Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. April 2010
Aktenzeichen: 35 W (pat) 412/09

(BPatG: Beschluss v. 28.04.2010, Az.: 35 W (pat) 412/09)

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I vom 17. November 2008 aufgehoben.

II. Das Streitgebrauchsmuster wird teilgelöscht soweit es über die Schutzansprüche 1 bis 4 gem. Hilfsantrag 1 vom 12.02.2009 hinausgeht.

III. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

IV. Die Kosten des Löschungsverfahrens in beiden Rechtszügen trägt zu der Antragsgegner und zu die Antragstellerin.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer ist Inhaber des Gebrauchsmusters 201 00 644 mit der Bezeichnung "Verbindungsvorrichtung für Geländer" (Streitgebrauchsmuster). Das Streitgebrauchsmuster ist am 15. Januar 2001 beim DPMA angemeldet und am 03. Mai 2001 mit 6 Schutzansprüchen eingetragen worden.

Die eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 6 haben folgenden Wortlaut:

1.

Vorrichtung zum festen Verbinden eines Zwischenstückes mit einem stabartigen Teil eines Geländers, bestehend aus einem an dem stabartigen Teil des Geländers mittels einer Schraube befestigbaren Anschlussstück, dadurch gekennzeichnet, dass das Anschlussstück (9, 15) als Scheibe ausgebildet ist und sowohl eine durchgehende Bohrung (12) zur Aufnahme der Schraube (11) aufweist als auch mit einer Aussparung (10) für eine klemmende Aufnahme des Zwischenstückes (7,8) versehen ist.

2.

Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Aussparung (10) als Bohrung ausgebildet ist.

3.

Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die der Aussparung (10) als Nut ausgebildet ist.

4.

Vorrichtung nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die der Aufnahme der Schraube (11) dienende Bohrung (12a) mit Gewinde versehen ist.

5.

Vorrichtung nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass die der Aussparung (10) abgewandte Stirnfläche des Anschlussstückes (9) im Bereich der Bohrung (12) eine Vertiefung für den Kopf der Schraube (11) aufweist.

6.

Vorrichtung nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass das Anschlussstück (9) über die Schraube (11) mit einem weiteren, eine mit Gewinde versehene Bohrung (12a) aufweisenden Anschlussstück (15) verbindbar ist.

Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 25.01.2005 neue Schutzansprüche 1 bis 4 eingereicht, mit der ausdrücklichen Erklärung, dass das Gebrauchsmuster nur noch im Umfang der neu eingereichten Anspruchsfassung geltend gemacht wird. Diese Schutzansprüche haben folgenden Wortlaut:

1.

Vorrichtung zum festen Verbinden eines Zwischenstückes (7, 8) mit einem stabartigen Teil eines Geländers (2, 7, 8), bestehend aus einem an dem stabartigen Teil des Geländers mittels einer Schraube (11) befestigbaren Anschlussstück (9, 15) das als Scheibe ausgebildet ist und sowohl eine durchgehende Bohrung (12) zur Aufnahme der Schraube (11) aufweist als auch mit einer Aussparung (10) für eine klemmende Aufnahme des Zwischenstückes (7, 8) versehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Aussparung (10) als Nut ausgebildet ist.

2.

Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die der Aufnahme der Schraube (11) dienende Bohrung (12a) mit Gewinde versehen ist.

3.

Vorrichtung nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 2, dadurch gekennzeichnet, dass die der Aussparung (10) abgewandte Stirnfläche des Anschlussstückes (9) im Bereich der Bohrung (12) eine Vertiefung für den Kopf der Schraube (11) aufweist.

4.

Vorrichtung nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass das Anschlussstück (9) über die Schraube (11) mit einem weiteren, eine mit Gewinde versehene Bohrung (12a) aufweisenden Anschlussstück (15) verbindbar ist.

Mit diesen Schutzansprüchen hat die Gebrauchsmusterabteilung I mit Beschluss vom 17. November 2008 das Streitgebrauchsmuster gelöscht. Gegen diesen Beschluss legt der Beschwerdeführer am 30. Dezember 2008 Beschwerde ein und beantragt, den angefochtenen Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung insoweit aufzuheben, als das Streitgebrauchsmuster lediglich in dem Umfang gelöscht wird, der über die gem. Hilfsantrag 1 vom 12.02.2009 vorgelegten Schutzansprüche 1 bis 4 hinausgeht. Diese, gemäß Schriftsatz vom 16.04.2010 nunmehr per Hauptantrag verteidigten Schutzansprüche lauten:

1.

Vorrichtung zum festen Verbinden eines Zwischenstückes (7, 8) mit einem stabartigen Teil eines Geländers (2, 7, 8), bestehend aus einem an dem stabartigen Teil des Geländers mittels einer Schraube (11) befestigbaren Anschlussstück (9, 15), das als Scheibe ausgebildet ist und sowohl eine durchgehende Bohrung (12) zur Aufnahme der Schraube (11) aufweist als auch mit einer Aussparung (10) für eine klemmende Aufnahme des Zwischenstückes (7, 8) versehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Aussparung (10) als Nut ausgebildet ist, wobei die Nut in Richtung des stabartigen Teils des Geländers (2, 7, 8) geöffnet ist.

2.

Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die der Aufnahme der Schraube (11) dienende Bohrung (12a) mit Gewinde versehen ist.

3.

Vorrichtung nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 2, dadurch gekennzeichnet, dass die der Aussparung (10) abgewandte Stirnfläche des Anschlussstückes (9) im Bereich der Bohrung (12) eine Vertiefung für den Kopf der Schraube (11) aufweist.

4.

Vorrichtung nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass das Anschlussstück (9) über die Schraube (11) mit einem weiteren, eine mit Gewinde versehene Bohrung (12a) aufweisenden Anschlussstück (15) verbindbar ist.

Der Beschwerdeführer führt aus, dass der Gegenstand des um ein weiteres Merkmal eingeschränkten geltenden Schutzanspruchs 1 gegenüber dem angeführten Stand der Technik neu sei und auch auf einem erfinderischen Schritt beruhe. Er beantragt sinngemäß, den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung I vom 17. November 2008 insoweit aufzuheben, als das Streitgebrauchsmuster lediglich in dem Umfang gelöscht wird, der über die gem. Hilfsantrag 1 vom 12.02.2009 vorgelegten Schutzansprüche 1 bis 4 hinausgeht, sowie die Kosten aus beiden Instanzen zu mindestens der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen.

Die Beschwerdegegnerin hat mit Schriftsatz vom 16.04.2009 mitgeteilt, sich zu der Beschwerde nicht äußern zu wollen.

Von den im vorangegangenen Löschungsverfahren eingeführten Druckschriften

(E1) DE 299 02 846 U1, (E2) DE 295 17 455 U1, (E3) DE 91 01 625 U1, (E4) DE 92 10 602 U1, (E5) GB 21 13 272 A, (E6) US 43 90 164, (E7) EP 07 48 906 A1, (E8) EP 02 63 600 A2 und (E9) CA 22 11 987 hat die Gebrauchsmusterabteilung zur Begründung ihres Löschungsbeschlusses lediglich die DE 295 17 455 U1 (E2) herangezogen, welche dem Gegenstand des Streitgebrauchsmusters neuheitsschädlich entgegenstehe.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und in der Sache soweit begründet, als sie zu einer Aufhebung des angefochtenen Löschungsbeschlusses im beantragten Umfang führte.

1.

Die nunmehr geltende Fassung des Schutzanspruchs, mit welcher das Streitgebrauchsmuster antragsgemäß verteidigt wird, entspricht identisch dem Patentanspruch 1, auf dessen Basis in einem Einspruchsverfahren vor dem 6. Senat des BPatG das zum hier behandelten Streitgebrauchsmuster parallele Patent DE 101 54 990 beschränkt aufrechterhalten worden ist (Az.: 6 W (pat) 302/08; Beschluss vom 13.11.2008). Da in diesem Einspruchsverfahren wie in der angefochtenen Entscheidung der Gebrauchsmusterabteilung kein dem jeweiligen Patentbzw. Gebrauchsmustergegenstand näherkommender Stand der Technik als die DE 295 17 455 U1 (hier E2) in Rede stand, macht sich der hier erkennende Senat aus Gründen der Rechtssicherheit im Grundsatz das Ergebnis der parallelen Einspruchssache zu eigen. Dies erscheint dem Senat insbesondere auch unter der Prämisse geboten, dass nach neuerer Rechtsprechung bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit (Patent) einerseits und des erfinderischen Schrittes (Gebrauchsmuster) andererseits kein substantieller Unterschied mehr anzusetzen ist.

2.

Die geltenden Schutzansprüche sind zulässig. Der Schutzanspruch 1 beruht auf einer einschränkenden Aufnahme des Merkmals, dass "die Nut in Richtung des stabartigen Teils des Geländers geöffnet ist", in den zuletzt geltenden Schutzanspruch 1. Dieses Merkmal ist u. a. in den Figuren 2 und 3 der Gebrauchsmusterschrift i. V. m. der diesbezüglichen Figurenbeschreibung (Seite 5, letzter Absatz bis Seite 6, Abs. 2) als zur Erfindung gehörig offenbart. Dort ist in einer Schnittdarstellung das Anschlussstück (9) gezeigt, welches das Zwischenstück (7) in der Nut haltend gegen den stabartigen Teil des Geländers (2) festklemmt. Funktionsbedingt muss dabei die Nut in diese Richtung geöffnet sein, wie auch die Darstellung, u. a. an der Ausrichtung der Schraube (11), widerspruchsfrei erkennen lässt. Die Unteransprüche 2 bis 4 stimmen mit der zuletzt geltenden Fassung überein.

3.

Der zweifellos gewerblich anwendbare Gegenstand des geltenden Schutzanspruchs 1 ist gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik neu.

Bei keinem der aus den angeführten Druckschriften bekannten Gegenständen ist nämlich die Aussparung zur Aufnahme des Zwischenstücks als in Richtung des stabartigen Teils des Geländers geöffnete Nut ausgebildet. Dies gilt insbesondere auch für das Geländersystem nach der DE 295 17 455 U1 (E2), wo die Nut (32) in dem mit dem Anschlussstück des Streitgebrauchsmusters vergleichbaren Formschlussadapter (17) in allen Einbausituationen nach außen weist, um die zu verbindenden Geländerteile aufzunehmen.

4.

Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 beruht auch auf einem erfinderischen Schritt. Als entscheidend für die Lehre des Streitgebrauchsmusters, welches von einer Vorrichtung ausgeht, wie sie laut Beschreibungseinleitung in der DE 299 02 846 U1 (E1) beschrieben ist, sieht es der Senat insbesondere an, dass nach dem Kennzeichen des Schutzanspruchs 1 die Ausnehmung zur klemmenden Aufnahme des Zwischenstücks als Nut ausgebildet ist, welche in Richtung des stabartigen Teils des Geländers geöffnet ist. Damit wird gegenüber den bekannten Verbindungsvorrichtungen eine erhebliche Montageerleichterung dahingehend erreicht, dass das Zwischenstück nicht mehr umständlich durch eine Bohrung des Anschlussstücks eingeführt werden muss, sondern in die zu dem stabartigen Teils des Geländers hin offene Nut einfach eingelegt wird, wo sie formschlüssig gehalten wird und anschließend durch Anziehen der Schraube einen klemmenden Sitz erfährt. Auf eine solche Ausbildung eines Anschlussstücks gibt der gesamte aufgezeigte Stand der Technik keinen Hinweis. Die Vorrichtung nach der nächstkommenden DE 295 17 455 U1 (E2) umfasst als Anschlussstücke zwischen Geländerelementen sog. Formschlussadapter, welche mit nutartigen Ausnehmungen versehen sind (vgl. dort Pos. 17 mit Ausnehmung 33 bzw. Nut 32). Diese Ausnehmungen sind jedoch nicht nur lagemäßig anders angeordnet als die in Rede stehende Nut beim Streitgebrauchsmuster, sondern wirken auch funktionsmäßig unterschiedlich. So ist die "einseitig offene Ausnehmung (33)" des Formschlussadapters (17) in einer Ausführungsform

(s. dort Fig. 1 bzw. 2) vom Geländerpfosten abgewandt als nach außen offene Nut zur Halterung eines Unterbzw. Obergurts (13, 14) ausgebildet. In einer weiteren Ausführungsform (s. Fig. 3, 4, 12 und 13) halten jeweils zwei Formschlussadapter, mit ihren Ausnehmungen paarweise einander zugewandt, zwischen sich Füllelemente (22). Zusätzlich weisen nach einigen Ausführungsformen (s. dort u. a. Anspruch 3) die Formschlussadapter noch eine "hinterschnittene Nut 32" auf, welche auf einen entsprechend profilierten Geländerpfosten aufgeschoben und dort mittels Schrauben befestigt wird. Damit bietet diese Druckschrift ein in sich abgeschlossenes Lösungskonzept für das Verbinden von Geländerteilen. Eine Veranlassung, sich von diesem Lösungsweg abzuwenden und für alle Geländerelemente einheitliche Anschlussstücke einzusetzen, welche i. S. des Schutzanspruchs 1 eine in Richtung des stabartigen Teils des Geländers geöffnete Nut aufweisen, gibt diese Entgegenhaltung dem Fachmann somit nicht. Nicht über deren Offenbarungsgehalt hinaus geht der Inhalt der übrigen, im vorangegangenen Löschungsverfahren nicht aufgegriffenen Druckschriften. Soweit diese überhaupt dem Gebrauchsmustergegenstand vergleichbare Verbindungsvorrichtungen für Geländer zeigen (E1, E5, E6 und E7), so weisen diese jeweils keine Nut zur klemmenden Aufnahme eines zu verbindenden Teils auf, schon gar nicht eine i. S. des Schutzanspruchs 1 in Richtung des stabartigen Teils des Geländers geöffnete Nut. Eine Anregung in Richtung auf eine solche Ausbildung kann somit auch von diesem Stand der Technik nicht ausgehen.

5. Der geltende Schutzanspruch 1 ist somit gewährbar. Mit ihm sind auch die hierauf rückbezogenen Unteransprüche gewährbar, die auf nicht triviale Ausgestaltungen dessen Gegenstandes gerichtet sind.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 2 S. 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 S. 1 und 2 PatG, § 92 ZPO. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.

Müllner Hildebrandt Küest Cl






BPatG:
Beschluss v. 28.04.2010
Az: 35 W (pat) 412/09


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