Bundesgerichtshof:
Urteil vom 24. Januar 2000
Aktenzeichen: II ZR 268/98

(BGH: Urteil v. 24.01.2000, Az.: II ZR 268/98)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Bundesgerichtshof hat in der vorliegenden Gerichtsentscheidung über die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. August 1998 entschieden. Die Revision wurde auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kläger, welche Aktionäre der Beklagten sind, haben Anfechtungsklagen gegen die Entlastungsbeschlüsse des Vorstands und des Aufsichtsrates in der Hauptversammlung vom 8. Mai 1996 eingereicht. Die Beklagte hat die Anträge der Kläger aufgrund angeblich verspätetem Eingang nicht an die vorgeschriebenen Institutionen weitergeleitet. Aus diesem Grund halten die Kläger die Entlastungsbeschlüsse für anfechtbar und haben Widerspruch gegen die Beschlüsse eingelegt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben und die Beschlüsse für nichtig erklärt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Revision nicht begründet ist und das Berufungsgericht der Anfechtungsklage zu Recht stattgegeben hat. Die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen haben ergeben, dass die Gegenanträge der Beklagten innerhalb der vorgeschriebenen Frist von einer Woche nach der Bekanntmachung der Hauptversammlung eingegangen sind. Die Ansicht der Revision, dass die Erklärungen rechtzeitig im Einflussbereich der Gesellschaft hätten eintreffen müssen, um wirksam zu sein, wurde vom Bundesgerichtshof abgelehnt. Der Senat ist der Ansicht, dass die Gegenanträge bis zum Ende der Frist um 24.00 Uhr gesendet werden können. Eine Vorverlegung des Fristendes auf das Ende der Geschäftszeit der Gesellschaft ist nicht erforderlich und würde keine erhöhte Rechtssicherheit für den Zugang der Gegenanträge schaffen. Daher hat das Berufungsgericht zu Recht die Rechtzeitigkeit des Eingangs der Gegenanträge festgestellt und die Anfechtungsklage für gerechtfertigt erklärt.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BGH: Urteil v. 24.01.2000, Az: II ZR 268/98


Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. August 1998 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Kläger, Aktionäre der Beklagten, wenden sich mit ihren Anfechtungsklagen gegen die in der Hauptversammlung vom 8. Mai 1996 für das Geschäftsjahr 1995 beschlossene Entlastung des Vorstandes (TOP 3) und des Aufsichtsrates (TOP 4).

Nach der Bekanntmachung der Einladung zur Hauptversammlung im Bundesanzeiger am 27. März 1996 sandte der Kläger zu 2 der Beklagten am 3. April 1996 zwei Telekopien mit Gegenanträgen und Begründung im Sinne des § 126 Abs. 1 AktG zu, nach denen dem gesamten Aufsichtsrat und -bei Einzelabstimmung -den Vorstandsmitgliedern O. und S. die Entlastung verweigert werden sollte. Die Anträge gingen bei der allgemeinen Poststelle der Beklagten um 22.00 Uhr bzw. 22.10 Uhr ein. Die Beklagte sah davon ab, die Anträge den in § 125 Abs. 1 AktG genannten Institutionen mitzuteilen. Ihre Weigerung begründete sie damit, die Gegenanträge seien verspätet bei ihr eingegangen.

Im Hinblick auf dieses Vorgehen der Beklagten halten die Kläger die Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung für anfechtbar. Sie haben gegen die Beschlüsse Widerspruch zur Niederschrift des Notars erklärt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben und die Beschlüsse für nichtig erklärt. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat der Anfechtungsklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

I. Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen hat der Kläger zu 2 der Beklagten zu den Tagesordnungspunkten 3 und 4 Gegenanträge mit Begründung übersandt, aus denen sich ergibt, daß er dem Vorschlag der Verwaltung, dem Aufsichtsrat und den Vorstandsmitgliedern O. und S. Entlastung zu erteilen, widersprechen werde. Aus der Ankündigung der Anträge folgt zugleich, daß die anderen Aktionäre dafür gewonnen werden sollten, für diese Gegenanträge zu stimmen. Diese Voraussetzungen entsprechen den Anforderungen des § 126 Abs. 1 AktG. Insoweit erhebt die Revision auch keine Einwendungen.

II. Die Revision wendet sich jedoch gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, daß die Gegenanträge der Beklagten binnen einer Woche nach der Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung im Bundesanzeiger übersandt worden seien. Sie ist der Meinung, es genüge nicht, daß der Gesellschaft Gegenanträge bis 24.00 Uhr des letzten Tages der Wochenfrist des § 126 Abs. 1 AktG zugingen; vielmehr müsse ein Zugang im Sinne von § 130 Abs. 1 BGB bewirkt werden, d.h. die Erklärungen müßten so rechtzeitig in den Einflußbereich der Gesellschaft gelangen, daß sie unter normalen Umständen die Möglichkeit habe, den Inhalt der Erklärung des Aktionärs zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Ansicht folgt der Senat nicht.

1. Im Schrifttum werden zur Frage des Ablaufs der Wochenfrist im Sinne des § 126 Abs. 1 AktG unterschiedliche Ansichten vertreten. Die überwiegende Anzahl der Autoren befaßt sich lediglich mit der Berechnung der Frist nach § 187 Abs. 1 BGB (Fristbeginn) und § 188 Abs. 2 BGB (Fristende), ohne auf die Frage einzugehen, ob die Voraussetzungen, unter denen Gegenanträge als "übersandt" anzusehen sind, denjenigen für das Wirksamwerden einer Willenserklärung unter Abwesenden (§ 130 Abs. 1 BGB) entsprechen (vgl. u.a. KK/Zöllner, AktG §§ 125-127 Rdn. 11; Eckardt in Geßler/Hefermehl/Eckardt/ Kropff, AktG § 126 Rdn. 130; Semler in MHG Bd. 4, AG § 35 Rdn. 63; Ober-müller/Werner/Winden, Die Hauptversammlung 3. Aufl. S. 54). Eine derartige Gleichstellung wird verschiedentlich befürwortet (Hüffer, AktG 4. Aufl. § 126 Rdn. 4; ders. NZG 1998, 991; Lehmann, FS Quack 1991, S. 287 ff., 290; Pringe, ZIP 1998, 1866, 1867). Andere gehen unter Ablehnung dieser Ansicht davon aus, daß die Frist bis 24.00 Uhr genutzt werden kann (Werner in Großkomm. z. AktG, 4. Aufl. § 126 Rdn. 32; Bork, EWiR § 126 AktG 1/98, 819; Keil, EWiR § 126 AktG 1/97, 385; vgl. auch schon Barz in Großkomm. z. AktG, 3. Aufl. § 126 Anm. 5).

2. Der Senat ist der Ansicht, daß die Gegenanträge bis zum Ablauf der nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB errechneten Frist um 24.00 Uhr übersandt werden können.

a) Das Gesetz gewährt der Gesellschaft eine Frist von 12 Tagen vom Zeitpunkt der Bekanntmachung der Hauptversammlung im Bundesanzeiger an, um bestimmten Institutionen u.a. Gegenanträge von Aktionären mitzuteilen (§ 125 Abs. 1 AktG). Beginn und Ende dieser nach Tagen bemessenen Frist richten sich nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 BGB. Den Aktionären wird für die Übersendung der Gegenanträge an die Gesellschaft eine Frist von einer Woche ab Bekanntgabe der Hauptversammlung im Bundesanzeiger gesetzt (§ 126 Abs. 1 AktG). Auch hier bestimmt sich der Fristbeginn nach § 187 Abs. 1 BGB; das Fristende errechnet sich nach § 188 Abs. 2 BGB. Der Gesellschaft bleibt demnach für die Prüfung (§ 126 Abs. 2 AktG), Fertigung einer etwaigen Stellungnahme und Mitteilung an die Kreditinstitute sowie Aktionärsvereinigungen in der Regel ein Zeitraum von fünf Tagen. Die Wochenfrist des § 126 Abs. 1 AktG endet nach der gesetzlichen Vorschrift des § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des letzten von ihr umfaßten Tages, also um 24.00 Uhr. Diese Regelung ist auch für den vorliegenden Fall maßgebend.

b) Eine davon abweichende Beurteilung kommt nach Ansicht des Senats nicht in Betracht.

aa) Eine unmittelbare Anwendung des § 130 Abs. 1 BGB scheidet aus. Die Gegenanträge einschließlich ihrer Begründung stellen keine rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen im Sinne des § 130 Abs. 1 BGB dar (Bork, EWiR § 126 AktG 1/98, 819, 820; a.A. offenbar Werner in Großkomm. z. AktG, 4. Aufl. § 126 Rdn. 32). Sie müssen der Gesellschaft zwar zugehen. Denn nur in diesem Falle ist sie in der Lage, die Anträge zu prüfen (§ 126 Abs. 2 AktG), die Erforderlichkeit einer Stellungnahme zu beurteilen (§ 125 Abs. 1 AktG) und die Gegenanträge in der vom Gesetz vorgesehenen Frist Aktionärsvereinigungen und Kreditinstituten mitzuteilen (§ 125 Abs. 1 AktG). Allein das Zugangserfordernis gebietet jedoch nicht zwingend, die Zugangsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 BGB im Rahmen des § 126 Abs. 1 AktG zu berücksichtigen.

bb) Auch der Normzweck des § 126 Abs. 1 AktG ergibt keine zwingende Notwendigkeit, den Fristablauf für den Eingang von Gegenanträgen von 24.00 Uhr auf den -für § 130 Abs. 1 BGB maßgebenden -Zeitpunkt vorzuverlegen, in dem eine Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich und den Umständen nach zu erwarten ist.

Eine solche Vorverlegung des Fristablaufs auf den für die Vorschrift des § 130 Abs. 1 BGB maßgebenden Zeitpunkt wird mit der Begründung gefordert, die Frist, die der Gesellschaft nach Eingang der Gegenanträge am letzten Tag der Wochenfrist des § 126 Abs. 1 AktG zu deren Bearbeitung verbleibe, sei bedenklich kurz. Werde es dem Aktionär erlaubt, der Gesellschaft seine Gegenanträge erst nach den üblichen Geschäftszeiten bis um Mitternacht zu übersenden, werde dieser Zeitraum der Sache nach um einen weiteren Tag verkürzt (vgl. Hüffer, NZG 1998, 991). Diese Begründung hält der Senat nicht für überzeugend. Ist der Aktionär verpflichtet, seinen Gegenantrag der Gesellschaft bis zu dem Zeitpunkt des Ablaufs ihrer Geschäftszeiten zu übersenden, ist für die Gesellschaft nichts gewonnen: Die Bearbeitung des Antrages wird von der Gesellschaft auch unter diesen Umständen nicht noch am Tag des Eingangs nach Ende der Geschäftszeit in Angriff genommen, sondern erst am nächsten Tag. Insoweit besteht zu der Sachlage, die eintritt, wenn der Gegenantrag erst nach Beendigung der Geschäftszeit, insbesondere erst kurz vor dem Ende der einwöchigen Frist um 24.00 Uhr eingeht, kein wesentlicher Unterschied (vgl. auch Bork, EWiR § 126 AktG 1/98, 819, 820).

Auf eine für Aktiengesellschaften allgemein gültige Geschäftszeit kann ebensowenig abgestellt werden. Denn die Aktiengesellschaften stellen keine einheitliche Adressatengruppe dar, für die sich unter Berücksichtigung der gewöhnlichen Verhältnisse eine übliche Geschäftszeit bestimmen ließe (vgl. Bork, EWiR § 126 AktG 1/98, 819). Würde man eine solche dennoch fiktiv annehmen, würde das bei der unterschiedlichen Gestaltung der innerbetrieblichen Geschäftsabläufe zu Ungleichbehandlungen der Gesellschaften führen, die nicht hingenommen werden können.

cc) Die Verlagerung des Fristendes auf das Ende der Geschäftszeit jeder einzelnen Gesellschaft ist auch nicht geeignet, eine erhöhte Rechtssicherheit für den Zugang der Gegenanträge unter den Beteiligten zu schaffen. Die übliche Geschäftszeit der einzelnen Gesellschaften ist den Aktionären in der Regel nicht bekannt, so daß ihnen der Zeitpunkt, bis zu dem sie Gegenanträge übersenden können, auch regelmäßig nicht geläufig ist.

Dagegen kann von den Gesellschaften verlangt werden, daß sie für den Tag des Fristablaufs in geeigneter Weise Vorkehrungen für den Empfang von Gegenanträgen treffen. Für diese Vorkehrungen bedarf es keiner Verlagerung des Fristendes auf das Ende einer als allgemein üblich angenommenen Geschäftszeit. Die Vorkehrungen können auch für den Fall getroffen werden, daß die Frist erst an ihrem letzten Tag um 24.00 Uhr endet.

Ein schützenswertes Interesse der Gesellschaften an der Vorverlegung des Fristendes besteht somit nicht.

3. Das Berufungsgericht ist daher zutreffend von der Rechtzeitigkeit des Eingangs der vom Beklagten zu 2 übersandten Gegenanträge ausgegangen.

Ohne Rechtsverstoß hat es einen für das Ergebnis der Beschlußfassung bedeutsamen Gesetzesverstoß im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG bejaht. Es hat daher der Anfechtungsklage zu Recht stattgegeben.






BGH:
Urteil v. 24.01.2000
Az: II ZR 268/98


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