Oberlandesgericht Stuttgart:
Urteil vom 28. Oktober 2004
Aktenzeichen: 7 U 109/04

(OLG Stuttgart: Urteil v. 28.10.2004, Az.: 7 U 109/04)

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 23.02.2004 - 22 O 562/02 - wird

zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Streitwert der Berufung: bis zu EUR 220.000,--

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Leistungen aus der Berufshaftpflichtversicherung als Rechtsanwalt, nachdem gegen ihn ein rechtskräftiger Vollstreckungsbescheid auf Schadensersatz in Höhe von EUR 200.000,- vorliegt.

Er trägt vor, er sei zur Annahme eines Kaufangebots über einen Vollstreckungstitel beauftragt worden und habe die Annahmefrist versäumt.

Auf die weiteren Feststelllungen des Landgerichts wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger die Obliegenheit zur Einlegung des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid verletzt habe und die Beklagte deshalb leistungsfrei sei.

Der Kläger verfolgt mit der Berufung das ursprüngliche Klageziel weiter. Er stützt die Berufung zum einen darauf, dass seine prozessuale Wahrheitspflicht der Verpflichtung zur Widerspruchseinlegung entgegen stehe. Zum anderen beruft er sich darauf, dass durch die Nichteinlegung des Widerspruchs die Rechtsstellung der Beklagten wegen der Möglichkeit zur Einlegung des Einspruchs gegen den Vollstreckungsbescheid nicht schlechter geworden sei, es deshalb an der Kausalität der Obliegenheitsverletzung fehle.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 23.02.2004 - 22 O 562/02 - im Kostenpunkt aufzuheben und im Übrigen wie folgt abzuändern:

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von einer Inanspruchnahme durch Herrn L. B. (oder durch einen etwaigen Rechtsnachfolger) aus dem von diesem erwirkten Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart vom 15.10.02 - 02-0314671-0-6 - bis auf einen Betrag in Höhe des vertraglichen Selbstbehalts und Zug um Zug gegen Abtretung des klägerischen Anspruchs auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des protokollierten Vergleichs vom 16.10.98 des Landgerichts Mannheim - 8-0-302/98- freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Landgerichts. Sie ist im Übrigen der Meinung, sie sei auch aus weiteren Obliegenheitsverletzungen des Klägers leistungsfrei.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat aufgrund der - nicht angegriffenen - Feststellungen zu Recht eine Leistungspflicht der Beklagten abgelehnt.

1. Die angebliche Pflichtverletzung des Klägers erfolgte nicht in Ausübung der gem. § 1 Abs.1 AVB-A versicherten beruflichen Tätigkeit.

a) Nach Vortrag des Klägers war er vom Zeugen B. beauftragt, das telefonische Angebot eines anonymen Kaufinteressenten zu prüfen und nach Abklärung der Zahlungs- und Übergabemodalitäten ggf. anzunehmen (Bl. 74 d.A.). Darüber hinaus sei es dem Zeugen B. auch um die rechtliche Ausgestaltung des Kaufvertrags gegangen, insbesondere um den Ausschluss der Gewährleistung für die Realisierbarkeit des verkauften Titels. Letztlich sollte die Zahlung Zug um Zug gegen Übergabe des Titels vom Kläger treuhänderisch abgewickelt werden, zumal dem Zeugen B. die Identität des Käufers nicht bekannt werden sollte (Bl. 140 d.A.).

Gemäß Ersatzversicherungsschein vom 17.07.2000 (Bl. 52 d.A.) ist als berufliche Tätigkeit des Klägers die Rechtsanwaltstätigkeit versichert. Die versicherungs-vertragliche Deckung betrifft somit die sich aus der anwaltlichen Tätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren.

Der angebliche Schaden des Zeugen B. wurde - bereits unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers - nicht in Ausübung der versicherten Rechtsanwaltstätigkeit verursacht.

Zur anwaltlichen Berufstätigkeit gehört in erster Linie die Rechtsberatung und Rechtsbesorgung, vgl. § 3 BRAO. Zwar kann auch die Wahrnehmung anderer Tätigkeiten, insbesondere die eines Treuhänders mit einer rechtsberatenden Tätigkeit verbunden sein (BGH NJW 1993, 199). Ein Anhaltspunkt zur Abgrenzung anwaltlicher Tätigkeit ergibt sich jedoch daraus, dass Tätigkeiten, die regelmäßig oder doch in erheblichem Umfang auch von anderen als Rechtsanwälten ausgeübt werden, in der Regel nicht als anwaltliche Tätigkeit anzusehen sind (BGHZ 46, 268).

Die Annahme von Kaufangeboten entspricht nicht dem Berufsbild des Rechtsanwalts. Es handelt sich um eine betriebsfremde Tätigkeit. Sie fällt nur unter den Versicherungsschutz der Berufshaftpflichtversicherung, wenn der Anwalt neben der wirtschaftlichen Tätigkeit auch die ihm als Anwalt obliegende rechtsberatende Funktion wahrnimmt.

Dies kann gerechtfertigt sein, wenn die anwaltliche Beratung gegenüber der eigentlich berufsfremden Tätigkeit den Schwerpunkt des Mandats bildet, sozusagen im Vordergrund steht (BGHZ 46, 268; BGH WM 94, 504). Dies ist nach eigenem Vortrag des Klägers nicht der Fall.

Bei der Annahme des lediglich telefonisch erklärten Kaufangebots über einen Vollstreckungstitel standen Fragen des Treuhandverhältnisses nicht im Vordergrund. Im Übrigen lag der Schwerpunkt in einer rein wirtschaftlichen Tätigkeit des Klägers, der seine Haftung gerade nicht auf falschen Rechtsrat stützt. Es standen keine rechtlichen Fragen zur Beurteilung an (vgl. OLG Düsseldorf RuS 1998, 496; OLG Düsseldorf NJW-RR 2004, 756; BGH NJW 1980, 1855; NJW 1994, 1405, KG NJW-RR 2003, 780).

Letztlich spricht auch gegen die Annahme eines Anwaltsvertrags mit der Verpflichtung des Klägers, dem Zeugen B. rechtlichen Beistand zu leisten, dass der Kläger die Angelegenheit nicht dokumentiert und auch keine Honorarrechnung gestellt hat, obwohl er - nach eigenen Angaben - schon wiederholt Kaufangebote für den Zeugen B. angenommen hat. Hierbei ist auch das freundschaftliche Verhältnis des Klägers zum Klägervertreter und demjenigen des Klägervertreters zu dem Zeugen B. zu berücksichtigen (vgl. auch OLG Koblenz NJW-RR 2003, 272).

b) Der versicherungsrechtlichen Einwendung der Pflichtverletzung außerhalb der versicherten Tätigkeit als Rechtsanwalt steht die Bindungswirkung des rechtskräftigen Vollstreckungsbescheides vom 15.10.2002 (K 18, Bl. 19 d.A.) nicht entgegen.

Zwar ist grundsätzlich die Frage, ob der Versicherungsnehmer dem Dritten gegenüber haftet, im Haftpflichtprozess zu entscheiden (Trennungsprinzip) und ist die rechtskräftige Entscheidung des Haftpflichtprozesses für den Deckungsprozess bindend (Bindungswirkung).

Dies gilt auch für den Vollstreckungsbescheid (OLG Hamm, Anwaltblatt 86, 347; Prölss/Martin VVG § 149 Rdnr. 29; Späte AHB, § 3 Rdnr. 44). Dies gilt aber nur, soweit der Vollstreckungsbescheid im Mahnantrag konkretisiert ist. Hier enthält der Mahn-bescheidsantrag nur ein Hinweis auf Schadensersatz aus Unfall/Vorfall gem. Schadensersatz vom 01.02.02. Somit ist der geltend gemachte Ersatzanspruch nur der Höhe nach mit EUR 200.000.,-- festgestellt. Die wesentliche Tatfrage, ob eine Verletzung anwaltlicher Verpflichtungen zugrunde liegt, ist offengeblieben. Sie ist deshalb im Deckungsprozess zu entscheiden.

2. Die Beklagte ist ferner leistungsfrei, weil der Kläger die Widerspruchs-Obliegenheit gem. § 5 II. AVB-A verletzt hat.

a) Der Einwand des Klägers in der Berufung, die Widerspruchsobliegenheit stehe im Widerspruch zur Schadensminderungs-Obliegenheit nach § 5 III. 1. AVB-A, geht fehl.

Zwar hat die Beklagte als Versicherer die Kosten des Haftpflichtprozesses gegen den Kläger gemäß § 1 II. 8. AVB-A voll zu tragen. Andererseits hat der Versicherer jedoch dem Versicherungsnehmer gegenüber begründeten und unbegründeten Ansprüchen Rechtsschutz zu gewähren. Dieser Rechtsschutz erfüllt zugleich die Funktion der Schadensminderung und -feststellung (vgl. Prölss/Martin,VVG, 27.Aufl., §149, Rdnr. 4 ).

Der Rechtsschutzanspruch des Versicherungsnehmers entsteht mit der Erhebung von Ansprüchen durch Dritte, § 1, 5 I. AVB-A. Die Haftpflichtversicherung gibt dem Versicherungsnehmer Anspruch auf Befreiung von berechtigten Schadensersatzansprüchen des Dritten (Befreiungsanspruch) und auf Gewährung von Rechtsschutz gegenüber den Ansprüchen des Dritten, mögen sie berechtigt oder unberechtigt sein (Rechtsschutzanspruch). Gegenüber dem Rechtsschutzanspruch kann also der Haftpflichtversicherer nicht mit Erfolg einwenden, der Haftpflichtanspruch des Dritten sei unbegründet. Es entspricht deshalb dem Interesse des Versicherers, durch die Einlegung des Widerspruches Einfluss auf den streitigen Haftpflichtprozess nehmen zu können.

Die Obliegenheit des Versicherungsnehmers zur Einlegung des Widerspruches ist somit nicht nur nach dem klaren Wortlaut der Versicherungsbedingungen, sondern auch nach deren Sinn und Zweck vorrangig zu der weiteren Obliegenheit zur Schadensminderung.

b) Auch soweit der Kläger einwendet, die Beklagte hätte bei rechtzeitiger Reaktion noch die Einlegung des Einspruchs gegen den Vollstreckungsbescheid veranlassen können, greift dieser Einwand nicht durch.

Der Kläger hatte nämlich nach § 5 I. 2. AVB-A nicht nur die Obliegenheit, Widerspruch gegen den Mahnbescheid einzulegen, sondern darüber hinaus auch die erforderlichen Rechtsbehelfe zu ergreifen. Dies wäre hier die Einlegung des Einspruchs gegen den Vollstreckungsbescheid gewesen.

c) Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die Beklagte ihrerseits pflichtwidrig auf die Anschreiben des Klägers nicht reagiert hat. Nach dem klaren Wortlaut der Versicherungsbedingung trifft den Versicherungsnehmer die Obliegenheit zur Widerspruchseinlegung und zur Ergreifung der erforderlichen Rechtsbehelfe, ohne die Weisung des Versicherers abzuwarten.

Dies ist keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers, da der Versicherer - wie gezeigt - gem. § 3 Ziff. 8 AVB-A die Kosten des Haftpflichtprozesses voll zu tragen hat, unabhängig davon, ob der Anspruch gegen den Versicherungsnehmer begründet ist oder nicht.

d) Der Kläger hat die Obliegenheit zur Einlegung des Widerspruchs und des Einspruchs objektiv verletzt. Er hat auch nicht die Vermutung widerlegt, dass die Obliegenheitsverletzung auf grober Fahrlässigkeit beruht, weshalb die Beklagte leistungsfrei ist.

Der Kläger hat zwar nicht schon vorsätzlich gegen die Obliegenheit verstoßen, da er - unwiderlegt - aufgrund der Schreiben seines Bevollmächtigten vom 27.09.02, 22.10.02 und 25.10.02 die Beklagte über den Mahnbescheid/Vollstreckungsbescheid informierte und wohl davon ausging, mangels Reaktion keinen Widerspruch/Einspruch einlegen zu müssen.

Vorsatz würde bedeuten, dass der Kläger die Frist gekannt und ihre Überschreitung gewollt hätte. Nach allgemeiner Erfahrung will sich ein vernünftiger Versicherungsnehmer jedoch nicht durch vorsätzliche Nichterfüllung einer Obliegenheit Rechtsnachteile im Deckungsverhältnis zum Versicherer zuziehen (BGH VersR 79, 1117; 81, 312).

Jedoch ist die grobe Fahrlässigkeit der Obliegenheitsverletzung nicht widerlegt. Die Unkenntnis des Rechtsanwalts als Versicherungsnehmers - bzw. seines bevollmächtigten Rechtsanwalts als Repräsentanten - von allgemeinen Versicherungsbedingungen und den in ihnen statuierten Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalles ist grundsätzlich als grob fahrlässig zu erachten (Späte, AHB, Rdnr. 12 zu § 6 m.w.N. der Rspr.).

Der Kläger als Anwalt durfte sich insoweit auch nicht auf die Meinung seines Prozessbevollmächtigten verlassen, sondern hätte dies selbst wissen müssen. Auch greift hinsichtlich der subjektiven Vorwerfbarkeit sein Einwand in der Berufung nicht, dass er aufgrund seiner Alkoholkrankheit beeinträchtigt war. Nach eigenem Vortrag war der pathologische Zustand bereits im Oktober 2001 erreicht, während es anschließend ab Januar 2002 nur zu heftigen Rückfällen gekommen sein soll.

e) Die grob fahrlässige Verletzung der Widerspruchsobliegenheit hatte entgegen der Auffassung des Klägers tatsächlich Einfluss auf die Feststellung und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung, § 6 Satz 2 AVB-A.

Dies folgt schon daraus, dass durch den rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid vom 15.10.02 (K 8 Bl. 19 d.A.) die Höhe des Schadensersatzes mit 200.000,-- EUR festgestellt wurde und dieser Schadensbetrag somit Bindungswirkung für den Deckungsprozess hat. Die Beklagte kann somit im Deckungsprozess nicht mehr einwenden, der Haftpflichtprozess sei nach dem Betrag falsch entschieden (vgl. Prölss/Martin,VVG, § 149, Rdnr. 30).

Nach alledem ist die Beklagte leistungsfrei, ohne dass es noch auf die weiteren Ausschlussgründe nach §§ 5 II. 1., III. ,6 AVB-A ankommt.

Die Berufung war somit zurückzuweisen.

III.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Es handelt sich um eine Entscheidung im Einzelfall.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10,711 ZPO.






OLG Stuttgart:
Urteil v. 28.10.2004
Az: 7 U 109/04


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