Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Juli 2007
Aktenzeichen: 17 W (pat) 319/04

(BPatG: Beschluss v. 19.07.2007, Az.: 17 W (pat) 319/04)

Tenor

Das deutsche Patent 102 27 414 wird widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 14. Juni 2002 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung 102 27 414.2 - 34 wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H 01 H das Patent unter der Bezeichnung

"Hochspannungs-Leistungsschalter mit einem Aufnahmeraum für aufgeheiztes Löschgas"

erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 15. Januar 2004.

Gegen das Patent ist Einspruch erhoben worden. Die Einsprechende trägt vor, der Gegenstand des erteilten ebenso wie des neuen, nunmehr geltenden Patentanspruchs 1 sei nicht neu und darüber hinaus in keiner Weise erfinderisch (§§ 3, 4 PatG / § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG). Sie beantragt, das angegriffene Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin hat in Erwiderung auf den Einspruchsschriftsatz ihren Hauptanspruch eingeschränkt und ausgeführt, dass sein nunmehriger Gegenstand gegenüber den bis dahin zitierten Druckschriften neu und durch sie auch nicht nahegelegt sei. Sie hat schriftlich beantragt, das Patent im Umfang der aktuellen Patentansprüche 1 - 5 (beschränkt) aufrecht zu erhalten.

Mit Schreiben vom 6. Juli 2007 hat sie "Entscheidung nach Aktenlage" beantragt und ist zur mündlichen Verhandlung, wie angekündigt, nicht erschienen.

Der geltende Patentanspruch 1, eingegangen am 3. Februar 2005, hier mit einer denkbaren Gliederung versehen, lautet:

" (a) Hochspannungs-Leistungsschalter mit zwei Schaltkontaktstücken (2, 3)

(b) und einem Aufnahmeraum (8) für im Zuge eines Schaltvorganges durch einen Lichtbogen aufgeheiztes Löschgas,

(c) wobei der Aufnahmeraum (8) einen Hauptraum (8a) und einen zum bedarfsweisen Vergrößern des Aufnahmevolumens mittels einer einen Gasaustausch ermöglichenden Verbindung (11) zuschaltbaren Zusatzraum (12) umfasst, dadurch gekennzeichnet,

(d) dass die Verbindung (11) einen verschließbaren Kanal aufweist,

(e) welcher von dem Löschgas in zwei Richtungen durchströmbar ist."

Wegen der Unteransprüche 2 bis 5 wird auf die Akte verwiesen.

Die zugrundeliegende Aufgabe soll nunmehr sinngemäß darin bestehen, für einen Hochspannungs-Leistungsschalter nach Art des Oberbegriffs den benötigten Bauraum zu verringern (siehe Erwiderung der Patentinhaberin vom 1.2.2005 auf den Einspruchsschriftsatz, Blatt 2 Absatz 1).

II.

Der Senat ist für die Entscheidung über den vorliegenden Einspruch nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung zuständig geblieben, da nach dem gemäß § 99 PatG in Verbindung mit § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO heranzuziehenden Grundsatz der perpetuatio fori die einmal begründete Zuständigkeit durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes vom 21. Juni 2006 nicht entfallen ist (im Anschluss an 23 W (pat) 327/04, 23 W (pat) 313/03, 19 W (pat) 344/04).

III.

Der Einspruch hat Erfolg, da sich der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 als nicht patentfähig erweist.

1. Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben.

Zwar hat die Einsprechende nur den Einspruch selbst, nicht aber die Einspruchsbegründung unterschrieben, sodass Zweifel bestehen könnten, ob die vorgeschriebene Schriftform erfüllt und somit die Verfahrenshandlung überhaupt wirksam ist (vgl. Schulte, PatG, 7. Auflage (2005), Einleitung Rdnr. 281).

Das Fehlen der Unterschrift ist aber unschädlich, wenn keine vernünftigen Zweifel bestehen, dass das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Absenders dem Adressaten zugeleitet wurde (Schulte, a. a. O., Rdnr. 282). Als hinreichenden Anhaltspunkt dafür sieht der Senat im vorliegenden Fall an, dass auf dem unterschriebenen Einspruchsschriftsatz am Ende der Hinweis auf die als Anlage beigefügte Einspruchsbegründung steht.

Da der Einspruch ferner mit nachprüfbaren Gründen versehen wurde, ist er insgesamt als zulässig zu betrachten.

2. Die Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche ist nicht in Frage zu stellen. Die Patentinhaberin hat den erteilten Patentanspruch 1 durch die o. g. Merkmale (d) und (e) eingeschränkt, wobei Merkmal (d) aus dem erteilten Patentanspruch 4 stammt und Merkmal (e) sich aus den Figuren 2 - 4 und der zugehörigen Beschreibung, insbesondere Absatz [0026] der Patentschrift, ohne weiteres ergibt. Die Unteransprüche stimmen mit erteilten Unteransprüchen überein, nur die Nummerierung wurde angepasst. Die geltenden Ansprüche stellen daher keine Erweiterung der Anmeldung oder des Patents dar.

3. Das Streitpatent betrifft einen Hochspannungs-Leistungsschalter, der mit Löschgas für den beim Ausschaltvorgang entstehenden Lichtbogen betrieben wird. Dieses Löschgas wird durch den Lichtbogen je nach Stromstärke und Brenndauer unterschiedlich stark aufgeheizt. Es hatte sich bereits als vorteilhaft erwiesen, einen Aufnahmeraum für das Löschgas und einen Zusatzraum für weiteres Löschgas vorzusehen, welcher bei länger brennendem Lichtbogen insbesondere automatisch durch den entstehenden höheren Druck zugeschaltet wird, um "frisches" kaltes Löschgas mit dem erhitzten Gas zu vermischen. Der Zusatzraum gemäß Stand der Technik hat getrennte Einlässe und Auslässe. Um den Raumbedarf für einen solchen Schalter zu verringern, schlägt die Anmeldung nunmehr vor, nur einen Verbindungskanal vorzusehen, der dann vom Löschgas zunächst in der einen Richtung (aus dem erhitzten Aufnahmeraum in den Zusatzraum hinein unter Vermischung mit dem dortigen kalten Löschgas), später in der anderen Richtung (aus dem Zusatzraum zurück in den Aufnahmeraum) durchströmt wird.

Als Fachmann ist hier ein Entwicklungsingenieur (FH) für Hochspannungs-Leistungsschalter mit mehrjähriger Berufserfahrung und guten Kenntnissen von Löschgas, Strömungssteuerung, Ventilen usw. anzusehen.

4. Die Einsprechende stützt ihr Vorbringen auf folgende Druckschriften:

D1 DE 44 12 249 A1, D2 US 5 483 210 A, D3 DE 195 47 522 C1, D4 DE 196 29 475 A1, D5 EP 0 033 355 A1, D6 DE 39 42 489 C2, D7 EP 0 374 384 B1, D8 DE 38 10 091 A1, D9 WO 93 / 20 573 A1, D10 DE 199 39 940 A1.

Beispielsweise Druckschrift D10 beschreibt in Figur 13 und Spalte 4 Zeile 65 ff., Spalte 5 Zeile 19 - 24 einen Hochspannungs-Leistungsschalter mit zwei Schaltkontaktstücken (2, 3) und einem Aufnahmeraum für im Zuge eines Schaltvorganges durch einen Lichtbogen aufgeheiztes Löschgas, wobei der Aufnahmeraum einen Hauptraum (7) und einen zum bedarfsweisen Vergrößern des Aufnahmevolumens mittels einer einen Gasaustausch ermöglichenden Verbindung (22, 23) zuschaltbaren Zusatzraum (8) umfasst (Merkmale (a) bis (c)). Die Verbindung zwischen Hauptraum (7) und Zusatzraum (8) ist dabei durch das Ventil (22) einerseits, durch das Rückschlagventil (23) andererseits verschließbar (teilweise Merkmal (d)). Während der Brenndauer des Lichtbogens kann das erhitzte Löschgas, wenn der Druck hoch genug ist, durch das Ventil (22) in den Zusatzraum eintreten; wenn der Lichtbogen verlöscht ist und der Druck im Hauptraum nachlässt, fließt das Löschgas durch das Rückschlagventil (23) zurück. Somit ist die Verbindung von dem Löschgas in zwei Richtungen durchströmbar (Merkmal (e)).

Der einzige Unterschied zum Gegenstand des Streitpatents könnte darin gesehen werden, dass die nebeneinander liegenden Ventile 22, 23 nicht unbedingt "einen Kanal" bilden, weil für jede Strömungsrichtung ein eigenes Ventil vorgesehen ist.

Es kann jedoch offenbleiben, ob man den Bereich vor beiden Ventilen (linker Teil des Hauptraums 7 gemäß Figur 13) als "Kanal" bezeichnen könnte und D10 somit neuheitsschädlich wäre.

Denn aus Druckschrift D9 war es bereits bekannt, bei einem Hochspannungs-Leistungsschalter mit zwei Schaltkontaktstücken (1, 2) und einem Aufnahmeraum (5) für im Zuge eines Schaltvorganges durch einen Lichtbogen aufgeheiztes Löschgas zwei gegensinnige Ventile, nämlich ein Überdruckventil (Figur 1: Strömung von oben nach unten) und ein Nachfüllventil (von unten nach oben), zu einer einzigen Ventileinrichtung (11) als Zwei-Wege-Ventil zusammenzufassen, so dass ein einziger Kanal vom Löschgas in zwei Richtungen durchströmt wird (vgl. Seite 4 Absatz 3). Der Durchschnittsfachmann erkennt auf den ersten Blick, dass diese Maßnahme nicht nur - wie in D9 angegeben - den Montageaufwand vereinfacht, sondern ebenso den benötigten Bauraum verringert (siehe Figur 1).

Es war daher für den Fachmann naheliegend, bei dem aus D10 bekannten Hochspannungs-Leistungsschalter zur Verringerung des Bauraums die dort vorgesehenen nebeneinander liegenden Ventile 22 und 23 durch das aus D9 bekannte Zwei-Wege-Ventil zu ersetzen, wodurch sich ein verschließbarer, in zwei Richtungen durchströmbarer Kanal ergibt. Dadurch gelangte der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1, welcher somit nicht patentfähig ist.

5. Über die Unteransprüche brauchte nicht mehr befunden zu werden, da über einen Antrag nur einheitlich entschieden werden kann (BGH GRUR 1997, 120 "Elektrisches Speicherheizgerät").

IV.

Das Patent war sonach zu widerrufen, weil der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

Dr. Fritsch Eder Baumgardt Dr. Thum-Rung Fa






BPatG:
Beschluss v. 19.07.2007
Az: 17 W (pat) 319/04


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