Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 30. März 2004
Aktenzeichen: VI ZB 81/03

(BGH: Beschluss v. 30.03.2004, Az.: VI ZB 81/03)

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 7. November 2003 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben die Beklagten zu tragen.

Beschwerdewert: 457,62 €

Gründe

I.

Der Kläger hat die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Nach Eingang der Klageerwiderung erließ die Zivilkammer des Landgerichts durch den Einzelrichter einen die mündliche Verhandlung vorbereitenden Beschluß gemäß § 358 a ZPO, in dem neben rechtlichen Hinweisen den Parteien ein gerichtlicher Vergleichsvorschlag unterbreitet und Gelegenheit gegeben worden ist, diesem Vorschlag binnen einer Frist von drei Wochen zuzustimmen. Für den Fall der Zustimmung hat das Gericht angekündigt, daß es das Zustandekommen des Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO im schriftlichen Verfahren feststellen werde. Zugleich erließ es einen Beweisbeschluß für den Fall, daß sich eine vergleichsweise Regelung nicht erzielen ließe und bestimmte Termin zur Beweisaufnahme und mündlichen Verhandlung. Beide Parteien erklärten sich mit dem Vergleichsvorschlag einverstanden. Nach dem Inhalt des Vergleichs haben der Kläger 3/4 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/4 der Kosten des Verfahrens zu tragen. Am 8. April 2003 ist der Vergleich durch gerichtlichen Beschluß festgestellt worden.

Der Rechtspfleger des Landgerichts hat die von den Parteien angesetzten Verhandlungsgebühren im Kostenfestsetzungsbeschluß vom 16. Juni 2003 abgesetzt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Verhandlungsgebühren seien mangels Antragstellung in einem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht entstanden. Beide Parteien haben dagegen sofortige Beschwerde mit der Maßgabe eingelegt, daß statt einer Verhandlungsgebühr eine Erörterungsgebühr anzusetzen sei. Den Beschwerden hat der Rechtspfleger nicht abgeholfen und sie dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Mit Beschluß vom 7. November 2003 hat das Oberlandesgericht die sofortigen Beschwerden zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Die Beklagten verfolgen mit der Rechtsbeschwerde weiter die Festsetzung einer Erörterungsgebühr.

II.

1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, daß eine Erörterungsgebühr gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO nicht dadurch ausgelöst worden sei, daß die Parteivertreter die Sachund Rechtslage vor dem Vergleichsschluß erörterten. Wie § 31 Abs. 2 BRAGO deutlich mache, sei die Erörterungsgebühr der Verhandlungsgebühr gleichgestellt und werde deshalb nur dann verdient, wenn die Erörterung in einem gerichtlichen Termin stattfinde. Hingegen würden außerhalb eines Termins geführte Auseinandersetzungen und Verhandlungen durch die Prozeßgebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO abgegolten. Der Anwalt erhalte darüber hinaus eine Vergleichsgebühr nach § 23 Abs. 1 Satz 3 BRAGO, wenn die Verhandlungen in einen den Rechtsstreit beendenden Vergleich mündeten. Auch aus § 35 BRAGO lasse sich für den vorliegenden Fall nichts anderes herleiten. Es fehle zum einen eine gerichtliche Entscheidung, da lediglich ein Beschluß nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO ergangen sei. Zum anderen bedürfe es zur Beschlußfassung nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO nach dem gesetzlichen Leitbild keiner mündlichen Verhandlung. Es entspreche vielmehr der Vorstellung des Gesetzgebers, von ihr abzusehen.

2. Diese Erwägungen halten einer Überprüfung stand.

a) Vergeblich machen die Beklagten geltend, die dem Vergleichsschluß nach § 278 Abs. 6 ZPO vorausgehende fernmündliche Erörterung der Sachund Rechtslage löse eine Erörterungsgebühr in sinngemäßer Anwendung des § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO aus. Der Senat teilt die Auffassung des Beschwerdegerichts (vgl. auch OLG Koblenz, JurBüro 2003, 533), daß die außerhalb eines gerichtlichen Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung der Parteien und ihrer Vertreter bereits durch die Prozeßgebühr des § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO abgegolten werden. Münden sie in einen den Rechtsstreit beendenden Vergleich, erhält der Anwalt darüber hinaus die Vergleichsgebühr.

b) Der Gebührentatbestand des § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO setzt grundsätzlich die Erörterung der Sache in einem gerichtlichen Termin voraus (einhellige Auffassung: vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1984, 1046 m.w.N.; Hansens, BRAGO-Report 2002, 98, 99; wohl auch Enders, JurBüro 2003, 1, 3 unter Praxistip; Siemon, MDR 2003, 61, 62). Das zieht auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel. Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-Reformgesetz) vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) hat sich daran entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nichts geändert. Zwar besteht seitdem die Möglichkeit nach § 278 Abs. 6 ZPO einen gerichtlichen Vergleich in der Weise zu schließen, daß die Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen und das Gericht das Zustandekommen und den Inhalt eines solchen Vergleichs durch Beschluß feststellt. Dieses Verfahren ist jedoch nicht vergleichbar mit dem Fall, daß die Parteien nach einer die Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO auslösenden Erörterung der Sache im gerichtlichen Termin den Prozeß durch einen Vergleich beenden, ohne daß eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.

c) Eine Ausdehnung des Kostentatbestandes in § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO auf den Vergleichsschluß ohne Erörterung der Sache in einem gerichtlichen Termin widerspricht nicht nur dem auch von den Parteivertretern zu wahrenden Interesse der Parteien, die Kosten so gering wie möglich zu halten. Sie ist auch sonst nicht gerechtfertigt. So ist der mit der Erörterung im Gerichtssaal verbundene Arbeitsaufwand der Prozeßvertreter nicht vergleichbar mit einem Telefongespräch, das ohne räumliche und zeitliche Bindung und dem mit dem Weg zum Gericht verbundenen Zeitaufwand geführt werden kann (anderer Ansicht Siemon aaO). Hiergegen kann nicht eingewandt werden, daß für die in § 128 a ZPO vorgesehene Verhandlung im Wege der Bildund Tonübertragung eine Verhandlungsgebühr verlangt werden kann (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 128 a Rdn. 8; Enders, JurBüro, S. 61), obwohl die Prozeßbeteiligten nicht gemeinsam in einem Gerichtssaal körperlich anwesend sind. Durch § 128 a ZPO wird zwar das Erfordernis der körperlichen Präsenz bei einer mündlichen Verhandlung gelockert, doch werden dadurch nicht Gerichtsverhandlungen partiell in den Privatbereich oder in Büros verlegt. Vielmehr ist auch im Falle des § 128 a ZPO das Erscheinen der Prozeßbeteiligten am Übertragungsort zu der zur Verhandlung bestimmten Zeit erforderlich (vgl. Zöller/Greger, aaO, § 128 a Rdn. 1, 2; anderer Ansicht wohl Siemon, aaO).

Für die Partei wäre bei einem Vergleichsschluß nach § 278 Abs. 6 ZPO außerdem kaum absehbar, wann eine Erörterungsgebühr, deren Anfall an eher zufällige Arbeitsweisen im Einzelfall anknüpft, entsteht. Denn ob das Verfahren schriftlich betrieben oder der Streitstoff telefonisch erörtert wird, hängt von den Prozeßvertretern ab und ist durch die Parteien schwerlich zu beeinflussen. Der in der Regel aufwendigere Schriftverkehr ist aber mit der Prozeßgebühr abgegolten.

d) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde spricht nichts dafür, daß der Gesetzgeber es versäumt habe, § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO im Hinblick auf das Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO insoweit anzugleichen, daß auch in Fällen, in denen die Parteivertreter nicht vor Gericht auftreten, die Erörterungsgebühr bei telefonischer Erörterung entsteht. Das inzwischen verabschiedete Gesetz zur Neuordnung des Rechtsanwaltsvergütungsrechts sieht keinen weiteren Vergütungstatbestand vor. Beim Abschluß eines schriftlichen Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO soll neben der Einigungsgebühr (Nummer 1000 des Vergütungsverzeichnisses, BT-Drucks. 15/2487 S. 92) die Verfahrensgebühr (Nummer 3101 des Vergütungsverzeichnisses, BT-Drucks. aaO S. 97), nicht jedoch die Terminsgebühr (Nummer 3104 des Vergütungsverzeichnisses, BT-Drucks. aaO S. 98) entstehen (vgl. auch Zöller/Greger aaO, § 278 Rdn. 27). Auch nach derzeitigem Rechtszustand erhält der Prozeßvertreter für das Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO eine Prozeßgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO und eine Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO. Erfolglos beruft sich die Rechtsbeschwerde deshalb auf § 2 BRAGO, wonach in Fällen, in denen Gebühren für eine Berufstätigkeit des Rechtsanwalts nicht bestimmt sind, die Gebühren in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften des Gesetzes zu bemessen sind.

e) Zutreffend hat das Beschwerdegericht auch die Voraussetzungen des § 35 BRAGO im vorliegenden Fall verneint, weil es zur Beschlußfassung nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO nach dem gesetzlichen Leitbild gerade keiner mündlichen Verhandlung bedarf und es sich hierbei auch nicht um eine gerichtliche Entscheidung handelt (vgl. OLG München, JurBüro 2003, 248 f.; OLG Schleswig, JurBüro 2003, 301; OLG Koblenz, JurBüro 2003, 467; a.A. Enders, JurBüro 2003, 1; Buchmüller, AnwBl. 2004, 88). Hiergegen spricht nicht, daß in jeder Lage des Verfahrens nach Möglichkeiten einer gütlichen Beilegung des Rechtsstreits zu suchen und deshalb nicht ausgeschlossen ist, daß auch noch nach einem gerichtlichen Termin und einer mündlichen Verhandlung ein Vergleich auf Vorschlag des Gerichts festgestellt wird (vgl. Buchmüller, aaO).

3. Nach allem ist die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Müller Wellner Diederichsen Pauge Stöhr






BGH:
Beschluss v. 30.03.2004
Az: VI ZB 81/03


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