Bundespatentgericht:
Urteil vom 14. November 2000
Aktenzeichen: 3 Ni 11/00

(BPatG: Urteil v. 14.11.2000, Az.: 3 Ni 11/00)

Tenor

Das europäische Patent 0 725 693 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 für nichtig erklärt. Im ürigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtstreits trägt die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3.

Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 8.000,-- DM und für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 16.000,-- DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des am 23. Februar 1994 angemeldeten und ua mit Wirkung für das sie Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 725 693 (Streitpatent 1), für das sie die Prioritäten der deutschen Patentanmeldungen 43 42 086 vom 9. Dezember 1993 und 44 00 257 vom 7. Januar 1994 in Anspruch genommen hat, sowie des deutschen Patents 44 00 257 (Streitpatent 2), für das sie Priorität der deutschen Patentanmeldung 43 42 086 vom 9. Dezember 1993 in Anspruch genommen hat. Das Streitpatent 2 ist wegen Nichtzahlung der Jahresgebühren seit dem 3. November 1999 nicht mehr in Kraft.

Das Streitpatent 1, das 8 Patentansprüche umfasst, wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 594 03 578 geführt und betrifft ebenso wie das Streitpatent 2, das 2 Patentansprüche umfasst, ein Verfahren zur spanlosen Herstellung einer Nabe eines die Nabe aufweisenden Getriebeteils.

Patentanspruch 1 des Streitpatents 1 lautet in der erteilten Fassung:

"1. Verfahren zur spanlosen Herstellung einer Nabe eines die Nabe aufweisenden Getriebeteiles aus einer Blechplatine, wobei die Blechplatine zu einer Haube geformt wird, dadurch gekennezeichnet, daß die im Randbereich gehaltene Haube (2) durch Drücken um einen zentralen Werkzeugstift (5) zu einem von einer Ronde (6) vorstehenden zylindrischen Vorsprung (7) verformt wird und der zylindrische Vorsprung (7) anschließend zur Aufnahme einer koaxialen Welle geöffnet wird."

Wegen des Wortlauts der Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift 1 verwiesen, wobei die Patentansprüche 2, 7 und 8 jeweils eine Vorrichtung zur spanlosen Herstellung einer Nabe betreffen.

Die Patentansprüche 1 und 2 des Streitpatents 2 lauten:

"1. Drückverfahren zur spanlosen Herstellung einer Nabe eines die Nabe aufweisenden Getriebeteiles aus einer Blechplatine, dadurch gekennzeichnet, daß die von einem Werkzeug (3) einer Hauptspindel (2) getragene und relativ zu einer oder mehreren Drückrollen (6) rotierende Blechplatine (1) durch Drücken mittels der Drückrolle (6) in ihrer Dicke verringert und zu einem von der Blechplatine (1) vorstehenden zylindrischen Vorsprung (8) um einen am Vorsetzer (5) oder Werkzeug (3) angeordneten, die Blechplatine (1) durchdringenden Werkzeugstift (4) verformt wird.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der Randbereich der Blechplatine (1) vor Durchführen des die Dicke verringernden Drückverfahrens festgelegt wird."

Die Klägerin macht geltend, die Gegenstände der Streitpatents seien nicht patentfähig, weil sie insbesondere nicht neu seien, jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhten. Zur Begründung beruft sie sich auf die Druckschriften D 4 DE-PS 43 06 372, D 5 DE-PS 975 677, D 6 DE-OS 41 15 423 und D 7 DE-OS 34 33 185.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 725 693 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 6 und das deutsche Patent 44 00 257 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2000, daß sie das Streitpatent 1, soweit es angegriffen ist, nur noch auf der Grundlage der erteilten Patentansprüche 3 bis 6 verteidigt. Patentanspruch 3 in der erteilten Fassung hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur spanlosen Herstellung einer Nabe eines die Nabe aufweisenden Getriebeteiles aus einer Blechplatine, dadurch gekennzeichnet, daß die von einem Werkzeug (23) einer Hauptspindel (22) getragene und relativ zu einer oder mehreren Drückrollen (26) rotierende im Randbereich gehaltene Blechplatine (21) durch Drücken mittels der Drückrolle (26) in ihrer Dicke verringert und das so gewonnene Material zu einem von der Blechplatine (21) vorstehenden zylindrischen Vorsprung (28) um einen die Blechplatine (21) zentrisch durchdringenden Werkzeugstift (24) verformt wird."

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 3 zurückbezogenen Patentansprüche 4 bis 6 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent 2 und das Streitpatent 1 in der verteidigten Fassung richtet.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält die Streitpatente für patentfähig.

Gründe

Die Klage erweist sich als teilweise begründet.

Das Streitpatent 1 ist bereits insoweit teilweise für nichtig zu erklären als die Beklagte es nicht mehr verteidigt.

Im übrigen erweist sich die Klage als unbegründet, denn hinsichtlich des Gegenstandes der Patentansprüche 3 bis 6, mit denen das insoweit angegriffene Streitpatent 1 verteidigt wird, konnte der Senat nicht feststellen, daß ihm der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit entgegensteht (Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a, Art 54, 56 EPÜ; §§ 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 1 PatG).

Die gegen das Streitpatent 2 gerichtete Nichtigkeitsklage ist wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen.

I.

1) Die Streitpatente betreffen jeweils ein Verfahren zur spanlosen Herstellung eines die Nabe aufweisenden Getriebeteils, insbesondere von Zahnkränzen, Riemenscheiben oder Poly-V-Riemenscheiben für den Kraftfahrzeugbau.

Nach den Angaben der Streitpatentschriften (StrPS 1 Sp 1 Z 19 bis Sp 2 Z 12) bereitet der Einbau der erforderlichen Nabe Schwierigkeiten. Die dabei im wesentlichen angewendeten Verfahren - Drehen der Nabe und anschließendes Anschweißen oder Anlöten an den Riemenscheibenrohling, Anformen der Nabe auf einer Stufenpresse oder Anschmieden in der Gesenkschmiede - sind kostenintensiv und erfordern eine Nachbearbeitung. Gleichzeitig kann sich das Materialgefüge negativ verändern. Weitere aus dem Stand der Technik bekannte Verfahren, bei denen Außenlamellenträger durch spanloses Verformen hergestellt werden oder die Nabe aus einer Haube angeformt wird, haben sich ebenfalls als sehr aufwendig erwiesen.

2) Dem Streitpatent 1 liegt die Aufgabe zugrunde (s Sp 2 Z 13 bis 17), das gattungsgemäße Verfahren zu vereinfachen und in einem Arbeitsgang durchzuführen, ohne daß eine unerwünschte Beeinflussung des Materialgefüges des Getriebeteils eintritt.

3) Zur Lösung beschreibt der erteilte Patentanspruch 3 des Streitpatents 1 ein Verfahren zur spanlosen Herstellung einer Nabe eines die Nabe aufweisenden Getriebeteils aus einer Bechplatine, 1. wobei die Blechplatine durch Drücken mittels der Drückrolle in ihrer Dicke verringert wird, wobei 1.1. die Blechplatine von der Hauptspindel eines Werkzeugs getragen 1.2. und im Randbereich gehalten wird 1.3. und relativ zu einer oder mehreren Drückrollen rotiert, 2. und das so gewonnene Material zu einem von der Blechplatine vorstehenden zylindrischen Vorsprung um einen Werkzeugstift verformt wird, 2.1. der die Blechplatine zentrisch durchdringt.

II.

Das Verfahren zur spanlosen Herstellung einer Nabe eines die Nabe aufweisendes Getriebeteils aus einer Blechplatine nach Patentanspruch 3 des Streitpatents 1 ist gegenüber dem von der Klägerin genannten Stand der Technik patentfähig.

1) Das patentgemäß ausgebildete Verfahren ist neu.

Das Verfahren zum ein- oder beidseitigen Herausarbeiten eines Nabenkranzes aus einer achsmittig gelochten Scheibe nach der deutschen Patentschrift 975 677 nimmt entgegen der Auffassung der Klägerin das patentgemäß ausgestaltete Verfahren nicht neuheitsschädlich vorweg.

Bei dem bekannten Verfahren wird die Blechplatine zur Bearbeitung nicht im Randbereich gehalten, sondern diese Blechplatine (dort Scheibe genannt) ist auf einen Spindelzapfen einer Bearbeitungsmaschine aufgeschoben und wird beim Umlaufen der Spindel durch einen an deren Stirnseite vorgesehenen zweiten Zapfen mitgenommen (vgl S 2 reSp, Z 54 bis 58). Die Verringerung der Blechplatine in ihre Dicke erfolgt dort nicht durch Beaufschlagen der Blechplatine durch eine Drückrolle, sondern der für die Nabe erforderliche Werkstoff wird von einer innerhalb des Scheibenumfanges gelegenen Stelle aus nach der Mitte der Scheibe zu abgespalten (vgl Patentanspruch S 2 Z 93 bis 98).

2) Das Verfahren nach Patentanspruch 3 des Streitpatents beruht gegenüber der deutschen Patentschrift 975 677 und den deutschen Offenlegungsschriften 41 15 423 bzw 34 33 185 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da dieser Stand der Technik in seiner Gesamtheit dem Durchschnittsfachmann, hier einem Maschinenbauingenieur mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der spanlosen Blechumformung, keine Anregung zum Auffinden des Verfahrens nach Patentanspruch 3 geben kann.

Durch die Merkmale des Patentanspruchs 3 wird ein Verfahren zur spanlosen Herstellung einer Nabe eines die Nabe aufweisenden Getriebeteils aus einer Blechplatine zur Verfügung gestellt, durch das der zylindrische Vorsprung zur Bildung der Nabe durch einen einzigen Drückvorgang dadurch gebildet wird, daß das durch die Drückrolle beaufschlagte Material in den Raum fließt, der um den die Blechplatine mittig durchgreifenden Werkzeugstift vorhanden ist. Der so erzeugte zylindrische Vorsprung kann eine wesentlich größere Materialdicke als die Blechplatine vor dem Bearbeitungsschritt aufweisen. Dies wird dadurch erreicht, daß beim Drückvorgang die Blechplatine in ihrem Umfang am Randbereich gehalten ist und somit die gesamte Seitenfläche der Blechplatine für den Materialabfluß in den Raum um den Werkzeugstift zur Verfügung steht.

Zu einem derartig ausgestalteten Verfahren kann das Verfahren zum ein- oder beidseitigen Herausarbeiten eines Nabenkranzes aus einer achsmittig gelochten Scheibe nach der deutschen Patentschrift 975 677 kein Vorbild geben, da bei diesem Verfahren das für die Naben erforderliche Material durch seitliches Abspalten von der Blechplatine gewonnen wird. Der durch die Abspaltung erzeugte Vorsprung muß anschließend mit einer Formrolle in seine endgültige, eine Nabe bildende Form gebracht werden (vgl S 2 Z 64 bis 78).

Der Vorgang des Abspaltens und Formwalzens ist in der angeführten Druckschrift nur beschrieben, jedoch nicht im einzelnen dargestellt. Zur Verdeutlichung dieser beiden Vorgänge und zum Nachweis, daß das Abspaltverfahren auch Anfang der 90er Jahre noch üblich war, kann das in der deutschen Offenlegungsschrift 41 15 423 beschriebene Verfahren zur Herstellung eines Drehschwingungsdämpfers dienen. Aus dieser Druckschrift geht eindeutig hervor, daß der Abspaltungs- und der Umformvorgang zwei getrennte Arbeitsschnitte sind. In einem ersten Arbeitsschritt wird durch die Schneidrolle mit scharf zulaufender Schneidkante beim Spaltvorgang ein sich abspaltender Abschnitt der Blechplatine (dort Ronde genannt) gebildet. In einem zweiten Arbeitsschritt wird dieser Abschnitt mit Hilfe einer sich drehenden Drückrolle, die auf die Innenseite des Abschnitts einwirkt, in die gewünschte Form gebracht (vgl Sp 4, Z 15 bis 41).

Es handelt sich also bei dem Herstellungsverfahren nach der deutschen Patentschrift 975 677 um ein grundsätzlich anderes Verfahren, als es patentgemäß beansprucht wird. Denn das Material wird zuerst abgespalten und anschließend in die erwünschte Form gebracht. Beim Verfahren nach dem Streitpatent wird nur ein Verfahrensschritt benötigt, da durch die Beaufschlagung des Seitenbereichs der Blechplatine das Material in Richtung der anzuformenden Nabe fließt und durch entsprechende Ausgestaltung der Drückrolle nach beendigtem Arbeitsvorgang die gewünschte Form annimmt.

In der von der Klägerin im Hinblick auf die Verwendung von Anschlägen zur Begrenzung zylindrischer Anformungen genannte deutsche Offenlegungsschrift 34 33 185 geht es um die Herstellung eines Leichtmetalldeckels, bei dem der Rand einer Blechscheibe durch Drücken und anschließendes Walzen umgeformt wird. Hieraus ergeben sich für den Fachmann ebenfalls keine Hinweise zur Herstellung einer Nabe.

Patentanspruch 3 hat somit Bestand und mit ihm die Unteransprüche 4 bis 6.

III.

Die gegen das am 3. November 1999 erloschene Streitpatent 2 gerichtete Klage ist wegen des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen.

Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten Patents rechtfertigt eine Nichtigkeitsklage solange, als das Schutzrecht noch wirksam und in Kraft ist. Ist es jedoch erloschen, kann ein Angriff auf das Patent nicht mehr mit Allgemeininteressen begründet werden, denn es sind allenfalls die Rechte einzelner betroffen. Die Klägerin muß daher ihr Interesse an einer Nichtigerklärung des Patents gesondert darlegen (BGH GRUR 1982, 355 - Schraubennahtrohr; GRUR 1995, 442 -Tafelförmige Elemente).

Das von der Klägerin vorgebrachte Argument, sie befürchte, von der Beklagten nicht nur wegen Verletzung des Streitpatents 1, sondern auch wegen des Streitpatents 2 in Anspruch genommen zu werden, rechtfertigt die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses nicht. Wenn auch an die Begündung keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen, muß die Klägerin zumindest einen begründeten Anlaß für die Besorgnis haben, daß sie Ansprüchen der Beklagten ausgesetzt sein könnte. Die Beklagte hatte sich in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 2. Dezember 1999 auf ihre Patente DE 44 44 526 (s Parallelverfahren 3 Ni 5/00) und EP 0 725 693 (Streitpatent 1) berufen, die Klägerin also gerade nicht aus dem Streitpatent 2 verwarnt. Zwar bestehen zwischen den Patentansprüchen der Streitpatente 1 und 2 Überschneidungen. Der Umstand allein kann jedoch nicht die Besorgnis begründen, die Klägerin werde ihre Verwarnung auch auf das Streitpatent 2 ausdehnen. Dies gilt erst recht, wenn die Beklagte wie hier in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß sie aus dem Streitpatent 2 keine Ansprüche aus der Vergangenheit gegen die Klägerin geltend machen wolle (Busse, PatG, 5. Aufl, § 81, Rdnr 56; BPatGE 18, 15).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 92 Abs 1 ZPO und berücksichtigt das jeweilige Maß des Obsiegens bzw Unterliegens, wobei sich auch die Klageabweisung bezüglich des Streitpatents 2 ausgewirkt hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs 1 ZPO iVm § 709 ZPO.

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BPatG:
Urteil v. 14.11.2000
Az: 3 Ni 11/00


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