Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 19. Januar 1999
Aktenzeichen: 9 S 3097/98

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 19.01.1999, Az.: 9 S 3097/98)

1. Ein Verfahren, das auf Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gerichtet ist, ist ein Verfahren über einen Akt der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 114 Abs 7 BRAGO (BRAGebO), so daß der Rechtsanwalt hierfür lediglich drei Zehntel der in § 31 BRAGO (BRAGebO) bestimmten Gebühr erhält (im Anschluß an VGH Bad-Württ, Beschluß vom 19.12.1995 - 13 S 3199/94 -, VBlBW 1996, 152; aA OVG Berlin, Beschluß vom 07.07.1998 - 7 K 26.98 -, NVwZ 1998, 992).

Gründe

Die Beschwerde ist nicht durch § 80 AsylVfG ausgeschlossen (vgl. Senat, Beschluß vom 14.08.1998 - 9 S 1552/98 -, VBlBW 1999, 33), ohne Zulassung statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist indes nicht begründet. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts hat die zu erstattenden Kosten auf 192,51 DM festgesetzt, der Einzelrichter des Verwaltungsgerichts die hiergegen gerichtete Erinnerung der Antragstellerinnen zurückgewiesen. Beides läßt sich nicht beanstanden.

1. Dem Prozeßbevollmächtigten stehen lediglich drei Zehntel der in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren zu. Das ergibt sich aus § 114 Abs. 7 BRAGO. Gegen die Anwendung dieser Vorschrift wenden sich die Antragstellerinnen ohne Erfolg. Dem Kostenfestsetzungsgesuch liegt ein Verfahren über einen Akt der Zwangsvollstreckung (des Verwaltungszwangs) zugrunde. Die Antragstellerinnen haben nämlich beim Verwaltungsgericht beantragt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, sie in ihren Heimatstaat abzuschieben. Die Abschiebung aber ist ein Akt der Verwaltungsvollstreckung, mit dem die gesetzliche Ausreisepflicht des Ausländers vollzogen wird (vgl. § 42 Abs. 1, § 49 Abs. 1 AuslG). Demzufolge hält sich auch das Begehren, die Abschiebung zeitweise auszusetzen (§ 55 Abs. 1 AuslG), im gegenständlichen Rahmen der Verwaltungsvollstreckung. Es ist - sofern es den alleinigen Gegenstand des Rechtsstreits darstellt - nicht mit einer vollen Gebühr, sondern lediglich mit einer 3/10-Gebühr abzugelten (ebenso Hutschenreuther-von Emden, NVwZ 1998, 714 m.w.N.; vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 19.12.1995 - 13 S 3199/94 -, VBlBW 1996, 152, und vom 22.09.1998 - 11 S 1469/98; a.A. OVG Berlin, Beschluß vom 07.07.1998 - 7 K 26/98 -, NVwZ 1998, 992).

Hiergegen läßt sich nicht einwenden, § 114 Abs. 7 BRAGO gelte nur für Verfahren über Akte der Verwaltungsvollstreckung, die dem Vollzug einer Grundverfügung dienten, nicht aber bei Vollzug unmittelbar gesetzlicher Pflichten wie der Ausreisepflicht. Für die angesprochene Unterscheidung bietet § 114 Abs. 7 BRAGO keinen Anhaltspunkt. Es trifft auch nicht zu, daß der typische Aufwand im Vollstreckungsverfahren geringer wäre - und so die geringere Gebühr rechtfertige -, wenn der Verwaltungszwang sich auf den Vollzug einer Grundverfügung richtet. Davon könnte allenfalls dann die Rede sein, wenn bereits die Grundverfügung Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung gewesen ist. Wo dies nicht der Fall war, kann deren Rechtmäßigkeit durchaus auch - incidenter - im Verfahren über Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung zu prüfen sein, ohne daß deshalb der Anwendungsbereich von § 114 Abs. 7 BRAGO verlassen würde. Im übrigen gehen Abschiebungen zwar nicht immer, wohl aber in aller Regel auf "Grundverfügungen" gerichtete Verfahren voraus, seien dies ausländerrechtliche Verfahren um eine Aufenthaltsgenehmigung, seien es Asylverfahren aufgrund eines Asylantrags (§ 13 AsylVfG).

Gegen die Anwendbarkeit von § 114 Abs. 7 BRAGO läßt sich ferner nicht einwenden, Gegenstand des Verfahrens sei eigentlich die Verpflichtung der Behörde zur Erteilung einer Duldung, was den Sachbereich der Verwaltungsvollstreckung überschreite. Zum einen hat sich der Rechtsschutzantrag der Antragstellerinnen im vorliegenden Verfahren ausdrücklich nicht auf die Erteilung von Duldungen, sondern auf eine vorläufige Untersagung der befürchteten Abschiebung gerichtet. Zum anderen würde auch bei anderer Antragsfassung der Sachbereich der Verwaltungsvollstreckung nicht verlassen. Denn die Duldung ist nichts anderes als die Kehrseite einer Aussetzung der Abschiebung; sie wird nur erteilt, wenn der Abschiebung Hindernisse entgegenstehen (vgl. § 55 Abs. 2 und 3 AuslG), und widerrufen, wenn diese entfallen (§ 56 Abs. 5 AuslG). Sie stellt insbesondere keinen besonderen Aufenthaltstitel dar; der geduldete Ausländer bleibt vielmehr ausreisepflichtig (§ 56 Abs. 1 AuslG). Die Duldung erweist sich damit als ein besonderes Rechtsinstitut der ausländerrechtlichen Verwaltungsvollstreckung. Zwar hat der Gesetzgeber die Duldung in gewisser Weise formalisiert und gesichert (§ 56 AuslG). Dies geschah jedoch vornehmlich aus sozial- und arbeitsrechtlichen Gründen, ohne daß hierdurch für das Ausländerrecht der vollstreckungsrechtliche Kontext verlassen würde.

Schließlich läßt sich auch nicht einwenden, ein auf Aussetzung der drohenden Abschiebung gerichtetes Verfahren verursache für den Rechtsanwalt typischerweise einen größeren Arbeitsaufwand als ein Verfahren über Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung in anderen Rechtsgebieten. Das mag zwar zutreffen; doch kann es allenfalls den Gesetzgeber dazu veranlassen, die - schmale - Vergütung nach § 114 Abs. 7 BRAGO im Wege der Gesetzesänderung anzuheben. Dem Gericht ist eine solche Gesetzeskorrektur verwehrt. Dies um so mehr, als eine Anhebung der 3/10-Gebühr nicht notwendig sogleich auf eine 10/10-Gebühr erfolgen müßte; vielmehr erschiene auch eine Anhebung auf eine 5/10-Gebühr als systemgerecht (vgl. § 50 BRAGO für Verfahren über Anträge auf Verlängerung einer Räumungsfrist bei Wohnraum nach § 721, § 794a ZPO).

2. Die Beschwerde bleibt auch erfolglos, soweit die Antragstellerinnen die Festsetzung von weiteren 42 DM zzgl. Mehrwertsteuer und Zinsen für Fotokopien verlangen. Es ist schon zweifelhaft, ob die Beschwerde insoweit überhaupt zulässig ist, nachdem die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle diesen Punkt noch nicht angeführt hatte. Doch mag dies auf sich beruhen. Der Urkundsbeamte hat Auslagen für Fotokopien mit Recht nicht festgesetzt; denn die Antragstellerinnen haben diese Auslagen mit keinem Wort glaubhaft gemacht (§ 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und insbesondere nicht dargelegt, ob die in Rede stehenden Fotokopien gerade durch das - gleichzeitig mit der Hauptsacheklage eingeleitete - Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes veranlaßt gewesen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO. Das Verfahren ist nicht nach § 83b Abs. 1 AsylVfG gerichtskostenfrei. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 13 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 19.01.1999
Az: 9 S 3097/98


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