Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 5. November 2001
Aktenzeichen: 7 S 1372/01

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 05.11.2001, Az.: 7 S 1372/01)

Zur Frage der Höhe des Gegenstandswertes bei Entscheidung über einen nicht sachdienlichen Antrag (Sozialhilfesachen).

Tatbestand

I. Der Kläger besuchte ab dem 16.09.1996 bis Mitte 1999 die Sonderberufsfachschule Reutlingen mit Internatsunterbringung. Sein Antrag auf Kostenübernahme lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 17.02.1997 ab. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 16.04.1997 zurück gewiesen. Auf die am 10.05.1997 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten mit Urteil vom 15.12.1999 zur Übernahme der gesamten Kosten verpflichtet, die durch die Ausbildung und Internatsunterbringung entstanden waren. Mit Beschluss vom 23.05.2000 hat es den Gegenstandswert auf 147.446 DM festgesetzt. Mit seiner Beschwerde rügt der Beklagte, dass der Wert zu hoch angesetzt worden sei. Es könne höchstens der Jahresbetrag festgesetzt werden. Der Kläger ist der Beschwerde entgegen getreten.

Gründe

II.

Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

Der Senat teilt die Auffassung des Antragsgegners, dass das Verwaltungsgericht den Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit zu hoch festgesetzt hat. Allerdings ist der Gegenstandswert im vorliegenden Fall nicht auf den Jahresbetrag begrenzt, wie der Beklagte meint, weil auch die rückständigen Beträge zu berücksichtigen sind. Deshalb ist die Beschwerde insoweit zurück zu weisen.

Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit §§ 8, 10 BRAGO bestimmt sich der Gegenstandswert für verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten nach der Bedeutung, welche die Sache für den Rechtsschutzsuchenden hat.

Das mit der Klage vom 10.05.1997 verfolgte Interesse des Klägers war ausweislich der mit der Klageschrift angekündigten Anträge darauf gerichtet, den Beklagten zu verpflichten, die bei der Körperbehindertenförderung Neckar-Alb entstandenen und noch entstehenden Kosten für die Ausbildung in der Abteilung Sonderberufsfachschule Reutlingen mit Internatsunterbringung für die Zeit ab dem 16.09.1996 zu übernehmen sowie die entgegenstehenden Bescheide des Beklagten aufzuheben. Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG, der der Senat folgt, kommt es bei der gerichtlichen Nachprüfung von Sozialhilfesachen regelmäßig auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung an (BVerwGE 38, S. 299). Damit ist die Entwicklung des Falls nach Erlass der letzten behördlichen Entscheidung grundsätzlich außer acht zu lassen, weil es nicht die Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist, den Sozialhilfefall zu regeln, sondern lediglich die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung zu überprüfen. Hinzu tritt die zwingend vorgeschriebene Beteiligung sozial erfahrener Personen (§ 114 Abs. 2 BSHG) vor Erlass des Widerspruchsbescheides. Hinsichtlich der nach Erlass des Widerspruchsbescheids eingetretenen Sachverhalte fehlt mithin das erforderliche Vorverfahren, weshalb eine auf solche Zeiträume gerichtete Klage als unzulässig abzuweisen ist. Auch die Bewilligung von Ausbildungshilfe stellt keine rentenähnliche Dauerleistung dar, sondern ist eine zeitabschnittsbezogene Sozialhilfeleistung. Zu Recht hat der Beklagte zudem darauf hingewiesen, dass zum Beginn einer Ausbildung weder feststeht, wie lange diese konkret dauert, ob sie vollständig durchlaufen wird und ob während des gesamten Zeitraums die Bewilligungsvoraussetzungen gegeben sein werden. So ist beispielsweise auch im Ausbildungsförderungsrecht, bei dem sich diese Frage ähnlich stellt, bestimmt, dass Ausbildungsförderung in der Regel nur für ein Jahr bewilligt wird (§ 50 Abs. 3 BAföG).

Streitgegenstand der Klage wäre mithin die Gewährung von Sozialhilfe für den Zeitraum vom 16.09.1996 bis zum 16.04.1997 gewesen; sachdienlicher Antrag (§ 86 Abs. 3 VwGO) wäre damit die Verpflichtung des Beklagten zur Bewilligung von Hilfe für diesen Zeitraum unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide gewesen. Hätte der Kläger gleichwohl auf einem weiter reichenden Antrag beharrt, hätte die Klage insoweit abgewiesen werden müssen.

Das Verwaltungsgericht hat den Gegenstandswert zu hoch festgesetzt, weil auch im vorliegenden Fall nicht auf den gesamten Leistungszeitraum abgestellt werden kann.

Wenn der Kläger einen über den sachdienlichen Antrag hinausgehenden Klageantrag stellt, so bemisst sich der Gegenstandswert nach diesem tatsächlich gestellten Antrag (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG). In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 17.02.1997 und dessen Widerspruchsbescheid vom 16.04.1997 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die bei der Körperbehindertenförderung Neckar-Alb e.V. entstandenen Kosten der Ausbildung des Klägers in der Sonderberufsfachschule mit Internatsunterbringung in gesetzlicher Höhe zu übernehmen. Dieser Antrag ist nicht auf den Zeitraum bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids beschränkt, sondern das verfolgte Interesse geht weit über den Zeitraum bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids hinaus. Bei einer eindeutigen Antragstellung ist auch für eine sachdienliche Auslegung des überschießenden Antrags kein Raum, zumal das Verwaltungsgericht diesem weiter gehenden Antrag entsprochen und den gesamten Ausbildungsgang einbezogen hat, wie sich aus dem Urteil vom 15.12.1999 ergibt. Betrachtet man die gesamte künftige Ausbildung des Klägers und behandelt damit die Sozialhilfe als Dauerleistung ist allerdings § 17 Abs. 1 Satz 1 GKG entsprechend anzuwenden, so dass bei der Wertbemessung hinsichtlich der künftig erstrebten Leistungen nur der Jahresbetrag maßgebend ist (vgl. insoweit auch die Praxis des früher für das Sozialhilferecht zuständigen 6. Senats <z. Bsp.: Beschluss vom 09.04.1987 - 6 S 585/87 - VBlBW 1988, 223 m.w.N.>). Die im Beschluss vom 09.04.1987 aufgeworfene Frage, ob der Jahresbetrag auch dann maßgeblich ist, wenn der bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vergangene Zeitraum länger als ein Jahr ist, stellt sich im vorliegenden Fall nicht und kann deshalb dahin stehen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Wert im vorliegenden Fall allerdings nicht durch den Jahresbetrag begrenzt. Denn der Kläger hat mit seiner Klage nicht nur die künftigen Leistungen geltend gemacht, sondern auch die Bewilligung der bei Klageerhebung rückständigen Beträge begehrt. Gemäß § 17 Abs. 4 GKG (entspr.) müssen diese deshalb zusätzlich berücksichtigt werden. Insoweit setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zur vorerwähnten Entscheidung des 6. Senats vom 09.04.1987, sondern teilt vielmehr dessen rechtlichen Ansatz. Bei sachdienlicher Antragstellung kommt es in Sozialhilfesachen nicht zu "Rückständen" im Sinne vom § 17 Abs. 4 GKG, weil der Streitgegenstand durch den Erlass des Widerspruchsbescheids begrenzt ist. Die rechtliche Betrachtung des Sozialhilfefalls ist in aller Regel eine retrospektive. Völlig anders liegen die Dinge allerdings, wenn der Kläger, wie im vorliegenden Fall, gerade keinen sachdienlichen Antrag stellt, sondern einen hierüber hinaus gehenden. Dann ist zwischen künftigen Leistungen und Rückständen zu unterscheiden, womit nach Auffassung des Senats neben § 17 Abs. 1 Satz 1 GKG (entspr.) auch § 17 Abs. 4 GKG entsprechende Anwendung finden muss.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergeben sich berücksichtigungsfähige Kosten der Sonderberufsfachschule von 24.400 DM (1.200 DM x 8 1/3 Monate zzgl. 1.200 DM x 12 Monate) und 60.000 DM (100 DM x 600 Tage) für die Internatsunterbringung. Dementsprechend war der vom Verwaltungsgericht auf 147.446 DM festgesetzte Gegenstandswert auf insgesamt 84.400 DM herab zu setzen.

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§§ 188 Satz 2 VwGO, 10 Abs. 2 Sätze 4 und 5 BRAGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 05.11.2001
Az: 7 S 1372/01


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