Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. November 2000
Aktenzeichen: 29 W (pat) 244/00

(BPatG: Beschluss v. 22.11.2000, Az.: 29 W (pat) 244/00)

Tenor

1. Auf die Erinnerung der Anmelderin wird der Beschluß des Rechtspflegers vom 13. September 2000 aufgehoben.

2. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. März 2000 aufgehoben.

Gründe

I.

Die Wortmarke

"AdvanceCall"

soll für die Waren und Dienstleistungen

"elektrische, elektronische, optische, Meß-, Signal-, Kontroll- oder Unterrichtsapparate und -instrumente (soweit in Klasse 9 enthalten); Apparate zur Aufzeichnung, Übertragung, Verarbeitung und Wiedergabe von Ton. Bild oder Daten; maschinenlesbare Datenaufzeichnungsträger; Verkaufsautomaten und Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Datenverarbeitungsträger und Computer;

Druckereierzeugnisse, insbesondere bedruckte und/oder geprägte Karten aus Karton oder Plastik; Lehr- und Unterrichtsmittel (ausgenommen Apparate); Büroartikel (ausgenommen Möbel);

Werbung und Geschäftsführung;

Telekommunikation; Betrieb und Vermietung von Einrichtungen für die Telekommunikation, insbesondere Funk und Fernsehen"

in das Markenregister eingetragen werden.

Die Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung mit Beschluß vom 9. März 2000 wegen fehlender Unterscheidungskraft und wegen eines Freihaltebedürfnisses zurückgewiesen. Das Markenwort stelle für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen eine unmittelbar beschreibende Sachangabe dar, da es lediglich darauf hinweise, daß sie der Vermittlung und zur Verfügungstellung von Telefonmöglichkeiten mit Vorteilen für den Kunden dienten. Als ohne weiteres verständlicher unmittelbar beschreibender Angabe sei das Markenwort auch nicht geeignet, die betreffenden Waren und Dienstleistungen von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden.

Gegen den ihr am 23. März 2000 zugestellten Beschluß hat die Antragstellerin mit Telefax vom 18. April 2000 Beschwerde eingelegt und zunächst 300.-- DM als Beschwerdegebühr von ihrem Konto abbuchen lassen sowie - nach einem entsprechenden Hinweis des Deutschen Patent- und Markenamts vom 15. Mai 2000 - mit einem weiteren Telefax ebenfalls vom 15. Mai 2000, den noch fehlenden Rest von 45.-- DM.

Mit Beschluß vom 13. September 2000 hat der Rechtspfleger beim Bundespatentgericht festgestellt, daß die Beschwerde als nicht eingelegt gilt.

In ihrem als Wiedereinsetzungsantrag bezeichneten Schriftsatz vom 27. September 2000 verweist die Antragstellerin u.a. darauf, daß sie vom Deutschen Patent- und Markenamt erst am 15. Mai 2000 zur Nachzahlung aufgefordert worden und der von ihrem Sachbearbeiter aus langjähriger Gewohnheit freigegebene bis zum Jahreswechsel gültige Betrag sowohl fristgerecht als auch innerhalb von 3 Monaten nach Inkrafttreten der neuen Gebührensätze einbezahlt worden sei.

In sachlicher Hinsicht ist die Anmelderin der Auffassung, daß "AdvanceCall" die erforderliche Unterscheidungskraft aufweise, da die fremdsprachlich gebildete Wortmarke, die weder lexikalisch nachweisbar noch ein feststehender Ausdruck sei, noch Eingang in die deutsche Sprache gefunden habe, keinen klaren Aussagegehalt aufweise. Hinweise, daß die Bezeichnung zur Beschreibung geeignet und tatsächlich verwendet oder benötigt werde, gebe es für die mehrdeutige Wortfolge "AdvanceCall" nicht.

Die Anmelderin beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluß aufzuheben.

II.

1. Die zulässige Erinnerung der Anmelderin führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 13. September 2000, da die Beschwerdegebühr in vollständiger Höhe fristgerecht bezahlt worden ist. Daher bedurfte es auch keiner Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der Gebühr.

Der am 18. September 2000 zugestellte Beschluß des Rechtspflegers vom 13. September 2000 ist nicht rechtskräftig geworden, da die Beschwerdeführerin mit ihrem Telefax vom 27. September 2000 rechtzeitig Erinnerung eingelegt hat. Daß es sich hierbei um eine Erinnerung handelt, ergibt sich durch Auslegung des Schreibens. Expressis verbis ist dort zwar nur Wiedereinsetzung beantragt, Ziel des Antrages ist aber nicht nur die Wiedereinsetzung in die nach Auffassung der Beschwerdeführerin und des Beschlusses versäumte Zahlungsfrist. Aus der Bitte der Beschwerdeführerin, vor dem von ihr dargelegten Hintergrund zu prüfen, ob die Möglichkeit bestehe, die Beschwerde als fristgerecht eingelegt zu betrachten, ergibt sich deutlich der Wille, die Entscheidung des Rechtspflegers zu überprüfen und die Beseitigung der in dem Beschluß ausgesprochenen Rechtsfolge zu erreichen, was für die Annahme einer Erinnerung ausreichend ist (vgl. Dallmayer/Eickmann, RPflG Rn 74 zu § 11).

Die Erinnerung ist auch begründet, da die Gebühr rechtzeitig und vollständig bezahlt wurde.

Daß die Antragstellerin entgegen § 66 Abs. 1, 5 MarkenG iVm § 4 Abs. 1 PatGebG innerhalb der Beschwerdefrist nicht die seit 1. Januar 2000 geltende Beschwerdegebühr von 345.-- DM entrichtet hat, sondern nur die bisher geltende von 300.-- DM, ist unschädlich. § 6 Abs. 1 PatGebG gestattet die Nachzahlung des Unterschiedsbetrages bis zum Ablauf einer vom Patentamt oder vom Patentgericht zu setzenden Monatsfrist, sofern die zu zahlende Gebühr innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten der Änderung des Gebührensatzes fällig geworden ist. Dies ist hier der Fall. Die neuen Gebühren gelten seit dem 1. Januar 2000. Fälligkeitszeitpunkt im Sinne des § 6 Abs. 1 iVm § 4 Abs. 2 Nr. 2 PatGebG vom 18. August 1976 ist - anders als bei § 5 Abs. 1 PatGebG in der Fassung vom 2. Januar 1968 - nicht der Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde, sondern der Beginn der Beschwerdefrist, hier also der 24. März 2000 (vgl. im übrigen Beschluß des Senats vom 27. September 2000 - 29 W (pat) 242/00, zur Veröffentlichung vorgesehen). Ob der Anmelderin vorliegend gemäß § 6 Abs. 1 PatGebG eine Frist zur Zahlung gesetzt wurde, kann offen bleiben, da der unmittelbar nach Mitteilung des Fehlbetrages am 15. Mai 2000 erteilte Abbuchungsauftrag vom selben Tag in jedem Fall eine rechtzeitige Zahlung der Gesamtgebühr bewirkt hat.

2. Die danach wirksam erhobene und auch im übrigen zulässige Beschwerde hat ebenfalls Erfolg. Der angemeldeten Marke kann der Schutz nicht wegen eines Freihaltebedürfnisses oder mangels Unterscheidungskraft versagt werden (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 und 1 MarkenG).

Ein gegenwärtiges Freihaltungsbedürfnis an der angemeldeten Wortfolge ist nicht ersichtlich. "AdvanceCall" ist als Bestandteil des aktuellen Sprachgebrauchs in der Werbung weder von der Markenstelle belegt worden noch konnte der Senat dies - u.a. durch eine Internet-Recherche - nachweisen. Die Wortneuschöpfung vermittelt insgesamt keinen eindeutigen Sinngehalt und hat dementsprechend bezüglich der angemeldeten Waren und Dienstleistungen keinerlei konkreten beschreibenden Inhalt. "(To) advance" gehört mit den Bedeutungen "Fortschritt, Vormarsch, im voraus" bzw. "vorrücken, (be)fördern" zwar ebenso wie "(to) call" ("rufen, holen; Anruf, Ruf") zum Grundwortschatz der englischen Sprache, die dem überwiegenden Teil der Verkehrskreise geläufig ist. Auch ist die Wortfolge "AdvanceCall" an sich sprachüblich gebildet, wie die vergleichbaren zusammengesetzten Begriffe "advance booking" ("Reservierung"), "advance booking office" ("Vorverkaufsstelle") oder "advance copy" ("Vorausexemplar") (vgl. Collins PONS Großwörterbuch 1999) zeigen. Dennoch ergibt sich aber für "AdvanceCall" entgegen der Auffassung der Markenstelle kein leicht verständlicher Sinngehalt, der sich den angesprochenen Verkehrskreisen auf Anhieb erschließen würde. Eine sinnvolle Verbindung der oben genannten Bedeutungen läßt sich nicht herstellen. Berücksichtigt man die vielschichtigen weiteren Bedeutungen von "advance" in Zusammensetzungen, die stets für einen einem weiteren Sachverhalt vorgelagerten Sachverhalt stehen (weitere Beispiele sind "advance notice/warning" für "frühzeitiger Bescheid, Vorwarnung", "advance party" für "Vorhut", "advance payment" für "Vorauszahlung" oder "advance publicity" für "Vorabwerbung", vgl. Collins PONS Großwörterbuch 1999) könnte das angemeldete Zeichen etwa als "Vorausanruf" oder "fortschrittliche Anruf" oder "förderlicher Anruf" gedeutet werden. Keine dieser möglichen Interpretationen erschließt sich den angesprochenen Verkehrskreisen ohne weiteres, d.h. aus dem Zeichen in seiner unmittelbaren Form, wie es dem Publikum gegenübertritt. Für diese Bedeutungen müßte die angemeldete Wortfolge genau analysiert werden, was der Verkehr grundsätzlich nicht unternimmt (vgl. Ingerl/Rohnke MarkenG Rn 22 zu § 8). Darüber hinaus käme den genannten Bedeutungen weder für die in Klasse 38 angemeldeten Telekommunikationsdienstleistungen ein unmittelbar beschreibender, im Vordergrund stehender Sinngehalt zu, noch für die übrigen angemeldeten Waren oder Dienstleistungen. Der beschreibende Inhalt, den die Markenstelle der Marke beigemessen hat, ergibt sich in keinem Fall, er beruht vielmehr auf der unrichtigen Gleichsetzung von "advance" mit "advantage".

Der angemeldeten Wortfolge kann auch die erforderliche Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werde. Ihre grundsätzliche Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für Waren oder Dienstleistungen der Anmelderin von denen anderer Unternehmen aufgefaßt zu werden, ergibt sich daraus, daß ihr, wie ausgeführt, für die in Frage stehenden Waren und Dienstleistungen weder ein eindeutiger noch ein beschreibender Begriffsinhalt zugeordnet werden kann. Angesichts dessen wird beim Verkehr, wenn ihm der Phantasiebegriff "AdvanceCall" im Zusammenhang mit den angemeldeten Waren und Dienstleistungen gegenübertritt, eher die Vorstellung eines betrieblichen Unterscheidungsmittels aufkommen.

Meinhardt Baumgärtner Pagenberg Cl






BPatG:
Beschluss v. 22.11.2000
Az: 29 W (pat) 244/00


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