Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 5. März 2014
Aktenzeichen: 11 Verg 1/14

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 05.03.2014, Az.: 11 Verg 1/14)

Tenor

Der Antrag des Antragsgegners auf Gestattung des Zuschlags wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsgegner gab im November 2012 europaweit die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung über die Beschaffung von Hardware, Software und Dienstleistungen zur Ertüchtigung der Leitstellen des Brandschutzes, Katastrophenschutzes und Rettungsdienstes für neue Übertragungstechnik im nichtoffenen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb gem. § 3 Abs. 2 d VOL/A-EG bekannt. Gem. Ziff. 3.2. der Teilnahmeantragsbestimmungen €Eignungsprüfung im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs€ wird u.a. verlangt:

3.2.3 Fachliche und Technische Leistungsfähigkeit

1. Referenzen

Angaben von mindestens zwei Referenzen (vom Bewerber und/oder der Bietergemeinschaft und/oder Subunternehmer) in vergleichbarer Art und Größenordnung seit 2009 (Datei €Referenzen.doc€ auf der Vergabeplattform). Durch die Angabe der Referenzen muss der Bewerber das Vorhandensein entsprechender Erfahrungen im sicherheitsrelevanten Bereich (hier: drahtlose und drahtgebundene Kommunikationstechnik für Sicherheitsbehörden) aufzeigen.

2. Vertraulichkeitserklärung

€€

Die Antragstellerin und die Beigeladene haben erfolgreich am Teilnahmewettbewerb teilgenommen und auf Anforderung des Antragsgegners jeweils ein Angebot abgegeben. Mit Faxschreiben vom 29.07.2013 informierte der Antragsgegner die Antragstellerin gem. § 101 a GWB darüber, dass er beabsichtige, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen. Das Angebot der Antragstellerin weise weder das beste Leistungs-/Preisverhältnis noch den niedrigsten Preis auf. Daraufhin rügte die Antragstellerin durch ihre Verfahrensbevollmächtigten mit vorab per Fax übersandtem Schreiben vom 02.08.2013, die Vergabeentscheidung sei in mehrerer Hinsicht rechtswidrig. Das Angebot der Beigeladenen weise einen unangemessen niedrigen Angebotspreis auf. Des Weiteren sei das Angebot nicht berücksichtigungsfähig, weil die Beigeladene die für die Durchführung des ausgeschriebenen Auftrags erforderliche technische Leistungsfähigkeit nicht aufweise. Sie erfülle schon nicht die Mindestanforderung gem. Ziff. 3.2.3, weil sie nicht über vergleichbare Referenzen verfüge. Soweit ihr, der Antragstellerin, bekannt sei, könne die Beigeladene keine Referenzaufträge vorweisen, die Leistungen der Kommunikationstechnik im Zusammenhang mit öffentlichem Notruf und/oder Digitalfunk zum Gegenstand haben. Bei den Referenzauftraggebern handele es sich nicht um Sicherheitsbehörden. Die Referenzaufträge seien deshalb mit dem vorliegenden Auftragsgegenstand nicht vergleichbar. Die Bewerbung der Beigeladenen habe folglich schon nicht berücksichtigt werden dürfen, weil die Mindestanforderung an die technische Leistungsfähigkeit nicht erfüllt sei.

Mit Telefax vom 05.08.2013 wies der Antragsgegner die Rügen zurück. Die Prüfung der Angemessenheit der Preise habe keinerlei Hinweis dafür ergeben, dass das Angebot der Beigeladenen nicht auskömmlich sei. Die Beigeladene habe auch die in der Ausschreibung geforderten Referenzen vorgelegt und damit den Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit erbracht.

Daraufhin stellte die Antragstellerin am 08.08.2013 einen Nachprüfungsantrag mit dem Ziel, die Vergabestelle zu verpflichten, die Angebotswertung zu wiederholen und das Angebot der Beigeladenen nicht zu berücksichtigen.

Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten und hat insbesondere die vorgelegten Referenzen der Beigeladenen für ausreichend erachtet.

Mit Beschluss vom 13.09.2013 hat die Vergabekammer das Verfahren im Hinblick auf den Teilnahmeantrag der Beigeladenen in den Stand der Eignungsprüfung zurückversetzt und den Antragsgegner verpflichtet, die Eignung der Beigeladenen anhand der von dieser vorgelegten Referenzen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut zu prüfen.

Zur Begründung hat die Vergabekammer im Wesentlichen ausgeführt,

der Antragsgegner habe bei der Eignungsprüfung der Beigeladenen einen von den Anforderungen in der Bekanntmachung und den Teilnahmebedingungen abweichenden Maßstab angelegt. Er habe den ihm gem. § 19 Abs.5 VOL/A-EG eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Prüfung der Eignung der Beigeladenen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Die Prüfung der Eignung der Beigeladenen sei daher unter Vermeidung der festgestellten Beurteilungsfehler zu wiederholen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Beigeladenen und die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin.

Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die Vergabekammer habe den Maßstab für die materielle Eignungsprüfung, insbesondere den Beurteilungsspielraum des Auftraggebers, verkannt. Zudem habe sie den Sachverhalt nicht richtig erfasst und für die materielle Eignungsprüfung falsche Schlüsse gezogen. Es könnten nur diejenigen Eignungskriterien maßgeblich sein, die in der Auftragsbekanntmachung und den Teilnahmeantragsbestimmungen konkret bekannt gemacht worden seien. Demgegenüber habe die Vergabekammer die Leistungsbeschreibung zur Konkretisierung der bekannt gemachten Eignungsvorgaben herangezogen, obwohl diese im Stadium des Teilnahmewettbewerbs den Bewerbern noch nicht bekannt gewesen sei. Der objektive Bewerberhorizont der potentiellen Bieter könne sich nur auf die im Teilnahmewettbewerb verwendeten Dokumente beziehen. Zentraler Punkt für die Eignungsprüfung sei deshalb die Auftragsbekanntmachung, die durch die Vorgabe der Teilnahmeantragsbestimmungen konkretisiert werde. Dabei sei im Zweifel für den Wettbewerb zu entscheiden. Eine zu restriktive Auslegung des Merkmals der Vergleichbarkeit berge die Gefahr, dass Newcomer keine geeigneten Referenzen vorlegen könnten und deshalb von vornherein keine Chancen auf Erteilung des Auftrags hätten. Die Ansicht der Vergabekammer führe dazu, dass auch künftig nur das €kleine Oligopol von Platzhirschen€ die relevanten öffentlichen Aufträge erhielte. Der Antragsgegner hätte deswegen bewusst auf eine spezifische Eignungsvorgabe €Referenzen bei deutschen BOS€ verzichtet und allgemeiner und offener auf das €Vorhandensein entsprechender Erfahrungen im sicherheitsrelevanten Bereich (hier: drahtlose und drahtgebundene Kommunikationstechnik für Sicherheitsbehörden)€ abgestellt.

Die Beschwerdeführerin/Beigeladene beantragt:

1. Der Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 13.12.2013 - Az: 69 d VK 30/2013 - wird aufgehoben.

2. Die Vergabestelle wird verpflichtet, den Zuschlag auf das Angebot der Beschwerdeführerin/Beigeladenen zu erteilen.

3. Hilfsweise:

Die Vergabestelle wird verpflichtet, die Eignung der Beigeladenen anhand der von dieser vorgelegten Referenzen sowie unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu prüfen, dies zu dokumentieren und erneut eine Vorabinformation zu versenden.

4. Der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin werden die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen auferlegt.

5. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beschwerdeführerin wird für notwendig erklärt.

Die Beschwerdegegnerin und Antragstellerin beantragt,

1. Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird zurückgewiesen,

sowie im Wege der Anschlussbeschwerde:

2. Der Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen bei dem Regierungspräsidium Darmstadt vom 13.12.2013 - 69 d. VK-30-2013 - wird in Ziffer 1 aufgehoben und in Ziffer 2 dahingehend abgeändert, dass der Antragsgegner verpflichtet wird, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen.

Die Vergabekammer habe zu Recht entschieden, dass der Antragsgegner die Referenzen der Beigeladenen fehlerhaft bewertet habe, weil er die selbstgestellten Anforderungen und den ausgeschriebenen Auftragsgegenstand nicht hinreichend berücksichtigt habe. Die Beigeladene habe die aufgestellte Mindestanforderung nach zwei vergleichbaren Referenzen nicht erfüllt und sei darüber hinaus auch noch aus weiteren Gründen auszuschließen.

Die Annahme der Beigeladenen, der Begriff der Sicherheitsbehörden sei hier nicht im Sinne von Behörden des Brandschutzes, Katastrophenschutzes und Rettungsdienstes (BOS) zu verstehen, sei unter Berücksichtigung des ausgeschriebenen Auftragsgegenstandes abwegig. Auftragsgegenstand sei eine spezielle Kommunikationstechnik, die den spezifischen Anforderungen genau dieser Behörden und die von der BDBOS (Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) vorgegebenen Voraussetzungen für den öffentlichen Digitalfunk erfülle. Der Beigeladenen habe klar sein müssen, dass eine Referenz aus dem militärischen Bereich den gestellten Anforderungen nicht entspreche. Denn die Notrufannahme und Abarbeitung von Rettungseinsätzen sei der Zweck von Rettungsleitstellen des Brand- und Katastrophenschutzes und des Rettungsdienstes. Die Bezeichnung €Notruf€ für BOS-Leitstellen beziehe sich auf Anschlüsse, für die Artikel 26 der Universaldienstrichtlinie und § 108 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) sowie die Verordnung über Notrufverbindungen (NotrufV) und die technische Richtlinie Notrufverbindungen (TR Notruf) gelten würden. Schon dieser rechtliche Rahmen unterscheide BOS-Kommunikationstechnik von der Kommunikationstechnik anderer Institutionen wie etwa militärischer Kommunikationstechnik. Die Vergabestelle sei von ihren eigenen Anforderungen nachträglich abgewichen, um zu Gunsten der Beigeladenen auch Referenzen aus dem militärischen Bereich zu berücksichtigen. Sie habe deshalb den Maßstab für die Referenzen geändert und diese nicht mehr an der Anforderung €Kommunikationstechnik für Sicherheitsbehörden€, sondern an der Anforderung €Vernetzung mehrerer Standorte im Sicherheitsumfeld (Brand-/ Katastrophenschutz, Polizei, Militär) gemessen. Nur so habe sie zu einer positiven Bewertung der Beigeladenen kommen können. Die Referenz sei auch in technischer Hinsicht nicht vergleichbar, da es sich um militärische Funk- und Kommunikationssysteme handele, die für andere funktionale Aufgaben konzipiert seien und andere Technologien nutzten.

Im Übrigen wiederholt die Antragstellerin ihre weiteren Rügen.

Der Antragsgegner schließt sich der sofortigen Beschwerde der Beigeladenen an und beantragt:

1. Der Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 13. Dezember 2013 - Az.: 69 d - VK-30/2013 - wird aufgehoben.

2. Der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin werden die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners auferlegt.

3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner in dem Beschwerdeverfahren und dem Antragsverfahren nach § 121 GWB wird für notwendig erklärt.

Er beantragt weiter,

dem Antragsgegner im Wege der Vorabentscheidung über den Zuschlag gemäß § 121 GWB den weiteren Fortgang des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens und die Erteilung des Zuschlages auf das Angebot der Beigeladenen und Beschwerdeführerin zu gestatten.

Der Antragsgegner hält die sofortige Beschwerde der Beigeladenen und Beschwerdeführerin für zulässig und begründet und die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin für unbegründet.

Er meint, die Anschlussbeschwerde sei allein schon deshalb unbegründet, weil der von der Antragstellerin gestellte Nachprüfungsantrag - was die Vergabekammer in ihrer Entscheidung verkannt habe - unzulässig sei. Die mit Schreiben vom 02.08.2013 erhobene Rüge der Antragstellerin sei verspätet erhoben worden und gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB präkludiert. Die Antragstellerin habe gegen ihre Pflicht, erkannte Verstöße im Vergabeverfahren unverzüglich zu rügen, verstoßen. Die Antragstellerin habe seit Erhalt des Mitteilungsschreibens des Antragsgegners vom 29.07.2013 positive Kenntnis von der Absicht, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, gehabt. Die erst nach vier Arbeitstagen am 02.08.2013 erhobene Rüge sei nicht mehr fristgerecht im Sinne von § 107 Abs. 3 S. 1Nr. 1 GWB. Die Rügefrist sei in der Praxis der Vergaberechtsprechung insbesondere auch des erkennenden Senates regelmäßig ein bis äußersten Falls drei Tage. Angesichts der bei der Antragstellerin bereits vorhandenen Kenntnis der vermeintlichen Nichteignung der Beigeladenen habe sie nach Erhalt des Mitteilungsschreibens am 29.07.2013 mit einem Blick auf den Namen des benannten Zuschlagsdestinatärs Kenntnis von der vermeintlichen Ungeeignetheit gehabt. Damit sei die Rüge als verspätet und präkludiert zurückzuweisen.

Der bereits unzulässige Nachprüfungsantrag sei daneben auch unbegründet.

Die Beigeladene habe ihre Eignung mittels der von ihr im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs vorgelegten Referenzen unzweifelhaft und zur vollen Überzeugung des Antragsgegners anhand des bekanntgegebenen und für alle Bewerber im Teilnahmewettbewerb gleichermaßen angelegten Prüfungsmaßstabes nachgewiesen. Die Vergabekammer habe den ihr eingeräumten Überprüfungsspielraum der Eignungsentscheidung unzulässig überschritten. Es obliege nicht der Vergabekammer, Eignungsanforderungen des Auftraggebers im Nachhinein zu ändern. Es stehe allein dem Auftraggeber zu, die inhaltlichen Anforderungen an die Referenzen vorzusehen.

Die übrigen vermeintlichen Vergabestöße seien nicht streitgegenständlich. Mit dem Inhalt der sofortigen Beschwerde entscheide der allein dispositionsbefugte Beschwerdeführer darüber, was Gegenstand der Entscheidungsfindung des Beschwerdeverfahrens sein solle. Streitgegenstand seien allein die Angriffe der Beigeladenen als Beschwerdeführerin gegen die Entscheidung der Vergabekammer. Sie richteten sich alleine gegen die vermeintliche Nichteignung der Beigeladenen selbst. Der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts werde grundsätzlich vom Beschwerdeführer vorgegeben. Damit habe der Senat im Rahmen des Streitgegenstandes vorliegend allein über die Frage der ordnungsgemäß durchgeführten Eignungsprüfung bzw. Nichteignung der Beigeladenen zu entscheiden. Daran könne die Anschlussbeschwerde nichts ändern, da sie nicht innerhalb der zweiwöchigen Rechtsmittelnotfrist nach § 117 Abs. 1 b GWB eingelegt worden sei.

Die weiteren Rügen seien auch unbegründet. Auf die vermeintlich nicht auskömmlichen Preise könne sich die Antragstellerin nicht berufen, weil § 19 Abs. 6 VOL/A-EG keinen Drittschutz bezwecke. Etwas anderes gelte nur, wenn der Auftraggeber mit der Auftragserteilung wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise begünstige oder das Unterkostenangebot die zielgerichtete Absicht verfolge, Mitbewerber insgesamt vom Markt zu verdrängen. Dafür bestünden beim Angebot der Beigeladenen keinerlei Hinweise. Ihr deutlich günstigerer Angebotspreis beruhe auf dem innovativen technischen Ansatz des Angebotes.

Da die konkreten Interessen des Antraggegners und der Allgemeinheit an einem schnellen Verfahrensabschluss eindeutig das Interesse der Antragstellerin/Beschwerdegegnerin an der Aufrechterhaltung des Zuschlagsverbotes überwiegen würden, sei der Antrag auf Gestattung des vorzeitigen Zuschlags gem. § 121 Abs. 1 S. 1 GWB begründet.

Die Erfolgsaussichten der sofortigen Beschwerde seien hoch. Für die vorzeitige Zuschlagserteilung streite aber insbesondere das Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Gefahrenabwehr und damit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Land Hessen. Dieses Interesse sei als überragend wichtiges Schutzgut der Allgemeinheit von so hervorgehobener Wichtigkeit, dass dies bereits allein die vorzeitige Zuschlagserteilung rechtfertige. Weiterhin sei dem Interesse der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben Rechnung zu tragen, da das Angebot der Beigeladenen das wirtschaftlichste darstelle. Aus diesen Gründen sei es fachlich und operativ zwingend erforderlich sowie für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Bereich der nicht polizeilichen Gefahrenabwehr, insbesondere zur Sicherstellung der gesetzlich geforderten ständigen Erreichbarkeit und Betriebsbereitschaft der zentralen Leitstellen für den gemeinsamen Brandschutz, Katastrophenschutz und den Rettungsdienst in Hessen unverzichtbar, dass der Zuschlag möglichst zeitnah auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden könne.

Die Beschwerdeführerin /Beigeladene schließt sich dem an.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin beantragt,

den Antrag auf Vorabgestattung des Zuschlags gem. § 121 GWB abzulehnen.

II.

1.

Der Antrag auf Gestattung des vorzeitigen Zuschlags ist zulässig.

Ein Antrag nach § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB setzt eine zulässige sofortige Beschwerde voraus. Gegen den Beschluss der Vergabekammer, durch den der Vergabestelle aufgegeben worden ist, die Eignung der Beigeladenen anhand der von dieser vorgelegten Referenzen erneut zu prüfen, hat zwar nur die Beigeladene form- und fristgerecht sofortige Beschwerde gem. § 116 Abs. 1 GWB mit dem Ziel der sofortigen Zuschlagserteilung eingelegt. Für die Zulässigkeit des Antrags nach § 121 Abs. 1 GWB ist jedoch nicht erforderlich, dass der Auftraggeber selbst Beschwerde einlegt. Es genügt, wenn er sich mit dem Antrag nach § 121 Abs. 1 GWB an dem Beschwerdeverfahren der Beigeladenen beteiligt (Senat, Beschl. v. 6.6.2013, 11 Verg 8 / 13, OLG Düsseldorf, Beschl. v.6.5.2011, Verg 26 / 11 jeweils veröffentlicht bei juris; Dieck-Bogatzke in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 121 GWB, Rn. 5; Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Aufl., § 121 Rn. 3). Dass der Antragsgegner bei der Vergabekammer keinen Antrag nach § 115 Abs. 2 GWB gestellt hat, steht weder der Zulässigkeit des Antrags entgegen, noch ist der Antragsgegner mit Vortrag präkludiert, den er bereits vor der Vergabekammer hätte bringen können. Gegenteiliges lässt sich den gesetzlichen Bestimmungen entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht entnehmen. Der Auftraggeber ist in der Entscheidung, ob und wann er einen Antrag nach § 121 Abs. 1 GWB stellt, grundsätzlich frei (jurisPK - Vergaberecht -Summa, 4. Aufl., § 121 Rn. 19).

2.

Der Antrag ist aber unbegründet.

a)

Eine Gestattung des Zuschlags gem. § 121 Abs. 1 GWB kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Das von Gesetzes wegen mit dem Nachprüfungsantrag eintretende Zuschlagsverbot nach § 115 Abs. 1 GWB dient der Durchsetzung des Anspruchs auf effektiven Primärrechtsschutz. Im Falle der vorzeitigen Gestattung des Zuschlages gem. § 121 Abs. 1 GWB wird der Primärrechtsschutz indessen irreversibel ausgeschlossen. Das ist nur ausnahmsweise gerechtfertigt (OLG Celle, Beschl. v. 17.1.2003, 13 Verg 2/03; OLG München, Beschl. v. 19.8.2010, Verg 16 / 10).). Der Bieter hat ein gewichtiges Interesse daran, dass ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, seine Rechte im Wege des Primärrechtsschutzes zu verfolgen - auf den das gesamte GWB-Nachprüfungsverfahren auch ausgerichtet ist - und nicht auf den Sekundärrechtsschutz verwiesen zu werden. Denn der Sekundärrechtsschutz vermag auch im Erfolgsfall nur einen Teil der Nachteile wettzumachen, die mit dem Verlust eines Auftrags verbunden sind (OLG München a.a.O.).

b)

Selbst die mangelnde Erfolgsaussicht eines Nachprüfungsantrags kann für sich genommen die Gestattung des vorzeitigen Zuschlags nicht rechtfertigen, ohne dass ein besonderes Beschleunigungsinteresse des Auftraggebers hinzutritt (OLG München, Beschl. v. 9.9.2010, Verg 16 / 10; Weber in: Schulte / Just, Kartellrecht, § 121 GWB, Rn. 9). Im zu entscheidenden Fall vermag der Senat derzeit die Erfolgsaussichten von Beschwerde und Anschlussbeschwerde auch bei summarischer Prüfung noch keineswegs abschließend zu beurteilen, zumal die Entscheidung die Prüfung und Bewertung komplexer technischer Sachverhalte erfordert. Da weder mit hinreichender Sicherheit von einem Erfolg der sofortigen Beschwerde noch von fehlender Erfolgsaussicht der Anschlussbeschwerde auszugehen ist, käme eine Gestattung des vorzeitigen Zuschlags nur bei einem das Interesse der Antragstellerin an der Gewährleistung von Primärrechtsschutz deutlich übersteigenden besonderen Beschleunigungsinteresses in Betracht.

c)

Die Abwägung der Interessen der Beteiligten ergibt keine hinreichende Rechtfertigung für die Erteilung des Zuschlags vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens. Die von dem Antragsgegner im Rahmen der gem. § 121 Abs. 1 GWB vorzunehmenden Interessenabwägung vorgebrachten Gründe erweisen sich gegenüber dem Interesse der Antragstellerin an der Gewährleistung von Primärrechtsschutz nicht als vorrangig.

aa)

Der Antragsgegner kann die besondere Eilbedürftigkeit nicht auf das Allgemeininteresse an einer wirtschaftlichen Auftragserfüllung stützen, weil das Angebot der Beigeladenen bereits das wirtschaftlichste Angebot darstelle. Abgesehen davon, dass mit dieser Begründung stets der vorzeitige Zuschlag auf das preisgünstigste Angebot gerechtfertigt werden könnte, mag das Angebot der Beigeladenen das preisgünstigste sein. Ob es sich als das wirtschaftlichste erweist, hängt noch von den im Beschwerdeverfahren zu erörternden Fragen, insbesondere auch der technischen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen ab.

bb)

Zwar ist nicht zu bezweifeln, dass bei Aufträgen im Bereich der Daseinsvorsorge und der Gefahrenabwehr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung häufig ein besonderes Interesse der Allgemeinheit an der zügigen Durchführung von Vergabeverfahren und der Auftragserteilung bestehen wird. Dies begründet per se aber noch kein besonderes Beschleunigungsinteresse, das über die mit Nachprüfungsverfahren allgemein verbundenen Verzögerungen und Misshelligkeiten hinausgeht. Andernfalls könnte der Primärrechtsschutz bei Auftragsvergaben im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unter Berufung auf das besondere Beschleunigungsinteresse weitgehend ausgehöhlt werden.

Aus der von dem Antragsgegner angeführten Entscheidung des OLG Celle (Beschl. v. 31.1.2011, 13 Verg 21/10) ergibt sich nichts anderes. Im Gegenteil betont auch das OLG Celle, dass die vorzeitige Gestattung des Zuschlags nur ausnahmsweise gerechtfertigt ist, weil der Primärrechtsschutz damit irreversibel beseitigt wird. Der Entscheidung ist infolgedessen auch nicht zu entnehmen, dass im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung stets ein vorrangiges allgemeines Beschleunigungsinteresse gegeben sei. Vielmehr ist der Senat in dem zu entscheidenden Fall aufgrund einer Gesamtwürdigung der vorgelegten umfangreichen Glaubhaftmachungsmittel zu der Überzeugung gelangt, dass wegen der konkreten Umstände des Falles - zumal in einem überdurchschnittlich langen Verfahren - ein besonderes Beschleunigungsinteresse bestehe, dass die Gestattung des vorzeitigen Zuschlags rechtfertige.

Auch aus der Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 26.1.2012, VII-Verg 107/11) ergibt sich nicht, dass die allgemeinen Interessen an der sofortigen Zuschlagserteilung stets, sondern dass sie insbesondere dann überwiegen können, wenn der Antragsteller keine realistische Chance auf die Erteilung des Auftrags hat. Eine verallgemeinernde Aussage zur Interessengewichtung bei Aufträgen im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist auch mit dieser Entscheidung nicht verbunden.

cc)

Das besondere Eilbedürfnis ist vorliegend auch nicht unter Berücksichtigung der von dem Antragsgegner geltend gemachten €konkreten Umstände€ ersichtlich. Dass die Lage in vielen Leitstellen der nichtpolizeilichen Gefahrenabwehr des Landes Hessen durch den eingetretenen Projektverzug infolge des erstinstanzlich geführten Nachprüfungsverfahrens alarmierend sein soll, vermag ein überdurchschnittliches besonderes Eilbedürfnis nicht zu begründen, weil ein Auftraggeber mit Verzögerungen der Auftragsvergabe durch Nachprüfungsverfahren rechnen und diese bei seiner zeitlichen Planung einkalkulieren muss. Derartige Verzögerungen sind die zwangsläufige Folge eines jeden mit aufschiebender Wirkung verbundenen Rechtsmittels und fallen deshalb in den Risikobereich des Auftraggebers (OLG München a.a.O; Weber a.a.O. Rn. 9). Dass die öffentliche Sicherheit Hessens infolgedessen so akut und nicht hinnehmbar gefährdet sei, dass - ungeachtet dieser grundsätzlichen Risikoverteilung - allein die sofortige Zuschlagserteilung Abhilfe bringen könne, lässt sich dem Vortrag des Antraggegners nicht substantiiert entnehmen. Dass sich die alte Analogfunktechnik in einem desolaten Zustand befinde, da sie seit Jahren nicht ersetzt worden ist, kann für den Auftraggeber nicht überraschend gekommen sein, sondern war ihm schon vor Einleitung des Vergabeverfahrens bekannt und hätte deshalb bei der zeitlichen Planung berücksichtigt werden müssen. Das gilt auch, soweit der Antragsgegner behauptet, bei einer Leitstelle sei die Störungsbehebung nicht mehr gewährleistet, weil der Wartungsvertrag gekündigt worden sei oder die Technik veraltet und nicht mehr dauerlastfähig ist.

Ebenso kann für den Antragsgegner nicht überraschend sein, dass gem. Verordnung (EU) Nr. 305/2013 der Kommission vom 26.11.2012 die Umstellung für den Empfang des Notrufsystems (eCall) bis 23.4.2014 für alle Leitstellen abgeschlossen sein muss. Die Berufung des Antragsgegners auf eine infolge veralterter Technik bestehende akute Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erscheint für den Senat umso weniger nachvollziehbar, als der derzeitige Zustand auch im Fall einer sofortigen Auftragsvergabe nicht kurzfristig zu beheben wäre, sondern die Ausführung des streitbefangenen Auftrags (€roll out€) einen erheblichen zeitlichen Vorlauf benötigt. Selbst wenn der Zuschlag infolge einer Vorabgestattung wenige Wochen früher erfolgen könnte, ließen sich die behaupteten Mängelzustände dadurch nicht sofort abstellen. Vor diesem Hintergrund relativiert sich die Eilbedürftigkeit der Auftragserteilung nochmals. Das gilt auch, wenn man nicht den gesamten Ausführungszeitraum zugrunde legt, sondern unterstellt, dass der €roll out€ zur Auftragsdurchführung - entsprechend dem Vortrag des Antragsgegners - mit der Ertüchtigung der Leitstellen mit besonders dringlichem Erneuerungsbedarf prioritär zu beginnen hätte und dort in zwei bis drei Monaten abgeschlossen sein könnte.

dd)

Im vorliegenden Fall kann von einer besonderen Eilbedürftigkeit nicht zuletzt deshalb keine Rede sein, weil der Senatstermin in der Hauptsacheverhandlung bereits am 25.3.2014, also in knapp zwei Wochen ansteht, so dass der Abschluss des Nachprüfungsverfahrens zeitnah zu erwarten ist. Der durch einen vorzeitigen Zuschlag gewonnene zeitliche Vorsprung wäre demgegenüber so geringfügig, dass die damit verbundenen möglichen Nachteile der Antragstellerin im Fall des Erfolgs ihres Antrags außer Verhältnis dazu stünden.

Eine Kostenentscheidung ist in diesem Stadium des Verfahrens nicht veranlasst.






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 05.03.2014
Az: 11 Verg 1/14


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