Bundesgerichtshof:
Urteil vom 9. Februar 2015
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 51/13

(BGH: Urteil v. 09.02.2015, Az.: AnwZ (Brfg) 51/13)

Tenor

Die Berufung gegen das am 5. Juli 2013 zugestellte Urteil des 2. Senats des Hessischen Anwaltsgerichtshofs wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger ist seit 1978 im Bezirk der beklagten Rechtsanwaltskammer zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 14. September 2012, zugestellt am 18. September 2012, widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls. In der Begründung hieß es, in den Vollstreckungsregistern der Amtsgerichte B. H. und S. seien 20 und 34 Vollstreckungsmaßnahmen aufgeführt. Der Kläger sei außerdem mit je einem Haftbefehl im Schuldnerverzeichnis eingetragen. Zwischenzeitlich sei von einem Gläubiger Insolvenzantrag gestellt worden.

Die Klage gegen diesen Bescheid ist erfolglos geblieben. Der Senat hat die Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs zugelassen. Der Kläger beanstandet das Verfahren des Anwaltsgerichtshofs, bestreitet unter Darlegung von Einzelheiten, in Vermögensverfall geraten zu sein, und meint, jedenfalls seien die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet, weil er nicht mehr forensisch tätig sei und keine anwaltlichen Tätigkeiten mehr ausübe, die mit Fremdgeldern im Zusammenhang stünden. Er beantragt, das Urteil des Hessischen Anwaltsgerichtshofs vom 6. Mai 2013 (Az. 2 AGH 20/12) aufzuheben und der Klage des Berufungsklägers vom 17. Oktober 2012 - gerichtet auf die Aufhebung des Bescheids der Berufungsbeklagten vom 14. September 2012 - stattzugeben.

Die Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt ihren Bescheid.

Am 17. September 2012 hat das Amtsgericht - Insolvenzgericht - B. H. die vorläufige Verwaltung des Vermögens des Klägers angeordnet und den Rechtsanwalt De. aus E. zum mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestatteten vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Das Insolvenzverfahren ist am 2. September 2013 eröffnet worden und dauert an. Die Akten AG B. H. IN sind beigezogen und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auszugsweise erörtert worden. Der Kläger hat Verfassungsbeschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss eingelegt. Er beanstandet die fehlende örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts B. H. .

Gründe

Die Berufung bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

1. Das dem Kläger am 5. Juli 2013 zugestellte Urteil ist nicht mangels Verkündung unwirksam.

a) Ein Urteil wird erst durch seine förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiellrechtlichen Wirkungen existent. Bis dahin liegt nur ein Entscheidungsentwurf vor, der allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugen kann (BGH, Beschluss vom 14. Juni 1954 - GSZ 3/54, BGHZ 14, 39, 44; Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 37/03, NJW 2004, 2019, 2020; vom 24. September 2013 - I ZR 133/12, NJW 2014, 1304 Rn. 11). Die Verlautbarung eines Urteils erfolgt grundsätzlich öffentlich im Anschluss an die mündliche Verhandlung oder in einem hierfür anberaumten Termin durch das Verlesen der Urteilsformel (§ 112c Satz 1 BRAO, § 116 Abs. 1 VwGO). Die Verkündung muss protokolliert werden (§ 112c Satz 1 BRAO, § 105 VwGO, § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO). Ein Verkündungsprotokoll befindet sich nicht bei den Akten. Die Nachfrage des Senats hat ergeben, dass ein solches Protokoll auch nicht erstellt worden ist. Der undatierte, nur mit einer Paraphe versehene Vermerk des Vorsitzenden darüber, dass das Urteil am 3. Juni von ihm verkündet worden sei, vermag das fehlende Protokoll, das auch nachträglich hätte gefertigt und unterschrieben werden können (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 116 Rn. 5), nicht zu ersetzen. Die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 112c Satz 1 BRAO, § 105 VwGO, § 165 ZPO).

b) Der Mangel der Verkündung ist jedoch durch die Zustellung der Ausfertigung des vollständigen und unterschriebenen, aber nicht verkündeten Urteils geheilt worden. Wird ein Urteil statt durch Verkündung in öffentlicher Sitzung durch Zustellung verkündet, liegt hierin zwar ein auf die Wahl der Verlautbarung beschränkter Verfahrensfehler (BGH, Urteil vom 12. März 2004, aaO; vom 24. September 2013, aaO Rn. 20). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehen Verkündungsmängel dem wirksamen Erlass eines Urteils aber nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung des Urteils im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Ein derartiger Fehler ist nicht gegeben, wenn dem Richter zwar die vorschriftsmäßige Verkündung misslingt, das Urteil aber mit seinem Wissen und Wollen zugestellt wird (BGH, Urteil vom 12. März 2004, aaO; Beschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 592/11, NJW-RR 2012, 1025 Rn. 17; vom 21. Juni 2012 - V ZB 56/12, NJW-RR 2012, 1359 Rn. 14). So lag es hier. Der Vorsitzende hat am 3. Juni 2013 verfügt, das Urteil dem Kläger gegen Zustellungsurkunde und der Beklagten "zur Kenntnis" zustellen zu lassen.

2. Der Anwaltsgerichtshof hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, indem er diesem keine Gelegenheit gegeben hat, sein Fehlen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. Mai 2013 nachträglich zu entschuldigen. Dieser Fehler zwingt jedoch nicht zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils. Wie sich aus § 112e Satz 2 BRAO in Verbindung mit § 130 VwGO ergibt, hat der Anwaltssenat grundsätzlich selbst in der Sache zu entscheiden. Eine Zurückverweisung ist nur auf Antrag eines Beteiligten und nur bei Vorliegen einer der Gründe des § 130 Abs. 2 VwGO überhaupt zulässig und steht selbst dann im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (Kopp/Schenke, aaO § 130 Rn. 6). Der Kläger hatte im Berufungsverfahren ausreichend Gelegenheit, zur Sache vorzutragen und auch zum Urteil des Anwaltsgerichtshofs Stellung zu nehmen.

3. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg.

a) Der Kläger befand sich im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheides (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 ff.), am 14. September 2012, in Vermögensverfall. Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind das Erwirken von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011, aaO Rn. 4; st.Rspr.). Vermutet wird ein Vermögensverfall, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder der Rechtsanwalt in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis eingetragen ist.

Die Beklagte hat den Widerrufsbescheid darauf gestützt, dass das Vollstreckungsregister II des Amtsgerichts B. H. 20 den Kläger betreffende Eintragungen aufweise, darunter eine Haftanordnung. Im Vollstreckungsregister II fänden sich 34 Eintragungen über Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger, darunter ebenfalls eine Haftanordnung. Dies reicht so nicht aus, weil sich weder dem Widerrufsbescheid noch dem Vorbringen der Beklagten im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof und im Berufungsverfahren entnehmen lässt, welche Forderungen im September 2012 noch offen standen. Der Kläger selbst hat jedoch eingeräumt, dass fünf Forderungen gegen ihn geltend gemacht wurden. Aus der vom Senat beigezogenen Insolvenzakte AG B. H. IN ergibt sich, dass gegen den Kläger am 20. März 2012, am 31. Mai 2012 und am 13. Juni 2012 von drei verschiedenen Gläubigern Insolvenzanträge gestellt worden sind; am 13. August 2012 wurden die drei Eröffnungsverfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Dem Kläger ist es zwar noch gelungen, sich mit einem dieser Gläubiger dahingehend zu einigen, dass dieser am 11. Oktober 2012 den Antrag zurücknahm. Die anderen Anträge blieben jedoch bestehen und führten zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 2. September 2013. Der Bericht des am 7. Mai 2012 bestellten Gutachters vom 23. Juli 2013 weist Verbindlichkeiten von 224.818,99 € aus, die zum überwiegenden Teil am hier maßgeblichen Zeitpunkt, dem 14. September 2012, bereits bestanden. Die Forderung des Finanzamts B. H. von 21.543,79 € betraf Umsatzsteuer für den Zeitraum ab August 2009; diejenige des Finanzamts Sch. von 189.414,79 € Einkommensteuer für die Jahre 1999, 2001, 2002, 2004 bis 2007. Die Tabelle nach § 175 InsO, Stand 19. Februar 2014, weist weitere Forderungen aus, die vor dem 14. September entstanden und fällig geworden sind, etwa eine Forderung des Landes He. , Gerichtskasse, auf Gerichtskosten in Höhe von 1.988,50 € gemäß Rechnung vom 12. Juli 2012, eine Forderung des Dr. G. auf Zahlung von Mieten für den Zeitraum November 2008 bis März 2010 in Höhe von insgesamt 12.384,72 € und eine Forderung der Scha. GmbH & Co. KG gemäß Vollstreckungsbescheid vom 20. September 2010 in Höhe von 2.805,85 € nebst Zinsen. Unabhängig davon, ob das Amtsgericht B. H. für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens örtlich zuständig war oder nicht, lassen die offenen Forderungen und der Umstand, dass die Insolvenzanträge überhaupt gestellt worden sind, den Schluss auf einen Vermögensverfall des Klägers zu.

Der Vortrag des Klägers dazu, wie er die offenen Forderungen begleichen wollte, ist nicht geeignet, die für seinen Vermögensverfall sprechenden Beweisanzeichen zu entkräften. Er hat vorgetragen, dass er ein Grundstück verkaufen und mit dem Kaufpreis seine Gläubiger befriedigen wollte; dann würden auch die Insolvenzanträge zurückgenommen werden. Aus dem der Beklagten vorgelegten Kaufvertrag ergab sich jedoch, dass die Kaufpreisforderung nicht ihm, sondern seinem Sohn zustand. Eigenen Angaben zufolge wollte er mit der Abtretung der Kaufpreisforderungen Pfändungen verhindern. War dies erforderlich, waren seine Vermögensverhältnisse nicht geordnet.

Erstmals im Berufungsverfahren hat der Kläger vorgetragen, die Forderung des Rechtsanwalts Dr. G. in Höhe von 14.000 € sei zu einem nicht mitgeteilten Zeitpunkt in Höhe von 8.000 € bezahlt worden, woraufhin der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens "insoweit" zurückgenommen worden sei. Die Forderungen der Gerichtskasse und der Freiherr von D. Stiftung seien zu einem nicht näher dargelegten Zeitpunkt vollständig bezahlt worden; die Forderungen des Finanzamts und der Steuerberater Schä. hätten bezahlt werden können, wenn nicht der vorläufige Insolvenzverwalter bestellt worden sei. Auch dieser nicht belegte und hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts des Widerrufsbescheides unsubstantiierte Vortrag zeigt nur, dass die Vermögensverhältnisse des Klägers gerade nicht geordnet waren.

Schließlich ist auch der zuletzt gehaltene Vortrag des Klägers zu seinem derzeit vorhandenen Vermögen - darunter ein Kontoguthaben von 15.765,66 €, Pachteinnahmen und Umsatzbeteiligung hinsichtlich einer Sandgrube, ein künftiger Anspruch gegen den he. Rundfunk in Höhe von 80.000 €, weiterer Grundbesitz, silbernes Geschirr, Möbel, eine wertvolle Bibliothek - unerheblich. Der Eintritt des Vermögensverfalls wird durch die mit titulierten Forderungen unterlegen Insolvenzanträge, die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und die offenen Forderungen indiziert. Der Kläger hätte nunmehr umfassend darlegen müssen, welche Forderungen am 14. September 2012 gegen ihn bestanden, wie er sie begleichen wollte und wie er fortan zu wirtschaften gedachte. Das gilt umso mehr, als er das seiner Darstellung nach vorhandene Vermögen im September 2012 nicht einmal zur Abwendung der Insolvenzanträge eingesetzt hat, die später zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt haben. Dieser Darlegungslast ist der Kläger nicht hinreichend nachgekommen.

b) Mit dem Vermögensverfall des Rechtsanwalts ist nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Diese Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011, aaO Rn. 8; st.Rspr.). Der Kläger wendet demgegenüber ein, er sei nicht mehr forensisch tätig und nicht mehr in einer mit Fremdgeldern verbundenen Anwaltstätigkeit aktiv. Er sei Honorarprofessor an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität Dr. , halte aber aus Gesundheitsgründen keine Vorlesungen mehr. Seine Tätigkeit beschränke sich auf das Verfassen von Fachbüchern und Beiträgen für die Zeitschrift für die Anwaltspraxis (ZAP). Dieser Vortrag erlaubt jedoch keine abweichende Beurteilung des Falles. Selbst auferlegte Beschränkungen, deren Einhaltung nicht überwacht wird, schließen nach ständiger Rechtsprechung des Senats eine Gefährdung der Rechtsuchenden nicht mit hinreichender Sicherheit aus (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 54/09, juris Rn. 8; vom 21. Februar 2013 - AnwZ (Brfg) 168/12, juris Rn. 11).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 194 Abs. 2 BRAO.

Limperg Lohmann Remmert Quaas Braeuer Vorinstanz:

AGH Frankfurt, Entscheidung vom 03.06.2013 - 2 AGH 20/12 -






BGH:
Urteil v. 09.02.2015
Az: AnwZ (Brfg) 51/13


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