Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 13. Juni 2006
Aktenzeichen: I-4 U 185/05

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 13.06.2006, Az.: I-4 U 185/05)

Tenor

Das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 20. Mai 2005 wird abgeändert.

Der Beklagten wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhand-lung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wie-derholter Zuwiderhandlung bis zu zwei Jahren, untersagt, im geschäftlichen Verkehr gegenüber Endverbrauchern, die in Bezug auf Telekommunikati-onsleistungen für die Öffentlichkeit Einwendungen gegen die Höhe der in Rechnung gestellten Verbindungsentgelte erheben, die Durchführung der technischen Prüfung und deren Dokumentation nach § 16 Abs. 1 Telekom-munikations-Kundenschutzverordnung von der vorherigen Zahlung eines Entgelts abhängig zu machen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils beizutrei-benden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Die Klägerin, die in die Liste der qualifizierten Einrichtungen gemäß § 22 a AGBG eingetragen ist (GA 14), nimmt die Beklagte wegen eines Verstoßes gegen § 16 Abs. 1 Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (im Folgenden: TKV) auf Unterlassung in Anspruch. Die Beklagte bietet Telekommunikations-Dienstleistungen an. Zu ihren Kunden gehörte L... B... (im Folgenden: Kunde).

Der Kunde hatte gegenüber der Beklagten Einwendungen gegen die Telefonrechnungen für Juni und Juli 2004 erhoben. Nach Einschaltung der Klägerin erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 23. August 2004 (GA 21):

"Selbstverständlich bieten wir Ihrem Mandanten die technische Prüfung gem. § 16 TKV ... an.

...

"Sollte sich Ihr Mandant jedoch für diese technische Überprüfung entscheiden, stellen wir für die Dauer der Überprüfung vor Ort einen Techniker zur Verfügung. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir die Arbeitszeit unseres Technikers für die Überprüfung zunächst in Rechnung stellen (ca. 3 Stunden zzgl. Anfahrt). Bitte bedenken Sie, dass für eine derartige Prüfung auch ein Techniker der D... T... AG (DTAG) vor Ort sein muss. Dieser wird nach Aufwand berechnet. Sollte sich bei der technischen Überprüfung jedoch herausstellen, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Manipulation Dritter ein erhöhtes Verbindungsaufkommen verursachen kann, werden wir die Technikerkosten natürlich erstatten."

und mit Schreiben vom 8. September 2004 (GA 22):

"Wir bieten Ihrem Mandanten die technische Prüfung gemäß § 16 TKV an. Die Kosten hierfür sind jedoch von Ihrem Mandanten zu tragen. Sollte sich bei der Prüfung herausstellen, dass eine Manipulation Dritter die Verbindungsdaten verursachte, werden wir diese Kosten selbstverständlich erstatten."

Darauf mahnte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 20. September 2004 (GA 23) - erfolglos - ab.

Sie hat beantragt,

der Beklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, zu verhängen gegen die Geschäftsführer der Beklagten, zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr künftig gegenüber Endverbrauchern, die in bezug auf Telekommunikationsleistungen für die Öffentlichkeit Einwendungen gegen die Höhe der in Rechnung gestellten Verbindungsentgelte erheben, die Durchführung der technischen Prüfung und deren Dokumentation nach § 16 Abs. 1 Telekommunikationsschutzverordnung (TKV) von der vorherigen Zahlung eines Entgelts abhängig zu machen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, aus der Korrespondenz sei nicht zu entnehmen, dass sie die technische Überprüfung nach § 16 Abs. 1 TKV von einer Vorleistung des Kunden abhängig gemacht habe. Sie habe lediglich darauf hingewiesen, dass durch eine solche Untersuchung Kosten entstünden, die von dem Kunden zu tragen seien, wenn die technische Prüfung nicht ergebe, dass eine Manipulation Dritter die vom Kunden beanstandeten Verbindungsdaten verursacht habe. Im übrigen sei zu bedenken, dass die von dem Kunden gewünschte Überprüfung die gesetzliche Prüfungsverpflichtung nach § 16 Abs. 1 TKV überschritten habe. Deshalb sei sie berechtigt, diese überobligationsmäßige Prüfung von einer Kostenerstattung abhängig zu machen.

Das Landgericht hat sich in dem mit der Berufung angefochtenen Urteil der Argumentation der Beklagten angeschlossen, sie habe die Durchführung der technischen Überprüfung nicht davon abhängig gemacht, dass der Kunde ein bestimmtes Entgelt vorab zahle.

Das hält die Klägerin für falsch. Sie meint, das Landgericht habe verkannt, dass bei der Auslegung der Korrespondenz vom Horizont eines "normalen Verbrauchers" auszugehen sei, dem, weil es sich bei ihm in der Regel um einen juristischen Laien handele, die vom Landgericht vorgenommene Interpretation fremd sei.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und der Beklagten bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu zwei Jahren, zu verhängen gegen die Geschäftsführer der Beklagten, zu untersagen,

im geschäftlichen Verkehr künftig gegenüber Endverbrauchern, die in bezug auf Telekommunikationsleistungen für die Öffentlichkeit Einwendungen gegen die Höhe der in Rechnung gestellten Verbindungsentgelte erheben, die Durchführung der technischen Prüfung und deren Dokumentation nach § 16 Abs. 1 Telekommunikationsschutzverordnung (TKV) von der vorherigen Zahlung eines Entgelts abhängig zu machen,

hilfsweise,

im geschäftlichen Verkehr künftig gegenüber Endverbrauchern, die in bezug auf Telekommunikationsleistungen für die Öffentlichkeit Einwendungen gegen die Höhe der in Rechnung gestellten Verbindungsentgelte erheben, durch Formulierungen wie z.B. "Bitten haben Sie Verständnis, dass wir die Arbeitszeit unseres Technikers für die Überprüfung zunächst in Rechnung stellen (c. 3 Stunden zzgl. Anfahrtszeit)" und/oder "Sollte sich bei der technischen Überprüfung jedoch herausstellen, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Manipulation Dritter ein erhöhtes Verbindungsaufkommen verursachen kann, werden wir die Technikerkosten natürlich erstatten.", und/oder "Wir bieten Ihrem Mandanten die technische Überprüfung gemäß § 16 TKV an. Die Kosten hierfür sind jedoch von Ihrem Mandanten zu tragen. Sollte sich bei der Prüfung herausstellen, dass eine Manipulation Dritter die Verbindungsdaten verursachte, werden wir die Kosten selbstverständlich erstatten.",

den Eindruck zu erwecken, die Durchführung der technischen Prüfung und deren Dokumentation nach § 16 Abs. 1 Telekommunikationsschutzverordnung (TKV) hänge von der vorherigen Zahlung eines Entgeltes ab.

Die Beklagte, die das angefochtene Urteil verteidigt, bittet um

Zurückweisung der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils sowie auf den Akteninhalt im Übrigen Bezug genommen.

II. Die Berufung hat Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.

1. Mit Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Klägerin zum Kreis der qualifizierten Einrichtungen gehört, die nach § 3 Abs. 1 UKlaG berechtigt sind, Unterlassungsansprüche wegen verbraucherschutzgesetzwidriger Praktiken geltend zu machen. Sie hat zwar nur eine Bescheinigung über die Eintragung in die Liste qualifizierter Einrichtungen gemäß § 22 a AGBG vorgelegt (GA 14). Damit gehört sie jedoch auch zu den qualifizierten Einrichtungen gemäß § 4 Abs. 1 UKlaG, da die nach § 22 a AGBG eingerichtete Liste nach § 4 UKlaG fortgeführt wird, § 16 Abs. 4 UKlaG.

2. Beizupflichten ist der Kammer auch, soweit sie davon ausgeht, dass es sich bei § 16 Abs. 1 TKV um ein Verbraucherschutzgesetz i.S. von § 2 Abs. 2 UKlaG handelt. § 2 Abs. 1 UKlaG enthält keine abschließende Aufzählung ("insbesondere"). Ein Verbraucherschutzgesetz liegt vor, wenn der Verbraucherschutz den eigentlichen Gesetzeszweck bildet. Unschädlich ist, wenn das Gesetz daneben auch anderen Zwecken dient. Dem Verbraucherschutz darf jedoch nicht nur untergeordnete Bedeutung zukommen (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 65. Aufl., § 2 UKlaG Rn. 5; Roloff in: Erman, BGB, 11. Aufl., § 2 UKlaG Rn. 4). So liegen die Dinge auch bei § 16 Abs. 1 TKV. Schon aus der Verordnungsermächtigung (§ 41 TKG) folgt, dass es sich bei den Bestimmungen der VO um Vorschriften zum Schutz der Nutzer, "insbesondere der Verbraucher", handelt (§ 41 Abs. 1 TKG; ferner Palandt/Bassenge zu §§ 13 a, 15 TKV, a.a.O., § 2 UKlaG Rn. 11).

3. Gegen diese Verbraucherschutzvorschrift hat die Beklagte verstoßen.

a) Ob ein solcher Verstoß schon darin zu sehen ist, dass die Beklagte für eine technische Prüfung i.S. von § 16 Abs. 1 TKV überhaupt eine Aufwandsentschädigung verlangt, hat die Klägerin ausdrücklich offengelassen (GA 7; ebenso die Beklagte; GA 77). Da Gegenstand des Unterlassungsbegehrens allein die Verknüpfung von Aufwandsentschädigung und Durchführung der Prüfung ist, sieht auch der Senat keine Veranlassung, diese Rechtsfrage zu entscheiden.

b) Außer Frage steht aber, dass ein Telekommunikations-Dienstleister die Prüfung i.S. von § 16 Abs. 1 TKV nicht von der vorherigen Zahlung einer Entschädigung abhängig machen darf. Dass ihm ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB nicht zukommt, ergibt sich bereits daraus, dass die technische Prüfung nach dem Wortlaut der Norm unabhängig von einem darauf gerichteten Begehren des Kunden vorzunehmen ist. Voraussetzung für die Prüfungspflicht ist allein, dass der Kunde Einwendungen gegen die Höhe der Verbindungsentgelte erhebt. Hängt die Prüfung somit nicht von dem Willen des Kunden ab, geht es nicht an, dass der Dienstleister seine rechtliche Verpflichtung von einer Vorleistung des Kunden abhängig macht. Alles andere wäre mit Sinn und Zweck der Norm nicht in Einklang zu bringen. Denn durch die Prüfungspflicht und die auf Verlangen vorzulegende Dokumentation soll gerade dem Misstrauen des Kunden gegenüber dem Anbieter entgegengewirkt werden (Ehmer in: Beck`scher TKG-Kommentar, 2. Aufl., § 16 TKKundSchV Rn. 7).

c) Eine solche unzulässige Verknüpfung der Leistung einer Aufwandsentschädigung mit der Prüfung hat die Beklagte im Streitfall - entgegen der Auffassung der Kammer - vorgenommen. Zwar hat sie nicht ausdrücklich erklärt, dass sie eine technische Prüfung nur vornimmt, wenn der Kunde zuvor dafür bezahlt. Gleichwohl hat der Senat keinen Zweifel, dass ein durchschnittlicher, nicht juristisch vorgebildeter Verbraucher die Mitteilung der Beklagten vom 23. August 2004 genau in diesem Sinne versteht. Dabei spielt die Ankündigung der Beklagten, sie werde die Arbeitszeit ihres Technikers "zunächst in Rechnung stellen", keine entscheidende Rolle. Denn das besagt noch nicht, dass die Prüfung erst erfolgt, nachdem der Rechnungsbetrag eingegangen ist. Stattdessen wird sich das Augenmerk eines Verbrauchers aber in besonderer Weise auf das Erstattungsversprechen der Beklagten richten. Danach soll eine Erstattung stattfinden, wenn sich "bei der technischen Überprüfung" herausstellt, dass das erhöhte Verbindungsaufkommen auf eine Manipulation Dritter zurückgeht. Daraus wird ein Verbraucher nahezu zwangsläufig ableiten, dass die Beklagte mit einem Zahlungseingang vor Beendigung ihrer Untersuchung rechnet. Anderenfalls wäre eine Rückzahlung in Abhängigkeit von den bei der Untersuchung gewonnenen Erkenntnissen nämlich nicht möglich. Dass er auch die Alternative hat, den Ausgang der Untersuchung abzuwarten und erst dann zu entscheiden, ob er die verlangte Entschädigung zahlt, wird sich einem durchschnittlich gebildeten Vertragspartner der Beklagten unter diesen Umständen nicht erschließen.

d) Die Beklagte kann sich - entgegen ihrer Auffassung (GA 82, 150) - auch nicht (hilfsweise) darauf berufen, sie habe Vorkasse verlangen dürfen, weil die von ihrem Kunden gewünschte Überprüfung überobligationsmäßig gewesen sei. Denn darum ging es im Streitfall überhaupt nicht. Mit ihren Schreiben vom 23. August und 8. September 2004 hat sie ihrem Kunden nur die "technische Prüfung gem. § 16 TKV" angeboten und erklärt, dass sie je nach Ergebnis auf eine Aufwandsentschädigung bestehe. Dass es dabei um Untersuchungsmaßnahmen gehen sollte, die das nach § 16 TKV Gebotene überschreiten, ist dem Schreiben nicht - auch nicht ansatzweise - zu entnehmen.

4. Die danach vorliegende Zuwiderhandlung berührt auch Kollektivinteressen der Verbraucher (vgl. dazu Palandt/Bassenge, a.a.O., § 2 UKlaG Rn. 6; Roloff, a.a.O., § 2 UKlaG Rn. 4). Über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat der Verstoß jedenfalls deshalb, weil die Beklagte, die die Abgabe einer strafbewährten Unterlassungserklärung ausdrücklich abgelehnt hat, ihr Verhalten mit Vehemenz verteidigt. Daher muss damit gerechnet werden, dass sie - ohne Untersagung - künftig in gleicher Weise reagieren würde, wenn Verbraucher Beanstandungen gegen die Abrechnung von Telekommunikationsentgelten erheben.

5. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Berufungsstreitwert: 25.000 €.

K... Dr. W... Dr. R...






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