Oberlandesgericht Hamburg:
Beschluss vom 6. Oktober 2006
Aktenzeichen: 8 W 166/06

(OLG Hamburg: Beschluss v. 06.10.2006, Az.: 8 W 166/06)

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 24, Geschäfts-Nr. 324 O 323/06, vom 29.05.2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin nach einem Gegenstandswert von EUR 677,00.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Nach einer Abmahnung durch die Antragstellerin reichte die Antragsgegnerin am 08.05.2006 bei dem Landgericht eine Schutzschrift ein, die außer dem Antrag, den mutmaßlichen Verfügungsantrag der Antragstellerin durch Beschluss abzuweisen, hilfsweise nicht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, umfangreichen Sachvortrag enthielt. Mit dem am 09.05.2006 bei Gericht eingegangen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrte die Antragstellerin der Antragsgegnerin zu verbieten, bestimmte Behauptungen, bezogen auf ein von ihr hergestelltes Produkt, aufzustellen. Mit Schriftsatz vom 11.05.2006 nahm die Antragstellerin zu den Einlassungen der ihr überreichten Schutzschrift der Antragsgegnerin Stellung. Das Landgericht Hamburg wies durch Beschluss vom 16.05.2006 den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung zurück und legte der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens auf.

Auf den Antrag der Antragsgegnerin vom 24.05.2006 hat der Rechtspfleger des Landgerichts mit Beschluss vom 29.05.2006 antragsgemäß u.a. eine 1,3 Verfahrensgebühr nach § 13, Nr. 3100 VV RVG in Höhe von EUR 1.780,20 festgesetzt. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 01.06.2006 und trägt zur Begründung vor, dass lediglich eine 0,8 Gebühr für die Schutzschrift nach § 13, Nr. 3103 Nr. 1 VV RVG festzusetzen sei; dies entspreche höchstrichterlicher Rechtsprechung zu § 32 Abs. 1 BRAGO (BGH B. 13.02.2003, Az.: I ZB 23/02). Durch das Inkrafttreten des RVG habe sich die Rechtslage insoweit nicht geändert. Auch der angerufene Senat habe aus zutreffenden Gründen die Auffassung vertreten, dass sich der maßgebliche Gebührentatbestand aus Nr. 3101 VV RVG und nicht aus Nr. 3100 VV RVG bei einer Schutzschrift - in Fallkonstellationen wie der vorliegenden - ergäbe (Hans. OLG B. v. 22.04.2005, Az.: 8 W 62/05; abgedr. in MDR 2005, 1196). Der von dem OLG Nürnberg vertretenen Auffassung (OLG Nürnberg, B. v. 11.04.2005, Az.: 5 W 262/05), wonach der Gebührentatbestand nach § 13, Nr. 3100 VV RVG anzuwenden sei, sei nicht zu folgen.

Die Antragsgegnerin ist dagegen der Auffassung, dass nach dem Inkrafttreten des RVG die Kosten einer Schutzschrift in Höhe einer vollen Gebühr von 1, 3 nach § 13, Nr. 3100 VV RVG erstattungsfähig seien. Nach altem Recht habe sich ein verminderter Gebührenanspruch in Höhe einer 0,5 Gebühr nach § 32 Abs. 1 BRAGO ergeben, wenn der Auftrag endete, bevor der Rechtsanwalt einen Schriftsatz mit Sachanträgen eingereicht oder eine andere in § 32 Abs. 1 BRAGO genannte Handlung vorgenommen habe. Die Neuregelung in Nr. 3101 VV RVG, sehe eine verminderte Gebühr (in Höhe von 0,8) u.a. nur dann vor, wenn der Auftrag ende, bevor der Anwalt einen das Verfahren einleitenden Sachantrag gestellt oder einen Schriftsatz, der Sachvortrag enthalte, bei Gericht eingereicht habe. Ein Schriftsatz, der Sachvortrag enthalte, sei mit der Schutzschrift vom 08.05.2006 bei Gericht eingereicht worden, dementsprechend sei eine volle Gebühr nach Nr. 3100 und nicht eine verminderte Gebühr nach Nr. 3101 VV RVG angefallen. Auch habe die Antragsgegnerin ihren Prozessbevollmächtigten bei Einreichung der Schutzschrift einen umfassenden Auftrag - auch zur Vertretung im einstweiligen Verfügungsverfahren - erteilt. Eine entsprechende Vollmacht sei der Gegenseite in der vorgerichtlichen Korrespondenz bereits vorgelegt worden. Im Übrigen sei es nicht sachgerecht, dass die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin eine 1,3 Gebühr für die Einreichung ihrer Antragsschrift erhielten, während die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin, die durch die Abmahnung in der Regel wüssten, welche Anträge zu erwarten seien, für eine umfangreiche Schutzschrift mit entsprechenden Glaubhaftmachungen lediglich eine 0,8 Gebühr verdienen sollten.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde unter Berufung darauf, dass nach neuerer Auffassung auch Sachvortrag in einem eingereichten Schriftsatz ausreiche, eine Gebühr nach § 13, Nr. 3100 VV RVG auszulösen (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, KOM-RVG, 17. Aufl. 2006, Anh. II, Teil D, Rz. 137) nicht abgeholfen und dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Senat hält nicht länger an seiner Rechtsprechung fest (zuletzt B. vom 22.04.2005 a.a.O.), wonach ein Rechtsanwalt für die eingereichte Schutzschrift- auch nach neuem Gebührenrecht- lediglich Anspruch auf Erstattung der Gebühr nach Nr. 3101 VV RVG hat, wenn sein Auftrag vorzeitig endet. Der Senat schließt sich der Auffassung des OLG Nürnberg (OLG Nürnberg, B. v. 11.04.2005 a.a.O.) aus den überzeugenden Gründen der genannten Entscheidung an (im Ergebnis so auch Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, KOM-RVG, 17. Aufl. 2006, Anh. II, Teil D, Rz. 137 m.w.N.; abweichend: Göttlich/Mümmler, RVG-KOM, 1. Aufl. Stichwort "Schutzschrift" Ziff. 2; Mes in: Becksches Prozessformularbuch, 10. Aufl. 2005 unter Bezugnahme auf BGH v. 13.02.2003 a.a.O.).

Nach Inkrafttreten des RVG hat sich die Gesetzeslage gegenüber den früheren gesetzlichen Voraussetzungen in § 32 Abs. 1 BRAGO insofern geändert, als der Gebührentatbestand Nr. 3101 VV RVG, der nunmehr die Fälle verminderter Gebühren erfasst, neben anderen in der Vorschrift genannten Handlungen des Rechtsanwaltes auch den fehlenden Sachvortrag aufgrund vorzeitiger Beendigung des Auftrages aufführt. Daraus folgt, dass dann, wenn Sachvortrag durch einen Schriftsatz an das Gericht gelangt ist, nicht mehr die Voraussetzungen einer verminderten Gebühr nach Nr. 3101 VV RVG vorliegen, sondern die volle Gebühr in Höhe von 1,3 nach Nr. 3100 VV RVG anfällt. Dass die im vorliegenden Fall eingereichte Schutzschrift "Sachvortrag" im Sinne der gebührenrechtlichen Vorschriften enthielt, kann angesichts des Umfanges der Schutzschrift und des detaillierten Eingehens auf den später in der Antragsschrift enthaltenen Vortrag nicht in Zweifel gezogen werden, zumal das Landgericht die Schutzschrift der Antragstellerin zur Stellungnahme übersandte und erst nach Vorliegen der Stellungnahme über den Verfügungsantrag entschied.

Auch bestehen angesichts der Begründung zum Gesetzesentwurf des RVG (vgl. BT-Drucksache 15/1971 zu Nr. 3101, S. 211) keine Bedenken, in Streitverfahren, die durch Sachanträge bestimmt werden, vorhandenen Sachvortrag ausreichen zu lassen, den Gebührentatbestand einer vollen Gebühr nach Nr. 3100 VV RVG als erfüllt anzusehen. Dem Antragsteller ist zwar zuzustimmen, dass der Gesetzgeber das neue Tatbestandsmerkmal des fehlenden Sachvortrages in die Regelung Nr. 3101 VV RVG zur Begründung einer verminderten Gebühr aufgenommen hat, um Zweifel über das Entstehen der 1,3 Verfahrensgebühr insbesondere in FGG-Verfahren, in denen es auf einen Antrag der Beteiligten nicht ankommt, zu beseitigen. Aber der Gesetzgeber hat auch die Erweiterung der Vorschrift durch das Tatbestandsmerkmal "Sachvortrag" auf streitige Verfahren bedacht und hierzu ausgeführt:

" ...Die hierdurch bewirkte Erweiterung auch in den Streitverfahren ist sachgerecht. Wenn zum Beispiel der Beklagtenvertreter auf eine Klage erwidert, ohne ausdrücklich die Klageabweisung zu beantragen, ist kein Grund ersichtlich, weshalb nicht auch in diesem Fall die volle Verfahrensgebühr anfallen soll. ...."

Mithin ist der sofortigen Beschwerde nicht stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde wird gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 2 und 3 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.






OLG Hamburg:
Beschluss v. 06.10.2006
Az: 8 W 166/06


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