Landgericht Bonn:
Urteil vom 13. April 2010
Aktenzeichen: 15 O 451/09

(LG Bonn: Urteil v. 13.04.2010, Az.: 15 O 451/09)

Ein ausgeschiedener (Schein- ) gesellschafter einer Rechtsanwaltssozietät haftet dem Mandanten nach §§ 736 II BGB, 160 I 1 HGB nur dann auf Schadenersatz wegen anwaltlicher Pflichtverletzung, wenn die Pflichtverletzung vor seinem Ausscheiden begangen worden ist.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen der Streithelferin trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist Vorstandsvorsitzende der V AG in L und nimmt den Beklagten, der bei der Streithelferin als Rechtsanwalt tätig war, auf Schadensersatz aus Anwaltshaftung in Anspruch. Von der Streithelferin ließ sich die V AG regelmäßig anwaltlich vertreten. Der Sozius der Streithelferin, Rechtsanwalt U, war Aufsichtsratsvorsitzender der V AG.

Zum Jahreswechsel ......#/...... beauftragten die Klägerin sowie die V AG die Streithelferin, Antrag auf Arrest gegen Herrn M Y zu stellen. Dieser Antrag wurde mit Schriftsatz vom ........20... auf dem Briefpapier der Streithelferin gestellt. Der Briefkopf wies den Namen des Beklagten nicht auf. Unterschrieben wurde der Schriftsatz, der als Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Streithelferin angab, von Rechtsanwalt U. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz verwiesen, der sich als Bl. 1ff. in der beigezogenen Akte des LG L, Aktenzeichen # HO #/..., befindet. Auch der am ........20... gestellte weitere Antrag auf Arrest erfolgte auf dem Briefpapier der Streithelferin, das den Namen des Beklagten nicht enthielt, und nannte als Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Streithelferin. Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz in der beigezogenen Akte des LG L, Aktenzeichen # HO .../... (Bl. 1 ff.) verwiesen.

Hintergrund für den Arrestantrag war, dass Herr Y zusammen mit Herrn S Vorstand der W.de AG war. Die Gesellschaft hatte im Herbst ...... erhebliche Zahlungsschwierigkeiten und suchte nach Investoren. Im Oktober ...... bot Herr Y der Klägerin den Kauf von 3 % der Aktien der Gesellschaft zum Preis von 200.000,00 DM an. Die Klägerin nahm das Angebot an, kaufte je zur Hälfte für sich und die V AG die Aktien und überwies am .............. insgesamt 200.000,00 DM an die W.de AG. Der geplante Börsengang der W.de AG zerschlug sich und am .............. stellte die Gesellschaft Insolvenzantrag. Im Dezember teilte Herr Y der Klägerin mit, dass die Gesellschaft Insolvenzantrag gestellt habe und sie lediglich Aktionärin der nicht börsennotierten W.de J Inc. geworden sei. Die Klägerin focht den Kaufvertrag daraufhin wegen arglistiger Täuschung an und forderte die Rückzahlung des Kaufpreises. Herr Y teilte hierauf mit, dass mit der Klägerin lediglich vereinbart worden sei, ihr Aktien zu schenken, wenn kurzfristig 200.000,00 DM gezahlt würden, um die finanziellen Schwierigkeiten der Gesellschaft zu überbrücken. Auf das sehr hohe Risiko hätten sie hingewiesen.

Im Sommer 20... entschloss sich die Klägerin, die Herren C und S auf Schadensersatz zu verklagen, und wandte sich diesbezüglich an Rechtsanwalt U. Dieser empfahl den Beklagten als für diesen Fachbereich kompetenten Rechtsanwalt, der seit kurzem bei der Streithelferin tätig und am ........20... erstmals zur Rechtsanwaltschaft zugelassen worden war. Die anschließende Korrespondenz zwischen den Parteien erfolgte stets auf dem Briefpapier der Streithelferin.

Der Beklagte fertigte und unterschrieb am ........20... auf dem Briefpapier der Streithelferin die Klageschrift und nannte als Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Streithelferin. Das Briefpapier der Streithelferin führte den Namen des Beklagten neben anderen Sozien der Streithelferin auf, ohne auf ein Anstellungsverhältnis des Beklagten hinzuweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift Bezug genommen, die sich als Bl. 1ff. bei der beigezogenen Akte des LG L, Aktenzeichen ... O ...#/..., befindet.

In diesem Verfahren erließ das LG L am ........20... ein Versäumnisurteil gegen die Herren C und S und verurteilte diese zur Zahlung von 102.258,38 Euro (= 200.000,00 DM) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit ........20... bis ........20... und in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem ........20... an die Klägerin. Zuvor hatte die V AG ihren Schadensersatzanspruch an die Klägerin abgetreten. Der Beklagte informierte die Klägerin noch am gleichen Tag über das Versäumnisurteil und teilte ihr außerdem mit, dass die Zwangsvollstreckung vermutlich nicht durchführbar sei, da für die Beklagten des Vorprozesses das Verbraucherinsolvenzverfahren beantragt worden sei. Aus dem Versäumnisurteil könne allerdings auch noch nach Abschluss des Verbraucherinsolvenzverfahrens und etwaiger Restschuldbefreiung vollstreckt werden, da deliktische Verbindlichkeiten nicht von der Restschuldbefreiung erfasst seien. Die Herren Y und S legten form- und fristgerecht Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein. Am ........20... wurde hinsichtlich beider das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. In den folgenden Monaten meldete der Beklagte die Forderung der Klägerin in den beiden Verbraucherinsolvenzverfahren zur Tabelle an, die von den Treuhänderin jeweils nach Grund und Höhe bestritten wurden.

Nachdem die Klägerin Anfang Oktober 20... um Abrechnung des Falles gebeten hatte, schrieb ihr der Beklagte Mitte des Monats, dass das Verfahren vor dem LG L wegen der Verbraucherinsolvenzverfahren ruhe. Die angemeldete Forderung könne jedoch im Verbraucherinsolvenzverfahren gerichtlich festgestellt werden, da sie bestritten worden sei. Ihre Ansprüche könne die Klägerin aber auch noch nach Abschluss des Verbraucherinsolvenzverfahrens weiterverfolgen, da ihr Anspruch nicht von einer Restschuldbefreiung erfasst werde. Auf seine Frage, ob die Forderung im Verbraucherinsolvenzverfahren geltend gemacht werden sollte, antwortete die Klägerin im November 20... mit der Bitte um Beratung hinsichtlich der Vor- und Nachteile sowie der Risiken und Kosten.

Am ........20... schrieb der Beklagte an die Klägerin, eine Verfolgung des Anspruchs im Verbraucherinsolvenzverfahren sei wegen der Quote nicht zu empfehlen; ob jedoch Zahlungen zu erwarten seien, wenn der Anspruch nach Abschluss des Verfahrens geltend gemacht werde, könne nicht gesagt werden. Er bat insoweit um Mitteilung, ob die Ansprüche im Verbraucherinsolvenzverfahren oder nach dessen Abschluss im Ausgangsverfahren weiterverfolgt werden sollten. Mit handschriftlicher Notiz vom ........20... auf dem Schreiben des Beklagten teilte die Klägerin mit, dass sie die Weiterverfolgung ihrer Ansprüche nach Abschluss des Insolvenzverfahrens wünsche; zugleich lehnte sie eine gerichtliche Geltendmachung im Insolvenzverfahren ab. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen, das sich als Anlage K18 bei den Akten befindet.

Am ........20... wurde die Aufhebung des Insolvenzverfahrens gegen Herrn C beschlossen und der Beschluss am ........20... im Bundesanzeiger veröffentlicht. Der Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens gegen Herrn S erfolgte am ........20... und wurde am ........20... ebenfalls im Bundesanzeiger veröffentlicht.

Zum ........20... schied der Beklagte aus der Kanzlei der Streithelferin aus. Das Mandat der Kläger nahm er nicht mit. Am ........20... fragte das LG L beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten des Ausgangsverfahrens an, ob angesichts der ungewissen Dauer des Insolvenzverfahrens das Ausgangsverfahren fortgesetzt werden solle. Weder der Beklagte noch die Streithelferin erhielten eine ebensolche Anfrage. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten des Ausgangsverfahrens erwiderte hierauf nicht.

Anfang Juli 20... nahm der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Verfahren vor dem LG L wieder auf, erweiterte die Klage auf die Treuhänder und beantragte die Feststellung der Forderung zur jeweiligen Insolvenztabelle. Mitte Juli 20... wurde Herrn Y und Mitte August 20... Herrn S Restschuldbefreiung erteilt. Auf den Hinweis des LG L, dass die Insolvenzverfahren zwischenzeitlich beendet seien, bat der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin darum, die Klageerweiterung nicht mehr zuzustellen.

Mit Urteil vom ........20... wies das LG L die Klage ab und führte zur Begründung aus, die Ansprüche seien verjährt; die Unterbrechung durch die Insolvenzverfahren sei bereits mit deren Aufhebung beendet worden und eine Fortsetzung des Rechtsstreits möglich gewesen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Urteil des Ausgangsverfahrens verwiesen, dass sich als Bl. 249ff. bei der beigezogenen Akte LG L, Aktenzeichen # O ...#/..., befindet.

Die Klägerin behauptet, die Beklagten des Ausgangsverfahrens hätten im Oktober 20... weder die finanziellen Schwierigkeiten der W.de AG erwähnt noch auf die Risiken ihrer Investition hingewiesen.

Sie meint, sie habe den Beklagten persönlich mandatiert. Selbst wenn das Mandat der Streithelferin erteilt worden sei, hafte der Beklagte, weil er den Rechtsschein gesetzt habe, er sei Gesellschafter der Streithelferin. Es liege eine Pflichtverletzung vor, weil ihre Ansprüche im Ausgangsverfahren nach Aufhebung der Insolvenzverfahren gegen die damaligen Beklagten nicht weiterverfolgt worden seien. Die Aufhebung der Verbraucherinsolvenzverfahren gegen die Beklagten des Ausgangsverfahrens hätte dem hiesigen Beklagten bekannt sein müssen. Aus einem der Klage stattgebendem Urteil hätte gegen die Herren Y und S auch erfolgreich vollstreckt werden könne. Die im Ausgangsverfahren gegen die dortigen Beklagten geltend gemachten Forderungen seien 20... verjährt gewesen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 172.864,55 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 102.258,37 Euro seit 12.11.2009 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Streithelferin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, er sei nie Gesellschafter der Streithelferin, sondern als Rechtsanwalt nur bei ihr angestellt gewesen.

Er meint, er hafte nicht, da die Klägerin nicht ihn persönlich, sondern die Streithelferin mandatiert habe. Es liege keine Pflichtverletzung vor; jedenfalls sei diese allenfalls nach seinem Ausscheiden bei der Streithelferin begangen worden. Weiterhin habe die Klägerin einen durch eine dem Beklagten zuzurechnende Pflichtverletzung verursachten Schaden nicht hinreichend dargelegt. Nach der Klageerwiderung der Herren Y und S im Ausgangsverfahren vor dem LG L sei sehr fraglich gewesen, ob die Klägerin den Prozess gewonnen hätte; jedenfalls habe das LG L die Klage der Klägerin im Ausgangsverfahren mit einer unzutreffenden Begründung abgewiesen, da ihre dort geltend gemachten Ansprüche nicht verjährt gewesen seien. Selbst wenn der Klage im Ausgangsverfahren stattgegeben worden wäre, hätte aus dem Urteil gegen die Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht erfolgreich vollstreckt werden können. Jedenfalls sei ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen ihn verjährt.

Mit Schriftsatz vom ........20... ist die Streithelferin dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom ........20... Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 172.864,55 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 102.258,37 Euro seit 12.11.2009.

I.

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280, 611, 675 BGB gegen den Beklagten sind nicht gegeben. Der dafür erforderliche Anwaltsvertrag zwischen den Parteien existiert nicht.

Besteht eine Anwaltssozietät in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, nimmt der Rechtsanwalt das ihm angetragene Mandat in der Regel im Namen der Sozietät als so genanntes Gesamtmandat an, da das Mandatsverhältnis nach dem mutmaßlichen Willen von Mandant und Anwalt mit der Sozietät begründet werden soll (BGH, NJW 2000, 1560, 1561; BGH, NJW 1994, 257; OLG Köln, NJW-RR 2004, 279; Sieg, in: Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl., Rn 354). Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann ausnahmsweise von der Begründung eines Einzelmandats ausgegangen werden (BGH, NJW 2000, 1560, 1561; BGH, NJW 1994, 257; Sieg, a.a.O.). Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Rechtsanwalt mit einer Tätigkeit betraut wird, die außerhalb des Berufsbilds des Rechtsanwalts und auch nicht mit einer rechtsberatenden Tätigkeit im Zusammenhang steht (Sieg, a.a.O.).

Danach ist der Anwaltsvertrag vorliegend nicht zwischen den Parteien, sondern zwischen der Klägerin und der Streithelferin geschlossen worden. Bei der Streithelferin handelt es sich um eine Rechtsanwaltssozietät in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, da sie zur Zeit des Vertragsschlusses im Rechtsverkehr nach außen als solche aufgetreten ist. Zur Zeit des Vertragsschlusses 20... verwendete sie Briefpapier, in dessen Kopf die Rechtsanwaltskanzlei Dr. T, O, N genannt wird. Auf der rechten Seite des Briefpapiers, das sowohl für den Antrag vom ........20... im Arrestverfahren vor dem LG L als auch für die Klageschrift vom ........20... im Klageverfahren vor dem LG L verwendet wurde, stehen die Namen der einzelnen Rechtsanwälte der Streithelferin, ohne auf eine Bürogemeinschaft oder ein Anstellungsverhältnis bestimmter Rechtsanwälte hinzuweisen.

Ein Vertragsschluss zwischen der Klägerin und der Streithelferin entsprach sowohl dem Willen der Klägerin als auch dem Willen der Streithelferin. Die Klägerin hatte bereits im vorgehenden Arrestverfahren gegen Herrn Y die Streithelferin mandatiert. Die Klageschrift im Ausgangsverfahren nannte ebenfalls die Streithelferin und nicht den Beklagten persönlich als Prozessbevollmächtigten. Zudem war der Beklagte erst seit kurzem zur Anwaltschaft zugelassen und als Rechtsanwalt für die Streithelferin tätig. Die gesamte Korrespondenz mit der Klägerin wurde unter dem Briefkopf der Streithelferin geführt. Ferner handelt es sich bei der Prozessvertretung um keinen besonderen Umstand, der für ein Einzelmandat sprechen würde. Die Prozessvertretung ist eine typische Tätigkeit für einen Rechtsanwalt. Gegen ein Gesamtmandat spricht schließlich auch nicht, dass Rechtsanwalt U, der bearbeitende Rechtsanwalt der Streithelferin im Arrestverfahren, den Beklagten als kompetenten Anwalt für das Klageverfahren empfohlen hatte und er der einzige Ansprechpartner der Klägerin war. Auch bei einem Gesamtmandat ist es typisch, dass das Mandat von einem bestimmten Rechtsanwalt bearbeitet wird und dieser auch als Ansprechpartner für den Mandanten fungiert.

Durch die Mitteilung der Klägerin vom November 20... auf das Schreiben des Beklagten vom Oktober 20... hinsichtlich des weiteren Vorgehens ist ebenfalls kein Einzelmandat mit dem Beklagten geschlossen worden. Der Wortlaut sowie der Sinn und Zweck der Schreiben sprechen dagegen, dass die Parteien hierdurch einen neuen Anwaltsvertrag schließen wollten. Vielmehr erteilte die Klägerin im Rahmen des bestehenden Gesamtmandats mit der Streithelferin hinsichtlich der Prozessführung im Ausgangsverfahren die Weisung, ihre Ansprüche erst nach Abschluss des Verbraucherinsolvenzverfahrens weiterzuverfolgen. Selbst wenn man jedoch den Abschluss eines neuen Anwaltsvertrags annähme, hätte kein Einzelmandat des Beklagten vorgelegen, sondern es wäre auch hier wieder ein Gesamtmandat der Streithelferin begründet worden. Der Beklagte verfasste sein Schreiben auf dem Briefpapier der Streithelferin, auf dem er mit anderen Rechtsanwälten genannt war, und die Klägerin beauftragte ihn mit der typischen Tätigkeit eines Rechtsanwalts.

II.

Der Beklagte haftet auch nicht für einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Streithelferin gemäß §§ 280, 611, 675 BGB i.V.m. 128 HGB analog.

1. Der Beklagte haftet grundsätzlich wie ein Gesellschafter der Streithelferin, selbst wenn seine Behauptung zutrifft, er sei nur bei der Streithelferin angestellt gewesen.

Angestellte Rechtsanwälte haften wie Gesellschafter einer Rechtsanwaltssozietät, wenn sie im Rahmen des Mandats den Anschein einer umfassenden Sozietät erwecken, da sie sich an dem von ihnen gesetzten Rechtsschein festhalten lassen müssen (BGH, NJW 1999, 3040, 3041; OLG Köln, NJW-RR 2004, 279; Sieg, a.a.O., Rn 355). Der Rechtsschein einer Sozietät wird insbesondere dann gesetzt, wenn ein gemeinsamer Briefbogen verwendet wird und dort die Namensnennung auch der angestellten Rechtsanwälte ohne jeden Zusatz erfolgt (OLG Saarbrücken, NJW-RR 2006, 707; OLG Köln, VersR 2003, 1047, 1048; Sieg, a.a.O., Rn 355).

Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Beklagte hat den Rechtsschein gesetzt, Gesellschafter der Streithelferin zu sein. Er stand spätestens zum Zeitpunkt der von ihm auf dem Briefpapier der Streithelferin erstellten Klage am ........20... als Rechtsanwalt auf ihrem Briefpapier, ohne dass auf das von ihm behauptete Anstellungsverhältnis hingewiesen wurde. Dies war auch noch im Oktober 20... der Fall.

2. Der Kläger haftet aber nicht persönlich für die hier allein in Betracht kommende Pflichtverletzung, die Ansprüche der Klägerin im Ausgangsverfahren nach Aufhebung der Verbraucherinsolvenzverfahren nicht rechtzeitig vor einem Verjährungseintritt weiter verfolgt zu haben.

a)

Der Beklagte haftet nur für solche Pflichtverletzungen, die vor seinem Ausscheiden bei der Streithelferin begangen worden sind.

Die Mitglieder einer Anwaltssozietät, die eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts bilden, haften gemäß § 128 Satz 1 HGB analog akzessorisch für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern auch persönlich (BGH, NJW 2004, 836, 837). Dies gilt auch dann, wenn lediglich eine Scheinsozietät vorliegt (BGH, DStR 2007, 1736, 1737; OLG Köln, NJW-RR 2004, 279). Für die Nachhaftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters bürgerlichen Rechts gelten die Vorschriften der §§ 736 Abs. 2 BGB i.V.m. mit 160 Abs. 1 Satz 1 HGB. Danach haftet der Ausgeschiedene für die bis zu seinem Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten bzw. Altschulden zeitlich begrenzt.

Nach überkommener Auffassung sind rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten im Sinne von § 160 Abs. 1 Satz 1 HGB schon dann "begründet", wenn das Rechtsgeschäft abgeschlossen ist und sich ohne Hinzutreten weiterer rechtsgeschäftlicher Akte die konkrete, einzelne Verbindlichkeit ergibt. Es reicht danach aus, dass lediglich der Rechtsgrund für die Verbindlichkeit gelegt ist (BGH, NJW 2003, 803, 804; NJW 2006, 765). Nach dieser Rechtsprechung haftet ein ausgeschiedener Gesellschafter grundsätzlich auch für vertragliche Sekundäransprüche, wenn der Vertrag vor seinem Ausscheiden geschlossen wurde, unabhängig davon, ob der Sekundäranspruch selbst sich erst nach seinem Ausscheiden verwirklicht hat (BGH, NJW 1962, 536).

Der Bundesgerichtshof hat sich - soweit ersichtlich - bisher noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter Pflichtverletzung eines Rechtsanwaltsvertrages im Sinne von § 160 HGB "begründet" sind. In einem Urteil vom 21.04.1982 (NJW 1982, 1866) hat er für die Nachhaftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters darauf abgestellt, maßgeblich sei der Zeitpunkt, in dem die Sozietät die Beratungspflicht verletzt habe. In dem damals zu entscheidenden Fall kam es jedoch nicht darauf an, ob auch bereits die Begründung des Mandatsverhältnisses für eine Begründung der Verbindlichkeit im Sinne von § 160 HGB ausgereicht hätte. In der sonstigen Rechtsprechung und Literatur wird die Frage unterschiedlich beantwortet.

Teilweise wird als ausreichend für eine Nachhaftung angesehen, dass das Mandatsverhältnis bereits vor dem Ausscheiden des Gesellschafters begründet worden ist, da damit bereits die Verbindlichkeit im Sinne von § 160 HGB begründet worden sei (Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 3. Aufl., § 4 IV Rdnr. 11 f.; Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 36 Rn. 17). Dieser Auffassung hat sich das OLG Saarbrücken in einem Fall angeschlossen, in dem es um den Anspruch des Mandanten aus § 667 BGB auf Auszahlung von Fremdgeldern ging, die von den Mitgesellschaftern nach dem Ausscheiden des in Anspruch genommenen früheren Gesellschafters anderweitig verwandt worden waren (Urteil vom 30.04.2007, Az.: 1 U 148/06, zitiert nach JURIS, Rdziff. 16 ff. ).

Nach anderer Auffassung ist eine Schadensersatzverpflichtung im Rahmen eines Rechtsanwaltsvertrages erst dann im Sinne von § 160 HGB "begründet", wenn der haftungsbegründende Tatbestand vor dem Ausscheiden des Gesellschafters verwirklicht worden ist. Danach muss zumindest die Pflichtverletzung vor dem Ausscheiden des Mitglieds einer Rechtsanwaltssozietät abgeschlossen gewesen sein (Sieg, in: Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl., Rdnr. 361; Meixner/Schröder; DStR 2008, 527, Münchner Kommentar-Ulmer, BGB, 5. Aufl., § 8 PartGG Rn. 31).

Die Kammer schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Der Wortlaut des § 160 HGB gebietet es nicht, einen Schadensersatzanspruch schon dann als begründet im Sinne dieser Vorschrift anzusehen, wenn lediglich das Mandatsverhältnis bei einem Rechtsanwaltsvertrag begründet worden ist, eine Pflichtverletzung bis zum Ausscheiden des in Anspruch genommenen früheren Gesellschafters jedoch noch nicht gegeben war. Vielmehr ist es zumindest ebenso gut vertretbar, eine Schadensersatzverpflichtung erst dann als "begründet" anzusehen, wenn zumindest die Pflichtverletzung im fraglichen Zeitpunkt tatsächlich verwirklicht worden ist.

Entscheidend für eine auf die konkrete Pflichtverletzung abstellende Auslegung sprechen nach Auffassung der Kammer die beiderseitigen Interessen der Parteien eines Rechtsanwaltsvertrages. Der Vertragspartner einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts hat zwar grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran, in seinem Vertrauen darauf geschützt zu werden, dass nicht nur die Gesellschaft selbst, sondern auch die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses hinter der Gesellschaft stehenden einzelnen Gesellschafter persönlich haften, ihm als Haftungsmasse also nicht nur das Gesellschaftsvermögen zur Verfügung steht. Dieser Gesichtspunkt fällt bei einer Schadensersatzverpflichtung aufgrund eines Beratungsfehlers jedoch nicht in gleicher Weise wie bei sonstigen Verpflichtungen ins Gewicht. Denn gemäß § 51 BRAO ist sichergestellt, dass jeder Rechtsanwalt über eine Berufshaftpflichtversicherung verfügt. Dementsprechend schließt ein Mandant einen Anwaltsvertrag regelmäßig im Vertrauen darauf, dass die hinter der Sozietät stehende Haftpflichtversicherung im Schadensfall eintritt. Für die Absicherung seiner Haftpflichtansprüche ist es regelmäßig ausreichend, wenn diese durch die Berufshaftpflichtversicherung derjenigen Sozien abgedeckt sind, die im Zeitpunkt der Pflichtverletzung Mitglieder der Rechtsanwaltssozietät sind. Ein besonderes schutzwürdiges Interesse daran, dass ihm daneben auch noch der ausgeschiedene Sozius persönlich bzw. dessen Haftpflichtversicherung weiter haftet, hat der Mandant bei dieser Sachlage nicht.

Demgegenüber hat der ausgeschiedene Rechtsanwalt ein berechtigtes Interesse daran, nicht für Pflichtverletzungen zu haften, die erst nach seinem Ausscheiden überhaupt begangen worden sind. Er hat auf die weitere Sachbearbeitung durch den Vertragspartner des Mandanten, nämlich die Sozietät keinen Einfluss und kann erst nach seinem Ausscheiden gemachte Fehler der Sachbearbeitung nicht verhindern. Er wäre außerdem gehalten, nach seinem Ausscheiden weiterhin eine Berufshaftpflichtversicherung zu unterhalten, die auch die Risiken hinsichtlich der früheren Sozietät absichert. Denn in der Berufshaftpflichtversicherung gilt das sogenannte "Verstoßprinzip", d.h. die Versicherung tritt nur dann ein, wenn der erst mit der Pflichtverletzung begangene Verstoß während des Versicherungszeitraums erfolgt ist.

Eine nach beiden Seiten hin interessengerechte Auslegung spricht nach Auffassung der Kammer im Ergebnis deshalb dafür, eine Schadensersatzverpflichtung aus einer anwaltlichen Pflichtverletzung erst dann als begründet im Sinne von § 160 HGB anzusehen, wenn die Pflichtverletzung tatsächlich vor dem Ausscheiden des in Anspruch genommenen früheren Gesellschafters begangen worden ist. Das gilt unabhängig davon, ob der Mandant Kenntnis vom Ausscheiden des Gesellschafters hatte oder nicht. Die Kenntnis ist für die Frage der Nachhaftung im Sinne von § 160 HGB lediglich eine weitere Voraussetzung, von der ggfls. der zeitliche Umfang der Nachhaftung abhängen kann. Sie ist für die Frage der Auslegung des Begriffs "begründete Verbindlichkeit" hingegen nicht maßgeblich. Insgesamt erscheint es sachgerechter, für die Frage der persönlichen Haftung des einzelnen Sozietätsmitglieds darauf abzustellen, ob dieses im Zeitpunkt der Pflichtverletzung selbst Gesellschafter war. Den berechtigten Interessen des Mandanten kann dadurch ausreichend Genüge getan werden, dass ihm auch Neugesellschafter, die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung Sozietätsmitglieder sind, persönlich haften.

b)

Die vorliegend allein in Betracht kommende Pflichtverletzung ist allenfalls nach Ausscheiden des Beklagten bei der Streithelferin am ........20... begangen worden.

aa)

Es spricht allerdings viel dafür, dass die Streithelferin die möglichen Forderungen der Klägerin gegen die Herren Y und S hat verjähren lassen und dadurch ihre Pflichten aus dem Anwaltsvertrag mit der Klägerin schuldhaft verletzt hat. Denn nach Auffassung der Kammer endete die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 a.F., der vorliegend gemäß Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB Anwendung findet, bereits vor der Wiederaufnahme des Prozesses durch die nunmehrigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am ........20..., so dass die Forderungen gegen die Herren Y und S zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt war. Zwar ist die Verjährungsfrist durch die Klageerhebung im August 20... zunächst nach § 209 Abs. 1 BGB a.F. unterbrochen worden und war ab dem ........20... gemäß Art. 229 § 6 Abs. 2 EGBGB gehemmt. Die Hemmung endete nach § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB wegen Nichtbetreiben des Prozesses jedoch sechs Monate nach der letzten Verfahrenshandlung. Nach Auffassung der Kammer war es Sache der Parteien, den Prozess nach Abschluss der Insolvenzverfahren gegen die Herren Y und S weiter zu betreiben. Mit der Veröffentlichung über den Abschluss des Insolvenzverfahrens am ........ bzw. ........20... fiel der Grund für die Unterbrechung des Prozesses gem. § 240 ZPO weg. Danach waren die Parteien gehalten, selbst die Fortsetzung des Prozesses zu beantragen. Das Gericht war hingegen nicht von sich aus zu einer Terminierung verpflichtet. Insoweit ist die Sachlage nach Auffassung der Kammer vergleichbar mit den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen, in denen ein Rechtsstreit nach § 148 f. ZPO ausgesetzt worden ist. In diesen Fällen endet eine Verjährungsunterbrechung in dem Zeitpunkt, in dem der vorgreifliche Prozess durch eine Entscheidung des Gerichts oder anderweitig erledigt ist (BGH NJW 1989, 1729; OLG Hamm, WM 2006, 1477). Demnach wäre die Verjährung der Ansprüche der Klägerin gegenüber den Herren Y und S drei Jahre und sechs Monate nach der letzten Verfahrenshandlung eingetreten. Letzte Verfahrenshandlung war die Anfrage des Landgerichts L an die Prozessbevollmächtigten im Vorprozess vom ........20..., ob das Verfahren fortgesetzt werden solle. Soweit die Ausfertigung dieser Verfügung das Datum ........20... trägt, handelt es sich ausweislich der Beiakte wohl um einen Schreibfehler, da die Akte bereits am ........20... endgültig weggelegt worden ist. Verjährung wäre demnach am ........20... eingetreten.

Letztlich bedarf es allerdings keiner Entscheidung der Frage, ob - wie der Beklagte meint - die Verjährung zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Prozesses am ........20... noch nicht vollendet war. Für die Entscheidung dieses Rechtsstreits kommt es darauf nicht an.

bb)

Denn selbst wenn man von der vorstehend wiedergegebenen Auffassung der Kammer ausgeht, ist die Pflichtverletzung jedenfalls erst nach dem ........20..., dem Zeitpunkt des Ausscheidens des Beklagten bei der Streithelferin, begangen worden. Vor diesem Zeitpunkt bestand keine Pflicht, den unterbrochenen Prozess wieder aufzunehmen. Ein Verjährungseintritt hätte vielmehr selbst noch durch Wiederaufnahme im Jahr 20... oder in den ersten Monaten des Jahres 20... verhindert werden können. Auch aus sonstigen Gründen war die Streithelferin nicht gehalten, den Vorprozess vor dem ........20... fortzuführen.

Da die Klage mangels einer Nachhaftung des Beklagten bereits insgesamt abzuweisen ist, kommt es nicht darauf an, ob der Klägerin durch eine Pflichtverletzung der Streithelferin tatsächlich ein Schaden entstanden ist.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 101, 709 ZPO.

Streitwert: 172.864,55 €.






LG Bonn:
Urteil v. 13.04.2010
Az: 15 O 451/09


Link zum Urteil:
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