Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 12. Januar 2005
Aktenzeichen: L 8 RA 6/03

(LSG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 12.01.2005, Az.: L 8 RA 6/03)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.11.2002 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob der am 00.00.1970 geborene Kläger der Versicherungspflicht als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger unterliegt.

Der Kläger ist seit dem 08.01.1990 als Vermittler für Versicherungen und Bausparverträge nach § 84 Handelsgesetzbuch (HGB) tätig. Er übt diese Tätigkeit nicht nur in geringem Umfang (nicht weniger als 15 Stunden wöchentlich) aus und erzielt daraus monatliches Einkommen von mehr als 630,00 DM. Er beschäftigt keinen Arbeitnehmer oder Auszubildenden.

Zwischen ihm und der R Wirtschafts- und Finanzberatungs GmbH & Co. KG, C (R; vormals firmierend als S & P Gesellschaft für Wirtschafts- und Finanzberatung GmbH & Co. KG, C), besteht ein "Partnerschafts- und Abrechnungsvertrag" vom 01.01.1999 (mit Wirkung ab 01.04.1996) sowie ein "Zusatzvertrag für Partner in leitender Stellung" vom 15.01.1999 (mit Wirkung ab 01.01.1999). Zwischen ihm und der X Lebensversicherung a.G. (X) besteht ein Vertrag aus 1996, zwischen ihm und der T Lebensversicherung a.G./T Allgemeine Versicherung AG (T) ein Vertrag ebenfalls aus 1996. Auf diese Verträge (Kopien in Gerichts- und Verwaltungsakten) wird Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 08.03.2001 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er sei seit 01.01.1999 als Vermittler für Versicherungen und Bausparverträge selbständig tätig. Für diese Tätigkeit bestehe Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI; die Versicherungspflicht beginne am 01.01.1999.

Der Kläger legte Widerspruch ein mit der Begründung, er sei für mehrere Auftraggeber tätig und übe sein Gewerbe schon seit dem 18.09.1995 aus. Er verwies darauf, dass er sowohl für R als auch für X und T tätig sei, ferner auf Ziff. 5 seines Partnerschafts- und Abrechnungsvertrages mit R ("Rechte des Partners").

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Aus dem Vertrag zwischen Kläger und R ergebe sich, dass er ausschließlich Tätigkeiten ausüben dürfe, welche nicht im Konkurrenzverhältnis zu R stünden. Darüber hinaus sei in dem Vertrag geregelt, dass anderweitige vertragliche Beziehungen zugleich wesentlicher Bestandteil des Vertrages mit R würden. Deshalb sei der Kläger im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig und nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig.

Hiergegen hat der Kläger am 19.09.2001 Klage erhoben. Er hat auf sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren Bezug genommen und ergänzend vorgetragen, die Beklagte habe nur seinen Vertrag mit R berücksichtigt, nicht aber den mit X und den mit T. Er hat auf Ziff. 6.1 seines Vertrages mit R verwiesen, wonach ihm die ständige Verpflichtung obliegt, auf der Grundlage der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen bestandsfähige Verträge zu vermitteln, und zwar je nach seiner Rechtsstellung für eine oder mehrere Gesellschaften oder für R unmittelbar. R sei keine Versicherungsgesellschaft, sondern eine Wirtschafts- und Finanzberatungsgesellschaft, die ihm viele Versicherungsgesellschaften zur Verfügung stelle. Er sei deshalb nicht nur für eine Gesellschaft tätig. In Parallelfällen habe die Beklagte eine Versicherungspflicht auch verneint. R habe eine Bündelungsfunktion und führe Verwaltungsarbeiten durch. Ein mit einem Versicherungsunternehmen geschlossener Vertrag werde von R erfasst und dann an die entsprechende Versicherung weitergeleitet. Diese entscheide dann darüber, ob der Vertrag akzeptiert werde oder nicht. R habe im Wesentlichen die Funktion eines Serviceleisters. Unmittelbar mit R erziele er ca. 20 bis 30 % seiner Umsätze; die übrigen Umsätze erziele er über X und T. Von Jahr zu Jahr variiere dies letztlich. Inzwischen habe er seit Frühjahr 2002 einen dritten unmittelbaren Vertrag mit der L.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 08.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.08.2001 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf ihren Widerspruchsbescheid Bezug genommen und vorgetragen, ein Selbständiger sei auch dann im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig, wenn er (nicht rechtlich, aber) tatsächlich, d.h. wirtschaftlich, im Wesentlichen von einem Auftraggeber abhängig sei; ihm dürfe durch die Bindung an einen Auftraggeber kein weiterer nennenswerter unternehmerischer Spielraum verbleiben. Dabei genüge auch eine nur faktische Bindung. Es genüge, wenn der Selbständige mindestens fünf Sechstel seiner gesamten Einkünfte aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber beziehe; Beurteilungszeitraum sei ein Kalenderjahr. Der Selbständige sei auch dann im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig, wenn er zwar vertragliche Vereinbarungen mit mehreren Unternehmen getroffen habe, diese aber Konzernunternehmen i.S.d. § 18 AktG oder verbundene Unternehmen i.S.d. §§ 229, 319 AktG darstellten. Gleiches gelte, wenn er innerhalb des Vertrages mit einem Auftraggeber (wie z.B. einem Finanzdienstleister) zulässigerweise und gewünscht auch Produkte von Kooperationspartnern vermittle; er sei dann nicht für den Kooperationspartner, sondern für den Auftraggeber tätig. Aus dem Partnerschafts- und Abrechnungsvertrag zwischen Kläger und R gehe hervor, dass dem Kläger jede weitere gleichartige gewerbliche Tätigkeit ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung von R untersagt sei. Gleiches gelte hinsichtlich der Vermittlung von Verträgen, die nicht von R bzw. den Gesellschaften angeboten würden und die auch im jeweils gültigen Produktplan nicht enthalten seien. Der Kläger werde ausschließlich gemäß den Anforderungen dieses Vertrages mit R tätig. Vermögensberater bzw. Versicherungsvertreter, die ein Vertragsverhältnis mit einem Finanzdienstleister bzw. einem sonstigen Unternehmen der Versicherungsvermittlung eingegangen seien und im Rahmen dieses Vertragsverhältnisses Produkte verschiedener Versicherungsunternehmen und Banken vermittelten, gehörten zu dem Personenkreis der Selbständigen mit einem Auftraggeber i.S.v. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI. Voraussetzung sei, dass sie keine weitere, vom Vertragsverhältnis mit dem Auftraggeber (Finanzdienstleister) unabhängigen Handelsvertreterverträge abgeschlossen hätten.

Mit Urteil vom 26.11.2002 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Es hat den Kläger nicht als im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig angesehen, weshalb eine Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI nicht bestehe. Auf die Entscheidungsgründe wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Gegen das am 31.12.2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.01.2003 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, der Kläger sei i.S.v. § 2 Satz 1 Nr.9 SGB VI im Wesentlichen und auf Dauer nur für einen Auftraggeber tätig. Das Sozialgericht übersehe, dass ein Selbständiger nicht nur bei direkter vertraglicher Bindung an nur einen Auftraggeber ausschließlich für diesen tätig sei, sondern auch bei faktischer Ausschließlichkeitsbindung (BT-Drucks. 14/1855 S. 7). Letzteres sei der Fall, wenn der Auftragnehmer zwar für mehrere Auftraggeber tätig sein dürfe, dies aber den tatsächlichen Umständen nach nicht könne, weil die anderen Auftraggeber Kooperationspartner des ersten Auftraggebers seien (a.a.O.). Der Auftragnehmer habe zwar vertragliche Bindungen zu mehreren Vertragspartnern; da diese jedoch als Kooperationspartner an den ersten Auftraggeber gebunden seien bzw. ihr Verhalten gegenüber dem Auftragnehmer koordinierten, träten sie ihm letztlich wie ein Auftraggeber gegenüber (Bauer/Diller/Lorenzen, Das neue Gesetz zur Scheinselbständigkeit, NZA 1999, 172). Der Auftragnehmer könne in diesem Fall nämlich kein selbständiges Unternehmenskonzept, welches durch Zusammenarbeit mit mehreren Auftraggebern gekennzeichnet sei, entwickeln, sondern bleibe von einem Auftraggeber abhängig (KK § 2 SGB VI Rz. 39). So sei es auch beim Kläger: Nach seinem Partnerschafts- und Abrechnungsvertrag mit R seien seine Provisionsabrechnungen - auch von für die Kooperationspartner X und T abgeschlossenen Verträgen - über R abzuwickeln (Ziff. 8). Trete er mit weiteren Unternehmen in vertragliche Beziehungen, erstrecke sich diese Provisionsabwicklung auch auf diese (Ziff. 8.8). Verträge mit anderen Gesellschaften bedürften der vorherigen Zustimmung durch R (Ziff. 2.2.1). Die Höhe und Änderungen der Provisionsansprüche würden grundsätzlich durch R geregelt (Ziff. 3.3, ferner Ziff. 3 des Zusatzvertrages). Stehe der Kläger mit anderen Gesellschaften in vertraglichen Beziehungen, seien diese Verträge zugleich Bestandteil seines Vertrages mit R, soweit sie Regelungen enthielten, die dieses Vertragsverhältnis beträfen. Sämtliche Geschäftsbeziehungen des Klägers, der Umfang seiner Provisionsansprüche sowie die Vermittlungsleistungen würden in von R vorgegebenen Karriereplänen und Provisionslisten festgelegt, anhand derer die Bewertung der Aufstiegsmöglichkeiten des Klägers durch R erfolge (Ziff. 5.10/5.10.1). Jede gleichartige gewerbliche Tätigkeit des Klägers ohne ausdrückliche Zustimmung von R sei untersagt. Gleiches gelte für Vermittlung von Verträgen, die nicht von R bzw. den anderen Kooperationspartnern angeboten würden und nicht im Produktplan enthalten seien. Der Kläger dürfe ausschließlich gemäß den Anforderungen seines Vertrages mit R tätig werden (Ziff. 6.3). Im Übrigen sei der Kläger organisatorisch R unterstellt, die Abwicklung des Geschäftsverkehrs erfolge über R, und R sei ihm gegenüber grundsätzlich primär weisungsbefugt (§ 1 Ziff. 6 seines Vertrages mit X). Auch sei sämtliche Form der Werbung, welche die Interessen der Kooperationspartner betreffe, vorher mit R abzustimmen (§ 3 Ziff. 3 des Vertrages mit X). Aus den vorgelegten Verträgen ergebe sich mithin, dass der Kläger nicht als freier, wirtschaftlich unabhängiger Selbständiger Verträge abschließen und sein eigenes Vertragsnetz aufbauen könne, also kein selbständiges Unternehmenskonzept entwickeln könne. Vielmehr könne er nur in enger wirtschaftlicher Bindung an R und deren Kooperationspartner tätig werden. Aus den jeweiligen Vertragsgestaltungen sei erkennbar, dass X und T ihr geschäftliches Verhalten und wirtschaftliches Tätigwerden gegenüber dem Kläger mit R koordinierten, so dass sie dem Kläger letztlich als ein Auftraggeber gegenüberstünden. Hierfür spreche vor allem, dass die jeweiligen Vertragsverhältnisse zum gleichen Zeitpunkt endeten, in dem der Kläger aus seinem Vertragsverhältnis mit R ausscheide. Entscheidend sei zugleich, dass der Vertrag auch dann ende, wenn der zwischen den Kooperationspartnern und R geschlossene Vertrag ende (§ 8 Ziff. 4 X-Vertrag). Der Kläger sei also von R wirtschaftlich abhängig.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.11.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er trägt vor, er sei für völlig unterschiedliche Gesellschaften tätig, z.B. T, HDI, Barmenia Versicherung, Gothaer Versicherung, Berlin-Kölnische Versicherung, Volksbundversicherung, Aspekta-Versicherung, Hanse-Merkur-Versicherung, Deutscher Herold Versicherungs AG. Er erhalte seine Provisionen von diesen Gesellschaften. Die Abrechnung der vermittelten Versicherungsverträge der einzelnen Gesellschaften erfolge sowohl durch R als auch durch X und T aufgrund der Vertragsverhältnisse. Das Abrechnungsverfahren sei wie folgt organisiert: Habe er einen Versicherungsvertrag - z.B. für die Barmenia Versicherung - abgeschlossen, reiche er ihn bei R ein. Dort würden die Rahmendaten geprüft, EDV-mäßig erfasst und anschließend bei z.B. der Barmenia eingereicht. Diese prüfe dann den Versicherungsantrag inhaltlich, stelle ggf. die Police aus sowie die Provisionsabrechnung. Das wirtschaftliche und rechtliche Risiko des Zustandekommens eines jeden einzelnen Vertrages zwischen Kunden und jeweiligem Versicherer trage allein er. Zu festgelegten Terminen werde die Provisionszuteilung zum jeweiligen Vertrag zusammen mit allen anderen Vertragsabrechnungen an R übermittelt. Die Provisionsabrechnung und -zahlung werde folglich durch die jeweilige Versicherungsgesellschaft geleistet und stelle für die abrechnende R einen durchlaufenden Posten dar. T und X überprüften die Rahmendaten selbst und erfassten den jeweiligen Vertrag auch selbst für die EDV. Daneben überprüften sie den einzelnen Vertrag auch inhaltlich. Im Unterschied zu z.B. Barmenia nähmen sie jedoch auch die Provisionsabrechnungen selbst vor, weil T und X diese direkte Anbindung der Handelsvertreter wünschten und zu dieser logistischen Leistung bereit und in der Lage seien. Neben der Abrechnungsleistungen erbringe R sowohl für Versicherungsgesellschaften, für die sie abrechnungstechnisch eine Bündelung vornehme, als auch gegenüber X und T die Serviceleistung seiner (des Klägers) Betreuung und Schulung. Aufgabe sei die Akquisition freier Handelsvertreter, deren Überwachung nach Weisung der X und deren Kontrolle, die Steuerung des Akquisitionseinsatzes und die Festlegung der Vergütungen an die Versicherungsvermittler nach Vorgaben von X. Ferner müsse die Betreuerin (R) die Aus- und Weiterbildung der Vermittler gewährleisten. Sie besitze gegenüber X ein Vorschlagsrecht für Bewerber; die Entscheidung obliege jedoch allein X. Ohne ausdrückliche Ermächtigung sei die Betreuerin weder befugt, die X zu verpflichten noch Erklärungen für diese entgegenzunehmen. Im Gegensatz zu den gebündelten Versicherungsgesellschaften sicherten X und T mit ihren vertraglichen Vereinbarungen einen weitergehenden Einfluss auf ihn (den Kläger). Als Versicherungsgesellschaften seien sie jedoch nicht bereit oder in der Lage, ihn zu betreuen, fortzubilden und neue Handelsvertreter zu akquirieren. Hierfür griffen sie i.S. eines Outsourcing auf die Serviceleistungen von R zurück. X und T seien jedoch bereit und in der Lage, selbst Provisionsabrechnungen vorzunehmen, und hätten sich ein direktes Weisungsrecht ihm (dem Kläger) gegenüber gesichert. R werde durch eine prozentuale Beteiligung an seinem Vermittlungserfolg vergütet. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sei er nicht nur im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig. Er sei nicht nur an R direkt vertraglich gebunden, sondern auch an X und T. An die Versicherungsgesellschaften, für die R abrechnungstechnisch eine Bündelungsfunktion wahrnehme, sei er zwar nicht vertraglich gebunden, erhalte jedoch von diesen seine gesamte Vergütung und trage das wirtschaftliche und rechtliche Risiko für das Zustandekommen jedes einzelnen Versicherungsvertrages. Auch eine faktische Ausschließlichkeitsbindung an R bestehe nicht; die Beklagte dehne diesen Begriff unzulässig aus. Der Gesetzentwurf nehme zur Frage, ob Konzernunternehmen und Kooperationspartner als ein Auftraggeber anzusehen seien, keine Stellung; die Beklagte stütze sich insoweit allein auf ein Rundschreiben der Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger vom 20.12.1999 Ziff. 3.5.2. Maßgebend seien nach den Gesetzesmaterialien jedoch nur die "zugrundeliegenden zivilrechtlichen Vereinbarungen" (BT-Drucks. 14/45 S. 45) und damit nur die natürlichen und juristischen Personen, die im Vertrag als Vertragspartner erschienen. Eine Konzernzurechnung hätte einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft, die jedoch fehle. Schieden aber schon Konzernunternehmen i.S.v. § 18 AktG für einen "einheitlichen Auftraggeber" aus, so gelte dies erst recht für Kooperationspartner. Gesetzlich sei dieser Begriff nicht definiert; in den Gesetzesmaterialien tauche er nicht auf. Im Übrigen liege bei ihm (dem Kläger) weder eine vertragliche noch eine tatsächliche Ausschließlichkeitsbindung vor. Die Beklagte dehne die von R erbrachten Serviceleistungen unzulässig zu einer Kooperation aus und leite daraus weiter unzulässig das Vorliegen nur eines Auftraggebers ab. Provisionsabrechnungen mit X und T würden nicht über R abgewickelt. Die Abrechnungsvereinbarung nach Ziff. 8 seines Vertrages mit R beziehe sich nur auf diejenigen Versicherungsgesellschaften, für die R Bündelungsfunktion wahrnehme i.S. eines Abrechnungsservices. X und T rechneten seine Provisionen mit ihm selbständig ab. Auch Ziff. 8.8 seines Vertrages mit R (seine Abrechnungsvereinbarung mit R werde auf andere Vertragspartner ausgedehnt, sobald und soweit weitere Gesellschaften an der Provisionskonto-Zusammenführung teilnehmen) gebe die Beklagte falsch wieder. Die Klausel leite sich aus der von R wahrgenommenen Bündelungsfunktion ab. R trete an verschiedene Versicherungsgesellschaften heran, um diesen ihren Service bei Abrechnung, Schulung und Betreuung anzubieten. Im Gegenzug gewährten die Versicherungsgesellschaften, die den Service in Anspruch nähmen, den so betreuten Handelsvertretern Sonderkonditionen bei ihren Versicherungsprodukten. Hiervon unabhängig könne er (der Kläger) jedoch auch mit anderen Gesellschaften wie X und T Verträge schließen, die von der Abrechnungsvereinbarung nicht erfasst würden. Soweit Verträge mit anderen Gesellschaften der Zustimmung durch R bedürften, handele es sich nur um eine Konkurrenzklausel, die keine Ausschließlichkeitsbindung an R beinhalte. Immerhin habe auch ein Auftraggeber ein berechtigtes Interesse daran, dass der Auftragnehmer die bei ihm erworbenen Kenntnisse nicht für einen Wettbewerber gewinnbringend einsetze, den der Auftraggeber noch nicht einmal kenne (BAG vom 15.12.1999 - NZA 2000, 481). Diese Zustimmung werde, wie die Verträge mit X und T zeigten, in der Regel auch erteilt. Auch Höhe und Änderungen von Provisionsansprüchen würden grundsätzlich nicht durch R geregelt, sondern von den einzelnen Versicherungsgesellschaften selbst festgelegt. Dies gelte sowohl für die bei R gebündelten Gesellschaften als auch erst recht für X und T. Auch Ziff. 3.1 seines (des Klägers) Vertrages mit R (Verträge des Klägers mit anderen Gesellschaften werden zugleich wesentlicher Bestandteil des Partnerschaftsvertrages, soweit sie Regelungen enthalten, die beide Vertragsverhältnisse betreffen) spreche nicht dafür, diese verschiedenen Auftraggeber als einen Auftraggeber anzusehen. Auch hier handele es sich vielmehr um eine Konkurrenzklausel, mit der R sicherstelle, dass sie von Vertragsverhältnissen Kenntnis erlange, welche sowohl sie als auch andere Gesellschaften beträfen, für die er (der Kläger) tätig werde. Keinesfalls werde dadurch seine Kooperationsmöglichkeit mit anderen Auftraggebern eingeschränkt. Die in Ziff. 5.10/5.10.1 geregelten Karrierepläne seien Teil des Betreuungs- und Schulungssystems von R. Solche Pläne würden zur Motivation und Weiterbildung der einzelnen Handelsvertreter ausgearbeitet; diese erhielten bei vermehrter Vermittlung einen höheren Status und zusätzliche Provisionen. Diese erhöhten Provisionen würden jedoch von den gebündelten Versicherungsgesellschaften festgesetzt und von R lediglich weitergeleitet. X und T erhöhten ebenfalls ihre Provisionen bei einem Mehrumsatz des einzelnen Handelsvertreters. Auch Ziff 6.3 (jede weitere gleichartige gewerbliche Tätigkeit nur mit ausdrücklicher Zustimmung durch R) stelle keine exklusive Anbindung an R dar, sondern verpflichte nur zur Information an R, wenn eine Kooperation mit weiteren Auftraggebern stattfinde. Dabei handele es sich um eine zulässige Konkurrenzklausel, weil R ein berechtigtes Interesse habe, dass er (der Kläger) die bei ihr erworbenen Kenntnisse nicht ohne ihr Wissen bei jedem beliebigen Wettbewerber gewinnbringend einsetze. Die durch die Klausel gleichwohl mögliche gleichartige Tätigkeit habe er bei X und T auch umgesetzt. Dass er (der Kläger) organisatorisch dem Betreuer (R) unterstellt sei, spreche ebenfalls nicht für das Vorliegen nur eines Auftraggebers. Vielmehr besage § 1 Abs. 6 seines Vertrages mit X weiterhin: "Sollten sich Weisungen des Betreuers und der X widersprechen, ist den Weisungen der X Folge zu leisten". Auch die Abstimmung von Werbung mit R (§ 3 Abs. 3 seines Vertrages mit X) spreche nicht für nur einen Auftraggeber. Es sei vielmehr üblich, dass bei konkurrierenden Unternehmen, die mit demselben Auftragnehmer Verträge hätten, eine Abstimmung in diesem Bereich stattfinde. § 8 Abs. 4 seines Vertrages mit X, wonach der Vertrag ende, wenn der mit der Betreuerin (R) geschlossene Vertrag ende, ergebe sich aus der Organisation von X und T. Diese seien derzeit nicht bereit oder in der Lage, die ausgelagerten Serviceleistungen kurzfristig selbst zu erbringen, weil das hierfür erforderliche Knowhow und Personal fehle. Es sei jedoch nicht damit zu rechnen, dass diese Gesellschaften den Vertrieb ihrer Produkte einstellten, wenn sein (des Klägers) Vertrag mit R ende; vielmehr würden sich X und T dann eine neue Organisation der Schulung und Betreuung ihrer freien Handelsvertreter überlegen. Zusammenfassend sei er deshalb als freier, wirtschaftlich unabhängiger Handelsvertreter tätig. Die von der Beklagten gesehene einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit liege weder nach den Vertragsverhältnissen noch nach den tatsächlichen Verhältnissen vor. Er habe enge wirtschaftliche Bindungen zu seinen sämtlichen Vertragspartnern. Von einer Kooperation dieser verschiedenen Auftraggeber könne keine Rede sein, da lediglich Service-Leistungen an R ausgelagert würden, während die wirtschaftliche Abhängigkeit sowohl zu den gebündelten Gesellschaften als auch zu X und T bestünden. Allein diese entschieden über seine Provision und entrichteten diese auch. Der Begriff des Kooperationspartners sei darüber hinaus nicht gesetzlich definiert. Die Zusammenfassung von Kooperationspartnern zu einem Auftraggeber sei im Gesetz nicht vorgesehen und entbehre der dogmatischen Grundlage.

Der Kläger hat Abrechnungen mit R, X und T vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.

Die Beklagte trägt ergänzend vor, auch wenn X und T die Provisionen mit dem Kläger direkt abrechneten, sei nach den gesamten Verträgen von R mit X und T gleichwohl geregelt, dass R bevollmächtigt sei, die Außendienstabrechnungen der Handelsvertreter entgegenzunehmen. Grund dafür sei, dass R einen Überblick haben wolle, welche Zahlungen erfolgt seien, um auch den prozentualen Anteil für die Betreuungstätigkeit dem Handelsvertreter in Rechnung stellen zu können. Gerade diese Regelung spreche deshalb dafür, R als den einzigen Auftraggeber anzusehen. Insgesamt habe R eine so starke Position, dass sie als einziger Auftraggeber des Klägers anzusehen sei.

Der Senat hat im Erörterungstermin vom 14.04.2002 den Prokuristen von R, Herrn Werner Germund, als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten verletzt den Kläger i.S.d. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten. Das Sozialgericht hat daher zu Recht diesen Bescheid aufgehoben. Die Beklagte hat zu Unrecht eine Versicherungspflicht des Klägers festgestellt und ihn zur Zahlung von Beiträgen herangezogen.

Zwar sind nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI selbständig tätige Personen versicherungspflichtig, die a) im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 400 EUR im Monat übersteigt, und b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzungen nach lit. a) der Vorschrift. Insbesondere ist er als Handelsvertreter nach § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB auch selbständig tätig, weil er im Wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

Zu Unrecht geht die Beklagte jedoch davon aus, dass der Kläger auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sei (lit. b).

Insoweit spricht zunächst Vieles dafür, dass schon die rechtliche Ausgestaltung des Verhältnisses des Klägers zu R - insbesondere in Zusammenschau mit seinen Vertragsverhältnissen zu X und T - die Bewertung der Beklagten, R habe über den Kläger eine so starke Position, dass sie als sein einziger Auftraggeber anzusehen sein, nicht trägt. Der Senat nimmt hierzu auf die Begründung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen.

Denn auch, wenn man allein den schriftlichen Verträgen des Klägers mit R, X und T eine eindeutige Bewertung nicht entnehmen will, ergibt jedenfalls die Zusammenschau der rechtlichen und der tatsächlichen Verhältnisse, dass R dem Kläger gegenüber nicht in einer Position ist, welche sie als seinen einzigen Auftraggeber ansehen ließe.

Mit § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sollten ab dem 01.01.1999 sog. arbeitnehmerähnliche Selbständige der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegen. Der Gesetzgeber wollte für diesen Personenkreis - für den in anderen Zweigen der Sozialversicherung keine Versicherungspflicht normiert ist - der zunehmenden Erosion des versicherten Personenkreises durch die wachsende Überführung von Beschäftigten in arbeitnehmerähnliche selbständige Tätigkeiten für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung entgegenwirken (KK-Gürtner, § 2 SGB VI Rz. 34). Die in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI definierten arbeitnehmerähnlichen Selbständigen erschienen dem Gesetzgeber insoweit nicht weniger sozial schutzbedürftig als die bereits bisher in Nr. 1 bis 7 erfassten Selbständigen (BT-Drucks. 14/45 S. 46). Für den Kläger ergibt sich jedoch nicht das Bild von einer "arbeitnehmerähnlichen" Tätigkeit, welche von § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI erfasst werden sollte. Denn hinsichtlich des vorliegend entscheidenden Merkmals einer Tätigkeit im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber fehlt die Arbeitnehmerähnlichkeit, wenn der Auftragnehmer nach seinem Unternehmenskonzept die Zusammenarbeit mit mehreren Auftraggebern anstrebt und dies nach den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten Erfolg verspricht (KK-Gürtner, a.a.O. Rz. 40). So aber ist es beim Kläger; er arbeitet nach seinem Unternehmenskonzept und seinen rechtlichen Beziehungen zu mehreren Gesellschaften mit mehreren Auftraggebern zusammen und verwirklicht dieses Konzept auch tatsächlich erfolgreich:

So erzielt er den wesentlichen Teil seiner Einkünfte aus Provisionszahlungen von X und T. Dies ergibt sich beispielhaft aus den von ihm vorgelegten Provisionsabrechnungen für das Jahr 2002. Danach erzielt er den deutlich überwiegenden Anteil seiner Einkünfte aus den Provisionsabrechnungen mit X und T. Der Senat hat daher keine Zweifel an der Richtigkeit der vom Kläger vor dem Sozialgericht getroffenen Einschätzung, nur etwa 20 bis 30 % seiner Umsätze mit R getätigt zu haben. Dies wird auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt. Der Kläger ist damit zugleich mehrheitlich nicht für die bei R gebündelten Versicherungsgesellschaften vermittlerisch tätig, sondern für X und T. Mag man R hinsichtlich der bei ihr gebündelten Versicherungsgesellschaften auch als einen einzigen Auftraggeber ansehen können (was der Senat dahinstehen lässt), so gilt jedenfalls für X und T, dass sie selbst und nicht R die Auftraggeber des Klägers sind, soweit er für diese beiden Versicherungsgesellschaften vermittlerisch tätig ist. X und T rechnen die Provisionen des Klägers tatsächlich nicht einmal über R ab. Sie lassen von R vielmehr nur eine Produktbündelung und die produktbezogene Schulung des Klägers vornehmen. Der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses und der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Klägers liegt deshalb für diese Versicherungsgesellschaften im Verhältnis X und T zum Kläger, nicht jedoch im Verhältnis R zum Kläger. X und T bedienen sich lediglich i.S. einer Auslagerung einzelner geschäftlicher Aufgaben (Outsourcing) der R.

Dieses Bild erfährt durch die Angaben des Zeugen Germund bei seiner Vernehmung am 14.04.2004 eine Bestätigung. Der Zeuge - Prokurist bei R - hat angegeben, prinzipiell sei es dem Kläger nicht verboten, für Versicherungsgesellschaften tätig zu sein, mit denen R keine vertragliche Verbindung habe. Der Zeuge hat (auf Vorhalt von Ziff. 6.3 des Partnerschafts- und Abrechnungsvertrages mit dem Kläger) weiter ausgeführt, es sei ihm kein Fall bekannt, dass einmal die (in dieser Vertragsklausel vorgesehene) Zustimmung zur Vermittlung von Verträgen mit nicht bei R einbezogenen Versicherungsgesellschaften seitens R versagt worden wäre. Die Vorschrift diene allein der Vermeidung von Abrechnungsirrtümern. Es solle zwar eine faktische Ausschließlichkeitsbindung an R bestehen. Der Zeuge hat diese Ausschließlichkeitsbindung jedoch nur für Koordinations- und Abrechungstätigkeiten beschrieben. Selbst dabei hat er jedoch für die Abrechnungen diese Ausschließlichkeitsbindung für X und T bereits wieder verneint; für diese Gesellschaften werde von R nur Produktkoordination geleistet, weil sie die Abrechnung selbst leisten könnten. Nach diesen Angaben des Zeugen ist mithin einzige Leistung, die R im Verhältnis zu Kläger und X bzw. T erbringt, die Produktkoordination, d.h. nach den Bekundungen des Zeugen im Wesentlichen die Schulung des Klägers für die Produkte von X und T. Auch für alle übrigen, bei ihr gebündelten Versicherungsgesellschaften ist im Übrigen der Kläger nach den Angaben des Zeugen jenseits von Koordination und Abrechnung frei, erhält kein bestimmtes Tätigkeitskonzept, kein Arbeitsgerät, keine Bezirks- und Arbeitszeit- bzw. Urlaubsvorgaben. Insgesamt ergibt sich daher auch aus den Angaben des Zeugen nicht das Bild von einer "Arbeitnehmerähnlichkeit" des Klägers.

Dies fügt sich ein in das Bild, das der Gesetzgeber vom typischerweise arbeitnehmerähnlichen Selbständigen hatte, den er für sozial schutzbedürftig hielt, weil er eine sozialpolitisch missbilligte, zunehmende Umgehung der Sozialversicherungspflicht beobachtete (vgl. o.). Die Tätigkeit des Klägers als freier Handelsvertreter im Versicherungsgewerbe unterfällt gerade nicht dieser Schutzbedürftigkeit. Seine Selbständigkeit ist nicht durch arbeitnehmerähnliche Bindungen geprägt, die typischerweise mit der beobachteten Erosion der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung einhergehen. Vielmehr beinhaltet sie schon von ihrem Geschäftsfeld her das Vorsorgebewusstsein und die Möglichkeit eines für die Selbständigkeit typischen wirtschaftlichen Vorsorgeverhaltens, bei dem es eines sozialversicherungsrechtlichen Schutzes nicht bedarf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.






LSG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 12.01.2005
Az: L 8 RA 6/03


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