Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 30. Juli 2015
Aktenzeichen: 21 W 99/15

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 30.07.2015, Az.: 21 W 99/15)

1. Zur Zuständigkeit des Rechtspflegers in Nachlassverfahren im Fall eines Verfahrens von Amts wegen

2. Zur Auslegung eines Einziehungsbeschlusses im Wege der einstweiligen Anordnung

Tenor

Auf Antrag der Beteiligten wird ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Beschwerde der Beteiligten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 3. September 2014 wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 230.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die zuletzt in O1 wohnhafte Erblasserin war mit dem am ... 2007 vorverstorbenen A verheiratet. Die Ehe blieb kinderlos. Die Eltern der Erblasserin sind vorverstorben. Sie hinterließen neben der Erblasserin keine weiteren Kinder. Entferntere Verwandte der Erblasserin sind B, C, D und E geb. ..., wobei ergänzend auf Bl. 117 f. d. A. verwiesen wird.

Nach einer schweren Erkrankung ihres Mannes errichtete die Erblasserin am 7. Dezember 1995 ein handschriftliches und vom Nachlassgericht eröffnetes Testament. Darin setzte sie ihren Ehemann zum Alleinerben ein. Für den Fall des Todes beider Eheleute bestimmte sie die Beteiligte zur Alleinerbin und verfügte ferner, dass keinesfalls die Verwandten ihrer Linie in den Besitz der Erbschaft kommen sollten, wobei ergänzend auf Bl. 148 d. Testamentsakte Bezug genommen wird.

Am 27. März 2003 errichteten die Eheleute ein notarielles gemeinschaftliches und nunmehr vom Amtsgericht ebenfalls eröffnetes Testament. Hierin heißt es wörtlich: €Nach ihren Angaben haben sie keinerlei letztwillige Verfügungen getroffen. Evtl. getroffene letztwillige Verfügungen werden hiermit widerrufen€. Im Anschluss erklärten die Eheleute ihren letzten Willen, sich gegenseitig zu Alleinerben einzusetzen, wobei insoweit auf Bl. 24 f. d. Testamentsakte verwiesen wird.

Nach dem Tod der Erblasserin hat die Beteiligte einen Alleinerbschein zu ihren Gunsten beantragt und sich dabei auf das Testament vom 7. Dezember 1995 berufen (Bl. 121 ff. d. A.). Das Amtsgericht hat € seinen eigenen Angaben zufolge € das spätere gemeinschaftliche Testament der Eheleute übersehen und dem Antrag stattgegeben. Später hat es mit dem angefochtenen Beschluss den am 24. Mai 2013 erteilten Erbschein €im Wege der einstweiligen Anordnung eingezogen€ (Bl. 202 d. A.) sowie in einem gesonderten Schreiben gebeten, die erteilten Ausfertigungen des Erbscheins dem Nachlassgericht zurückzugeben (Bl. 201 d. A.).

Gegen den ihr ihren eigenen Angaben zufolge am 9. September 2014 zugestellten (Bl. 216 d. A.) Beschluss hat die Beteiligte mit am 20. Oktober 2014 beim Nachlassgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung der Wiedereinsetzung hat sie unter Berufung auf eine eidesstattliche Versicherung von ihr (Bl. 219 f. d. A.) geltend gemacht, sie habe eine Unterredung mit dem damals ihren Antrag beurkundenden Rechtsanwalt und Notar gehabt, wobei sie im Rahmen der Nachfrage nach einem Besprechungstermin auf die Eilbedürftigkeit hingewiesen habe, weil das erwünschte Rechtsmittel gegen den Beschluss innerhalb einer Frist von zwei Wochen eingelegt werden müsse. Der Rechtsanwalt und Notar habe ihr während der Besprechung zugesichert, alles Notwendige zu veranlassen. Dann habe er im weiteren Verlauf aber gleichwohl kein Rechtsmittel eingelegt und somit ihr Auftragsangebot nicht angenommen. Das Verschulden des Rechtsanwalts sei ihr mangels Vorliegen eines wirksamen Mandatsverhältnisses nicht zurechenbar.

In der Sache hat sie vorgetragen, der Erbschein sei zu Recht erteilt worden. Das spätere Testament sei dahingehend auszulegen, dass nur Verfügungen widerrufen werden sollten, die der gegenseitigen Einsetzung der Eheleute zu Alleinerben widersprechen würden. Dies sei mit Blick auf die Einsetzung der Beteiligten als Erbin nach der längst lebenden Ehefrau jedoch nicht der Fall. Vorsorglich fechte sie das Testament vom 27. März 2003 an, soweit es den Widerruf der letztwilligen Verfügung vom 7. Dezember 1995 betreffe (Bl. 244 ff. d. A.). Der formelmäßig erklärte Widerruf beruhe auf einem Erklärungs- und Inhaltsirrtum.

Mit Schreiben vom 29. Januar 2015 hat die Beteiligte die sich in ihrem Besitz befindlichen fünf Ausfertigungen des Erbscheins zu den Akten gereicht und mitgeteilt, dass weitere Ausfertigungen an verschiedene Grundbuchämter und an eine Bank versandt worden seien (Bl. 269 d. A.).

Am 9. Juli 2015 hat das Nachlassgericht einen Beschluss gefasst, wonach die Beschwerde gegen die Einziehung im Wege der einstweiligen Verfügung als unzulässig und der Antrag auf Wiedereinsetzung als unbegründet zurückgewiesen werde (Bl. 281 d. A.). Aufgrund der erstmaligen Beachtung des gemeinschaftlichen Testaments sei die Erbfolge nach der Erblasserin zu klären. Entsprechend sei es aufgrund der unsicheren Rechtslage geboten gewesen, den erteilten Erbschein sicherzustellen, wenngleich nicht einzuziehen. Die Rechtsmittelfrist sei bereits abgelaufen gewesen, als die Beschwerde bei Gericht einging. Der mitgeteilte Sachverhalt rechtfertige eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht. Mit Verfügung vom gleichen Tag hat das Nachlassgericht die Akten an das Oberlandesgericht versandt.

II.

Über den Antrag auf Wiedereinsetzung und die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist trotz des Wortlautes der Entscheidung des Amtsgerichts vom 9. Juli 2015 weiterhin zu befinden, da eine verständige Auslegung des Beschlusses ergibt, dass das Amtsgericht lediglich eine Nichtabhilfeentscheidung getroffen hat. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung ist stattzugeben, da die Fristversäumung nicht schuldhaft erfolgt ist. Da eine Wiedereinsetzung zu gewähren ist, erweist sich die Beschwerde der Beschwerdeführerin als zulässig. Sie ist allerdings unbegründet, weil die Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung nach § 49 FamFG vorliegen.

1. Eine Auslegung des Beschluss vom 9. Juli 2015 ergibt, dass es sich hierbei um einen Nichtabhilfebeschluss handelt. Zwar hat das Amtsgericht dem Wortlaut der Entscheidung zufolge den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen. Jedoch kommt dem Nachlassgericht als dem Ausgangsgericht insoweit keine Entscheidungsbefugnis zu. Gemäß § 68 Abs. 2 FamFG obliegt die Prüfung der Statthaftigkeit und der Zulässigkeit des Rechtsmittels im Übrigen nämlich dem Beschwerdegericht. Unabhängig von der Frage, ob das Nachlassgericht einer unzulässigen Beschwerde abhelfen darf (vgl. dazu Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 68 Rn 9a), folgt hieraus zumindest, dass das Nachlassgericht jedenfalls keine Beschwerde als unzulässig zurückweisen kann. Entsprechend obliegt auch nur dem Beschwerdegericht die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag. Denn gemäß § 19 Abs. 1 FamFG entscheidet das Gericht über die Wiedereinsetzung, das über die versäumte Rechtshandlung und damit über die Zulassung der Beschwerde zu befinden hat.

Demgegenüber hat es dem Amtsgericht gemäß § 68 Abs. 1 FamFG oblegen, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob es dem Rechtsmittel der Beschwerdeführerin abhelfen will. Aus den Gründen des Beschlusses vom 9. Juli 2015 ergibt sich, dass das Nachlassgericht seinen angefochtenen Beschluss vom 3. September 2009 für zutreffend erachtet hat. Hieraus in Verbindung mit der Verfügung vom gleichen Tag, die Akten an das Oberlandesgericht zu senden, folgt, dass das Nachlassgericht dem Rechtsmittel nicht abhelfen wollte, weswegen der Beschluss vom 9. Juli 2015 als Nichtabhilfebeschluss zu verstehen ist. Entsprechend steht eine Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag und die Beschwerde der Beschwerdeführerin noch aus.

2. Der Beschwerdeführerin ist die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn gemäß § 17 Abs. 1 FamFG ist die Wiedereinsetzung dann zu gewähren, wenn jemand ohne sein Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war. Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Die Beschwerdeführerin, die von der Fristversäumung am 14. Oktober 2014 erfahren hat, hat innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 18 Abs. 1 FamFG am 17. Oktober 2015 rechtzeitig beim Nachlassgericht (vgl. für dessen Zuständigkeit der Antragsentgegennahme Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 18 Rn 8) einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt sowie die versäumte Rechtshandlung, nämlich die Einlegung der Beschwerde nachgeholt.

b) Zugleich liegen die materiellen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung vor. Die Beschwerdeführerin war an der Einhaltung der gesetzlichen Beschwerdefrist gehindert. Zugleich trifft sie kein Verschulden an der Fristversäumung, da ihr das sich aus ihrem Vortrag ergebende Verschulden des den Erbscheinantrag beurkundenden Rechtsanwalts und Notars F aus O2 nicht zuzurechnen ist.

aa) Die sich aus § 17 Abs. 2 FamFG ergebende Vermutung, dass es an einem Verschulden fehlt, sofern eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist, kommt vorliegend nicht zum Tragen. Denn eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen fehlender oder unzureichender Rechtsbehelfsbelehrung nach § 17 Abs. 2 FamFG setzt eine Kausalität zwischen dem Fehlen der Rechtsbehelfsbelehrung und der Fristversäumung voraus. Hieran fehlt es vorliegend.

Zwar fehlt es in dem angefochtenen Beschluss an einer Rechtsbehelfsbelehrung. Die Belehrung ist nämlich € wie sich aus § 39 FamFG ergibt € Bestandteil des Beschlusses. Dies bedeutet, dass sie von dem erkennenden Gericht zu unterschreiben ist (vgl. BAG NJW 1994, 3181, NJW 1980, 1871; Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 39 Rn 10). Dieses zwingende Erfordernis hat das Nachlassgericht nicht beachtet, in dem es lediglich gesondert verfügt hat, die zu übersendende Beschlussausfertigung sei mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen.

Gleichwohl führt nicht bereits dieses Versäumnis des Nachlassgerichts zu einer Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dies würde nämlich zusätzlich voraussetzen, dass eine Kausalität zwischen dem Fehlen der Rechtsbehelfsbelehrung in dem angefochtenen Beschluss und der Fristversäumung bestanden hat (vgl. BGH FamRZ 2010, 1425; Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 17 Rn 37). Hieran fehlt es jedoch dem eigenen Vortrag der Beschwerdeführerin zufolge. Denn diese war sich € wie sich aus der von ihr vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ergibt € darüber im Klaren, dass ein Rechtsmittel innerhalb von zwei Wochen eingelegt werden müsse.

bb) Unabhängig davon trifft die Beschwerdeführerin jedoch kein Verschulden an der Fristversäumung, da ihr das sich aus ihrem Vortrag ergebende Verschulden des den Erbscheinantrag beurkundenden Rechtsanwalts und Notars F aus O2 nicht zuzurechnen ist. Der von ihr rechtzeitig aufgesuchte Rechtsanwalt und Notar F hat es zwar schuldhaft versäumt, ein Rechtsmittel gegen den angefochtenen Beschluss einzulegen. Dieses Verschulden hat sich die Beschwerdeführerin allerdings nicht zurechnen zu lassen, da es an einem wirksamen Mandatsverhältnis fehlt.

aaa) Bei dem zwischen dem Rechtsanwalt und Notar F und der Beschwerdeführerin am 17. oder 18. September 2014 stattgefundenen Besprechungstermin hat erstgenannter unter Zugrundelegung des glaubhaft gemachten Vortrags der Beschwerdeführerin ein Mandat zur Einlegung eines Rechtsmittels übernommen. In dem Termin hat die Beteiligte Herrn F nämlich den Beschluss sowie die Zustellungsurkunde überreicht. Gleichzeitig hat sie ihn auf die Zweiwochenfrist für die Einlegung eines Rechtsmittels hingewiesen, wobei sie bereits im Rahmen eines Telefonats im Vorfeld des Termins mitgeteilt hatte, dass die Sache eile, weil ein Beschluss ergangen sei, gegen den innerhalb von zwei Wochen Beschwerde eingelegt werden solle. Die Übergabe der Unterlagen konnte dabei aus einem verobjektivierten Empfängerhorizont nur als Auftrag für die Einlegung eines Rechtsmittels verstanden werden. Dieses ihm angebotene Mandat hat Rechtsanwalt F angenommen, indem er der Beschwerdeführerin mitteilte, sie brauche sich nicht darum zu kümmern, er mache das. Der Umstand, dass keine schriftliche Vereinbarung getroffen wurde, steht dem nicht entgegen, da die Mandatierung eines Rechtsanwalts keine Schriftform verlangt (vgl. BGH NJW 1998, 3486; Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl., § 675 Rn 23).

bbb) Die Vorbefassung des Rechtsanwalts F in derselben Angelegenheit hat jedoch wegen des damit verbundenen Verstoßes gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO zu einer Unwirksamkeit der Mandatierung geführt, weswegen eine Zurechnung des fremden Verschuldens ausscheidet. Denn die Zurechnung des Verschuldens eines Anwalts setzt € worauf die Beschwerdeführerin im Grundsatz zu Recht hingewiesen hat - das Bestehen eines wirksamen Mandats im Innenverhältnis voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07, Juris). An der Wirksamkeit der Mandatierung fehlt es vorliegend aufgrund der Verletzung von § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO.

€) Ein Verstoß gegen § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO führt zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrages. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der erkennende Senat anschließt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2010 € IX ZR 48/10, Juris).

€) Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO liegen vor. Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO darf der Rechtsanwalt nämlich nicht in derselben Rechtssache tätig werden, in der er bereits zuvor unter anderem als Notar tätig geworden ist.

(1) Der Rechtsanwalt und Notar F wurde mit der Übernahme der Rechtsmitteleinlegung gegen den Beschluss des Nachlassgerichts als Rechtsanwalt tätig. Die Rechtsmitteleinlegung war nicht mehr von der Ausübung seiner Amtsgeschäfte als Notar umfasst. Die Zuordnung des Handelns eines Anwaltsnotars zur Anwaltstätigkeit oder zur notariellen Amtstätigkeit erfolgt zunächst anhand aller Umstände des Einzelfalls und sodann hilfsweise anhand der Zweifelsregel des § 24 Satz 2 BNotO (vgl. Hertel in Eylmann/Vaasen, BNotO, BNotG, 3. Aufl., § 24 BNotO Rn 63). Vorliegend ergibt sich bereits aus den Umständen des Einzelfalls eine Zuordnung zur Anwaltstätigkeit, so dass es auf die ebenfalls zu diesem Ergebnis gelangende Anwendung der Zweifelsregel des § 24 Satz 2 BNotO nicht mehr ankommt. Denn bei der Einlegung eines Rechtsmittels handelt es sich um die Vertretung und Wahrnehmung zweifelhafter und umstrittener Interessen, die regelmäßig nicht der vorsorgenden Rechtspflege zuzuordnen ist (vgl. Hertel in Eylmann/Vaasen, BNotO, BNotG, 3. Aufl., § 24 BNotO Rn 63). Zudem sah die im Rahmen der damaligen Beurkundung und damit im Rahmen der Rechtsvorsorge dem Notar F erteilte Vollmacht ohnehin nur die Antragsberichtigung und Antragsergänzung, nicht jedoch die Einlegung von Rechtsmitteln (gegen die Versagung des beantragten Erbscheins) vor.

Selbst wenn man hier eine andere Auffassung vertreten wollte, führte dies weiterhin zu keiner Zurechnung fremden Verschuldens. Denn im Rahmen der Ausübung seiner Amtsgeschäfte tritt der Notar nicht als Vertreter eines Beteiligten auf sondern aufgrund seiner eigenen Amtsstellung. Dies hat zur Folge, dass ein fehlerhaftes Handeln des Notars den Beteiligten nicht zuzurechnen ist (vgl. Jansen/Briesemeister, FGG, 3. Aufl., § 22 Rn 34; Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 17 Rn 30).

(2) Mit der Übernahme des Mandats zur Rechtsmitteleinlegung ist Rechtsanwalt F in derselben Rechtssache tätig geworden, mit der er bereits zuvor als Notar befasst gewesen ist. Denn Rechtsanwalt F hat im Januar 2013 den Erbscheinantrag der Beschwerdeführerin beurkundet. Bei der Beurkundung eines Erbscheinantrags und der späteren Beschwerde gegen den die Sicherstellung beantragten und erteilten Erbscheins sich richtenden Beschluss handelt es sich um dieselbe Rechtssache im Sinne von § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO.

Der Begriff "dieselbe Rechtssache" im Sinne des § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung wie in § 356 StGB zu verstehen und umfasst alle Rechtsangelegenheiten, in denen mehrere, zumindest möglicherweise, ein entgegengesetztes rechtliches Interesse verfolgende Beteiligte vorkommen können (vgl. BGH NJW-RR 2008, 795). Maßgebend ist dabei der sachlich-rechtliche Inhalt der anvertrauten Interessen, also das anvertraute materielle Rechtsverhältnis, das bei natürlicher Betrachtungsweise auf ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis zurückzuführen ist, wobei ein längerer Zeitablauf die Einheitlichkeit des Lebensverhältnisses nicht aufzuheben vermag (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07, Juris Rn 11). Entscheidend ist die Identität des Sachverhalts, auch wenn dieser in Verfahren verschiedener Art und Zielrichtung von Bedeutung ist, wobei selbst eine Teilidentität genügt (vgl. OLG Hamburg NJW-RR 2002, 63 zit. nach Juris Rn 44; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 356 Rn 12).

Nach diesen Grundsätzen beziehen sich die Beurkundung des Erbscheinantrags und die Beschwerde gegen die vorläufige Sicherstellung des aufgrund des beurkundeten Antrags erteilten Erbscheins auf dieselbe Rechtssache. Jeweils liegt derselbe Lebenssachverhalt zugrunde, nämlich der Tod der Erblasserin, aufgrund dessen die Beschwerdeführerin einen Nachweis ihrer Erbberechtigung benötigt. Dass sie in dem ersten Abschnitt den Nachweis zu erlangen sucht und im zweiten Fall sich gegen den (vorläufigen) Entzug des Nachweises zur Wehr setzen möchte, steht der Einordnung als derselben Rechtssache nicht entgegen, da auch eine Teilidentität des Sachverhalts ausreichend ist. Zugleich hindert der Umstand, dass es sich bei dem Erbscheinerteilungs- und dem (vorläufigen) Entzugsverfahren um jeweils Verfahren verschiedener Art handelt, das Vorliegen derselben Rechtssache nicht.

3. Da die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, erweist sich die Beschwerde zwar als zulässig. In der Sache ist dem Rechtsmittel der Erfolg jedoch zu versagen.

a) Die befristete Beschwerde ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft, da die von § 58 FamFG in § 57 FamFG normierte Ausnahme nicht einschlägig ist. Zudem ist das Rechtsmittel auch im Übrigen zulässig. Die Rechtsmittelschrift ist aufgrund der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung bei dem Nachlassgericht eingegangen, § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Ferner ist der Beschwerdewert von 600 € überschritten. Zudem fehlt dem Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar hat sie die bei ihr noch vorhandenen Ausfertigungen des erteilten Erbscheins an das Nachlassgericht zurückgesandt. Hierdurch ist aber schon deshalb keine Einziehung des Erbscheins bewirkt, weil nicht alle Ausfertigungen wieder zur Akte gelangt sind. Darüber hinaus bildet der angefochtene Beschluss nicht nur die Grundlage für eine Durchsetzung der Rückgabe der Erbscheinausfertigungen sondern stellt auch sicher, dass einem etwaigen Herausgabeverlangen des Rückgabepflichtigen nicht nachgekommen werden muss. Die Beschwerdeführerin hat ein rechtliches Interesse daran, die Grundlage für das Behaltendürfen des Nachlassgerichts zu beseitigen.

b) Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Im Ergebnis hat das Nachlassgericht zu Recht im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die Rückgabe des erteilten Erbscheins angeordnet.

aa) Bei der im angefochtenen Beschluss enthaltenen Maßnahme handelt es sich um eine im einstweiligen Anordnungsverfahren zulässige Maßnahme. Trotz des missverständlichen Wortlauts der Entscheidung beinhaltet diese eine Sicherstellung und noch nicht die Einziehung des erteilten Erbscheins. Denn in der Entscheidung ist klargestellt, dass sie im Wege einer einstweiligen Anordnung ergangen ist. Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung sind jedoch regelmäßig nur vorläufige Maßnahmen zulässig. Dies hat im Fall der hier vom Nachlassgericht erwogenen Einziehung des erteilten Erbscheins zur Folge, dass als vorläufige Maßnahme nur die Sicherstellung durch die Anordnung einer einstweiligen Rückgabe des Erbscheins zu den Nachlassakten in Betracht kommt (vgl. Keidel/Zimmermann, FamFG, 18. Aufl., § 353 Rn 4). Eine verständige Auslegung der Entscheidung gelangt dabei zu dem Schluss, dass das Nachlassgericht seine insoweit im einstweiligen Verfügungsverfahren eingeschränkten Entscheidungskompetenzen nicht überschreiten wollte.

bb) Die in § 49 FamFG normierten Voraussetzungen für den Erlass einer Anordnung liegen vor. Der Erlass, für den hier der Rechtspfleger zuständig war, ist nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt und es besteht zudem ein dringendes Bedürfnis für das sofortige Tätigwerden des Gerichts.

aaa) Zuständig für den Erlass der einstweiligen Anordnung ist vorliegend der Rechtspfleger.

Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG ist die Einziehung eines Erbscheins wegen einer Verfügung von Todes wegen grundsätzlich dem Richter vorbehalten. Jedoch hat der Hessische Verordnungsgeber von der Möglichkeit des § 19 Abs. 1 RPflG Gebrauch gemacht und durch Rechtsverordnung diesen Richtervorbehalt aufgehoben. Der Verordnungsgeber hat zwar entsprechend der Regelung des § 19 Abs. 2 RPflG vorgesehen, dass das Verfahren der Richterin oder dem Richter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen ist, soweit gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 2 JuZUV). Diese Rückausnahme ist vorliegend jedoch nicht einschlägig.

Dabei ergibt sich nicht zuletzt aus der über einen entsprechenden Verweis auf § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und sodann auf § 16 Abs. 1 Nr. 7 RPflG erfolgten Erwähnung der Testamentseinziehung als Verfahren von Amts wegen, dass die Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus, der Einwände gegen die €beantragte Entscheidung€ verlangt, auch in Nichtantragsverfahren wie der Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder der Einziehung eines Erbscheins zur Anwendung gelangt. Entsprechend ist ebenfalls in Verfahren von Amts wegen für den Fall der Erhebung von Einwänden an eine Vorlagepflicht an den Richter zu denken. Jedoch setzt dies ein streitiges Verfahren voraus, welches hier nicht gegeben ist. Aus der Gesetzesbegründung zu § 19 RPflG ergibt sich nämlich, dass der Rechtspfleger in nichtstreitigen Fällen entscheiden soll, streitige Entscheidungen hingegen dem Richter vorbehalten bleiben sollen (vgl. BT-Drucks 15/1508, S. 33 und 45). Ein Fall ist streitig, wenn zwischen widerstreitenden, im Verfahren klar zum Ausdruck gebrachten Positionen verschiedener Beteiligter zu entscheiden ist, wobei es weder auf einen förmlichen Antrag noch auf die förmliche Beteiligtenrolle der Vertreter der widerstreitenden Interessen ankommt. Maßgeblich sind allein die im Verfahren zum Ausdruck gebrachten unterschiedlichen Rechtspositionen. Demgegenüber genügt es nicht, dass der Rechtspfleger in einem Verfahren von Amts wegen die Position eines Beteiligten nicht teilt, sondern entgegen dessen Rechtsauffassung entscheiden möchte. Dort ist die Situation vergleichbar mit der Zurückweisung eines Antrags durch das Nachlassgericht. Für die Zurückweisung ist jedoch ebenso wie für die antragsgemäße Entscheidung der Rechtspfleger zuständig ist, sofern von dritter Seite keine Einwendungen erhoben werden. Andernfalls wäre die Zuständigkeit des Rechtspflegers von dem beabsichtigten Entscheidungsinhalt abhängig, was trotz der teilweise missverständlichen Gesetzesbegründung (vgl. etwa BT-Drucks 15/1508, S. 45), die von der Vorstellung einer antragsgemäßen Entscheidung geprägt zu sein scheint, nicht nachvollziehbar wäre.

Vorliegend hat das Nachlassgericht lediglich seiner eigenen Auffassung folgend gegen den Willen der im Erbschein als Erbin ausgewiesenen Beteiligten den Erbschein eingezogen. Es hat damit nicht dem erklärten Willen eines weiteren Beteiligten entsprochen. Entsprechend handelt es sich um keine im Sinne der Gesetzesbegründung zu § 19 Abs. 2 RPflG €streitige€ Entscheidung, bei der sich verschiedene Beteiligte mit einander widerstreitenden Interessen gegenüberstehen, weswegen der Richtervorbehalt nicht greift und die Entscheidung durch den Rechtspfleger zu treffen gewesen ist.

bbb) Auf der Grundlage der gebotenen summarischen Prüfung ist der erteilte Erbschein von Amts wegen gemäß § 2361 Abs. 1 BGB einzuziehen. Eine Einziehung hat von Amts wegen zu erfolgen, wenn der erteilte Erbschein sich als unrichtig erweist. Vor dem Hintergrund der kurzfristig ermittelbaren Tatsachengrundlage ist der erteilte Alleinerbschein zugunsten der Beschwerdeführerin unrichtig.

Der Erbschein ist aufgrund der letztwilligen Verfügung der Erblasserin vom 7. Dezember 1995 erteilt worden. Dieser Verfügung steht jedoch der Wortlaut des wirksamen und vom Nachlassgericht eröffneten späteren gemeinschaftlichen Testaments der Erblasserin und ihres Ehemanns vom 27. März 2003 entgegen. Denn zumindest dem Wortlaut zufolge haben die Eheleute in diesem notariellen Testament eventuell (früher) getroffene letztwillige Verfügungen widerrufen. Da dieses spätere Testament keine Erbeinsetzung nach dem Längstlebenden vorsieht, hätte dies die gesetzliche Erbfolge nach der Erblasserin zur Folge, weswegen der erteilte Alleinerbschein unrichtig wäre.

Gegen das vorgenannte Wortlautverständnis spricht nicht, dass es erst im Anschluss an den maßgeblichen Passus heißt, die Eheleute erklärten mündlich ihren Letzten Willen. Denn die Aufnahme des Widerrufs in dieselbe notarielle Urkunde lässt nur den Schluss zu, dass dieser Widerruf ebenfalls von dem erklärten letzten Willen der Eheleute umfasst ist.

Dabei ist der Beschwerdeführerin zwar zuzugeben, dass eine Auslegung denkbar ist, wonach die Eheleute nur letztwillige Verfügungen insoweit widerrufen wollten, soweit sie mit dem neu gefassten Testament in Widerspruch standen, was mit Blick auf die Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten in der letztwilligen Verfügung vom 7. Dezember 1995 nicht der Fall wäre. Auch eine Teilanfechtung der letztwilligen Verfügung ist nicht von vorneherein von der Hand zu weisen. Dies setzt jedoch jeweils umfangreiche weitere Ermittlungen von Amts wegen voraus. Insbesondere sind in das Verfahren die gesetzlichen Erben der Erblasserin einzubinden und deren etwaige Stellungnahmen zu berücksichtigen, wobei € wie dargelegt € deren etwaige Befürwortung der Einziehung eine Übertragung des Rechtsstreits auf den Richter nach sich ziehen würde. Darüber hinaus sind die von der Beschwerdeführerin benannten Zeugen förmlich zu den außerhalb der Urkunde liegenden Umständen zu vernehmen. Dies liegt außerhalb der gebotenen summarischen Prüfung und ist dem Hauptverfahren vorbehalten. Entsprechend ist der summarischen Prüfung allein der Wortlaut der letztwilligen Verfügungen zugrunde zu legen. Allein auf Grundlage des Wortlauts erweist sich der erteilte Erbschein jedoch als unrichtig und ist daher (vorläufig) sicherzustellen.

ccc) Zudem besteht ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden. Dies ist der Fall, wenn ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht möglich ist, weil diese zu spät kommen würde, um die zu schützenden Interessen zu wahren (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2010, 1742; Keidel/Sternal, FamFG, 18. Aufl., § 49 Rn 13). Zu schützende Interessen sind diejenigen der gesetzlichen Erben der Erblasserin. Deren Rechte sind gefährdet, da die Beschwerdeführerin die Umschreibung des umfangreichen Grundbesitzes der Erblasserin im Grundbuch betreibt (vgl. Bl. 172 und 124 d. A.) und hiernach der gutgläubige Erwerb der Immobilien durch einen Dritten zumindest möglich wird. Dabei entfällt das Bedürfnis zum sofortigen Tätigwerden auch nicht deshalb, weil die Beschwerdeführerin erklärt hat, ihr sei bekannt, dass sie aufgrund des Beschluss nicht mehr berechtigt sei, die Ausfertigungen des Erbscheins zu nutzen (Bl. 269 d. A.). Hiermit dokumentiert sie nämlich gerade, dass sie nur im Fall der Aufrechterhaltung der Entscheidung von einer Nutzung der erteilten Erbscheine abzusehen gedenkt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG sowie auf Nr. 12220 des KV GNotKG. Dabei entspricht es der üblichen gesetzgeberischen Wertung, dem unterlegenen Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Wertfestsetzung ergibt sich aus §§ 61, 40 GNotKG. Sie richtet sich gemäß § 61 Abs. 1 GNotKG nach dem Wert der Interessen, denen das Rechtsmittel ausweislich des Antrags des Beschwerdeführers dient. Ziel des Antrags der Beteiligten ist die Verhinderung der Sicherstellung des ihr erteilten Alleinerbscheins. Der Wert des Antrags auf Einziehung eines Alleinerbscheins folgt ebenso wie dessen Erteilung gemäß § 40 GNotKG dem Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls ohne Berücksichtigung der Erbfallschulden. Den Wert des Nachlasses bemisst der Senat auf der Grundlage der Angaben der Beteiligten auf etwa 2,27 Mio. € (Bl. 90 ff. d. A.). Der Wert der Hauptsache ist gemäß § 62 GNotKG unter Berücksichtigung der geringeren Bedeutung gegenüber der Hauptsache zu ermäßigen. Vorliegend hält der Senat unter Berücksichtigung der in § 62 Satz 2 GNotKG vorgesehenen Regelermäßigung von 50 % (vgl. dazu Korintenberg/Fackelmann, GNotKG, 19. Aufl., § 12 ff.) aufgrund der geringen Bedeutung der einstweiligen Anordnung gegenüber der Hauptsache eine Ermäßigung auf 10 % des Wertes der Hauptsache für sachgerecht. Daraus ergibt sich der im Tenor festgesetzte Beschwerdewert.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Die Entscheidung ist folglich rechtskräftig.






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 30.07.2015
Az: 21 W 99/15


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/451f048f6c63/OLG-Frankfurt-am-Main_Beschluss_vom_30-Juli-2015_Az_21-W-99-15




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share