Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 13. Februar 2009
Aktenzeichen: 1 AGH 102/08

(AGH des Landes Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 13.02.2009, Az.: 1 AGH 102/08)

Tenor

1. Der Antrag wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin trägt der Antragsteller.

3. Der Gegenstandswert wird auf 50.000,-- € festgesetzt.

Gründe

I.

1. Der am 06.06.1944 geborene Antragsteller wurde im Jahre 1972 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und im Jahre 1982 zum Notar im Oberlandesgerichtsbezirk Hamm mit Sitz in X bestellt. Seit 1983 ist er mit Rügen, auch im Zusammenhang mit vermögensmäßigen Unregelmäßigkeiten, in seiner Personalakte vertreten; seit 1988 gibt es Disziplinarverfügungen gegen ihn als Notar. Darüber hinaus lassen sich aus seinen Personalakten für die damaligen Zeiträume einige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn entnehmen.

2. Mit am 14.03.1998 rechtskräftig gewordenem Urteil des Landgerichts Bochum ist der Antragsteller wegen gemeinschaftlich mit einem Dritten begangenen Betruges in fünf Fällen zu Einzelfreiheitsstrafen von je 3 Jahren, die zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren zusammen gefasst wurden, verurteilt worden. Ausweislich der Feststellungen im Urteil des Landgerichts hatte der Antragsteller gemeinsam mit einem Dritten den Tatplan gefasst, Gelder von Versicherungen, die diese zum Ankauf von Immobilien bzw. zwecks Umschuldung herauslegten, für eigene Zwecke zu verwenden. Dabei sicherte der Antragsteller als Notar wahrheitswidrig das Vorhandensein von Eigenkapital zu und verstieß gegen eine Reihe von Treuhandauflagen. Insgesamt wurde Vermögen in der Größenordnung von knapp 45 Mio. DM gefährdet. Inwieweit die Gläubiger aus den zum Teil überschuldeten Immobilien noch Befriedigung ziehen konnten, ist nicht bekannt.

3. Im September 1997 wurde gegen den Antragsteller ein Widerrufsverfahren wegen Vermögensverfall eingeleitet. Der Senat bestätigte mit Beschluss vom 09.01.1998

- 1 ZU 40/97 - die Widerrufsverfügung der Antragsgegnerin. Die eingelegte sofortige Beschwerde erledigte sich dadurch, dass der Antragsteller nach Rechtskraft des Strafurteils am 09.11.1998 auf seine Rechte aus der Zulassung verzichtete.

4. Der Antragsteller wurde im Jahre 2002 nach Verbüßung von 2/3 der Freiheitsstrafe aus dem Strafvollzug entlassen. Die Strafe wurde bis zum 22.09.2005 zur Bewährung ausgesetzt. Nach Ablauf dieser Frist wurde sie erlassen.

Ein privates Insolvenzverfahren, dass der Antragsteller einleitete, endete im Jahre 2008 mit der Restschuldbefreiung.

5. Am 01.09.2008 hat der Antragsteller die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt. Er trägt vor, seine Vermögensverhältnisse seien wieder geordnet. Er gehe seit dem 01.09.2008 einer bis April 2009 befristeten geringfügigen Beschäftigung nach. Sein Arbeitgeber habe im Hinblick auf den Antrag auf die beantragte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sein unwiderrufliches Einverständnis mit dieser Tätigkeit erklärt und dem Vorrang der anwaltichen Tätigkeit auch während der Dienststunden zugestimmt. Aus den Akten ist des Weiteren bekannt, dass er als freier Mitarbeiter seit dem Jahre 2000 (zunächst als Freigänger) der Rechtsanwälte X2 in X3 arbeitet.

6. Mit Bescheid vom 21.10.2008, zugestellt am 23.10., lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Unter Abwägung aller Umstände kam sie zu dem Ergebnis, der Antragsteller sei noch unwürdig. Seine Taten wögen schwer. Der längere Zeitraum des Wohlverhaltens nach Ablauf der strafrechtlichen Bewährungszeit sei noch nicht gegeben. Bis zur Antragstellung seien erst drei Jahre und ein Monat vergangen. Dies reiche angesichts der Schwere der Tat nicht aus.

Hiergegen richtet sich der am 20.11.2008 eingegangene Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

II.

Der zulässige, insbesondere fristgerechte Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Antragsgegnerin hat die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu Recht versagt.

1. Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Der Unwürdigkeitsvorwurf muss sich in der Abwägung mit dem Grundrecht aus Artikel 12 Abs. 1 GG durchsetzen. Bei dieser Abwägung sind alle erheblichen Umstände wie die Schwere der Tat, der Zeitablauf, die zwischenzeitliche Führung, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Rechtsanwaltschaft und die berufliche und soziale Wiedereingliederung zu berücksichtigen. Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht abzustellen (vgl. BGH BRAK-Mitt 1999, 191; 2000, 306; Beschluss vom 28.06.2004 - AnwZ (B) 81/02; Beschluss vom 03.11.2008 - AnwZ (B) 1/08).

2. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist zunächst die Schwere der Tat zu würdigen. Die Tat ist in erster Linie unter Ausnutzung der Notarstellung begangen worden und richtete sich gegen die Vermögensinteressen Dritter, zu denen ein Treuhandverhältnis bestand. Es handelt sich beim Notarberuf um einen justiznahen Beruf. Straftaten, die in Ausübung eines Rechtspflegeberufes erfolgen, wiegen bei der Abwägung sehr viel schwerer als Straftaten, die jedermann begehen kann. Sie werden unter Ausnutzung der besonderen Rechte, die der Täter als Organ der Rechtspflege hat, begangen. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass der Antragsteller sein Rechtsanwaltsanderkonto eingesetzt hat, um diese Taten begehen zu können. Wie er in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, wie sich im übrigen auch aus den beigezogenen Personalakten ergibt, befürchtete er die Aufdeckung seines Vorgehens durch die Notarprüfung. Damit hat der Antragsteller schon weit im Vorfeld der Tat geplant, jedenfalls gegen die Regeln der Treuhand zu verstoßen. Auch die Höhe des Schadens, der sicher im siebenstelligen Bereich liegt, möglicherweise auch deutlich darüber hinaus geht, ist in die Abwägung einzustellen.

Der Bundesgerichtshof hat bei besonders schweren Straftaten - und als solche sieht er schwere Fälle des Betruges an - einen zeitlichen Abstand von 15 bis 20 Jahren zwischen der Straftat und der erneuten Zulassung als erforderlich angesehen (BGH BRAK Mitt 2000, 145, 146). Er betont aber gleichzeitig, dass eine schematische Entscheidung nicht angebracht ist. Vielmehr ist jeder Fall ein Einzelfall, der unter Berücksichtigung aller Umstände zu entscheiden ist (zuletzt BGH, Beschluss vom 03.11.2008 AnwZ (B) 1/08). Mit fünf Einsatzstrafen von je drei Jahren und einer Gesamtstrafe von 5 Jahren handelt es sich bei den vom Antragsteller begangenen Straftaten um sehr schwerwiegende Straftaten.

Letztlich wiegt das durch die Taten begangene Unrecht so schwer, dass die den Antragsteller entlastenden Umstände nicht durchgreifen können.

Der Senat sieht, dass die Straftaten fast 13 Jahre zurück liegen. Ausweislich der Feststellungen im Urteil des Landgerichts Bochum liegt der Beginn und der Schwerpunkt der strafrechtlichen Tätigkeit des Antragstellers im Jahre 1995. Im Jahre 1996 sind lediglich noch restliche Tathandlungen in einem Fall erfolgt.

Positiv zu Gunsten des Antragstellers ist zu berücksichtigen, dass er - wenn auch unter dem Druck der Ereignisse - sich gegenüber jedenfalls einem der Geschädigten selbst offenbart hat. Im Strafverfahren war er geständig. In der Folgezeit ist er nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im Gegenteil, die Tatsache, dass er als Freigänger schon nach Verbüßung von 6 Monaten seiner Haftzeit einer Tätigkeit nachgehen konnte, zeigt schon früh ein Verhalten der Resozialisierung.

Die Antragsgegnerin hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass das lange Zurückliegen der Tathandlung allein nicht aussagekräftig ist. Vielmehr kommt es auch darauf an, ob nach Ablauf der strafrechtlichen Bewährungszeit, die einen Wohlverhaltensdruck ausübt, ein längerer freiwilliger Zeitraum verstrichen ist. Allerdings zeigt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch, dass hieran keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen, insbesondere nicht schematisch zu verfahren ist (so auch Hessischer AGH, Beschluss vom 05.11.2007 - 2 AGH 9/07 - BRAK Mitt 2008, 140 nur Leitsätze). In der Entscheidung des BGH vom 28.06.2004 ist der "Bewährungsdruck" erst ein gutes halbes Jahr vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs entfallen (AnwZ (B) 81/02). Besonders deutlich wird dies auch in der Entscheidung des BGH in NJW 1988, 1793. Dort war der Antragsteller wegen terroristischer Straftaten zu insgesamt 14 Jahren Haft verurteilt worden. Im Zeitpunkt der Wiederzulassung lagen diese Taten etwa

17 Jahre zurück; allerdings lagen zwischen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, der den dortigen Antragsteller zur Rechtsanwaltschaft zuließ, und dem Erlass des Strafrests lediglich ein Zeitraum von 3 Jahren und 3 Monaten.

Auch der Umstand, dass die Strafe nicht für alle Ewigkeit brandmarken soll, lässt die Unwürdigkeit zur Zeit noch nicht entfallen. Ziel der Strafe ist zwar neben der Abschreckung auch die Wiedereingliederung des Täters. Beim Antragsteller zeigt sich das Bemühen, wieder in die Gesellschaft integriert zu werden. Er ist schon seit geraumer Zeit in einem Anwaltsbüro tätig, wo er schwierige insolvenzrechtliche Fälle begleitet. Wie den Ausführungen des Antragstellers in diesem Zusammenhang zu entnehmen ist, ist er schon wieder in das normale Leben eingegliedert. Seine Bevollmächtigten haben ausgeführt, er sei wie ein Anwalt tätig. Es fehle ihm lediglich noch die formale Zulassung, weshalb er vor Gerichten in Begleitung eines jüngeren Kollegen auftrete, gleichwohl selbständig arbeite (Blatt 9 des Schriftsatzes vom 03.02.2009). Durch die jetzt versagte Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wird die Wiedereingliederung also nicht gefährdet.

Letztlich vermag auch das fortgeschrittene Lebensalter des Antragstellers die Waagschale nicht zu seinen Gunsten zu senken. Er ist bereits 64 Jahre alt. Er wird voraussichtlich nicht mehr eine sehr lange Zeitspanne als "Rechtsanwalt" tätig sein können. Wie jedoch oben ausgeführt, hängt davon nicht seine Wiedereingliederung ab.

Möglicherweise hätte für den Antragsteller gesprochen, wenn er von sich aus eine überzeugende Maßnahme ergriffen hätte, um den Schaden wieder gut zu machen. Die Insolvenzmasse bestand im Wesentlichen aus einem gepfändeten Kontoguthaben in Höhe von 20.000 €. Die Vergütung, die er für seine Tätigkeit im Anwaltsbüro erhielt, betrug 2.000 € monatlich. Dies war zunächst, also im Jahre 2000, nicht zu beanstanden gewesen. Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es mit dieser Vergangenheit sehr schwer war, überhaupt nur eine Anstellung zu erhalten. Wie jedoch den weiteren Ausführungen des Antragstellers zu entnehmen ist, hat er sich für die Kanzlei, für die er tätig ist, als sehr wertvoller Mitarbeiter herausgestellt (z. B. Hinzuziehung zu einem der größten Planverfahren in der Bundesrepublik). Daher hätte die Vergütung in der Folgezeit durchaus ansteigen können. Gleichwohl war sie bis zum Jahre 2008 bei 2.000 € eingefroren. Dieser Betrag stand ihm zur persönlichen Verfügung. Sein Arbeitgeber, der gleichzeitig der Insolvenzverwalter war, hatte einen Beschluss der Gläubiger herbeigeführt, der dies gestattete. Unter Berücksichtigung der Steuern und Sozialabgaben lag der Betrag im Zweifel im Bereich der Pfändungsfreigrenzen. Nach dem Tag der Restschuldbefreiung verdoppelte sich das Gehalt des Antragstellers. Auf diese Weise hat er mit Ausnahme des Betrages, der ihm im Wege der Zwangsvollstrseckung entwunden werden konnte, keinen Beitrag zur Wiedergutmachung des immensen Schadens geleistet.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist der Senat der Auffassung, dass jedenfalls im jetzigen Zeitpunkt die Unwürdigkeit des Antragstellers noch fortbesteht. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 03.11.2008 (AnwZ (B) 1/08). In jenem Verfahren hatte der Antragsteller, der im Tatzeitpunkt kein Jurist war, mehrere Vermögensstraftaten begangen. Der Antragsteller war unter anderem wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt worden, wobei zu Beginn der strafrechtlichen Tätigkeit zwei Verurteilungen zu Tagessätzen standen, denen eine Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen drei Betrugsfällen folgte. Diese Strafe wurde wegen zahlreicher Urkundsdelikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten "aufgestockt". Wegen Steuerdelikten kam eine weitere Freiheitsstrafe von zwölf Monaten hinzu, die unter Berücksichtigung der bereits vorliegenden Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten führte (Einzelheiten im Beschluss der Vorinstanz Hessischer AGH, Beschluss vom 05.11.2007 - 2 AGH 9/07). Der Antragsteller in jenem Verfahren hatte nach Verbüßen der Straftaten mit einem Jurastudium begonnen, dieses erfolgreich mit dem Referendarexamen, später mit dem Assessorexamen abgeschlossen. Im Zeitpunkt der Entscheidung durch den AGH über seinen Antrag lagen die Straftaten zwölf Jahre zurück. Der Bundesgerichtshof hat - nachdem er im 13. Jahr mit dem Fall befasst war - zwar die Auffassung vertreten, jener Antragsteller sei im Zeitpunkt der Entscheidung durch den BGH nicht mehr unwürdig. Er hat jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, der Versagungsgrund sei erst nach der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs entfallen. Ein maßgebliches Argument in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs war der Umstand, dass jener Antragsteller seine Taten nicht als Rechtsanwalt begangen habe. Es lägen gerade keine unmittelbar berufsbezogenen Straftaten vor.

Von diesem Fall setzt sich der Antragsteller deutlich ab. Zum einen hat er insgesamt fünf schwere Straftaten begangen, die jeweils mit einem Einsatzstrafmaß von drei Jahren geahndet wurden. Zum anderen wurden die Taten in Ausübung eines justiznahen Berufes begangen. Der Antragsteller, der zur Betreuung fremder Vermögensinteressen berufen war und entsprechendes berufliches Vertrauen in Anspruch genommen hat, hat dieses Vertrauen aufs Schwerste verletzt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 200, 201 BRAO; die Entscheidung über die Tragung der Auslagen aus § 40 Abs. 4 BRAO i. V. m. § 13 a FGG. Der Gegenstandswert ist in ständiger Rechtsprechung des Senats in Zulassungsverfahren auf 50.000,00 € festzusetzen.






AGH des Landes Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 13.02.2009
Az: 1 AGH 102/08


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