Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 3. Juni 2008
Aktenzeichen: 2 Ws 207/08

(OLG Köln: Beschluss v. 03.06.2008, Az.: 2 Ws 207/08)

1. Zahlungen, die ein Pflichtverteidiger für seine Tätigkeit im Ermittlungsverfahren von seinem Mandanten erhalten hat, sind nach § 58 Abs. 3 RVG auf seine Pflichtverteidigergebühren für die gesamte erste Instanz anzurechnen. Dieses Ergebnis ist weder durch die Gestaltung des Kostenfestsetzungsantrages noch durch Honorarvereinbarungen zu umgehen.

2. Auch Zahlungen auf Auslagen (Reisekosten) sind grundsätzlich nach § 58 Abs. 3 RVG anzurechnen.

Tenor

Die Beschwerde wird verworfen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet

( § 56 Abs.2 RVG ) .

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer war Pflichtverteidiger des Angeklagten. Mit Schriftsatz vom 06.09.2007 hat er die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 22.211,53 € beantragt. Bei der Antragstellung hat er mitgeteilt, er habe "Zahlungen Auftraggeber/Dritter" in Höhe von 13.762,40 € erhalten. In einer Anlage zum Antrag hat er weiter folgendes angegeben :

"Ich habe Zahlungen in Höhe von 60.380 € brutto erhalten.

Aufgrund der mit dem Mandanten getroffenen Honorarvereinbarung sind im

Ermittlungsverfahren bereits verbrauchte Honorare in Höhe von 38.289,32 € auf den

Verfahrensabschnitt "Ermittlungsverfahren" gebucht worden. Dieser Betrag ist in

diesem Verfahrensabschnitt eingenommen worden. Eine Gebühr gem. 4105 VV RVG

wurde vor diesem Hintergrund nicht beim Kostenfestsetzungsantrag in Ansatz

gebracht.

Eine Anrechnung des weiteren Vorschusses auf meinen Erstattungsanspruch

gegenüber der Landeskasse besteht nicht, so daß die Pflichtverteidigerkosten wie

beantragt festzusetzen sind."

Der Rechtspfleger hat den Kostenfestsetzungsantrag zurückgewiesen mit der Begründung, die erhaltenen Vorschüsse seien gemäß § 58 Abs. 3 RVG in vollem Umfang auf die für die erste Instanz entstandenen Pflichtverteidigergebühren anzurechnen, da das Ermittlungsverfahren keinen eigenständigen Verfahrensabschnitt im Sinne von § 58 Abs. 3 RVG darstelle.

Die hiergegen gerichtete Erinnerung hat das Landgericht mit Beschluss vom 30.01.2008 zurückgewiesen. Der dagegen eingelegten Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen.

II.

1. Die Beschwerde ist nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG zulässig, bleibt aber ohne Erfolg. Der Beschwerdewert von 200 € ist erreicht und das Rechtsmittel ist innerhalb der 2-Wochenfrist eingelegt worden.

2. Da über die Erinnerung anstelle des nach § 33 Abs. 8 S. 1 RVG an sich zur Entscheidung berufenen Einzelrichters die Strafkammer entschieden hat, hatte der Senat im Beschwerdeverfahren ebenfalls in der Besetzung mit 3 Richtern zu entscheiden.

3. Der Senat tritt der Auffassung des Landgerichts bei, nach der Vorschüsse, die ein Pflichtverteidiger für seine Tätigkeit im Ermittlungsverfahren erhalten hat, auf seine Pflichtverteidigergebühren und Auslagen für die erste Instanz nach § 58 Abs. 3 RVG anzurechnen sind. Diese Ergebnis ist weder durch die Gestaltung des Kostenfestsetzungsantrages noch durch Honorarvereinbarungen zu umgehen.

( Riedel/Sußbauer- Schmahl, RVG, 9. Aufl., § 58 Randnr 25) .

4. Nach § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG sind Vorschüsse und Zahlungen, die der Verteidiger für bestimmte Verfahrensabschnitte erhalten hat, auf die von der Staatskasse für diese Verfahrensabschnitte zu zahlenden Gebühren anzurechnen.

a) Zu der Frage, wie der Begriff der "bestimmten Verfahrensabschnitte" zu verstehen ist, bestehen in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen.

Teilweise wird § 58 Abs. 3 RVG dahin verstanden, dass Vorschüsse auf in der gleichen Instanz entstandene Gebühren anzurechnen sind; das soll ausdrücklich auch für die Tätigkeit des Verteidigers im Ermittlungsverfahren gelten (OLG Oldenburg Beschl. v. 10.05.2007 - 1 Ws 220/07- ; OLG Stuttgart Beschl. v. 13.07.2007 - 2 Ws 161/07 -).

Demgegenüber hat das OLG Frankfurt entschieden, dass die Auffassung (der Vorinstanz), Vorschüsse aus dem Ermittlungsverfahren seien auf die Gebühren des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen, in dieser Allgemeinheit unzutreffend sei.

( Beschl. v. 14.12.2006 - 2 Ws 164/06 - = NStZ-RR 2007, 328).

b) Im Schrifttum wird der Begriff der "bestimmten Verfahrensabschnitte" überwiegend einschränkend so verstanden, dass sich der Verteidiger Zahlungen, die er für seine Tätigkeit in der 1. Instanz erhält, auf die Pflichtverteidigergebühren der gleichen Instanz anrechnen lassen muß; es komme als Maßstab für die Beurteilung der Anrechenbarkeit von Vorschüssen "meist das ganze Verfahren" in Betracht; Voraussetzung der Anrechnung sei, dass die Zahlung in derselben Angelegenheit erfolgt sei; Vorschüsse aus anderen Instanzen seien nicht anzurechnen (Gerold-Schmidt/Madert, RVG, 16. Aufl., § 58 Randnr. 36; Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 58 Randnr. 70; AnwK-RVG - Schnapp/N. Schneider, 3.Aufl., § 58 Randnr. 36; Mayer/Kroiß, RVG, 1. Aufl., § 58 Randnr. 16; Bischof-Bräuer, RVG, 2. Aufl., § 58 Rndnr. 19; Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 58 RVG, Randr. 19 f).

Abweichend hiervon vertritt Burhoff die - auch vom Beschwerdeführer geteilte - Auffassung, dass das Ermittlungsverfahren einen bestimmten Verfahrensabschnitt im Sinne des 3 58 Abs. 3 RVG darstelle und dementsprechend Zahlungen auf das Ermittlungsverfahren nicht anzurechnen seien (Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., § 58 Randnr. 14ff).

c) Der Senat folgt der Auffassung der OLGe Oldenburg und Stuttgart, die überwiegend auch im Schrifttum vertreten wird. Die gegenteilige Ansicht von Burhoff ist zwar mit dem Wortlaut des Gesetzes, das eine Bestimmung des Begriffs "Verfahrensabschnitt" nicht enthält, nicht unvereinbar. Sie widerspricht aber dem gesetzgeberischen Willen, wie er in der Entstehungsgeschichte des Gesetzes zum Ausdruck gekommen ist, worauf bereits das Landgericht zutreffend hingewiesen hat.

§ 58 Abs. 3 RVG ist an die Stelle von § 101 Abs. 1 und 2 BRAGO getreten, ohne dass eine inhaltliche Änderung - etwa im Sinne einer Einschränkung der Anrechnungsmöglichkeit von Zahlungen - beabsichtigt war. Es sollte durch die Neuregelung vielmehr lediglich "die Regelung des § 101 Abs. 1 und 2 BRAGO in redaktionell angepasster Form übernommen werden" (BT-Drs. 15/1971 S.203). Für das alte Gebührenrecht wurde der sehr weit gefasste Begriff der "Tätigkeit in der Strafsache" allgemein dahin verstanden, dass der gesamte erstinstanzliche Rechtszug gemeint war, Vorschüsse also auch anzurechnen waren, soweit sie für die Tätigkeit des Verteidigers im Vorverfahren gezahlt worden waren (vgl. OLGe Oldenburg und Stuttgart a.a.O., m.w.N.) Als anrechnungsfrei wurden nur Zahlungen angesehen, die der Auftraggeber dem Anwalt namentlich für dessen Tätigkeit in einer anderen Instanz erhalten hatte (vgl nur Hartmann, Kostengesetze, 32. Aufl., § 101 BRAGO, Randnr.7 m.w.N.).

Die gegenteilige Auffassung ( vgl OLG Frankfurt und Burhoff a.a.O.) vermag nicht zu überzeugen, weil sie nicht mit dem gesetzgeberischen Willen in Einklang steht.

Der Senat tritt der Erwägung des OLG Oldenburg ausdrücklich bei, dass einer nochmaligen Vergütung des schon anderweitig honorierten Pflichtverteidigers durch die Staatskasse aufgrund der inhaltlich unveränderten Anrechnungsregelung entgegenzutreten ist.

5. Die Anrechnung darf gemäß § 58 Abs. 3 S.3 RVG nur insoweit erfolgen, als der Verteidiger durch Vorschüsse und Zahlungen mehr als den doppelten Betrag nach § 51 RVG einschließlich aller Auslagen erhalten würde. Auch nach dieser Bestimmung kommt eine auch nur teilweise Vergütung des Beschwerdeführers aus der Staatskasse nicht in Betracht.

Nach der 2-schrittigen Berechnungsmethode von Hartung/Römermann/Schons (a.a.O., § 58 Randnr. 74) ergibt sich in Schritt 1 ein positiver Betrag in Höhe von 49.027,86 :

Zahlungen in Höhe von 63.915,86 € netto + einfache Gebühren aus der Staatskasse in Höhe von 14.888 € netto ./. doppelte Gebühren aus der Staatskasse in Höhe von 29.776 € netto = Anrechnungsbetrag in Höhe von 49.027,86 €.

Nach Schritt 2 ergibt sich kein Restanspruch gegen die Staatskasse : einfache Gebühren aus der Staatskasse in Höhe von 14.888 € netto ./. Anrechnungsbetrag in Höhe von 49.027,86 € = minus 29.879,99 €.

6. Soweit der Beschwerdeführer meint, jedenfalls Auslagen und Umsatzsteuer seien gesondert festzusetzen, hat seine Beschwerde auch insoweit keinen Erfolg.

a) Hinsichtlich der Umsatzsteuer gilt : Der Anspruch des Pflichtverteidigers umfasst auch die Umsatzsteuer für die Vergütung (Burhoff, a.a.O., VV Nr. 7008 Randnr.25). Das führt jedoch nicht dazu, dass die Umsatzsteuer unabhängig von der Anrechnungsregelung des § 58 Abs. 3 RVG festzusetzen wäre. Richtig ist lediglich, dass die Anrechnung nach wohl allgemeiner Auffassung zunächst auf "Nettobasis" durchzuführen ist (Schnapp/N. Schneider, a.a.O., § 58 Randnr. 54 m.w.N.). Das ist hier geschehen.

Die Umsatzsteuer ist jedoch sodann auf den Betrag zu berechnen, der nach der Anrechnung verbleibt. Ergibt sich wie im vorliegenden Fall kein Erstattungsanspruch, kann sich demnach die Frage nach der Erstattung der Umsatzsteuer nicht stellen.

Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es im Ergebnis ohne Belang ist, ob die Umsatzsteuer berücksichtigt wird oder nicht. Beide Wege führen zum selben rechnerischen Ergebnis (so zutreffend Hartung/Römermann/Schons a.a.O., § 58 Randnr.77; Schnapp/N. Schneider, a.a.O., § 58 Randnr. 54).

b) Auch die Festsetzung der Auslagen (Postund Dokumentenpauschale sowie Reisekosten von 4.174,02 € netto) in Höhe von insgesamt 4.259,87 € netto ist im Ergebnis zurecht abgelehnt worden. Nach überwiegender Auffassung im Schrifttum sind Zahlungen, die auf Auslagen erfolgt sind, in jedenfalls entsprechender Anwendung von § 58 Abs. 3 S.1 RVG auf die entstandenen Auslagen anzurechnen. Lediglich die Anrechnung auf Gebühren ist insoweit unzulässig, worum es in diesem Zusammenhang jedoch nicht geht.

Die Regelung des § 58 Abs. 3 S. 3 RVG gilt bei der Anrechnung von Zahlungen auf Auslagen nicht, da es keine Unterschiede zwischen "Pflichtverteidigerauslagen" und "Wahlverteidigerauslagen" gibt (Schnapp/N. Schneider, a.a.O., § 58 Randnr. 61 f; Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2. Aufl., Teil 15:Strafsachen, Nr. VIII 3. Randnr.94; Mayer/Kroiß, a.a.O., § 58 Randnr.15; Hartung/Römermann/Schons,a.a.O., § 58 Randnr.79; Hartmann, a.a.O., § 58 Randnr.19; aA wohl : Gerold-Schmidt/Madert, a.a.O., § 58 Randnr. 20).

Die vorgelegte Honorarvereinbarung enthält zur Behandlung von Auslagen (insbesondere zu den hohen Reisekosten) keine näheren Angaben, so dass der Senat sie dahin versteht, dass die erhaltenen Zahlungen auch die angefallenen Auslagen beinhalten. Dann muß eine Anrechnung erfolgen.

Von der Anrechenbarkeit geht in der Rechtsprechung neben dem OLG Oldenburg (a.a.O.) auch das OLG Frankfurt (a.a.O.) aus, das zu dieser Frage ausgeführt hat, die Anrechnung von Zahlungen auf Auslagen sei "so selbstverständlich, dass es keiner ausdrücklichen Regelung bedurfte. Andernfalls könnten Auslagen nämlich doppelt abgerechnet werden."

Dem ist nichts hinzuzufügen.






OLG Köln:
Beschluss v. 03.06.2008
Az: 2 Ws 207/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/255918e8e423/OLG-Koeln_Beschluss_vom_3-Juni-2008_Az_2-Ws-207-08




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share