Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 11. Februar 2004
Aktenzeichen: L 10 SB 121/03

(LSG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 11.02.2004, Az.: L 10 SB 121/03)

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.05.2003 wird abgeändert. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 16.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2002 verurteilt, dem Kläger die ihm in dem Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 28.11.2001 entstandenen notwendigen Aufwendungen dem Grunde nach zu erstatten. Der Beklagte trägt die erstattungspflichtigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Erstattung von Kosten für die Tätigkeit seines bevollmächtigten Rentenberaters in einem Kostenerstattungsverfahren.

Mit Bescheid vom 08.08.2001 stellte der Beklagte bei dem durch einen Rentenberater vertretenen Kläger den Grad der Behinderung (GdB) mit 50 fest und lehnte die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "G" (erhebliche Gehbehinderung aG). Auf seinen Widerspruch, mit dem der Kläger auch die Erstattung der Kosten seines Bevollmächtigten begehrte, stellte der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 31.10.2001 den GdB mit 100 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) und "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung) fest. In dem Bescheid wurde ferner zugesagt, etwaige Kosten, die durch dieses Verfahren entstanden sind, auf Antrag zu erstatten, soweit sie für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung notwendig gewesen seien.

Mit Schreiben vom 05.11.2001 reichte der Kläger die Kostenrechnung seines Bevollmächtigten über 742,40 DM (379,59 Euro) ein. Der Kläger ging von einer Gebühr gem. § 63 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz i.V.m. § 116 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) von 550,- DM (308,78 Euro) aus.

Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 28.11.2001 die Kosten mit 602,04 DM fest. Die Gebührenbestimmung sei in der Gesamtschau sämtlicher Umstände unbillig. Vorliegend überschritten die Bedeutung der Angelegenheit, Schwierigkeit und Umfang der Tätigkeit des Bevollmächtigten nicht das Mittelmaß. Es sei deshalb in entsprechender Anwendung der §§ 12, 116 Abs. 1 Satz 1 BRAGO eine Mittelgebühr von 470,- DM innerhalb des für das Vorverfahren auf 2/3 herabgesenkten Gebührenrahmens von 70,- DM bis 870,- DM anzusetzen. Unter Berücksichtigung der Auslagenpauschale von 40,- DM und der Fotokopiekosten von 9,- DM ergäben sich Kosten in Höhe von 519,- DM. Zuzüglich von 16 % Mehrwertsteuer (83,04 DM) seien die Kosten insgesamt mit 602,49 DM festzusetzen. Auf den Widerspruch des Klägers setzte der Beklagte mit Abhilfebescheid vom 25.04.2002 eine weitere Kostenerstattung in Höhe von 71,76 Euro (140,36 DM) - Differenzbetrag zwischen den geltendgemachten und den bereits erstatteten Kosten - fest. Der Angelegenheit sei eine insgesamt mittlere Bedeutung beizumessen.

Für das Widerspruchsverfahren im Kostenerstattungsverfahren stellte der Kläger dem Beklagten - ausgehend von einer Gebühr von 150,- Euro einen Abzug von 197,20 Euro in Rechnung. Mit Bescheid vom 16.07.2002 lehnte der Beklagte den Kostenerstattungsantrag ab. Die Tätigkeit im Kostenfestsetzungsverfahren sei von der Rahmengebühr im Sinne des § 116 BRAGO, die für das Hauptverfahren entstehe, mit abgegolten. Für das Vorverfahren in der Kostensache bestehe kein Anspruch auf Kostenerstattung gem. § 63 SGB X. Das sozialgerichtliche Kostenfestsetzungsverfahren einschließlich Erinnerungsverfahren sei gebühren- und auslagenersatzfrei. Kosten seien in diesem Verfahren nicht zu erstatten, da es für dieses Verfahren keinen gesonderten anwaltlichen Gebührenanspruch gebe. Insoweit fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Gleiches gelte auch für ein sozialbehördliches Kostenfestsetzungs- und ein hiergegen gerichtetes Widerspruchsverfahren. Dieses ergebe sich aus Sinn und Zweck der Rahmengebühr des § 116 BRAGO, dem Prinzip der ausnahmsweisen Kostenerstattung in den sonstigen kostenfreien sozialrechtlichen Verfahren und der Verpflichtung der Beteiligten, Kosten so gering wie möglich zu halten. Zudem erwachse einem Bevollmächtigten gegen den Vollmachtgeber kein Vergütungsanspruch für das durchgeführte Kostenfestsetzungsverfahren einschließlich seines Vorverfahrens.

Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, das Verfahren bezüglich der Kosten sei ein eigenes Verfahren. Die Kostenentscheidung sei als selbständiger Verwaltungsakt unabhängig von der Sachentscheidung anfechtbar. Gegen einen ablehnenden Widerspruchsbescheid komme als Rechtsbehelf die Klage zum SG in Betracht.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 21.10.2002 zurück. Eine besondere Gebühr für das gegen die Kostenentscheidung vom 28.11.2001 gerichtete Vorverfahren sehe § 118 BRAGO nicht vor. § 61 BRAGO sei auf das Widerspruchsverfahren nicht - auch nicht analog - anwendbar, da diese Bestimmung Teil des 3. Abschnitts der BRAGO sei, der die Gebühren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten betreffe. Vielmehr seien auf § 118 BRAGO die Grundsätze des § 116 BRAGO übertragbar. Für Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sehe § 116 BRAGO eine in einem gesetzlich bestimmten Gebührenrahmen liegende Pauschgebühr vor, die sämtliche Tätigkeiten des Rechtsanwaltes innerhalb der jeweiligen Instanz abdecke. In enger Anlehnung an § 116 BRAGO würden auch die Pauschgebühren für die Durchführung von Vorverfahren ermittelt, deren Überprüfung in einem nachfolgenden Klageverfahren den Sozialgerichten obliege. Das Kostenverfahren stelle im Verhältnis zu dem vorangegangenen Vorverfahren lediglich ein Annexverfahren dar und sei als solches Teil des Vorverfahrens gewesen.

Hiergegen hat der Kläger am 28.10.2002 Klage erhoben und die Auffassung vertreten, die angefochtene Entscheidung des Beklagten, mit der er die Übernahme der im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 28.11.2001 angefallenen Kosten abgelehnt habe, sei eine Entscheidung in der Hauptsache. Sie sei rechtswidrig, da dem Widerspruch vollständig abgeholfen worden sei, weshalb der Beklagte die Kosten zu übernehmen habe.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2002 zu verurteilen, Kosten für das Widerspruchsverfahren betreffend den Bescheid vom 28.11.2001 in Höhe von 197,20 Euro zu erstatten, hilfsweise die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht (SG) hat sich der Auffassung des Beklagten angeschlossen und mit Urteil vom 15.05.2003 die Klage abgewiesen. Die Berufung hat es nicht zugelassen.

Auf die gegen das am 30.05.2003 zugestellte Urteil am 16.06.2003 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde, mit der der Kläger vorgetragen hat, im Hinblick auf mehrere positive Gerichtsentscheidungen in vergleichbaren Fällen sei eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gegeben, hat der Senat mit Beschluss vom 09.12.2003 die Berufung zugelassen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.05.2003 abzuändern und den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 16.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2002 zu verurteilen, ihm die notwendigen Aufwendungen die ihm in dem Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 28.11.2001 entstanden sind, dem Grunde nach zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.05.2003 zurückzuweisen.

Er beruft sich auf den Sachverhalt des angefochtenen Urteils.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese

sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, denn sie ist auf die fristgerecht erhobene Beschwerde zugelassen worden (§§ 144, 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Entgegen der Auffassung des SG war die Berufung nicht gem. § 144 Abs. 4 SGG ausgeschlossen. Denn Gegenstand des Rechtsstreits sind nicht die Kosten des Verfahrens. Damit sind die Kosten, die die Beteiligten im laufenden Verfahren einander zu erstatten haben. Mit der genannten Vorschrift soll die isolierte Anfechtung der Kostenentscheidung verhindert werden, wenn der Rechtsmittelkläger im Hinblick auf die ihn überzeugenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht begehrt. Bei der Kostenerstattung nach § 63 SGB X handelt es sich dagegen um eine Leistung, d.h. eine von einem öffentlichrechtlichen Leistungsträger zu bewirkende Handlung, die dieser aufgrund seiner zum Sozialrecht gehörenden Aufgabenstellung vorzunehmen hat. Deshalb gilt insoweit allein der Ausschlussgrund des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG (BSG, Urteil vom 25.10.1984 -11 RA 29/ 84-, SozR 1500 § 144 SGG Nr. 27 LSG NRW, Urteil vom 29.04.1998 - L 11 KA 182/97 -; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., 2002, § 144, Rn 49; Zeihe, SGG § 144, Rn 32 a, 7 f., nach § 193 - § 63 SGB X - Rn 18 a).

Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihm durch die Durchführung des mit einem Abhilfebescheid beendeten Vorverfahrens gegen den Kostenfestsetzungsbescheid vom 28.11.2001 entstanden sind. Die Höhe der Kosten bestimmt sich nach den §§ 12, 116 Abs. 1 S. 1 BRAGO, die mit der Maßgabe analog anzuwenden sind, dass für das Vorverfahren 2/3 des in § 116 Abs. 1 BRAGO vorgesehenen Gebührenrahmens anzusetzen ist (BSG, Urteil vom 07.12.1983 -9a RVs 5/82-, SozR 1300 § 63 Nr. 2). Die Gebührenregelungen sind entsprechend anwendbar, wenn sich der Widerspruchsführer wie hier durch einen gemäß Art. 1 § 1 Nr. 1 Rechtsberatungsgesetz zugelassenen Rentenberater vertreten lassen hat. Auch für diesen gelten die das sozialgerichtliche Verfahren betreffenden Vorschriften der BRAGO (Art. 9 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26.07.1957, BGBl. I S. 861).

Gem. § 63 Abs. 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren sind erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Gegenstand des Vorverfahrens, für das der Kläger Kostenerstattung begehrt, war die Feststellung der Höhe der zu erstattenden Kosten für das Widerspruchsverfahren, das durch den Abhilfebescheid, der die Kostengrundentscheidung enthält, erfolgreich beendet worden ist.

Gem. § 63 Abs. 3 SGB X setzt die Behörde, die die Kostengrundentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Hierbei handelt es sich um einen eigenständigen Verwaltungsakt, der ggfls. die dagegen vorgesehenen Rechtsbehelfe nach sich zieht (Krasney in Kasseler Kommentar, SGB X § 63 Rn. 32; Hauck, SGB X , § 63 Rn. 13). § 63 SGB X enthält eine eindeutige Regelung dahingehend, dass bei einem erfolgreich abgeschlossenen Vorverfahren die zur entsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten sind.

Gegenstand des Widerspruchsverfahrens, zu dessen Durchführung der Kläger einen Rechtsbeistand beauftragt hat, war zwar ein Kostenerstattungsanspruch. Dies führt jetzt nicht dazu, dass die geltend gemachten Aufwendungen mit der für die Hauptsache in entsprechender Anwendung der §§ 12, 116 BRAGO zu bestimmenden Rahmengebühr abgegolten sind.

Die Regelung des § 63 Abs. 3 SGB X ist insoweit eindeutig. Sie knüpft an die Regelungen der Absätze 1 und 2 an, die lediglich verlangen, das ein Widerspruch erfolgreich und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens notwendig war. Hätte der Gesetzgeber die Anwendbarkeit des § 63 SGB X auf Vorverfahren, die einen Kostenerstattungsanspruch zum Gegenstand haben, ausschließen wollen, hätte er eine entsprechende ausdrückliche Regelung schaffen müssen. Scheidet ein Ausschluss der Anwendbarkeit des § 63 SGB X auf solche Vorverfahren aus, kommt eine Analogie ebenfalls nicht in Betracht. Denn Grundvoraussetzung für eine analoge Anwendung einer Vorschrift ist, dass eine Lücke in der einschlägigen gesetzlichen Regelung vorliegt, die durch eine Analogie geschlossen werden könnte (BSG, Urteil vom 17.07.1996 -5 RJ 42/95-, SozR 1200 § 42 SGB I Nr. 5, Senatsbeschluss vom 04.09.2002 - L 10 B 2/02 KA ER -). Eine "planwidrige Unvollständigkeit" vorliegt (BSG, Urteil vom 23.02.2000 -B 5 RJ 26/99 R-, SozR 3-2600 § 34 Nr. 3) kann der Senat nicht feststellen. Das sozialgerichtliche Kostenfestsetzungsverfahren (§ 197 SGG) stellt ein Annexverfahren zum Klageverfahren dar und ist deshalb gebühren- und auslagenersatzfrei (Straßfeld in Berliner Kommentare, SGG, 1. Aufl. 2003, § 197 Rn 4). Angesichts dieser Regelung war dem Gesetzgeber bei Schaffung des § 63 SGB X die Problematik der Kostenerstattung für ein Kostenfestsetzungsverfahren bekannt. Wenn er eine entsprechende Regelung für das sozialrechtliche Vorverfahren nicht getroffen hat, lässt dies nur den Schluss zu, dass derartiges auch nicht beabsichtigt war. Im Übrigen: Wäre dem Widerspruch des Klägers bezüglich der Höhe der ihm für die Durchführung des Vorverfahrens zu erstattenden Aufwendungen nicht abgeholfen worden sondern ein Widerspruchsbescheid ergangen, hätten den Bescheid mittels Klage angreifen können. Im Falle eines Obsiegens hätte er nicht nur die Kosten des Rechtsstreits sondern auch die des Widerspruchsverfahrens gemäß § 193 SGG erstattet bekommen.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten war als notwendig anzusehen sein. Denn das Widerspruchsverfahren war als rechtlich nicht einfach anzusehen, da eine Auseinandersetzung mit den für die Bemessung der Kostenerstattung zugrundezulegenden Gebühr maßgeblichen Kriterien (Bedeutung der Angelegenheit, Umfang der Tätigkeit) erforderlich war.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).






LSG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 11.02.2004
Az: L 10 SB 121/03


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