Landgericht München I:
Urteil vom 5. November 2009
Aktenzeichen: 5 HK O 15312/09, 5 HK O 15312/09

(LG München I: Urteil v. 05.11.2009, Az.: 5 HK O 15312/09, 5 HK O 15312/09)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Parteien streiten mittels Anfechtungsklage um die Wirksamkeit eines Beschlusses einer Hauptversammlung der Beklagten.

Am 29.7.2009 fand die ordentliche Hauptversammlung der Beklagten € einer AG mit einem Grundkapital von € 21.289.353,--, deren Aktien in Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse gehandelt werden € statt. Auf der Tagesordnung stand als Beschlussvorschlag zu Tagesordnungspunkt 9 die Neuwahl aller Mitglieder des Aufsichtsrates. Zu diesem Tagesordnungspunkt enthielt die Einberufung der Hauptversammlung im elektronischen Bundesanzeiger vom 18.6.2009 (Anlage K 2) bezüglich der vorgeschlagenen Kandidaten unter anderem folgende Angabe:

€Herr K... W...,Dipl.-Mathematiker, Aktuar€Während der Hauptversammlung stellten Aktionäre Fragen nach dem beruflichen Werdegang von Herrn Dr. W... Namentlich der nunmehrige Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte für diesen folgende Frage:

€Bei welchen Versicherungen war Herr W... wann tätig€ War er dort Vorstand€ Was war sein Fachressort€ Wer hatte damals das Ressort Finanzen / Bilanzierung inne€€

Zur Beantwortung der Frage verwies der Versammlungsleiter auf Herrn Dr. W..., der der Hauptversammlung seinen Werdegang unter Hinweis auf eine fünfjährige Tätigkeit als Geschäftsführer der B... GmbH € einer Tochtergesellschaft des Versicherungskonzerns D... H... €, auf eine siebenjährige Tätigkeit als Vorstand der B... B..., bei der ein Kollege das Ressort Rechnungswesen verwaltete, eine zweijährige Tätigkeit in der Landeskrankenhilfe mit Zuständigkeit für Datenverarbeitung und Inkasso sowie eine zehnjährige bei der V... L... AG in Hilden € einer Tochter der E... € mit Zuständigkeiten für das gesamte operative Geschäft inklusive Quartalsberichten und Bilanzierung.

Der Kläger, der seine Aktien bereits vor der Einberufung der Hauptversammlung erworben hatte, erklärte durch seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten Widerspruch zur Niederschrift des Notars gegen den Beschluss über die im Wege der Einzelabstimmung erfolgte Wahl von Herrn Dr. W..., den die Hauptversammlung der Beklagten mit 10.106.982 Ja-Stimmen bei 1.603.551 Nein-Stimmen fasste.

Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, die gegebene Antwort auf seine Frage sei unzutreffend, weil Herr Dr. W... nicht hinreichend herausgestellt habe, dass er in seiner letzten beruflichen Tätigkeit nicht verantwortliches Organmitglied gewesen sei, sondern nur rechtsgeschäftlich Bevollmächtigter ohne organschaftliche Pflichten. Auch hätte er klarstellen müssen, niemals in seinem Berufsleben verantwortlicher Finanzvorstand oder in vergleichbare Weise für Finanzen und Bilanzierung zuständig gewesen zu sein. Vor allem aber verstoße der Beschluss gegen die Vorgaben aus § 100 Abs. 5 AktG, weil Herrn Dr. W... die geforderte Sachkunde auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung fehle. Dazu hätte er mindestens Finanzvorstand einer Aktiengesellschaft sein oder aber ein Berufsexamen als Wirtschaftsprüfer ablegen müssen; eine schwerpunktmäßige berufliche Tätigkeit im Bereich Bilanzen/Finanzierung fehle.

Der Kläger beantragt daher:

Der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 28.Juli 2009 zum Tagesordnungspunkt 9 im Wege der Einzelabstimmung gefasste Beschluss, wonach Herr K... W..., Köln, Dipl.-Mathematiker, zum Aufsichtrat der Gesellschaft gewählt wurde, wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte beantragt demgegenüber:

Klageabweisung.

Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, Herr Dr. W... verfüge über die entsprechenden Fähigkeiten, welche er namentlich im Rahmen seiner Tätigkeit für die V... L... AG, bei der er operativ verantwortlich für die Bereiche Finanz- und Rechnungswesen tätig gewesen sei, wie sich auch aus einer Bestätigung des Vorstands dieser Gesellschaft vom September 2009 (Anlage B 1) ergebe. Die Neuregelung in § 100 Abs. 5 AktG verlange weder die Tätigkeit in verantwortlicher Organstellung noch die schwerpunktmäßige Tätigkeit in den im Gesetz genannten Bereichen, was gerade auch die Gesetzesbegründung zeige. Eine Verletzung des Fragerechts lasse sich gleichfalls nicht bejahen, weil Herr Dr. W... nie behauptet habe, Vorstandsmitglied der V... L... AG gewesen zu sein.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5.11.2009 (Blatt 27/30 d. A.).

Gründe

I.

Die Anfechtungsklage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Auch wenn von der Anfechtungsbefugnis des Klägers nach § 245 Nr. 1 AktG ebenso wie von der Einhaltung der Monatsfrist des § 264 Abs. 1 AktG auszugehen ist, fehlt es an einer Verletzung des Gesetzes im Sinne der §§ 251 Abs. 1 Satz 1, 243 Abs. 1 AktG.

1. Der zur Tagesordnungspunkt 9 gefasste Beschluss über die Wahl von Herrn Dr. W... verstößt nicht gegen § 100 Abs. 5 AktG. Nach dieser Vorschrift muss bei Gesellschaften im Sinne des § 264 d HGB mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrates über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen. Diese Vorraussetzungen sind in der Person von Herrn Dr. W... erfüllt, wie die Auslegung des Gesetzes und dessen beruflichen Fähigkeiten zeigen.

17a. Aus § 100 Abs. 5 AktG lässt sich nicht entnehmen, dass das zu wählende Aufsichtsratsmitglied Organmitglied einer Kapitalgesellschaft mit dem Zuständigkeitsbereich für die genannten Bereiche wie beispielsweise als Allein- oder Finanzvorstand oder auch nur schwerpunktmäßig mit diesen Bereichen befasst sein müsste.

Dieses Ergebnis ergibt sich aus einer Auslegung des Gesetzes, die in erster Linie dessen Wortlaut sowie den systematischen Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen hat. Der Gesetzestext schreibt nach seinem Wortlaut gerade nicht vor, dass das unabhängige Aufsichtsratsmitglied leitende Organfunktionen bei einer anderen Kapitalgesellschaft hätte wahrnehmen müssen € erforderlich ist nach dem Gesetzeswortlaut €Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung€. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes regeln wollen, hätte es nahe gelegen, dieses deutlich stärker an objektive Kriterien anknüpfende Merkmal aufzunehmen und nicht die für wertende Elemente sehr viel offenere Formulierung des Sachverstandes zu wählen. Für diese Auslegung spricht gerade auch die Gesetzessystematik, wie ein Vergleich mit anderen Vorschriften zeigt, in denen bestimmte Personen über eine bestimmte berufliche Qualifikation verfügen müssen. So müssen die Abschlussprüfer aufgrund der gesetzlichen Vorgaben in § 319 Abs. 1 HGB ebenso wie die Prüfer bestimmter aktienrechtlicher Strukturmaßnahmen € beispielsweise beim Squeeze-Out oder beim Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages €Wirtschaftsprüfer sein. Auch der Vergleich mit § 100 Abs. 2 Nr. 2 AktG spricht für die hier vorgenommene Auslegung € wenn der Gesetzgeber die Funktion insbesondere als Finanzvorstand bei einer anderen Aktiengesellschaft gewollt hätte, hätte es nahegelegen, einen vergleichbaren Passus mit der Aufgabe als gesetzlicher Vertreter eines anderen Unternehmens mit der Funktion Rechnungslegung oder Abschlussprüfung in das Gesetz aufzunehmen. Bei der Inkompatibilitätsregelung des § 100 Abs 2 Nr. 2 AktG wurde gerade auf die Stellung als gesetzlicher Vertreter hingewiesen.

Auch die historische Auslegung spricht gegen die Beschränkung auf Finanzvorstände oder zumindest auf den Schwerpunkt der Tätigkeit in diesen Bereichen. Der Regierungsentwurf, den sich insoweit der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber zu Eigen gemacht hat, führt nämlich aus, dass der Sachverstand gerade auch bei fachkundigen Angestellten aus den Bereichen Rechnungswesen und Controlling oder auch bei Betriebsräten, die sich die entsprechenden Kenntnisse im Zuge ihrer Tätigkeit durch Weiterbildung angeeignet haben, angenommen werden kann (vgl. BT-Drucks. 16/10067 S. 102).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht auf der Grundlage einer richtlinienkonformen Auslegung des Gesetzes, nachdem die Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2006 über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und Konsolidierten Abschlüssen, zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 84/253/EWG des Rates (Abschlussprüferrichtlinie) gleichfalls nicht fordert, dass das entsprechende Mitglied des Prüfungsausschusses bei einer anderen Kapitalgesellschaft Organstellung haben müsste oder auch nur schwerpunktmäßig in den dort genannte Bereichen tätig ist. Artikel 41 Abs. 1 der Abschlussprüferrichtlinie verlangt nur, dass mindestens ein Mitglied des Prüfungsausschusses unabhängig und über Sachverstand in Rechnungslegung und/oder Abschlussprüfung verfügen muss. Diesen Vorgaben wird die Umsetzung in innerstaatliches Recht durch § 100 Abs. 5 AktG inhaltlich in vollem Umfang gerecht.

b. Herr Dr. W... verfügt aufgrund seines beruflichen Werdegangs über den entsprechenden Sachverstand in den vom Gesetz geforderten Bereichen Rechnungslegung oder Abschlussprüfung. Die erforderlichen Kenntnisse konnte er insbesondere bei der V... L... AG gewinnen. Dort war er direkt dem Vorstand unterstellt und führte verantwortlich das gesamte operative Geschäft dieser Gesellschaft, wozu zentrale Elemente des Finanz- und Rechnungswesens gehörten. Wenn er dabei ausweislich der Bestätigung des Vorstandes dieser Gesellschaft vom September 2009 mit der unternehmerischen Planung und Steuerung, dem Konzernberichtswesen und vor allem auch mit den Abschlussarbeiten und dabei sowohl mit dem Jahresabschluss und den unterjährigen Finanzberichten befasst war und vor allem das Zahlenmaterial für den HGB- wie auch den IFRS-Abschluss erstellte, so hat die Kammer keinen Zweifel, dass Herr Dr. W... über den von § 100 Abs. 5 AktG geforderten Sachverstand verfügt. Aufgrund dieser Kenntnisse ist er nämlich € wie dies auch für einen gegebenenfalls einzurichtenden Prüfungsausschuss gefordert wird € in der Lage, den Rechnungslegungsprozess, die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, gegebenenfalls des internen Revisionssystems und des Risikomanagementsystems des Unternehmens ebenso zu überprüfen und zu überwachen wie die Abschlussprüfer des Jahres- und des konsolidierten Abschlusses und deren Unabhängigkeit zu überprüfen und zu überwachen (vgl. hierzu BT-Drucks. 16/10067 S. 102).

Die Kammer hat darüber hinaus keinen Zweifel daran, dass die Bestätigung des Vorstandes der V... L... AG die Tätigkeitsfelder von Herrn Dr. W... korrekt beschreibt. Allein der Umstand, dass diese Bescheinigung erst aus Anlass einer gerichtlichen Auseinandersetzung erstellt wurde, rechtfertigt es nicht, ohne weitere € hier nicht erkennbare und auch vom Kläger nicht vorgetragene € Anhaltspunkte die Richtigkeit der Bestätigung in Zweifel zu ziehen.

2. Das Fragerecht der Aktionäre aus § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG wurde nicht verletzt. Danach hat der Vorstand jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich sind. Hiergegen wurde nicht verstoßen, weil die Antwort von Herrn Dr. W... nicht irreführend und damit nicht unzutreffend gewesen ist. Er gab auch nach dem Vortrag des Klägers an, bei welchen Gesellschaften er eine Organstellung inne hatte € Geschäftsführer oder Vorstand. Wenn er diesen Hinweis auf eine Organstellung dann in Bezug auf die Tätigkeit bei anderen Gesellschaften unterließ, so wird daraus für den durchschnittlichen, objektiv urteilenden Aktionäre hinreichend deutlich, dass er bei den anderen Gesellschaften eben keine Organanstellung inne hatte.

Angesichts dessen konnte die Anfechtungsklage keinen Erfolg haben.

II.

1. Die Entscheidung über die Kosten hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO; als Unterlegener hat der Kläger die Kosten des Rechtstreits zu tragen.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.






LG München I:
Urteil v. 05.11.2009
Az: 5 HK O 15312/09, 5 HK O 15312/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/19f9cc5e4e9b/LG-Muenchen-I_Urteil_vom_5-November-2009_Az_5-HK-O-15312-09-5-HK-O-15312-09




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share