Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 11. Mai 2010
Aktenzeichen: 17 W 47/10

(OLG Köln: Beschluss v. 11.05.2010, Az.: 17 W 47/10)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Oberlandesgericht Köln hat in einem Beschluss vom 11. Mai 2010 entschieden, dass für die gebührenrechtliche Bewertung der Zahl der "Angelegenheiten", für die Beratungshilfe bewilligt wurde, die Anzahl der erteilten Beratungshilfescheine grundsätzlich ohne Bedeutung ist. Es wurde festgehalten, dass eine Vielzahl von Sachverhalten im Zusammenhang mit der Trennung von Eheleuten nicht nachträglich auf einzelne Sachverhalte beschränkt werden kann. Das Gericht hat außerdem über die Frage entschieden, ob die Geltendmachung von Trennungsunterhalt und der Erstattung von Stromkosten unterschiedliche Angelegenheiten darstellen. Die weitere Beschwerde wurde letztendlich zurückgewiesen, da der angefochtene Beschluss der rechtlichen Nachprüfung standhielt. Das Gericht hat festgestellt, dass der Beteiligten zu 1) die beantragte Vergütung für ihre Tätigkeit in der Angelegenheit "Fragen bezüglich Getrenntleben" zusteht. Es wurde klargestellt, dass die Anzahl der erteilten Berechtigungsscheine keine Rolle spielt und dass die Vorgehensweise einer "Vorratsentscheidung" im Vergütungsverfahren nicht nachträglich korrigiert werden kann. Das Gericht hat auch festgestellt, dass die Geltendmachung von Trennungsunterhalt und der Erstattung von Stromkosten verschiedene Angelegenheiten sind. Eine Kostenentscheidung wurde nicht getroffen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OLG Köln: Beschluss v. 11.05.2010, Az: 17 W 47/10


1.

Die Anzahl der erteilten Beratungshilfescheine ist für die gebührenrechtliche Bewertung der Zahl der "Angelegenheiten", für die Beratungshilfe bewilligt wurde, grundsätzlich ohne Bedeutung (Festhaltung Senat MDR 2010, 474 = AGS 2010, 188).

2.

Ist im Beratungshilfeschein nach Art einer "Vorratsentscheidung" für eine Vielzahl von Sachverhalten im Zusammenhang mit der Trennung von Eheleuten Beratungshilfe bewilligt worden (hier: "Fragen bzgl. Getrenntleben, Ehescheidung, Unterhalt, Zugewinn, Hausratsteilung"), so kann diese Verfahrensweise nicht im Vergütungsverfahren nachträglich dahin korrigiert werden, die Bewilligung erfasse nur solche Sachverhalte, für die zum Zeitpunkt der Erteilung des Berechtigungsscheins ein konkreter Beratungsbedarf bestanden habe.

3.

Zur Frage, inwiefern die Geltendmachung einerseits von Trennungsunterhalt sowie andererseits der Erstattung von Stromkosten unterschiedliche Angelegenheiten darstellen.

Tenor

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist kraft Zulassung durch das Landgericht als Beschwerdegericht nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden, in der Sache selbst aber unbegründet. Der angefochtene Beschluss hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Der Beteiligten zu 1) steht die unter dem 16.06.2009 geltend gemachte (weitere) Vergütung für das Tätigwerden in der Angelegenheit "Fragen bezüglich Getrenntleben" in Höhe von 99,96 € zu.

a)

Es entspricht der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung, dass der gebührenrechtliche Begriff der "Angelegenheit" im Sinne der §§ 15 ff. RVG auch für die Bestimmung des Begriffs der "Angelegenheit" im Sinne des Beratungshilfegesetzes als Grundlage für die Festsetzung der Vergütung des Beratungshilfe leistenden Rechtsanwaltes maßgebend ist (Senatsbeschluss vom 04.01.2010, 17 W 342/09, BeckRS 2010, 00737 = MDR 2010, 474 = AGS 2010, 188; OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.09.2009, 6 W 76/08, BeckRS 2009, 27557 = Rpfleger 2010, 221 = MDR 2009, 1417; OLG Köln, Beschluss vom 09.02.2009, 16 Wx 252/08, BeckRS 2009, 10575 = FamRZ 2009, 1345 = Rpfleger 2009, 516; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2009, 430; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.10.2006, 8 W 360/06, BeckRS 2006, 12351 = Rpfleger 2007, 84 so auch OLG München, MDR 1988, 330 zur vergleichbaren Rechtslage nach der BRAGO; vgl. ferner AnwaltKommentar-RVG/N. Schneider, 5. Aufl., Vor VV 2501 ff. Rn. 27). Gemäß § 44 RVG erhält der Rechtsanwalt für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe eine Vergütung nach dem RVG. Das bezieht sich nicht nur auf die in der Anlage zum RVG geregelten Festgebühren, sondern auch auf den gebührenrechtlichen Begriff der Angelegenheit i. S. d. RVG, der für die Höhe der Vergütung des Beratungshilfe leistenden Rechtsanwaltes maßgeblich ist.

b)

Nach §§ 15, 22 Abs. 1 RVG entstehen die Gebühren in "derselben Angelegenheit" nur einmal, in mehreren Angelegenheiten dagegen mehrfach. Wie der erkennende Senat in der von dem Beteiligten zu 2. in Bezug genommenen Entscheidung vom 04.01.2010 im Anschluss an die Rechtsprechung des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln (Beschluss vom 09.02.2009, 16 Wx 252/08) bereits ausgeführt hat, ist die Anzahl der erteilten Berechtigungsscheine für die Zahl der "Angelegenheiten" grundsätzlich ohne Bedeutung (vgl. auch LG Osnabrück, Beschluss vom 31.07.2008, 9 T 521/08, BeckRS 2009, 07516), da die Bewertung der im Berechtigungsschein als solche bezeichneten "Angelegenheit" in gebührenrechtlicher Hinsicht nicht dem Rechtspfleger im Bewilligungsverfahren obliegt, sondern der späteren Beurteilung im nachfolgenden Vergütungsfestsetzungsverfahren vorbehalten ist.

c)

Entgegen der Auffassung der Rechtspflegerin des Amtsgerichts ist jedenfalls im Streitfall auch kein Raum für die Annahme, der Berechtigungsschein könne begrifflich lediglich diejenigen Sachverhalte erfassen, für die zum Zeitpunkt seiner Erteilung bereits ein konkreter Beratungsbedarf bestanden habe. Nach § 44 RVG erhält der Rechtsanwalt für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe eine Vergütung nach dem RVG aus der Landeskasse nach Nr. 2500 ff. des VV RVG unter der Voraussetzung, dass dem Rechtssuchenden Beratungshilfe bewilligt und ein Berechtigungsschein ausgestellt worden ist (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; AnwaltKommentar-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 44 Rn. 17). Dabei muss der Sachverhalt, für den Beratungshilfe beantragt wird, angegeben werden, und die Angelegenheit, für welche ein Berechtigungsschein für die Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt nach Wahl des Rechtssuchenden bewilligt wird, gemäß § 6 Abs. 1 BerHG genau bezeichnet werden. Diesen gesetzlichen Anforderungen wird der erteilte Berechtigungsschein bereits nicht gerecht, in welchem der Antragstellerin Beratungshilfe für "Fragen bzgl. Getrenntleben, Ehescheidung, Unterhalt, Zugewinn, Hausratsteilung" bewilligt worden ist. Da sich im Rahmen der Trennung von Eheleuten die unterschiedlichsten Fragen in Bezug auf das "Getrenntleben" ergeben können, ist aus dem Beratungshilfeschein bereits nicht ersichtlich, für welchen konkreten Sachverhalt des Getrenntlebens Beratungshilfe gewährt werden sollte. Auch die Tatsache, dass der Antragstellerin bereits im Zuge der bereits erfolgten oder noch bevorstehenden Trennung von ihrem Ehemann Beratungshilfe für die Ehescheidung und den Zugewinn gewährt worden ist, spricht dafür, dass es sich um eine "Vorratsentscheidung" handelte, die alle im Zuge der Trennung auftretenden oder dieser nachfolgenden Fragen abdecken sollte. Denn der Trennung von Eheleuten mag deren Scheidung zwar im Allgemeinen folgen, zwingend ist dies jedoch nicht. Zudem kommt eine Ehescheidung regelmäßig auch erst nach Ablauf des Trennungsjahres in Betracht, so dass im Zuge der Trennung der Eheleute konkreter Regelungs- und Beratungsbedarf hinsichtlich der Scheidung und deren Folgen im Allgemeinen (noch) nicht besteht. Die vorliegend bei Erteilung des Berechtigungsscheins gewählte Verfahrensweise einer Bewilligung in "Bausch und Bogen" kann nicht im Vergütungsverfahren nachträglich dadurch korrigiert werden, dass die bewilligte Beratungshilfe auf Sachverhalte beschränkt wird, für die zum Zeitpunkt der Erteilung des Berechtigungsscheins ein Beratungsbedarf bestand.

c)

Nach Vorstehendem hängt die Entscheidung der Frage, ob der Beteiligten zu 1) die mit Antrag vom 16.06.2009 beanspruchte Vergütung zusteht, allein davon ab, ob es sich bei der von dieser entfalteten Tätigkeit hinsichtlich des Trennungsunterhalts einerseits sowie bezüglich der Erstattung von Stromkosten andererseits um verschiedene Angelegenheiten handelt. Dies ist zu bejahen.

Das Landgericht hat seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass von einer Angelegenheit sowohl im Sinne des § 15 RVG als auch im beratungshilferechtlichen Sinn immer dann auszugehen ist, wenn der Tätigkeit des Rechtsanwalts ein einheitlicher Auftrag zugrunde liegt, sie sich im gleichen Rahmen hält und zwischen den einzelnen Gegenständen des anwaltlichen Handelns ein innerer Zusammenhang besteht. Vorliegend fehlt es bereits an dem Vorliegen eines einheitlichen Auftrags. Zwar kann ein solcher auch dann gegeben sein, wenn der Rechtsanwalt nacheinander mehrere (Teil-)Aufträge erhält (AnwaltKommentar-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 15 Rn. 24). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass bei Erteilung des weitergehenden Auftrags der ursprüngliche Auftrag noch nicht erledigt ist. Wird der weitere Auftrag erst erteilt, nachdem der erste vollständig erledigt ist, liegen immer zwei verschiedene Angelegenheiten vor (AnwaltKommentar-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 15 Rn. 25). So verhält es sich ersichtlich auch hier.

Die Beteiligte zu 1) hat den Ehemann der Mandantin mit Schreiben vom 12.11.2008 zur Zahlung von Trennungsunterhalt aufgefordert; damit dürfte der diesbezügliche Auftrag i.S.v. § 8 RVG erledigt gewesen sein, wofür auch spricht, dass die Beteiligte zu 1) diese Angelegenheit noch am selben Tag abgerechnet hat (Bl. 4 d.A.). Die weitere Tätigkeit der Beteiligten zu 1) ist ausweislich des Antrags vom 16.06.2009 in der Zeit vom 27.05. bis 16.06.2009 entfaltet worden, also zu einem Zeitpunkt, als der Auftrag bezüglich des Trennungsunterhalts bereits erledigt war.

d)

Soweit der Beteiligte zu 2) sich zur Begründung der weiteren Beschwerde - wenn auch ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit der betreffenden Entscheidung - auf den Senatsbeschluss vom 04.01.2010 stützt, ist dies bereits im rechtlichen Ausgangspunkt nicht nachvollziehbar. Dieser Entscheidung lag - im Unterschied zum Streitfall - gerade zugrunde, dass dem Rechtsanwalt ein einheitlicher Auftrag erteilt worden war, der von diesem allerdings - wie der Senat ausdrücklich hervorgehoben hat: in künstlich anmutender Weise - durch zwei auf denselben Tag datierende Schreiben behandelt worden ist. Mit dieser Sachlage ist der Streitfall, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die weitere Tätigkeit der Beteiligten zu 1) erst mehrere Monate nach Erledigung des ersten Auftrags veranlasst und entfaltet wurde, schlicht nicht vergleichbar. Die Annahme des Beteiligten zu 2), aus dem Senatsbeschluss vom 04.01.2010 etwas im Streitfall für ihn Günstiges herleiten zu können, ist umso unverständlicher, als die Argumentation der Rechtspflegerin, welche der Beteiligte zu 2) sich zur Begründung der weiteren Beschwerde gleichfalls zu eigen gemacht hat, gerade darauf abzielte, dass die spätere Tätigkeit der Beteiligten zu 1) bereits aufgrund des Zeitablaufs von dem erteilten Berechtigungsschein nicht gedeckt sei.

e)

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 56 Abs. 2 RVG.






OLG Köln:
Beschluss v. 11.05.2010
Az: 17 W 47/10


Link zum Urteil:
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