Bundespatentgericht:
Urteil vom 3. August 2010
Aktenzeichen: 4 Ni 55/08

(BPatG: Urteil v. 03.08.2010, Az.: 4 Ni 55/08)

Tenor

1.

Das europäische Patent EP 1 192 965 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Ansprüche 1 bis 5 und 9 und 10 für nichtig erklärt.

2.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

3.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 1 192 965 (Streitpatent), das am 12. Dezember 1995 unter Inanspruchnahme der Priorität der US-Patentanmeldung 355447 vom 12. Dezember 1994 angemeldet wurde. Das Streitpatent ist in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und wird am Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 695 34 359 geführt. Das Streitpatent betrifft eine Spritzenendstückkappe und umfasst 10 Ansprüche, von denen die Ansprüche 1 bis 5 sowie 9 und 10 angegriffen sind. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch:

und in deutscher Sprache:

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 5 sowie 9 und 10 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 192 965 B1 Bezug genommen.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Gegenstände der angegriffenen Patentansprüche des Streitpatents nicht patentfähig sind, insbesondere nicht neu sind und nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.

Sie verweist hierzu unter anderem auf folgende Druckschriften:

D1 US 4,832,695 D4 US 4,597,758 und D8 DE 33 20 676 A1.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent EP 1 192 965 B1 im Umfang seiner Ansprüche 1 bis 5 sowie 9 und 10 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass die Patentansprüche folgende Fassung erhalten (Hilfsantrag 1):

1. Endstückkappenanordnung (54) für den Zylinder (12) einer Injektionsspritze (10), wobei der Zylinder ein hiermit als Einheit geformtes distal vorstehendes Endstück (22) mit einem Fluiddurchgang (24) aufweist, der sich durch das Endstück erstreckt, wobei die Endstückkappenanordnung (54) aufweist: eine Hülse (44) am Zylinder am Endstück oder die sicher um das Endstück (22) in Eingriff kommen kann; eine innere Kappe (56), die abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommen kann; eine äußere Kappe (58), die sicher um die innere Kappe (56) angeordnet wird oder werden kann und lösbar mit der Hülse (44) in Eingriff gebracht wird; wobei die Anordnung so konfiguriert ist, dass die innere Kappe (56) abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommt, wenn die Hülse (44) sicher um das Endstück (22) in Eingriff gebracht wird, und wobei die innere Kappe (56) vom Endstück (22) als Reaktion auf eine Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) getrennt werden kann; dadurch gekennzeichnet, dass eine Einrichtung (86) zum Anzeigen eines unbefugten Eingriffs vorhanden ist, die sich zwischen der Hülse (44) und der äußeren Kappe (58) für das Anzeigen der Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) erstreckt.

Patentansprüche 2 bis 10 wie erteilt.

weiter hilfsweise, dass die Patentansprüche folgende Fassung erhalten (Hilfsantrag 2):

1. Endstückkappenanordnung (54) für den Zylinder (12) einer Injektionsspritze (10), wobei der Zylinder ein hiermit als Einheit geformtes distal vorstehendes Endstück (22) mit einem Fluiddurchgang (24) aufweist, der sich durch das Endstück erstreckt, wobei die Endstückkappenanordnung (54) aufweist: eine Hülse (44) am Zylinder am Endstück oder die sicher um das Endstück (22) in Eingriff kommen kann; eine innere Kappe (56), die abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommen kann; eine äußere Kappe (58), die sicher um die innere Kappe (56) angeordnet wird oder werden kann und lösbar mit der Hülse (44) in Eingriff gebracht wird; wobei die Anordnung so konfiguriert ist, dass die innere Kappe (56) abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommt, wenn die Hülse (44) sicher um das Endstück (22) in Eingriff gebracht wird, und wobei die innere Kappe (56) vom Endstück (22) als Reaktion auf eine Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) getrennt werden kann; dadurch gekennzeichnet, dass eine Einrichtung (86) zum Anzeigen eines unbefugten Eingriffes vorhanden ist, die sich zwischen der Hülse (44) und der äußeren Kappe (58) für das Anzeigen der Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) erstreckt und wobei die innere und die äußere Kappe (56, 58) eine Einrichtung (68, 78) für das Verhindern einer relativen axialen Bewegung dazwischen umfasst und wobei die Hülse (44) Vorsprünge (50) zum Umgreifen des Endstücks (22) und Halten der Hülse (44) daran umfasst.

2.

Anordnung nach Anspruch 1, wobei die Vorsprünge (50) abgewinkelt oder abgeschrägt sind.

3.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die Hülse (44) eine Nadelmontageeinrichtung für das lösbare Eingreifen einer Nadelanordnung umfasst.

4.

Anordnung nach Anspruch 3, bei der die Nadelmontageeinrichtung der Hülse (44) eine Anordnung von Gewindegängen (52) aufweist.

5.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die innere Kappe (56) aus einem elastomeren Material gebildet wird, und bei der die äußere Kappe (58) aus einem steifen Kunststoffmaterial gebildet wird.

6.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die innere Kappe (56) eine zylindrisch geformte Seitenwand, die einen Hohlraum (66) definiert, um das Endstück aufzunehmen, und eine Entlüftungsöffnung (69) in der Seitenwand für das Verhindern des Erzeugens eines Vakuums während des Entfernens der Endstückkappenanordnung vom Endstück umfasst.

7.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die innere und äußere Kappe (56, 58) eine Einrichtung (68, 78) für das Begrenzen der relativen Rotationsbewegung zwischen der inneren und der äußeren Kappe umfasst.

8.

Anordnung nach Anspruch 7, bei der die Einrichtung für das Begrenzen der relativen Rotationsbewegung zwischenfingerförmige axial ausgerichtete Antirotationsrippen an der inneren und bzw. äußeren Kappe aufweist.

9.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der einer von innerer und äußerer Kappe eine ringförmige Rippe (80) umfasst, und bei der die andere von innerer und äußerer Kappe eine Ringnut aufweist, die mit der ringförmigen Rippe in Eingriff kommt, um die relative axiale Bewegung zwischen der inneren und äußeren Kappe (56, 58) zu verhindern.

10.

Injektionsspritze (10), die einen Injektionsspritzenzylinder (12) mit einem distal vorstehenden Endstück (22) mit einem sich dort hindurch erstreckenden Fluiddurchgang (24) und eine Endstückkappenanordnung (54) nach Anspruch 1 umfasst.

weiter hilfsweise, dass die Patentansprüche folgende Fassung erhalten (Hilfsantrag 3):

1.

Endstückkappenanordnung (54) für den Zylinder (12) einer Injektionsspritze (10), wobei der Zylinder ein hiermit als Einheit geformtes distal vorstehendes Endstück (22) mit einem Fluiddurchgang (24) aufweist, der sich durch das Endstück erstreckt, wobei die Endstückkappenanordnung (54) aufweist: eine Hülse (44) am Zylinder am Endstück oder die sicher um das Endstück (22) in Eingriff kommenkann; eine innere Kappe (56), die abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommen kann; eine äußere Kappe (58), die sicher um die innere Kappe (56) angeordnet wird oder werden kann und lösbar mit der Hülse (44) in Eingriff gebracht wird; wobei die Anordnung so konfiguriert ist, dass die innere Kappe (56) abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommt, wenn die Hülse (44) sicher um das Endstück (22) in Eingriff gebracht wird, und wobei die innere Kappe (56) vom Endstück (22) als Reaktion auf eine Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) getrennt ist; dadurch gekennzeichnet, dass eine Einrichtung (86) zum Anzeigen eines unbefugten Eingriffes vorhanden ist, die sich zwischen der Hülse (44) und äußeren Kappe (58) für das Anzeigen der Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) erstreckt und wobei die innere und äußere Kappe (56, 58) eine Einrichtung (68, 78) für das Verhindern einer relativen axialen Bewegung dazwischen umfasst und wobei die Hülse (44) Vorsprünge (50) zum Umgreifen des Endstücks (22) und Halten der Hülse (44) daran umfasst.

2.

Anordnung nach Anspruch 1, wobei die Vorsprünge (50) abgewinkelt oder abgeschrägt sind.

3.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die Hülse (44) eine Nadelmontageeinrichtung für das lösbare Eingreifen einer Nadelanordnung umfasst.

4.

Anordnung nach Anspruch 3, bei der die Nadelmontageeinrichtung der Hülse (44) eine Anordnung von Gewindegängen (52) aufweist.

5.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die innere Kappe (56) aus einem elastomeren Material gebildet wird, und bei der die äußere Kappe (58) aus einem steifen Kunststoffmaterial gebildet wird.

6.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die innere Kappe (56) eine zylindrisch geformte Seitenwand, die einen Hohlraum (66) definiert, um das Endstück aufzunehmen, und eine Entlüftungsöffnung (69) in der Seitenwand für das Verhindern des Erzeugens eines Vakuums während des Entfernens der Endstückkappenanordnung vom Endstück umfasst.

7.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die innere und die äußere Kappe (56, 58) eine Einrichtung (68, 78) für das Begrenzen der relativen Rotationsbewegung zwischen der inneren und der äußeren Kappe umfasst.

8.

Anordnung nach Anspruch 7, bei der die Einrichtung für das Begrenzen der relativen Rotationsbewegung zwischenfingerförmige axial ausgerichtete Antirotationsrippen an der inneren und bzw. äußeren Kappe aufweist.

9.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der einer von innerer und äußerer Kappe eine ringförmige Rippe (80) umfasst, und bei der die andere von innerer und äußerer Kappe eine Ringnut aufweist, die mit der ringförmigen Rippe in Eingriff kommt, um die relative axialen Bewegung zwischen der inneren und äußeren Kappe (56, 58) zu verhindern.

10.

Injektionsspritze (10), die einen Injektionsspritzenzylinder (12) mit einem distal vorstehenden Endstück (22) mit einem sich dort hindurch erstreckenden Fluiddurchgang (24) und eine Endstückkappenanordnung (54) nach Anspruch 1 umfasst.

weiter hilfsweise mit der Maßgabe, dass die Patentansprüche folgende Fassung erhalten (Hilfsantrag 4):

1.

Endstückkappenanordnung (54) für den Zylinder (12) einer Injektionsspritze (10), wobei der Zylinder ein hiermit als Einheit geformtes distal vorstehendes Endstück (22) mit einem Fluiddurchgang (24) aufweist, der sich durch das Endstück erstreckt, wobei die Endstückkappenanordnung (54) aufweist: eine Hülse (44) am Zylinder am Endstück oder die sicher um das Endstück (22) in Eingriff kommen kann; eine innere Kappe (56), die abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommen kann; eine äußere Kappe (58), die sicher um die innere Kappe (56) angeordnet wird oder werden kann und lösbar mit der Hülse (44) in Eingriff gebracht wird; wobei die Anordnung so konfiguriert ist, dass die innere Kappe (56) abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommt, wenn die Hülse (44)

sicher um das Endstück (22) in Eingriff gebracht wird, und wobei die innere Kappe (56) vom Endstück (22) als Reaktion auf eine Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) getrennt ist; dadurch gekennzeichnet, dass eine Einrichtung (86) zum Anzeigen eines unbefugten Eingriffes vorhanden ist, die sich zwischen der Hülse (44) und der äußeren Kappe (58) für das Anzeigen der Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) erstreckt und wobei die Hülse (44) Vorsprünge (50) zum Umgreifen des Endstücks (42) und Halten der Hülse (44) daran umfasst rund wobei eine von innerer und äußerer Kappe eine ringförmige Rippe (80) umfasst und die andere von innerer und äußerer Kappe eine Ringnut aufweist, die mit der ringförmigen Rippe in Eingriff kommt, um die relative axiale Bewegung zwischen der inneren und äußeren Kappe (56, 58) zu verhindern.

2.

Anordnung nach Anspruch 1, wobei die Vorsprünge abgewinkelt oder abgeschrägt sind.

3.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die Hülse (44) eine Nadelmontageeinrichtung für das lösbare Eingreifen einer Nadelanordnung umfasst.

4.

Anordnung nach Anspruch 3, bei der die Nadelmontageeinrichtung der Hülse (44) eine Anordnung von Gewindegängen (52) aufweist.

5.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die innere Kappe (56) aus einem elastomeren Material gebildet wird, und bei der die äußere Kappe (58) aus einem steifen Kunststoffmaterial gebildet wird.

6.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die innere Kappe (56) eine zylindrisch geformte Seitenwand, die einen Hohlraum (66) definiert, um das Endstück aufzunehmen, und eine Entlüftungsöffnung (69) in der Seitenwand für das Verhindern des Erzeugens eines Vakuums während des Entfernens der Endstückkappenanordnung vom Endstück umfasst.

7.

Anordnung nach Anspruch 1, bei der die innere und die äußere Kappe (56, 58) eine Einrichtung (68, 78) für das Begrenzen der relativen Rotationsbewegung zwischen der inneren und der äußeren Kappe umfasst.

8.

Anordnung nach Anspruch 7, bei der die Einrichtung für das Begrenzen der relativen Rotationsbewegung zwischenfingerförmige axial ausgerichtete Antirotationsrippen an der inneren und bzw. äußeren Kappe aufweist.

9.

Injektionsspritze (10), die einen Injektionsspritzenzylinder (12) mit einem distal vorstehenden Endstück (22) mit einem sich dort hindurch erstreckenden Fluiddurchgang (24) und eine Endstückkappenanordnung (54) nach Anspruch 1 umfasst.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Gegenstand der Streitpatents sei patentfähig, gegebenenfalls in einer der hilfsweise verteidigten Fassungen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet. Sie führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, denn der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents sowohl in der erteilten Fassung wie auch in den Fassungen nach den Hilfsanträgen ist nicht patentfähig (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchstabe a, Art. 56 EPÜ).

II.

1.

Das Streitpatent betrifft eine Endstückkappenanordnung für den Zylinder einer Injektionsspritze, mit dem das sichere Abdichten der Spritze gewährleistet werden soll.

2.

Den Ausführungen in der Patentschrift (vgl. DE 695 34 359 T2 Abs. [0002 bis 0006]) ist zu entnehmen, dass mit Arzneimitteln vorgefüllte Spritzenzylinder abgedichtet werden müssen, um eine Kontamination und den Verlust des Arzneimittels zu verhindern. Für manche Arzneimittel können (diffusionsbedingt) nur Glaszylinder verwendet werden. An diese ist ein Lüer-Bund (Hülse) nicht ohne weiteres integral anformbar; deshalb ist er als separates Bauteil an der Spitze zu befestigen. Für andere Arzneien können Spritzenzylinder aus Kunststoff mit bereits integral auf der Spritzenspitze angeformtem Lüer-Bund verwendet werden. Für beide Materialien soll mit dem Patent eine Lösung gefunden werden. Die (nicht explizit angegebene) Aufgabe ist es somit, für Spritzenzylinder (aus beiden Materialien) auf deren distal angeformter Spitze einen auch bei unbeabsichtigter Krafteinwirkungsicher abdichtenden Verschluss (Baugruppe) vorzusehen, der bei Bedarf einfach entfernbar ist (und an Stelle dessen eine Injektionsnadel anbringbar ist).

3.

Zur Lösung dieser Aufgabe weist die Endstückkappenanordnung gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 (mit einer Merkmalsgliederung versehen) folgende Merkmale auf:

M1 Endstückkappenanordnung (54) für den Zylinder 12 einer Injektionsspritze (10), M2 wobei der Zylinder ein distal vorstehendes Endstück (22) mit einem Fluiddurchgang (24) aufweist, der sich durch das Endstück erstreckt, wobei die Endstückkappenanordnung (54) aufweist:

M3 eine Hülse (44) am Zylinder am Endstück oder die sicher um das Endstück (22) in Eingriff kommen kann;

M4 eine innere Kappe (56), die abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommen kann;

M5 eine äußere Kappe (58), die sicher um die innere Kappe (56) angeordnet wird oder werden kann und lösbar mit der Hülse (44) in Eingriff gebracht wird;

M6 wobei die Anordnung so konfiguriert ist, daß die innere Kappe (56) abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommt, wenn die Hülse (44) sicher um das Endstück (22) in Eingriff gebracht wird, und wobei die innere Kappe (56) vom Endstück (22) als Reaktion auf eine Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) getrennt werden kann;

dadurch gekennzeichnet, dass M7 eine Einrichtung (86) zum Anzeigen eines unbefugten Eingriffes vorhanden ist, die sich zwischen der Hülse (44) und der äußeren Kappe (58) für das Anzeigen der Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) erstreckt.

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist demgegenüber lediglich im Merkmal M2 präzisiert (Änderung fett hervorgehoben) in M2* wobei der Zylinder ein hiermit als Einheit geformtes distal vorstehendes Endstück (22) mit einem Fluiddurchgang (24) aufweist, der sich durch das Endstück erstreckt, Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 weist zusätzlich zum Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 die weiteren Merkmale auf:

M8 wobei die innere und die äußere Kappe (56, 58) eine Einrichtung (68, 78) für das Verhindern einer relativen axialen Bewegung dazwischen umfasst und M9 wobei die Hülse (44) Vorsprünge (50) zum Umgreifen des Endstücks (22) und Halten der Hülse (44) daran umfasst.

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist gegenüber dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 lediglich im Merkmal M6 geändert in M6* wobei die Anordnung so konfiguriert ist, dass die innere Kappe (56) abdichtend mit dem Endstück (22) in Eingriff kommt, wenn die Hülse (44) sicher um das Endstück (22) in Eingriff gebracht wird, und wobei die innere Kappe (56) vom Endstück (22) als Reaktion auf eine Trennung der äußeren Kappe (58) von der Hülse (44) getrennt ist;

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 weist zusätzlich zu den Merkmalen M1 bis M7 und M9 des Hilfsantrags 3 (ohne Merkmal M8) die weiteren Merkmale auf:

M10 wobei eine von innerer und äußerer Kappe eine ringförmige Rippe (80) umfasst und M11 die andere von innerer und äußerer Kappe eine Ringnut aufweist, die mit der ringförmigen Rippe in Eingriff kommt, umdie relative axiale Bewegung zwischen der inneren und äußeren Kappe (56, 58) zu verhindern.

4.

Der erteilte Patentanspruch 1 sowie der Patentanspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 ist jeweils durch die ursprüngliche Offenbarung gedeckt und erweitert den Schutzbereich nicht.

5.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist der Senat davon überzeugt, dass die zweifelsohne gewerblich anwendbare Endstückkappenanordnung nach dem verteidigten, erteilten Patentanspruch 1 gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Der erteilte Patentanspruch 1 enthält, ebenso wie der Patentanspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 im Merkmal [M1] die Verwendungsangabe "für den Zylinder einer Injektionsspritze".

Der Schutzbereich eines Erzeugnispatents wird durch die Aufnahme eines entsprechenden Merkmals im Regelfall nicht eingeschränkt. Diese Angabe ist eine dem besseren Verständnis dienende Erläuterung, die lediglich die Bedeutung einer mittelbaren Umschreibung seiner räumlichkörperlichen Ausgestaltung hat (vgl. hierzu BGH GRUR 1979, 149, Ls -"Schießbolzen", BGH GRUR 1991, 436, Ls3 -Befestigungsvorrichtung II"). Im Umkehrschluss kann aus einem solchen Merkmal kein patentbegründender Unterschied gegenüber dem Stand der Technik hergeleitet werden. Ein solches Merkmal ist mit anderen Worten bei der Beurteilung der Frage der erfinderischen Tätigkeit als unbeachtlich einzustufen.

Das Merkmal [M2] des erteilten Patentanspruchs 1 ist ebenso wie das Merkmal [M2*] des Patentanspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 auf den Zylinder mit einem distal vorstehenden Endstück gerichtet; es trägt damit zur Gestaltung der Endstückkappenanordnung ebenso wenig bei und ist daher bei der Bewertung der Endstückkappenanordnung gegenüber den im Verfahren befindlichen Druckschriften ebenfalls unbeachtlich. Im übrigen sind Zylinder auch mit als Einheit damit geformtem distal vorstehenden Endstück bei Injektionsspritzen durchaus gängig, wie es bspw. die Entgegenhaltung D1 ausweist (vgl. Fig. 1, Bz. 2).

Aus Entgegenhaltung D4 ist eine Endstückkappenanordnung bekannt. (Fig. 4 und 5, sealing closure 32 for a Luer fitting), die zum Verschließen des distalen Endes eines Schlauchs (vgl. Figur 3, outlet tubing 18) vorgesehen ist, dessen proximales Ende an ein eine medizinische Flüssigkeit beinhaltendes Reservoir angeschlossen ist (vgl. die Beschreibung zur Figur 3, Spalte 3, ab Zeile 6 ... an infusor 10 having a housing 11 for a unique elastomeric reservoir 12, ... the liquid supply 14 may be a medical fluid ...). Wie aus den Figuren 4 und 5 für die Endstückkappenanordnung (sealing closure) in vergrößerter Darstellung ersichtlich ist, weist diese auf: -Eine Hülse am Endstück des Schlauchs (male Luer fitting 20), die sicher mit diesem in Eingriff kommen kann (slidable locking ring 22) [M3], -eine innere Kappe (elastomeric insert 36), die abdichtend mit dem Endstück (Luer fitting 20) des Schlauchs in Eingriff kommen kann [M4]; -eine äußere Kappe (hollow cap 34), die sicher um die innere Kappe angeordnet werden kann und lösbar mit der Hülse in Eingriff gebracht wird (Sp. 4, Z. 4 ff.

...thereby threading the ridges 42 into the internal threads 24 of the locking ring 22)[M5], -wobei beim Einschrauben der äußeren Kappe deren Rippen (ridges 42) in das Innengewinde (internal threads 24) der Hülse (locking ring 22) eingreifen; dabei kommt die innere Kappe 36, deren dem Endstück 20 abgewandte Seite mit einer Schulter (Fig. 2, shoulder 56) gegen eine axiale Verschiebung im Hohlraum der äußeren Kappe 34 gesichert ist, abdichtend mit dem Endstück 20 in Eingriff (siehe Fig. 2) und wobei als Reaktion auf eine Trennung der äußeren Kappe 34 von der Hülse 22 (Ausschrauben) die innere, elastische Kappe 36 vom Endstück getrennt wird. Somit wird mit der Anordnung aus D4 dieselbe Wirkung erzielt, wie sie im Merkmal [M6] angegeben ist.

Den unbefugten Zugriff auf oder den unbefugten Eingriff in eine Anordnung anzuzeigen, ist eine bei Gerätschaften des täglichen Gebrauchs und insbesondere bei medizinische Substanzen enthaltenden Behältnissen übliche Maßnahme und deshalb hinlänglich bekannt. So ist bspw. bei dem Flakon für eine medizinische Flüssigkeit aus D8, der einer abschließenden Sterilisierung pharmazeutischen Grades unterworfen werden kann, eine den unversehrten Verschluss anzeigende Verschlussvorrichtung vorgesehen. Diese besteht aus einem aus zwei durch eine Reißzone miteinander verbundenen Teilen 23, 25 bestehenden Plombierring 21 (vgl. Anspruch 1 und Figur 2 mit der Reißverbindung 27). Beim Drehen der Kappe 9 aus dem Flaschenhals 11 zum Öffnen des Flakons (siehe Gewinde in Figur 2) wird die Reißverbindung aufgetrennt, da der eine obere Teil 23 des Plombierrings 21 durch eine Innenschulter 29 der Kappe 9 gehalten und mit dieser bewegt wird, wobei der untere Teil 25 am Flakonkörper herabfällt (vgl. Seite 9, letzter Absatz und Seite 10). Damit ist bei dem Flakon eine Einrichtung zum Anzeigen eines unbefugten Eingriffs vorgesehen, die eine Trennung der Kappe 9 vom Flaschenhals 11 anzeigt. Für den Fachmann, einem mit der Entwicklung von Infusions/Injektionsspritzen befassten Konstruktionsingenieur mit einschlägiger Berufserfahrung auf diesem Gebiet, der medizinische Belange betreffend im ständigen Erfahrungsaustausch mit Medizinern steht, bedarf es keines erfinderischen Zutuns, eine derart geläufige, bspw. in D8 aufgezeigte Maßnahme auf die Endstückkappenanordnung aus D4 zu übertragen und die Einrichtung zum Anzeigen eines unbefugten Zugriffs zwischen den beim Eingriff zu trennenden Teilen, in diesem Fall zwischen der Hülse und der äußeren Kappe, anzuordnen, wie es gemäß dem Merkmal [M7] beansprucht ist.

6. Auch die im Patentanspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 aufgeführten Änderungen sowie die beanspruchten weiteren Merkmale, in denen sich diese Ansprüche vom erteilten Patentanspruch 1 unterscheiden, können eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen.

6.1 Das distal am Zylinder vorstehende Endstück 22 mit dem Zylinder als Einheit zu formen, wie es aus dem Merkmal [M2*] des Hilfsantrags 1 hervorgeht, stellt wiederum eine lediglich den Zylinder der Injektionsspritze gestaltende Maßnahme dar, die die Endstückkappenanordnung als solche, ebenso wie schon das Merkmal [M2] gemäß dem erteilten Patentanspruch 1, nicht gestaltet. Auch dieses gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 präzisierte Merkmal ist deshalb bei der Bewertung der Endstückkappenanordnung gegenüber dem Stand der Technik unerheblich.

6.2 Auch die weitere Maßnahme, zwei Bauteile an einer relativen axialen Bewegung gegeneinander zu hindern, ist bei dem Flakon aus D8 vorgesehen. Die an der Innenseite der Stirnwandung der Kappe 9 normalerweise durch Saugwirkung in ihrer Lage gehaltene Dichtung 13 -als innere Kappe -wird ferner in axialer Richtung auch durch eine Ringwulst 15 gehalten, wodurch beim Abschrauben der Kappe 9 die Dichtung 13 zusammen mit der Kappe 9 angehoben und mit dieser verbunden bleibt (vgl. die Beschreibung zur Figur 2, Seite 8, letzter Absatz und Seite 9, 1. Abs.). Somit ist auch hier eine Einrichtung für das Verhindern einer relativen axialen Bewegung zwischen zwei Bauteilen vorgesehen. Bei der Übertragung dieser aus D8 prinzipiell bekannten Maßnahme auf die aus D4 bekannte Endstückkappenanordnung müssen hier folgerichtig die innere und äußere Kappe (36, 34) die Einrichtung für das Verhindern einer relativen axialen Bewegung umfassen, wie es gemäß Hilfsantrag 2 im Merkmal [M8] beansprucht ist. Schließlich ist das Merkmal [M9], dem folgend die Hülse Vorsprünge zum Umgreifen des Endstücks und Halten der Hülse daran umfasst, aus D4 ebenfalls bekannt. Die Hülse (locking ring 22) weist, wie aus den Figuren 4 und 5 ersichtlich, in ihrem proximalen Bereich hinter der kegelförmigen Erweiterung des Endstücks (Luer fitting 20) Vorsprünge auf, die die Hülse am Endstück halten und diese umgreifen.

6.3 Im Merkmal [M6*] gemäß Hilfsantrag 3 ist gegenüber dem Merkmal [M6] in den Ansprüchen der vorangehenden Anträge lediglich dem Zustand Rechnung getragen, bei dem die innere Kappe 56 vom Endstück 22 als Reaktion auf eine Trennung der äußeren Kappe 58 von der Hülse 44 getrennt ist. Sonach unterscheidet sich die Endstückkappenanordnung nach Hilfsantrag 3 in dem Merkmal [M6*] in seiner Gestaltung nicht von den Anordnungen gemäß den vorangestellten Hilfsanträgen. Es trifft somit die oben dar gelegte Bewertung auch für diesen Patentanspruch zu.

6.4 Im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 wird schließlich in den Merkmalen [M10] und [M11] die bereits im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 allgemein beanspruchte Einrichtung zum Verhindern einer relativen axialen Bewegung zwischen innerer und äußerer Kappe weiter präzisiert, indem eine der Kappen eine ringförmige Rippe und die andere Kappe eine Ringnut aufweist, die mit der Rippe in Eingriff kommt. Auch eine solche konkrete Gestaltung zum Verhindern einer Axialbewegung wird dem Fachmann bereits in der D8 für den Flakon aufgezeigt. Die Dichtung 13 wird, wie bereits oben zum Hilfsantrag 2 dargelegt, beim Abschrauben durch die Ringwulst 15 an der Kappe 9 gehalten. Die Dichtung 13 als innere Kappe ist dazu, wie aus Figur 2 ersichtlich, mit einer Rippe (linke Seite der Dichtung in der Figur) versehen, die mit einer zwischen der Ringwulst 15 und der Innenseite der Stirnwandung der Kappe 9 ausgeformten Ringnut in Eingriff kommt. Für das Übertragen dieser konstruktiven Maßnahme auf die Kappenanordnung aus D4 bedarf es für den Fachmann ebenfalls keines erfinderischen Zutuns.

7.

Die angegriffenen Unteransprüche 2 bis 5 und 9 teilen ebenso wie der auf eine eine Endstückkappenanordnung nach Anspruch 1 umfassende Injektionsspritze gerichtete Anspruch 10 das Schicksal des Anspruchs 1, weil sie nicht mehr als handwerkliche Ausgestaltungen der Lehre zum technischen Handeln darstellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

Voit Friehe Dr. Morawek Bernhart Veit Pr






BPatG:
Urteil v. 03.08.2010
Az: 4 Ni 55/08


Link zum Urteil:
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