anspruch gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung auf Ersatz der Anwaltskosten nur dann zu, wenn sich der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung bereits in Verzug befanden, als der Arbeitgeber den Rechtsanwalt beauftragte.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.

Dem Kläger steht die Klagehauptforderung nicht gemäß § 286 Abs. 1 BGB zu.

Die Beklagten befanden sich nicht in Zahlungsverzug, als der Kläger seine Prozeß-

bevollmächtigten beauftragte. Zum einen ist zu beachten, daß der vom Kläger geltend

gemachte gemäß § 6 Abs. I Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) auf ihn übergegangene

Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten erst nach Ablauf eines den Beklagten

zuzubilligenden angemessenen Prüfungszeitraums fällig wurde (vgl. Riedl VersR 1994, 151 [152] mwN; Schmalzl VersR 1994, 1314 mwN). Zum zweiten ist zu berücksichtigen, daß der Honoraranspruch der Prozeßbevollmächtigten des Klägers gegen den

Kläger bereits mit der ersten Tätigkeit der Prozeßbevollmächtigten entstanden, wenn

auch noch nicht gemäß § 16 BRAGO fällig geworden ist (vgl. Madert in Gerold / Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO, 13. Aufl., § 1, Rnr. 18 und § 16, Rnr. 1). Der

Kläger hat nicht den gemäß § 6 Abs. I EVZG auf ihn übergegangenen Schadens-

ersatzanspruch gegen die Beklagten zunächst selbst geltend gemacht, sondern sofort

seine Prozeßbevollmächtigten beauftragt, den Schadensersatzanspruch geltend zu

machen. Die Prozeßbevollmächtigten des Klägers sind dann tätig geworden, bevor

die Beklagten in Zahlungsverzug geraten konnten. Der in Rede stehende Anwalts-

kostenschaden ist demnach entstanden, bevor sich die Beklagten in Zahlungsverzug

befanden, und damit nicht adäquat kausal durch einen Verzug der Beklagten verursacht worden.

Dem Kläger steht die Klagehauptforderung gegen die Beklagten auch nicht gemäß

§§ 7 Abs. I, 18 Abs. I Satz 1 StVG, 823 BGB, 3 Nr. 1 PflVG, 249 BGB zu.

Zwar kann ein Unfallgeschädigter vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung nach heute herrschender Auffassung grundsätzlich auch verlangen, daß die Kosten

eines Rechtsanwalts ersetzt werden, den er mit der Schadensregulierung beauftragt hat, wenn es sich nicht um einen ganz einfach gelagerten Sachverhalt handelt und es

ihm deshalb zuzumuten ist, den Schaden ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts

geltend zu machen (BGH NJW 1995, 446 [447] mwN; Palandt/Heinrichs, 56. Auflage,

§ 249 BGB, Rnr. 21 mwN).

Dieser Grundsatz gilt jedoch nur für den unmittelbar Geschädigten. Nach heute herrschender Auffassung im Rechtsprechung und Literatur steht einem Arbeitgeber, der

seinem unfallverletzten Arbeitnehmer den Lohn fortzahlt und der einen Rechtsanwalt

beauftragt, um den gemäß § 6 Abs. I EVZG auf ihn übergegangenen Schadensersatz-

anspruch des Arbeitnehmers durchzusetzen, ein Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung nach den eingangs ge-

nannten Anspruchsgrundlagen nicht zu (LG Arnsberg ZfS 1990, 224; LG Hanau VersR 1978, 381; LG Koblenz VersR 1977, 1060; AG Wiesbaden VersR 1994, 948; AG Köln

VersR 1980, 588; AG Bretten VersR 1975, 867; AG Berlin-Charlottenburg VersR 1975,

528; AG München VersR 1974, 1012; AG Saarlouis VersR 1974, 72; Palandt-Heinrichs § 249 BGB, Rnr. 21 a.E.; Jahnke NZV 1996, 169 [176]; Schmalzl VersR 1994, 1314;

Nettesheim DAR 1989, 116; Engelke VersR 1982, 762; Klimke VersR 1969, 487 [488];

Kempa VersR 1968, 1021; vgl. auch BGB VersR 1961, 1141 [1142] zu § 1542 RVO a.F.; LG Mosbach VersR 1983, 571 f zur Abtretung; Riedl VersR 1994, 151 [152] zur

Abtretung,

anderer Ansicht AG Überlingen VersR 1989, 301 f; AG Köln VersR 1982, 762; AG

Geilenkirchen VersR 1979, 482; AG Hameln VersR 1978, 1031 [LS]; AG Berlin-

Charlottenburg VersR 1976, 599 f; AG Hermeskeil VersR 1974, 986; vgl. auch zur

Abtretung: AG Nürnberg ZfS 1987, 209 und 1986, 16; AG Köln ZfS 1984, 235; AG

Würzburg ZfS 1984, 235; Himmelreich/Klimke/Bücken, Kfz-Schadensregulierung,

Rnr. 2025 f, wobei Riedl (aaO S. 152 r.Sp.) sogar anmerkt, daß die Ansicht dem Zessionar gemäß § 249 BGB ein Ersatz von dessen Anwaltskosten zuzusprechen, von der überwiegenden Rechtsprechung vertreten werde.

Nach Abwägen aller relevanten Gesichtspunkte gelangt der erkennende Richter zum

Ergebnis, daß der herrschenden Ansicht zu folgen ist.

Zwar ist zu bedenken, daß die herrschende Ansicht wenig gerecht erscheint. Grundsätzlich sind der Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung gemäß § 249 BGB verpflichtet, Anwaltskosten zu ersetzen, wenn es sich nicht um einen ganz einfach gelagerten Sachverhalt handelt, was im Fall des § 6 Abs. I EVZG in der Regel nicht bejaht werden kann. Die Anwaltskosten des Arbeitgebers sind adäquat kausal und auch zurechenbar durch den Unfall verursacht worden. Von einem Arbeitgeber, der ein ganz kleines Unternehmen betreibt und sich in der Materie nicht auskennt und auch nicht auskennen muß, kann nicht erwartet werden, daß er zunächst selbst den gemäß § 6 Abs. I EVZG auf ihn übergegangenen Schadensersatzsanspruch gegen den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung geltend macht und einen Rechtsanwalt erst beauftragt, wenn sich der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung in Verzug befindet. Soweit in diesem Zusammenhang der alte Repetitorspruch angeführt wird, daß das Recht "für die Wachen" sei, vermag der erkennende Richter diesem Spruch keinesfalls zu folgen. Es kann einem Nichtjuristen kaum klargemacht werden, daß ein Ersatz der Anwaltskosten dem Arbeitgeber auch bei einem ganz schwierigen und komplizierten Sachverhalt nur deshalb nicht zugesprochen werden kann, weil dem Arbeitgeber lediglich ein auf ihn übergegangener Schadensersatzanspruch zusteht, und daß der Arbeitgeber seine Anwaltskosten auch bei einem ganz schwierigen und komplizierten Sachverhalt nicht ersetzt erhält, obwohl der Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung bei voller Grundhaftung gemäß § 249 BGB verpflichtet sind, den durch den Unfall adäquat kausal und zurechenbar verursachten Schaden in vollem Umfang zu ersetzen. Wenn der Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung nicht auf den Arbeitgeber übergegangen wäre, hätten der Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung beim Arbeitnehmer entstandene Anwaltskosten ersetzen müssen. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, daß § 6 Abs. I EVZG bezweckt, dem Arbeitgeber die Nachteile zu ersetzen, die er dadurch erleidet, daß er den Lohn an seinen Arbeitnehmer weiterzahlen muß, ohne von seinem Arbeitnehmer eine Arbeitsleistung zu erhalten. Des weiteren ist zu sehen, daß bei der hier erörterten Fallkonstellation weder der Arbeitgeber noch sein Arbeitnehmer in irgendeiner Weise den Unfall verursacht haben und daß der Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung verpflichtet sind, in vollem Umfang für die Schadensfolgen einzutreten, die durch den Unfall entstanden sind.

Gleichwohl vermag der erkennende Richter nach der bestehenden Gesetzeslage der Mindermeinung nicht zu folgen. Entscheidend ist, daß dem Arbeitgeber lediglich ein übergegangener Schadensersatzsanspruch des Arbeitsnehmers zusteht und daß die in Rede stehenden Anwaltskosten des Arbeitgebers kein Schaden des Arbeitnehmers darstellen und daß sich der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung durch den Übergang auf den Arbeitgeber nicht erweitern kann. Der erkennende Richter vermag nicht der Ansicht zu folgen, daß mit dem gesetzlichen Übergang des Schadensersatzsanspruchs des Arbeitnehmers gegen den Schädiger und desen Haftpflichtversicherung gemäß § 6 Abs. I EFZG ein "Recht des Geschädigten auf anwaltliche Hilfe" oder ein "latent entstandener Anspruch auf Ersatz eines Folgeschadens Anwaltskosten" entsprechend §§ 401, 412 BGB auf den Arbeitgeber übergeht (so AG Berlin-Charlottenburg VersR 1976, 599 f;

AG Überlingen VersR 1989, 301 f). Zwar vermag nicht das Argument zu überzeugen, daß es sich bei einer solchen Rechtsposition als Vorstufe des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs um eine Position höchstpersönlicher Natur handele und deshalb nicht übertragbar sei (so Riedl VersR 1994, 151 [152]. Nach Ansicht des erkennenden Richters kann jedoch ein allgemeines Recht des Geschädigten auf anwaltliche Hilfe oder ein allgemein latent entstandener Anspruch auf Ersatz eines Folgeschadens Anwaltskosten als ein übergangsfähiges Nebenrecht entsprechend § 401 BGB mangels einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage nicht konstruiert und bejaht werden (im Ergebnis ebenso: LG Koblenz VersR 1977, 1060; AG Köln VersR 1980, 588; AG Wiesbaden VersR 1971, 164; Kempa VersR 1968, 1021 [1023]; Schmalzl VersR 1994, 1314).

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz seiner Anwaltskosten auch nicht nach den Grundsätzen der sog. Drittschadensliquidation zu. Zum einen sind diese Grundsätze nicht anwendbar, weil nicht der Fall vorliegt, daß der Schaden bei einem Dritten und nicht beim Anspruchsinhaber entstanden ist. Daran ändert nichts, daß zunächst der Arbeitnehmer Inhaber des Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagten war. Dieser Schadensersatzsanspruch ist auf den Kläger (Arbeitgeber) übergegangen. Als der Schaden Anwaltskosten entstand, war bereits der Kläger (Arbeitgeber) Inhaber des Schadensersatzanspruchs. Zum zweiten ist die Drittschadensliquidation nur für bestimmte Fallgruppen anerkennt (vgl. Palandt-Heinrichs, Vorbemerkungen).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. I Satz 1, 709 Nr. 11, 713 ZPO.






AG Dortmund:
Urteil v. 11.10.1999
Az: 132 C 6509/99


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