Bayerischer Verwaltungsgerichtshof:
Urteil vom 15. Juli 2010
Aktenzeichen: 7 BV 09.1276

(Bayerischer VGH: Urteil v. 15.07.2010, Az.: 7 BV 09.1276)

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits ist die medienaufsichtliche Beanstandung eines Schriftzugs auf dem Spieltisch und in der Studiodekoration eines im Fernsehen übertragenen Pokerturniers als unzulässige Schleichwerbung.

Die Klägerin ist ein Medienunternehmen, das aufgrund einer zuletzt von der Beklagten am 11. April 2007 für acht Jahre verlängerten medienrechtlichen Genehmigung insbesondere Sportsendungen und unter anderem auch Pokerturniere ausstrahlt. Nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten gilt diese Genehmigung nach einer Umfirmierung der Klägerin im April 2010 unverändert fort.

Nach schriftlicher Anhörung der Klägerin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 19. November 2007 fest und missbilligte, dass die Klägerin im Rahmen der Sendung €PartyPoker-Football & Poker Legends Cup€ am 22. November 2006 von 17:30 Uhr bis 18:30 Uhr für den Zuschauer sichtbare €PartyPoker.com€-Schriftzüge der Marke €PartyPoker€ innerhalb des Programms ausgestrahlt habe. Die Beanstandung beruhe auf Art. 16 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 8 Satz 1 (richtig wohl: Abs. 1 Satz 1) des Bayerischen Mediengesetzes (BayMG) in Verbindung mit § 7 Abs. 6 Satz 1 des Rundfunkstaatsvertrags (RStV). Die Schriftzüge seien zu Werbezwecken sowohl auf dem Pokertisch gut sichtbar angebracht als auch in Deko-Elementen im Spielraum und auf den Anzeigetafeln des Studios erkennbar gewesen. Die Gemeinsame Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz (GSPWM) der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten habe mehrheitlich die Auffassung vertreten, dass die Schriftzüge bei dem nicht live übertragenen Pokerturnier nicht mit zulässiger Banden- oder Trikotwerbung als Beiwerk bei sportlichen Großereignissen vergleichbar und daher nicht als aufgezwungene Werbung anzusehen seien, sondern als unzulässige Schleichwerbung. Hierfür sprächen die Platzierung und die Massivität der Einblendungen, auf die die Aufmerksamkeit des Zuschauers immer wieder gelenkt worden sei und denen er sich nicht entziehen könne. Die Klägerin dürfe sich auch nicht auf vertragliche Vereinbarungen zum Ausschluss der technischen Bearbeitung des Materials einlassen, solange rechtliche Bedenken gegen die auszustrahlende Sendung bestünden.

Der hiergegen mit Schreiben vom 4. Dezember 2007 erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 5. März 2009 statt und hob den Bescheid vom 19. November 2007 auf. Die Klägerin habe mit der Ausstrahlung der beanstandeten Sendung nicht gegen das Verbot der Schleichwerbung verstoßen. Zwar sei der eingeblendete Schriftzug angesichts der Art und Dauer der Abbildung eindeutig als Werbung wahrzunehmen gewesen. Allerdings sei nicht nachgewiesen, dass die Klägerin mit Werbeabsicht gehandelt habe. Die Klägerin habe für die im Rahmen einer Lizenzvereinbarung erworbene Sendung die üblichen Lizenzgebühren entrichtet und somit durch die Werbung keinen materiellen Vorteil erlangt. Sie habe dargetan, dass an der Sendung aufgrund der überdurchschnittlich hohen Einschaltquoten ein entsprechendes Informationsbedürfnis der Zuschauer bestehe und dass sie nach dem Lizenzvertrag nicht berechtigt sei, die Fremdproduktion so zu bearbeiten, dass die Werbung nicht mehr kenntlich sei. Das Gericht habe daher nicht die Überzeugungsgewissheit gewonnen, dass die Klägerin die Absicht verfolgt habe, den Umsatz des ins Bild gesetzten Internetportals zu fördern. Der Bescheid sei im Übrigen auch deshalb rechtswidrig, weil er keine Erwägungen zur Ermessensausübung enthalte. Vielmehr spreche die verwendete Formulierung dafür, dass die Beklagte von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen sei. Die in der mündlichen Verhandlung abgegebene Begründung der Beklagten führe nicht zur Heilung dieses Mangels, da die Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur ergänzt, nicht jedoch vollständig nachgeholt werden könnten.

Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten. Zur Begründung wird vorgetragen, der Gesetzgeber habe Schleichwerbung und entsprechende Praktiken für unzulässig erklärt. Bei der beanstandeten Sendung sei eine journalistische Rechtfertigung für die Häufigkeit und Intensität der Werbebotschaften nicht mehr erkennbar. Anders als bei herkömmlichen Sportveranstaltungen stehe die Werbung bei der ausgestrahlten Pokerveranstaltung im Vordergrund. Die Absicht der Klägerin, Werbebotschaften für den Veranstaltungssponsor zu transportieren, könne nicht in Zweifel gezogen werden. Die Klägerin habe die Übertragungsrechte zu einem günstigeren Preis erworben, als dies ohne die Förderung durch den Veranstaltungssponsor und ohne das Bearbeitungsverbot möglich gewesen wäre. Die Werbeabsicht der Klägerin, die die Schleichwerbungsproblematik unschwer habe erkennen können, ergebe sich aus deren Zahlung an ihre Lizenzgeberin und aus der Intensität der Werbewirkung. Durch ein hohes Publikumsinteresse an der Sendung dürfe das Verbot der Schleichwerbung und entsprechender Praktiken nicht ausgehebelt werden. Die Programmverantwortung und das Verbot der Schleichwerbung dürften auch nicht umgangen werden, indem es einem programmverantwortlichen Anbieter erlaubt werde, in Kenntnis der Rechtslage Veränderungsverbote für sogenannte Kaufproduktionen zu vereinbaren und solche Produktionen auszustrahlen. Die gewählte vertragliche Gestaltung, an der alle beteiligten Vertragspartner ein wirtschaftliches Interesse hätten, liege im Verantwortungsbereich der Klägerin. Es sei ferner tatbestandlich davon auszugehen, dass die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks der Erwähnung oder Darstellung von Werbeinhalten irregeführt werden könne. Es sei der Wille des Gesetzgebers, dass dem Fernsehpublikum die Werbung als solche ausdrücklich bewusst gemacht werde, um es den Zuschauern zu ermöglichen, das Produkt als Anpreisung und nicht als vermeintlich objektive Information einzuordnen. Das Verwaltungsgericht sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Bescheid keine Ermessenserwägungen enthalte. Hierbei könne nicht ausschließlich auf den letzten, lediglich resümierenden und vom Gericht missverstandenen Satz des Bescheids abgestellt werden. Vielmehr enthielten die Ausführungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen in den Gründen des Bescheids jeweils auch abwägende und bewertende Elemente, die für die getroffene Entscheidung ermessenshalber heranzuziehen seien. Außerdem sei die Rechtsgrundlage in der Begründung des Bescheids zutreffend als Kannbestimmung bezeichnet worden. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass der Klägerin alle maßgeblichen Erwägungen der Beklagten bereits aus dem Anhörungsverfahren bekannt gewesen seien und dass sich die trotz der Massivität der Werbung als mildestes Mittel ausgesprochene Feststellung und Missbilligung im untersten Bereich der Eingriffsintensität bewege. Daher seien umfangreiche Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Auswahlermessens nicht veranlasst gewesen. Hinsichtlich der Frage, ob überhaupt eingeschritten werde, sei die Beklagte aufgrund ihrer Programmverantwortung gehalten, durch entsprechende Maßnahmen für die Einhaltung der medienrechtlichen Vorschriften zu sorgen und rechtswidrige Schleichwerbung zu unterbinden. Somit sei von einem intendierten, faktisch und rechtlich €auf Null€ reduzierten Entschließungsermessen auszugehen. Die Beklagte habe ihre Ermessenserwägungen in der mündlichen Verhandlung ergänzen können. Hierdurch habe der Bescheid keine Änderung in seinem Wesen erfahren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 5. März 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es fehle sowohl die Werbeabsicht der Klägerin als auch die erforderliche Irreführungsgefahr für die Zuschauer. Sie habe die Ausstrahlungsrechte für die Fremdproduktion im Rahmen eines Rechtepakets gegen Zahlung eines marktüblichen, für ihre Verhältnisse allerdings hohen Lizenzbetrags erworben. Für die Ausstrahlung habe sie keinerlei Entgelt oder Gegenleistung erhalten, auch nicht in Form von reduzierten Lizenzgebühren oder sonstigen materiellen Vorteilen. Der Klägerin sei auch eine etwaige Werbeabsicht Dritter, die sie sich nicht zu eigen gemacht habe, nicht zuzurechnen. Einziger Vertragspartner der Klägerin sei ihr Lizenzgeber. Sie habe weder Kenntnis von dessen Vereinbarungen mit dem Sponsor noch könne sie hierauf Einfluss nehmen. Das während des Pokerturniers sichtbare Logo des Sponsors sei als aufgedrängte Werbung anzusehen, wie sie auch in fremdproduzierten Filmen und bei anderen Sportereignissen als Product-Placement oder On-Ground-Werbung vorkomme. Die einzelnen, erst später produzierten Sendungen seien der Klägerin bei Vertragsabschluss am 31. Oktober 2005 nicht bekannt gewesen. Eine Bearbeitung des Lizenzmaterials sei ihr ausdrücklich untersagt. Derartige Klauseln seien bei der internationalen Lizenzierung von Sportereignissen branchenüblich. Die Klägerin habe keine Verhandlungsposition, die es ihr ermögliche, eine abweichende Vertragsgestaltung durchzusetzen. Ein Verzicht auf die Ausstrahlung der für den internationalen Markt produzierten Sendung sei der Klägerin aber im Rahmen der ihr zustehenden Programmfreiheit nicht zuzumuten. Schließlich sei der Bescheid auch wegen fehlerhafter Ermessensausübung der Beklagten in Form eines Ermessensausfalls materiell rechtswidrig. Die Ausführungen im Bescheid sprächen dafür, dass die Beklagte von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen sei. Ein Nachschieben der bisher fehlenden Ermessenserwägungen sei der Beklagten daher verwehrt.

Nach Anhörung durch den Senat zu einer in Betracht kommenden Zurückweisung der Berufung als unbegründet ohne mündliche Verhandlung wegen fehlender Ermessensausübung im angefochtenen Bescheid reichte die Beklagte einen weiteren Bescheid vom 5. Februar 2010 zur €Ergänzung der Begründung€ des Ausgangsbescheids nach.

Hierzu führte die Klägerin aus, wegen des vollständigen Ermessensausfalls im ursprünglichen Bescheid, der lediglich eine Subsumtion der Tatbestandsmerkmale enthalte, aber keine ordnungsgemäße Ermessensausübung, sei eine nachträgliche Heilung durch das Nachschieben von Ermessenserwägungen nicht möglich.

Ergänzend wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2007 zu Recht wegen fehlender Ermessensausübung aufgehoben.

1. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids sind die einschlägigen Bestimmungen in der zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses geltenden Fassung maßgeblich. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 7 Abs. 6 Satz 1 des Staatsvertrags über den Rundfunk im vereinten Deutschland (Rundfunkstaatsvertrag € RStV) vom 31. August 1991 (GVBl S. 451) in der Fassung des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 9. Februar 2005 (GVBl S. 27) waren Schleichwerbung und entsprechende Praktiken ohne Ausnahme unzulässig.

Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Entwicklung, Förderung und Veranstaltung privater Rundfunkangebote und anderer Telemedien in Bayern (Bayerisches Mediengesetz € BayMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2003 (GVBl S. 799, BayRS 2251-4-S), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Dezember 2009 (GVBl S. 609), kann die Landeszentrale unter anderem gegenüber Rundfunkanbietern (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 BayMG) die erforderlichen Anordnungen zur Einhaltung der Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrags treffen. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass Anordnungen gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayMG nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen sind (LT-Drs. 12/6084, S. 26; vgl. auch Bornemann/Kraus/Lörz [Hrsg.], Bayerisches Mediengesetz, Stand März 2010, RdNr. 42 zu Art. 16). Hierbei gelten die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts. Insbesondere sind der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaß- und Willkürverbot zu beachten (LT-Drs. 12/6084, a.a.O.).

a) Der Begründung des angefochtenen Bescheids vom 19. November 2007 ist nicht zu entnehmen, dass sich die Beklagte bei Erlass des Bescheids ihres Ermessensspielraums bewusst war und dass sie ihn wahrgenommen hat. Vielmehr lassen die Formulierungen in der Begründung des Bescheids ebenso wie die vorgelegten Verwaltungsakten darauf schließen, dass die Beklagte kein Ermessen ausgeübt hat. Dies betrifft sowohl die im Rahmen des Entschließungsermessens zu prüfende Frage der Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit und Zweckmäßigkeit eines auf Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayMG gestützten Einschreitens in Bescheidform als auch die im Rahmen des Auswahlermessens zu prüfende Frage der konkret zu treffenden Anordnung. Somit ist von einem vollständigen Ermessensausfall auszugehen mit der Folge, dass die getroffene Entscheidung an einem nicht heilbaren materiellrechtlichen Fehler leidet.

aa) Der Ausgangsbescheid in seiner ursprünglichen Fassung befasst sich nach der Sachverhaltsdarstellung unter I. in den Gründen unter II. auf den Seiten 4 bis 8 eingehend mit der Frage, ob die Einblendung der Schriftzüge den Tatbestand der Schleichwerbung (§ 7 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 6 Satz 1 RStV a.F.) erfüllt. Hierzu wird insbesondere dargelegt, weshalb nach Auffassung der Beklagten bzw. der (nach § 38 Abs. 2 Satz 2 RStV a.F. gebildeten und inzwischen aufgelösten) Gemeinsamen Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz (GSPWM) trotz des Umstands, dass es sich bei der ausgestrahlten Sendung um eine Kaufproduktion handelte, die für die Annahme der Schleichwerbung erforderliche Werbeabsicht der Klägerin vorlag.

Nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG soll die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Hierdurch soll der Betroffene zur Wahrung der nach Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsschutzgarantie erkennen können, von welchen Gesichtspunkten sich die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens hat leiten lassen. Das in Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG enthaltene Verb €soll" ist deshalb so zu verstehen, dass die Behörde im Normfall verpflichtet ist, dem Betroffenen die Beweggründe für die Ausübung des Ermessens, insbesondere das Für und Wider der getroffenen Entscheidung, mitzuteilen (BayVGH vom 20.1.2004 VGH n.F. 57, 27/38 und vom 18.5.2010 Az. 11 CS 10.357 <juris> RdNr. 22).

Der angefochtene Bescheid enthält jedoch keine Ausführungen, die die Gesichtspunkte erkennen ließen, von denen die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Diese können insbesondere nicht darin gesehen werden, dass der Bescheid darlegt, weshalb nach Ansicht der Beklagten, die insoweit dem Votum der GSPWM gefolgt ist, kein redaktioneller Grund für die Einblendungen erkennbar war, die Werbung nicht als aufgedrängt anzusehen war und sich die Klägerin nicht auf ihre Vereinbarung mit ihrem Vertragspartner berufen konnte. Entgegen der im Gerichtsverfahren geäußerten Auffassung der Beklagten handelt es sich hierbei nicht um Erwägungen zum Entschließungs- oder Auswahlermessen, sondern um Tatbestandsvoraussetzungen für die Bejahung unzulässiger Schleichwerbung. Die Auseinandersetzung mit der hierzu im Anhörungsverfahren geäußerten Auffassung der Klägerin kann daher nicht als Beleg dafür angeführt werden, dass die Beklagte ihr Entschließungs- und Auswahlermessen ausgeübt und dabei die Interessen der Klägerin berücksichtigt und abgewogen hat. Auch die bloße Wiedergabe des Wortlauts des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayMG (€kann€) in den Gründen des Bescheids reicht unter den gegebenen Umständen ebenso wenig für die Annahme einer Ermessensausübung aus wie die nicht näher begründete Einleitung, die Beanstandung sei erforderlich zur Gewährleistung der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen. Neben den daran anschließenden, umfangreichen Ausführungen zur Subsumtion unter das Verbot unzulässiger Schleichwerbung sprechen gegen eine Ermessensausübung vor allem die gewählten Formulierungen im Bescheid, wonach die Klägerin €bei Verstößen gegen derartige Belange medienrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist€ (S. 7) und die Ausstrahlung der Sendung €zu beanstanden war€ (S. 8). Diese Wortwahl lässt darauf schließen, dass die Beklagte nicht von einem eröffneten Ermessensspielraum ausgegangen ist, sondern eine Rechtspflicht zur Feststellung und Beanstandung in Bescheidform angenommen hat. Hierfür spricht auch das von der Beklagten im Berufungsverfahren mehrfach (Schreiben vom 12.11.2009, S. 8 - 10, vom 10.2.2010, S. 5 und vom 31.3.2010, S. 3 - 6) betonte Verständnis ihrer Programmverantwortung gemäß Art. 111a Abs. 2 Satz 1 BV und von Art. 16 BayMG als Sollvorschrift, demzufolge sie sich als €geradezu verpflichtet€ angesehen hat, gegen medienrechtliche Verstöße vorzugehen und im konkreten Fall gegen die Verbreitung von Schleichwerbung durch Beanstandung im Bescheidform einzuschreiten.

bb) Ausführungen zur Ermessensausübung waren auch nicht ausnahmsweise entbehrlich.

Zwar ist die Darlegung der maßgeblichen Ermessenserwägungen in der Begründung eines Verwaltungsakts nicht erforderlich, wenn die Behörde eine Norm vollzieht, die ihr im Regelfall eine bestimmte Ermessensausübung vorgibt (€intendiertes Ermessen", vgl. dazu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Auflage 2010, RdNr. 29 zu § 39 und RdNr. 59 zu § 40). Eine solche Konstellation lag hier jedoch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vor. Weder dem Verbot unzulässiger Schleichwerbung (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 7 Abs. 6 Satz 1 RStV a.F.) noch der der Beklagten obliegenden Programmverantwortung und der damit einhergehenden Aufsicht über private Rundfunkveranstalter und Befugnis zum Erlass der erforderlichen Anordnungen (Art. 111a Abs. 2 Satz 1 BV, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 8 Abs. 1 Satz 1, Art. 11 Satz Nrn. 1 und 6, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 BayMG, § 38 Abs. 1 RStV a.F.) lässt sich eine Rechtspflicht im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null zum Einschreiten gegen unzulässige Schleichwerbung durch Feststellung und Beanstandung in Bescheidform entnehmen. Vielmehr lassen die genannten Vorschriften offen, welche Maßnahmen die Beklagte bei festgestellten Verstößen zur künftigen Einhaltung des Schleichwerbungsverbots ergreift. Der Erlass eines Bescheids ist insoweit nicht zwingend vorgesehen. Wie die Beklagte selbst in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, schreitet sie bei festgestellter Schleichwerbung nicht in jedem Fall durch Erlass eines (gebührenpflichtigen) Bescheids ein, sondern trifft ihre Entscheidungen nach einem gestuften System. Danach hängt die Art und Weise des Einschreitens insbesondere von der Schwere des Verstoßes und der Einsicht des Betroffenen sowie davon ab, ob ein Wiederholungsfall vorliegt. Bei bestimmten Fallkonstellationen, etwa bei geringen und/oder erstmaligen Verstößen, sieht die Beklagte von einer Feststellung und Beanstandung in Bescheidform ab und belässt es bei einem schriftlichen Hinweis. Hierzu enthält der angefochtene Bescheid jedoch keine Ausführungen. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass das Schwergewicht im vorliegenden Fall bei der Prüfung der Tatbestandsmerkmale für die Annahme unzulässiger Schleichwerbung liegt, was sich auch im Umfang der diesbezüglichen Darlegungen im Bescheid widerspiegelt. Trotz der geringen Eingriffsintensität der getroffenen Feststellung und Beanstandung wären jedoch zumindest kurze Ausführungen erforderlich gewesen, aus denen hervorgeht, dass sich die Beklagte ihres auf der Grundlage ihrer Subsumtion eröffneten Ermessensspielraums bewusst war und von welchen Gesichtspunkten sie bei der Ermessensausübung ausgegangen ist.

Eine Begründung der zu treffenden Ermessensentscheidung war auch nicht nach Art. 39 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG entbehrlich, weil der Klägerin die Auffassung der Beklagten über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung ohne weiteres erkennbar gewesen wäre. Bei Ermessensentscheidungen ist insoweit auch Kenntnis oder Erkennbarkeit der wesentlichen Ermessenserwägungen erforderlich (Kopp/Ramsauer, a.a.O., RdNr. 41 zu § 39). Das von der Beklagten vorgelegte Anhörungsschreiben vom 14. Dezember 2006 und die hierzu ergangenen schriftlichen Äußerungen der Klägerin vom 24. Januar 2007 und vom 21. März 2007, die dem Bescheid vorausgegangen waren, betreffen jedoch lediglich die tatbestandlichen Voraussetzungen unzulässiger Schleichwerbung und nicht die im Falle der Tatbestandsmäßigkeit beabsichtigte Anordnung. Anhaltspunkte dafür, aus welchen Gründen sich die Beklagte für den Erlass eines Bescheids zur Feststellung und Beanstandung des Verstoßes entschieden hat, lassen sich den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen.

Die übrigen Fallgruppen des Art. 39 Abs. 2 BayVwVfG, nach denen es einer Begründung der Entscheidung nicht bedarf, sind ersichtlich nicht einschlägig.

cc) Die Begründungspflicht nach Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG betrifft zwar €nur€ die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheids. Das Fehlen der danach grundsätzlich erforderlichen Begründung lässt aber in der Regel darauf schließen, dass kein Ermessen ausgeübt wurde (Ermessensnichtgebrauch) und die getroffene Entscheidung somit auch materiell rechtswidrig ist, sofern nicht ausnahmsweise Anhaltspunkte für eine Ermessensausübung vorliegen (Kopp/Ramsauer, a.a.O., RdNr. 56 zu § 39). Solche Anhaltspunkte sind hier jedoch nicht ersichtlich. Sie ergeben sich, wie bereits ausgeführt, insbesondere nicht aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen. Gegenstand der Anhörung war nur die Frage, ob Schleichwerbung vorliegt, nicht hingegen die Frage, in welcher Weise die Beklagte darauf zu reagieren beabsichtigt.

b) Da die Beklagte beim Erlass des Bescheids vom 19. November 2007 dem Grunde nach kein Ermessen ausgeübt hat, konnte sie die fehlenden Ermessenserwägungen nicht mehr gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG i.V.m. § 114 Satz 2 VwGO nachholen oder ergänzen.

Nach gefestigter Rechtsprechung setzt die Nachholung oder Ergänzung der Ermessensbegründung voraus, dass bei der ursprünglich getroffenen Entscheidung überhaupt Ermessen ausgeübt wurde und somit zumindest ansatzweise von einer Ermessensentscheidung ausgegangen werden kann. Eine Ergänzung ist etwa dann möglich, wenn die maßgebenden Ermessenserwägungen in den Behördenakten dokumentiert sind. § 114 Satz 2 VwGO schafft in solchen Fällen die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass die Behörde die für die Entscheidung maßgebenden, aber im Bescheid nicht hinreichend zum Ausdruck gebrachten Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt. Auch Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG ermöglicht nicht die Nachholung der erforderlichen Ermessenserwägungen, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich die Behörde bei Erlass des Ausgangsbescheids des Erfordernisses einer Ermessensentscheidung überhaupt bewusst war. Somit ist eine ansonsten grundsätzlich zulässige Heilung durch Nachholung oder Ergänzung der Ermessenserwägungen bei einem Ermessensausfall nicht möglich (u.a. BVerwG vom 5.5.1998 BVerwGE 106, 351/363 ff., vom 17.7.1998 BVerwGE 107, 164/169, vom 5.9.2006 BayVBl 2007, 218/219, vom 16.12.2008 BVerwGE 133, 13/18 f. und vom 30.4.2010 Az. 9 B 42/10 <juris>; BayVGH vom 9.11.2009 Az. 4 B 09.594 <juris>; NdsOVG vom 30.4.2010 Az. 10 ME 186/09 <juris>; Kopp/Ramsauer, a.a.O., RdNrn. 18 und 22 zu § 45). Die Beklagte konnte daher die bei Erlass des Ausgangsbescheids nicht angestellten Ermessenserwägungen weder in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht am 5. März 2009 noch durch den Ergänzungsbescheid vom 5. Februar 2010 nachholen und hierdurch die materielle Rechtswidrigkeit der getroffenen Entscheidung heilen.

2. Somit kann dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt gegen das Verbot der Schleichwerbung verstoßen hat, insbesondere ob es sich um mit Banden- oder Trikotwerbung in Stadien vergleichbare aufgedrängte Werbung gehandelt hat, ob eine eigene Werbeabsicht der Klägerin vorlag und ob die Allgemeinheit über den eigentlichen Zweck der Erwähnung oder Darstellung irregeführt werden konnte. Der Senat sieht trotz des von beiden Beteiligten geäußerten und nachvollziehbaren Interesses an einer obergerichtlichen Entscheidung zu diesen Fragen davon ab, sich hierzu in einem die Entscheidung nicht tragenden und daher für die Beteiligten ohnehin nicht bindenden obiter dictum zu äußern. Abgesehen davon, dass die fehlende Ermessensausübung aus den dargelegten Gründen ohne Weiteres zur Aufhebung des Bescheids führt, sind die bisherigen Beschränkungen für Werbung mit dem Inkrafttreten des Dreizehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag am 1. April 2010 (GVBl S. 145) insbesondere für den privaten Rundfunk erheblich liberalisiert worden (vgl. dazu auch Castendyk, ZUM 2010, 29 ff.). Der Rundfunkstaatsvertrag unterscheidet nunmehr zwischen nach wie vor unzulässiger Schleichwerbung (§ 2 Abs. 2 Nr. 8, § 7 Abs. 7 Satz 1 RStV) und unter bestimmten Voraussetzungen zulässiger gekennzeichneter Produktplatzierung (§ 2 Abs. 2 Nr. 11, § 7 Abs. 7 Sätze 2 ff., § 15, § 44 RStV). Ausführungen zur früheren Rechtslage wären daher nur noch von begrenztem Aussagewert. Nach neuem Recht könnte die Klägerin unabhängig von der Frage einer Rechtspflicht zur Kennzeichnung künftig Beanstandungen durch die Beklagte vermeiden und entsprechende Sendungen mit der enthaltenen Werbung ausstrahlen, ohne hierdurch die Vereinbarungen mit ihren Vertragspartnern zu verletzen, indem sie auf eine mögliche Produktplatzierung hinweist. Erhebliche Aufwendungen oder sonstige Beeinträchtigungen wären hiermit für die Klägerin nicht verbunden. Vor diesem Hintergrund bedarf es im Rahmen dieses Verfahrens keiner Klärung der zum früheren Recht aufgeworfenen Fragen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 50.000,- Euro festgesetzt.






Bayerischer VGH:
Urteil v. 15.07.2010
Az: 7 BV 09.1276


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