Bundespatentgericht:
Urteil vom 22. Februar 2006
Aktenzeichen: 4 Ni 50/04

(BPatG: Urteil v. 22.02.2006, Az.: 4 Ni 50/04)

Tenor

1. Das deutsche Patent 40 19 027 wird für nichtig erklärt.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents DE 40 19 027 (Streitpatent), das am 14. Juni 1990 unter Inanspruchnahme der Priorität der japanischen Patentanmeldung P 1-155541 vom 16. Juni 1989 angemeldet worden ist. Das Streitpatent betrifft einen Taumelscheibenkompressor mit variabler Förderleistung, insbesondere zur Verwendung in einem Kältemittelkreislauf einer Kraftfahrzeugklimaanlage, und umfasst in der erteilten Fassung 10 Ansprüche, die insgesamt angegriffen sind. Anspruch 1 in der erteilten Fassung lautet wie folgt:

"Taumelscheibenkompressor mit variabler Förderleistung für ein gasförmiges Kältemittel, insbesondere zur Verwendung in einem Kältemittelkreislauf einer Kraftfahrzeugklimaanlage, bei dem folgende Elemente vorgesehen sind:

ein Gehäuse (3) mit einer Ansaugkammer (4) und einer Auslasskammer (5), ein Zylinderblock (1) mit mehreren, rings um eine axial verlaufende Antriebswelle (8) verlaufenden, axialen Zylinderbohrungen (9), in denen hin- und herbewegliche Kolben (10) gleitverschieblich angeordnet sind, ein Kurbelgehäuse (6), welches eine Taumelscheibenkammer (7) umschließt, die mit den Zylinderbohrungen (9) kommuniziert und in der eine drehfest mit der Antriebswelle (8) verbundene Antriebsplatte (16) angeordnet ist, deren Anstellwinkel bezüglich der Achse der Antriebswelle (8) veränderbar ist, sowie eine Taumelscheibe, welche von der Antriebsplatte (16) derart gehaltert ist, dass ihr Anstellwinkel gemeinsam mit dem Anstellwinkel der Antriebsplatte in Abhängigkeit von der Differenz der Drücke in der Taumelscheibenkammer (7) und der Ansaugkammer (4) veränderbar ist, mehrere Verbindungsstangen (11) zwischen der Taumelscheibe (17) und den Kolben (10), ein Gaszuführkanal (19) zur Herstellung einer Fluidverbindung zwischen der Taumelscheibenkammer (7) und der in dem Gehäuse (3) vorgesehenen Auslasskammer (5), derart, dass der Taumelscheibenkammer (7) gasförmiges Kältemittel aus der Auslasskammer (5) zuführbar ist;

ein Gasauslasskanal (21) zur Herstellung einer Fluidverbindung zwischen der Taumelscheibenkammer (7) und der in dem Gehäuse (3) vorgesehenen Ansaugkammer (4) zum Abführen von gasförmigem Kältemittel aus der Taumelscheibenkammer (7) in die Ansaugkammer (4);

ein Förderleistungsregelventil (20) zur Regelung der Zuführung des gasförmigen Kältemittels aus der Auslasskammer (5) in die Taumelscheibenkammer (7) mit einem Ventilgehäuse (23), mit einem Ventilelement (25), welches in dem Gaszuführkanal (19) angeordnet ist, um die Verbindung zwischen der Auslasskammer (5) und der Taumelscheibenkammer (7) über den Gaszuführkanal (19) zu regeln, und mit einem durch Gasdruck bewegbaren Ventilarbeitsglied (28), das mit dem Ventilelement (25) verbunden ist, um dieses in Abhängigkeit von einer Druckänderung in der Ansaugkammer (4) bezüglich eines vorgegebenen Druckes zu verstellen;

und externe Krafterzeugungseinrichtungen (31 bis 39), die mit extern erzeugten Signalen beaufschlagbar sind und die mit dem Ventilarbeitsglied (28) des Förderleistungsregelventils (20) verbunden sind, um auf das Ventilarbeitsglied (28) in Abhängigkeit von den extern erzeugten Signalen eine zusätzliche elektromagnetische äußere Kraft auszuüben, welche den vorgegebenen Druck für das Ventilarbeitsglied (28) bewirkt, wobei das Ventilelement (25) relativ zu einer Ventilöffnung (24a) eines Ventilsitzes (24) beweglich ist, welcher fest in dem Gaszuführkanal (19) angeordnet ist, wobei das Ventilarbeitsglied (28) in einer Ventilbetätigungskammer (30) des Ventilgehäuses (23) des Förderleistungsregelventils (20) angeordnet und mit dem Ventilelement (25) über eine Verbindungsstange (26) verbunden ist, um dessen Verstellung in Abhängigkeit von einer Änderung des Druckes in der Ansaugkammer (4) bezüglich eines vorgegebenen Druckes zu kontrollieren, wobei die Taumelscheibenkammer (7) über den Gasauslasskanal (21) ständig mit der Ansaugkammer (4) verbunden ist und wobei die von den externen Krafterzeugungseinrichtungen (31 bis 39) erzeugte zusätzliche Kraft zur Einstellung eines Arbeitspunktes des Förderleistungsregelventils (20) in Abhängigkeit von mindestens einem Betriebsparameter variabel ist."

Wegen der weiter angegriffenen und unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift DE 40 19 027 C2 Bezug genommen.

Die Beklagte hat das Streitpatent im Nichtigkeitsverfahren gegenüber der erteilten Fassung im Schriftsatz vom 27. April 2005 nurmehr eingeschränkt im Umfang neuer Ansprüche 1 bis 8 verteidigt.

Die Ansprüche 1 bis 5 dieser verteidigten Fassung entsprechen denjenigen der erteilten Fassung; die Ansprüche 6 bis 8 der verteidigten Fassung lauten wie folgt:

"6. Kompressor nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Ventilarbeitsglied einen Faltenbalg (28) umfasst.

7. Kompressor nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die externen Krafterzeugungseinrichtungen (31 bis 39), die mit dem Ventilarbeitsglied (28) des Förderleistungsregelventils (20) verbunden sind, einen Elektromagneten (31) mit einem Magnetkern (33) umfassen, der mit dem Ventilarbeitsglied (28) verbunden ist, sowie eine Spule (34), welche den Magnetkern (33) umgibt und welcher ein geregelter elektrischer Erregerstrom zuführbar ist.

8. Kompressor nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Förderleistungsregelventil (20) und die externen Krafterzeugungseinrichtungen in ein Gehäuseelement (32) des Ventils integriert sind. "

Die Klägerin behauptet, der Gegenstand des Streitpatents sei weder neu noch erfinderisch. Zur Begründung trägt sie vor, im Stand der Technik seien zum Prioritätszeitpunkt bereits Taumelscheibenkompressoren mit variabler Förderleistung und den Merkmalen des Patentgegenstandes bekannt gewesen. Zumindest werde dessen beanspruchte Ausgestaltung dem zuständigen Fachmann hierdurch nahe gelegt. Hierzu beruft sie sich auf folgende Druckschriften:

D1 JP 64-27487 U mit englischer Übersetzung (D1a)

D2 JP 62-282182 A mit englischer Übersetzung (D2a)

D3 US 4 606 705 D4 DE 37 31 944 A1 mit JP-Familienmitglied JP 63-93614 A (D4J)

D7 US 4 073 603 D8 US 4 428 718 D9 US 4 533 299 Die Klägerin beantragt, das deutsche Patent DE 40 19 027 in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage, soweit sie sich gegen das beschränkt verteidigte Patent richtet, abzuweisen, hilfsweise mit der Maßgabe, dass das Patent auf der Grundlage neuer Patentansprüche 1 bis 6 aufrecht erhalten wird, wobei Anspruch 1 der erteilten Fassung unter Hinzufügung des Merkmals

"wobei die Ventilbetätigungskammer (30) ausschließlich mit der Taumelscheibenkammer (7) in Verbindung steht"

entspricht und Anspruch 2 alle Merkmale des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung und zusätzlich das Merkmal

"wobei die Ventilbetätigungskammer (30) ausschließlich mit der Ansaugkammer (4) in Verbindung steht"

enthält. Wegen der übrigen, auf Anspruch 1 oder 2 rückbezogenen Ansprüche wird insoweit auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 27. April 2005 Bezug genommen (Bl. 91 der GA).

Die Beklagte ist der Ansicht, aufgrund der Neufassung der Ansprüche sei das Streitpatent insgesamt, zumindest aber im hilfsweise verteidigten Umfang patentfähig.

Die Klägerin rügt, dass die neu in den Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag aufgenommenen Merkmale weder den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen noch dem Streitpatent als zur Erfindung gehörig zu entnehmen seien.

Gründe

I Die zulässige Klage, mit der die in § 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 4 PatG vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der unzulässigen Erweiterung des Streitgegenstandes gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen geltend gemacht wurden, ist begründet.

Die Klage führt ohne weiteres zur Nichtigerklärung des Streitpatentes, soweit die Beklagte dieses nicht mehr verteidigt. Aber auch die weitergehende Klage ist begründet. Denn der Gegenstand des mit Hauptantrag beschränkt verteidigten Patents ist nicht patentfähig und ein Gegenstand mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag ist in den ursprünglichen Patentunterlagen nicht offenbart.

II 1. Das Streitpatent betrifft nach der Beschreibungseinleitung des Streitpatentes einen Taumelscheibenkompressor mit variabler Förderleistung, wie er z. B. bei Kraftfahrzeugklimaanlagen verwendet wird.

Der Kühlbedarf bei Klimaanlagen in Kraftfahrzeugen variiert stark. Bei hohen Temperaturen besteht ein erhöhter Kühlbedarf, der eine große Förderleistung des Kompressors, also die Förderung eines hohen Volumenstroms, erfordert. Bei geringem Kühlbedarf reicht zur Kühlung ein geringer vom Kompressor geförderter Volumenstrom aus.

Zur Veränderung der Förderleistung des Kompressors wird die Neigung der Taumelscheibe und damit der Kolbenhub verändert. Die Neigung der Taumelscheibe wird verstellt durch die Differenz des Druckes PC in der Taumelscheibenkammer und des Saugdruckes PS auf der Saugseite der Kolben. Ein hoher Druck PC in der Taumelscheibenkammer führt zu einer geringen Förderleistung des Kompressors, ein niedriger Druck PC entsprechend zu einer hohen Förderleistung. Die Verstellung des Druckes Pc in der Taumelscheibenkammer erfolgt einerseits durch Zufuhr eines Teils des Fördermediums von der Auslassseite des Kompressors in die Taumelscheibenkammer und andererseits durch Abfuhr des in der Taumelscheibenkammer befindlichen Mediums zur Ansaugseite des Kompressors.

Mit dem Streitpatent soll ein verbesserter Taumelscheibenkompressor variabler Förderleistung angegeben werden, welcher mit einem Förderleistungsregelventil versehen ist, mit dem die gewünschte Förderleistung innerhalb eines weiten Bereichs von Förderleistungen in Abhängigkeit von externen Steuersignalen mit hoher Ansprechgeschwindigkeit hinsichtlich der Änderung der Förderleistung erreichbar ist.

Hierzu ist nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag vorgesehen ein A) Taumelscheibenkompressor mit variabler Förderleistung für ein gasförmiges Kältemittel, insbesondere zur Verwendung in einem Kältemittelkreislauf einer Kraftfahrzeugklimaanlage, wobei der Kompressor folgende Elemente aufweist:

B) ein Gehäuse (3) mit einer Ansaugkammer (4) und einer Auslasskammer (5), C) einen Zylinderblock (1) mit mehreren, rings um eine axial verlaufende Antriebswelle verlaufenden, axialen Zylinderbohrungen, in denen hin- und herbewegliche Kolben (10) gleitverschieblich vorgesehen sind, D) ein Kurbelgehäuse (6), das eine Taumelscheibenkammer (7) umschließt, welche mit den Zylinderbohrungen kommuniziert, E) eine Antriebsplatte (16), die drehfest mit der Antriebswelle verbunden und in einem veränderbaren Anstellwinkel bezüglich der Antriebswelle in der Taumelscheibenkammer angeordnet ist, F) eine Taumelscheibe, die von der Antriebsplatte derart gehaltert ist, dass F1) der Anstellwinkel der Taumelscheibe gemeinsam mit der Antriebsplatte in Abhängigkeit von einer Differenz der Drücke in der Taumelscheibenkammer (7) und in der Ansaugkammer (4) veränderbar ist, G) mehrere Verbindungsstangen (11) zwischen der Taumelscheibe (17) und den Kolben (10), H) einen Gaszuführkanal (19) zur Herstellung einer Fluidverbindung zwischen der Taumelscheibenkammer (7) und der in dem Gehäuse (3) vorgesehenen Auslasskammer, H1) wobei der Taumelscheibenkammer (7) gasförmiges Kältemittel aus der Auslasskammer (5) zuführbar ist, I) einen Gasauslasskanal (21) zur Herstellung einer Fluidverbindung zwischen der Taumelscheibenkammer (7) und der in dem Gehäuse (3) vorgesehenen Ansaugkammer (4), wobei I1) gasförmiges Kältemittel aus der Taumelscheibenkammer (7) in die Ansaugkammer (4) abführbar ist, I2) die Taumelscheibenkammer (7) über den Gasauslasskanal (21) ständig mit der Ansaugkammer (4) verbunden ist, J) ein Förderleistungsregelventil (20) zur Regelung der Zuführung des gasförmigen Kältemittels aus der Auslasskammer (5) in die Taumelscheibenkammer (7), wobei das Ventil folgendes aufweist:

J 1) ein Ventilgehäuse (23), J2) ein Ventilelement (25), das in dem Gaszuführkanal (19) angeordnet ist, um eine Verbindung zwischen der Auslasskammer (5) und der Taumelscheibenkammer (7) über den Gaszuführkanal (19) zu regeln, wobei J2a) das Ventilelement (25) relativ zu einer Ventilöffnung (24a) beweglich ist, welche fest in dem Gaszuführkanal angeordnet ist, und J3) ein Ventilarbeitsglied (28), das durch Gasdruck bewegbar und mit dem Ventilelement (25) verbunden ist, um dieses in Abhängigkeit von Druckänderungen in der Ansaugkammer (4) bezüglich eines vorgegebenen Drucks zu verstellen, wobei J3a) das Ventilarbeitsglied (28) in einer Ventilbetätigungskammer (30) des Ventilgehäuses (23) des Förderleistungsregelventils (20) angeordnet und über eine Verbindungsstange (26) mit dem Ventilelement (25) verbunden ist, um die Verstellung in Abhängigkeit von einer Änderung des Drucks in der Ansaugkammer (4) bezüglich des vorgegebenen Drucks zu kontrollieren, K) externe Krafterzeugungseinrichtungen (31-39), die mit extern erzeugten Signalen beaufschlagbar und mit dem Ventilarbeitsglied (28) des Förderleistungsregelventils (20) verbunden sind, um K1) auf das Ventilarbeitsglied (28) in Abhängigkeit von den extern erzeugten Signalen eine zusätzliche elektromagnetische, äußere Kraft auszuüben, welche den vorgegebenen Druck für das Ventilarbeitsglied (28) bewirkt, K2) wobei die von den externen Krafterzeugungseinrichtungen (31-39) erzeugte zusätzliche extern erzeugte Kraft zur Einstellung eines Arbeitspunktes des Förderleistungsregelventils (20) in Abhängigkeit von mindestens einem Betriebsparameter variabel ist.

2. Die Klägerin konnte den Senat davon überzeugen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag dem zuständigen Fachmann durch den Stand der Technik nach der JP 64-27 487 U (D1/D1A) und der JP 62-282 182 A (D2/D2A) in Verbindung mit seinem Fachwissen nahe gelegt wird. Zuständiger Fachmann ist ein Dipl.-Ing. der Fachrichtung Maschinenbau, der über mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Kompressoren vor allem für Kraftfahrzeugklimaanlagen verfügt.

Aus der D1 ist ein fachüblich aufgebauter Taumelscheibenkompressor mit variabler Förderleistung für eine Kraftfahrzeugklimaanlage bekannt. Der stilisierten Darstellung in Fig. 1 der D1 ist für den Fachmann offensichtlich zu entnehmen, dass der Kompressor ein Gehäuse mit einer Ansaugkammer 13 und einer Auslasskammer 14 aufweist - Merkmale A) und B) des Patentanspruchs 1 des Streitpatentes. In einem Zylinderblock sind mehrere, rings um eine axial verlaufende Antriebswelle 11 angeordnete Zylinderbohrungen erkennbar, in denen Kolben 15 gleitverschieblich vorgesehen sind (S. 5, Abs. 2 der D1A) - Merkmal C). Eine Taumelscheibenkammer 10 ist offensichtlich von einem Kurbelgehäuse umgeben, wobei die Zylinderbohrungen mit der Taumelscheibenkammer kommunizieren - Merkmal D). Dort ist eine drehfest mit der Antriebswelle 11 verbundene Antriebsplatte 16 für eine Taumelscheibe 12 vorgesehen, deren Einstellwinkel in Abhängigkeit von der Differenz der Drücke in der Taumelscheibenkammer und in der Ansaugkammer veränderbar ist (Fig. 1 der D1 und S. 5, Abs. 2 der D1A) - Merkmale E), F) und F1). Zwischen den Kolben und der Taumelscheibe 12 sind mehrere Verbindungsstangen vorgesehen - Merkmal G).

Über einen Gaszuführkanal wird eine Verbindung von der Auslasskammer 14 zur Taumelscheibenkammer 10 hergestellt, so dass der Taumelscheibenkammer Fördermedium aus der Auslasskammer über ein Förderleistungsregelventil 30 zugeführt werden kann (Fig. 1 der D1 und S. 4, Abs. 1 der D1A) - Merkmale H) und H1). Die Taumelscheibenkammer ihrerseits ist über einen Gasauslasskanal mit der Ansaugkammer 13 verbunden (Fig. 1 der D1 und S. 4, Abs. 1 der D1A) - Merkmale I) und I1). Das Förderleistungsregelventil 30 im Gaszuführkanal weist die bei Ventilen allgemein üblichen Komponenten Ventilgehäuse 21 und Ventilelement 33 auf, um eine Verbindung zwischen der Auslasskammer und der Taumelscheibenkammer zu regeln - Merkmale J) bis J2a).

Im Gasauslasskanal ist in einer Ventilbetätigungskammer 23 eine Membran 40 angeordnet, die mit dem Ansaugdruck PS beaufschlagt ist und abhängig von diesem über eine Verbindungsstange 24 das Ventilelement 33 verstellt (Fig. 1 der D1 und S. 6, letzter Absatz bis S. 7, Abs. 1 der D1A) - Merkmale J3) und J3a).

Weiter sind zur Ventilbetätigung externe Krafterzeugungseinrichtungen 41, 42 und 45 bis 54 vorgesehen, die über einen Stromregler 53 abhängig von externen Signalen gesteuert werden und ebenfalls über die Verbindungsstange 24 mit dem Ventilelement 33 verbunden sind (Fig. 1 der D1 und S. 7, Abs. 2, 3) - Merkmale K) bis K2).

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag unterscheidet sich vom Gegenstand nach der D1 auch nach Auffassung der Beklagten allein durch das Merkmal I2, nach dem die Taumelscheibenkammer über den Gasauslasskanal ständig mit der Ansaugkammer verbunden ist.

Beim bekannten Kompressor führt der Gaszuführkanal eine bestimmte Menge des Fördermediums von der Auslasskammer in die Taumelscheibenkammer. Damit sich in der Taumelscheibenkammer überhaupt ein Druck aufbauen kann, muss die über den Gasauslasskanal aus der Taumelscheibenkammer in die Ansaugkammer strömende Menge des Fördermediums geringer sein als die zuströmende Menge. Der Gasauslasskanal muss daher eine Begrenzung des durchtretenden Fördermediums aufweisen. Dem Fachmann sind aus seinem Grundlagenwissen zwei Möglichkeiten bekannt, eine derartige Durchflussbegrenzung vorzunehmen: zum einen kann er den Gasauslasskanal durch ein Ventil versperren und ihn nur bei Bedarf öffnen, oder er kann eine Drossel vorsehen, die die aus der Taumelscheibenkammer abströmende Fördermenge begrenzt. Die erste Möglichkeit ist bei dem aus der JP 64-27487 U (D1) bekannten Kompressor realisiert. Dort ist nämlich im Gasauslasskanal ein Ventil 28 angeordnet, das den Gasstrom von der Taumelscheibenkammer 10 zur Ansaugkammer 13 regelt. Dieses Ventil wirkt mit dem Ventil 30 im Gaszuführkanal zusammen, so dass bei einem Schließen des Ventils 30 im Gaszuführkanal das Ventil 28 im Gasauslasskanal geöffnet wird und umgekehrt. Der Ersatz des Ventils 28 im Gasauslasskanal durch eine Drossel stellt für den Fachmann eine fachübliche Maßnahme ohne jeden erfinderischen Gehalt dar. Denn wie vorher ausgeführt, kennt der Fachmann beide Mittel bereits aus seinem Grundlagenstudium.

Auch die erreichbaren Wirkungen sind für ihn vollständig vorhersehbar. Denn die Anordnung einer Drossel im Gasauslasskanal führt dazu, dass ständig Fördermedium aus der Taumelscheibenkammer abgeführt wird. Das hat zur Folge, dass für einen Druckaufbau in der Taumelscheibenkammer eine größere Menge Fördermedium von der Auslassseite zuzuführen ist, da auch während dieser Zeit ein gewisser Teil des Fördermediums über die Drossel wieder abgeführt wird. Im Unterschied hierzu wird durch die Anordnung eines Ventils im Gasauslasskanal die Gasabfuhr aus der Taumelscheibenkammer unterbrochen, sobald über den Gaszuführkanal Fördermedium der Taumelscheibenkammer zugeführt wird. Der Druckaufbau in der Taumelscheibenkammer erfolgt somit schneller als im ersten Fall, so dass die Regelung empfindlicher ist. Allerdings ist mit diesem Vorteil die Anordnung eines zusätzlichen Ventils verbunden, wodurch ein höherer Bauaufwand als bei einer Drossel notwendig wird. Es gehört zu den üblichen Aufgaben des zuständigen Fachmanns, in solchen Fällen eine Abwägung vorzunehmen und zu entscheiden, ob im konkreten Einzelfall der Vorteil der empfindlicheren Regelung bei einer Ventilanordnung den Vorteil geringerer Kosten bei einer Drosselanordnung überwiegt.

Im Übrigen lehrt bereits die JP 62-282 182 A (D2), an Stelle zweier durch eine Stange verbundener Ventile für den Gaszuführ- und den Gasauslasskanal lediglich ein einziges Ventil B im Gaszuführkanal d, d' zwischen Auslasskammer D und Taumelscheibenkammer 1 vorzusehen und im Gasauslasskanal c zwischen Taumelscheibenkammer 1 und Ansaugkammer S eine feste Drossel C anzuordnen, über die die Taumelscheibenkammer ständig mit der Ansaugkammer verbunden ist (Fig. 1 der D2 sowie Anspruch 1 und S. 6, Abs. 2, 3 der D2a).

Dem Einwand der Beklagten, dass ein Vorurteil bestanden habe, aus Stabilitätsgründen der Regelung bei einer kombinierten hydraulischen und elektromagnetischen Beaufschlagung des Ventils im Gaszuführkanal und im Gasauslasskanal auf jeden Fall ein Ventil und keine Drossel vorzusehen, folgt der Senat nicht. Denn keiner der von der Beklagten angeführten Druckschriften ist ein derartiges Vorurteil zu entnehmen. Die Tatsache allein, dass aus dem Stand der Technik eine größere Anzahl verschiedener Lösungen bekannt ist, kann diese Behauptung jedenfalls nicht belegen. Außerdem spricht gerade das Streitpatent dagegen, dass ein derartiges Vorurteil bestanden hat. Denn im Ausführungsbeispiel nach den Figuren 5 und 6 ist sowohl im Gaszuführkanal als auch im Gasauslasskanal jeweils ein Ventil angeordnet. Durch das Ventil im Gasauslasskanal wird nach Sp. 10, Z. 34 bis 46 der Streitpatentschrift eine hohe Ansprechempfindlichkeit für eine schnelle Änderung der Förderleistung erreicht. Eine Instabilität der Regelung liegt dabei offensichtlich nicht vor.

3. Die Klägerin konnte den Senat davon überzeugen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

Maßgebend für den Offenbarungsgehalt einer Patentanmeldung ist der Gesamtinhalt der ursprünglichen Anmeldung bestehend aus Beschreibung, Ansprüchen und Zeichnung. Alle drei Offenbarungsmittel stehen gleichrangig nebeneinander. Es sind alle Merkmale beanspruchbar, die für den zuständigen Fachmann in diesen drei Offenbarungsmitteln als zur angemeldeten Erfindung gehörend zu erkennen sind (vgl z. B. BGH GRUR 1991, 307, 308 - Bodenwalze). Dienen in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale der näheren Ausgestaltung der Erfindung, die je für sich, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, dann hat es die Patentinhaberin in der Hand, ob sie einzelne oder sämtliche dieser Merkmale in die Patentansprüche aufnimmt (BGH GRUR 1990, 432-434 - Spleißkammer). Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Merkmale in der Beschreibung gegenüber gleichzeitig offenbarten anderen Lösungen als vorteilhaft, zweckmäßig oder bevorzugt bezeichnet sind, noch gibt es eine Abstufung in der Wertigkeit der für die Beschreibung der Erfindung benutzten Offenbarungsmittel (BGH GRUR 1990, 510-512 - Crackkatalysator). Im Einspruchsverfahren finden diese Änderungen ihre Grenze in dem Erfordernis, dass sich die in den Patentanspruch aufgenommenen Merkmale auf die im erteilten Patentanspruch umschriebene Erfindung beziehen müssen. Die Aufnahme von Merkmalen, die nicht als zur patentierten Erfindung gehörig erkennbar sind, würde zu einem Aliud führen (BGH GRUR 1990, 432-434 - Spleißkammer). Entgegen der Auffassung der Klägerin bilden nach ständiger Rechtsprechung die im Erteilungsverfahren eingereichten ursprünglichen Ansprüche keine derartige Grenze (Schulte, Patentgesetz, 7. Auflage, § 21, Rdn. 59 m. w. N.). Denn im Erteilungsverfahren sind die ursprünglich eingereichten Ansprüche lediglich als Formulierungsversuche anzusehen, die den Anmelder nicht binden (BGH GRUR 2002, 49-52 - Drehmomentübertragungseinrichtung). Alle Gegenstände, die sich einem Fachmann aus der ursprünglichen Anmeldung ohne weiteres erschließen, können daher zum Gegenstand des Patents gemacht werden, ohne zu einer unzulässigen Erweiterung zu führen. Beispielsweise wird auf die der Rechsprechung entsprechende übliche Praxis verwiesen, dass bei einer uneinheitlichen Anmeldung jeder der verschiedenen angemeldeten Gegenstände unabhängig vom ursprünglich eingereichten Anspruch 1 in verschiedenen Anmeldungen weiterverfolgt werden kann. Ferner hat der Anmelder die Möglichkeit, sich z. B. auf das Rechercheergebnis hin auf einen Teilaspekt seines in den gesamten ursprünglichen Unterlagen offenbarten Erfindungskomplexes zu beschränken und diejenigen (technisch zusammenhängenden) Merkmale in einen Anspruch aufzunehmen, auf die es ihm nunmehr ankommt.

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist das in den Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag gemäß Hilfsantrag aufgenommene Merkmal, dass die Ventilbetätigungskammer (30) ausschließlich mit der Taumelscheibenkammer (7) in Verbindung stehtsowohl in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als auch im Streitpatent nicht als zur Erfindung gehörig offenbart.

Wie die Klägerin zutreffend ausführte, ist der Begriff "ausschließlich" eindeutig. Dieser Begriff ist so zu verstehen, dass zu keinem Zeitpunkt und in keiner Regelphase des Kompressors zusätzlich zur Verbindung zwischen der Ventilbetätigungskammer und der Taumelscheibenkammer weitere Verbindungen zwischen der Ventilbetätigungskammer und anderen Kompressorkammern bestehen. Eine derartige Offenbarung ist dem Streitpatent und den entsprechenden ursprünglichen Unterlagen nicht zu entnehmen. Das von der Beklagten hierzu angeführte erste Ausführungsbeispiel mit den Figuren 1 und 2 zeigt nämlich nicht nur eine Verbindung der Ventilbetätigungskammer 30 mit der Taumelscheibenkammer 7, sondern zusätzlich über den Kanal 19 eine Verbindung zwischen der Ventilbetätigungskammer 30 und der Auslasskammer 5. Damit kann dieses Ausführungsbeispiel das zusätzlich in den Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag aufgenommene Merkmal nicht offenbaren.

Weitere Offenbarungsstellen für dieses Merkmal wurden von der Beklagten nicht angeführt und sind für den Senat auch nicht offensichtlich erkennbar. Denn die Ausführungsbeispiele mit den Figuren 3, 4 und 5, 6 des Streitpatentes helfen nicht weiter, da sie hierzu vollkommen andere Ausgestaltungen des Kompressors betreffen. Die Ventilbetätigungskammer 30 steht danach nicht mit der Taumelscheibenkammer 7, sondern mit der Ansaugkammer 4 (Fig. 3, 4) oder mit der Auslasskammer 5 (Fig. 5, 6) in Verbindung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.






BPatG:
Urteil v. 22.02.2006
Az: 4 Ni 50/04


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