Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. Februar 2004
Aktenzeichen: 14 W (pat) 63/02

(BPatG: Beschluss v. 06.02.2004, Az.: 14 W (pat) 63/02)

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben 2. Das Patent 199 02 246 wird mit der Bezeichnung "Verfahren zur dauerhaften Haarverformung mit zeitabhängiger Reduzierung der Wellwirksamkeit" und folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 10 gemäß Hauptantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 6. Februar 2004 Beschreibung Spalten 1 bis 11 gemäß Hauptantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 6. Februar 2004

Gründe

I Mit dem angefochtenen Beschluss vom 31. Juli 2002 hat die Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und Markenamtes das Patent 199 02 246 mit der Bezeichnung

"Verfahren und Mittel zur dauerhaften Haarverformung mit zeitabhängiger Reduzierung der Wellwirksamkeit"

widerrufen.

Dem Beschluss liegen die erteilten Patentansprüche 1 bis 12 zugrunde, von denen die Ansprüche 1 und 12 wie folgt lauten:

1. Verfahren zur dauerhaften Verformung von Haaren, bei dem man unmittelbar vor der Anwendung einem alkalischen Dauerverformungsmittel mit einem Gehalt an einem keratinreduzierenden Wirkstoff und einem anfänglichen pH-Wert von 7,5 bis 10 eine alkalisch hydrolisierbare Verbindung zusetzt, das Haar bevor und/oder nachdem man es in der gewünschten Form festhält, mit dem gebrauchsfertigen Mittel behandelt, nach der Einwirkungszeit das Haar mit Wasser spült, oxidativ nachbehandelt, erneut mit Wasser spült, gegebenenfalls zur Wasserwelle legt, und sodann trocknet, dadurch gekennzeichnet, daß die alkalisch hydrolisierbare Verbindung so ausgewählt wird, daß der anfängliche pH-Wert ohne den Zusatz eines esterspaltenden Enzyms innerhalb von 5 bis 30 Minuten um mindestens 0,5 Einheiten herabgesetzt wird.

12. Mittel zur dauerhaften Verformung von Haaren mit einem Gehalt an einem keratinreduzierenden Wirkstoff, dadurch gekennzeichnet, daß es eine alkalisch hydrolisierbare Verbindung, ausgewählt aus Gluconsäure-1,5-lacton, Glucuronsäure-6,3-lacton, 3,5-Dihydroxy-3-methylpentansäure-5-lacton, Ribonsäure-1,4-lacton, Galactonsäure-1,4-lacton, Gulonsäure-1,4-lacton, Mannonsäure-1,4-lacton, 2-Acetoxybenzoesäure, Methylvinylether/Maleinsäureanhydrid Copolymer und Diethyloxalat enthält.

Wegen des Wortlautes der Ansprüche 2 bis 11 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Der Widerruf ist im wesentlichen damit begründet, dass das gemäß Patentanspruch 12 beanspruchte Mittel im Hinblick auf die Entgegenhaltung

(1) EP 0 107 159 A1 nicht mehr neu sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin, mit der sie ihr Patentbegehren unter Zugrundelegung der in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 1 bis 10 gemäß Hauptantrag und einer hieran angepassten Beschreibung weiterverfolgt. Diese Patentansprüche haben folgenden Wortlaut:

1. Verfahren zur dauerhaften Verformung von Haaren, bei dem man unmittelbar vor der Anwendung einem alkalischen Dauerverformungsmittel mit einem Gehalt an einem keratinreduzierenden Wirkstoff und einem anfänglichen pH-Wert von 7,5 bis 10 eine alkalisch hydrolisierbare Verbindung zusetzt, das Haar bevor und/oder nachdem man es in der gewünschten Form festhält, mit dem gebrauchsfertigen Mittel behandelt, nach der Einwirkungszeit das Haar mit Wasser spült, oxidativ nachbehandelt, erneut mit Wasser spült, gegebenenfalls zur Wasserwelle legt, und sodann trocknet, dadurch gekennzeichnet, daß die alkalisch hydrolisierbare Verbindung so ausgewählt wird, daß der anfängliche pH-Wert ohne den Zusatz eines esterspaltenden Enzyms innerhalb von 5 bis 30 Minuten um mindestens 0,5 Einheiten herabgesetzt wird und die alkalisch hydrolisierbare Verbindung ausgewählt ist aus den Gruppen:

Lacton einer Onsäure oder einer Uronsäure, Acylsalicylsäure mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen in der Acylgruppe, Dialkylester der Oxalsäure mit jeweils 1 bis 4 Kohlenstoffatomen in der Alkylgruppe und polymeres Anhydrid.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der anfängliche pH-Wert innerhalb von 7 bis 20 Minuten um mindestens eine Einheit auf einen pH-Wert zwischen 6,5 bis 7,3 herabgesetzt wird.

3. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß der pH-Wert des Dauerwellmittels anfänglich 8 bis 9,5 beträgt und innerhalb von 10 bis 30 Minuten um 0,8 bis 2,0 Einheiten abgesenkt wird.

4. Verfahren nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, daß das Lacton der On- oder Uronsäure das Lacton einer Aldohexose ist.

5. Verfahren nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, daß das Lacton der On- oder Uronsäure ausgewählt ist aus Gluconsäure-1,5-lacton und Glucuronsäure-6,3-lacton.

6. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, daß die alkalisch spaltbaren organischen Verbindung gelöst in einem nicht wässrigen Lösungsmittel vorliegt.

7. Verfahren nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, daß das nicht wässrige Lösungsmittel ein mehrwertiger Alkohol ist.

8. Verfahren nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, daß der mehrwertige Alkohol Glycerin ist.

9. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, daß man dem alkalischen Dauerverformungsmittel unmittelbar vor der Anwendung zusätzlich einen Puffer zusetzt, dessen Wirkungsbereich bei pH 6,8 bis 7,5 liegt.

10. Verfahren nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, daß der Puffer Ammoniumhydrogencarbonat ist.

Hilfsweise verfolgt sie ihr Patentbegehren auf der Grundlage der Patentansprüche 1 und 10 gemäß Hilfsantrag 1. Der Patentanspruch 1 nach diesem Hilfsantrag unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag durch die Beschränkung der im kennzeichnenden Teil genannten hydrolysierbaren Verbindungen auf das Lacton einer Onsäure oder einer Uronsäure.

Weiter hilfsweise verfolgt die Patentinhaberin ihr Patentbegehren auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag 2. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag 1 dadurch, daß im kennzeichnenden Teil als hydrolysierbare Verbindungen nur Gluconsäure-1,5-lacton und Glucuronsäure-6,3-lacton angegeben werden.

Die sich dem Patentanspruch 1 der jeweiligen Hilfsanträge anschließenden Patentansprüche 2 bis 10 bzw 2 bis 8 entsprechen den erteilten und veröffentlichten Patentansprüchen 2, 3 und 5 bis 11 bzw 2, 3 und 7 bis 11.

Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, dass ein Verfahren, wie es gemäß Hauptantrag bzw den Hilfsanträgen 1 und 2 beansprucht werde, neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Neuheit des beanspruchten Verfahrens sei gegenüber der Entgegenhaltung

(2) DE 23 49 050 A1 deshalb gegeben, weil sich alleine schon die im Verfahren nach diesem Dokument verwendeten Substanzen von den gemäß Streitpatent eingesetzten unterschieden. Das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit begründet sie damit, dass weder die Entgegenhaltung (1) noch die Entgegenhaltung (2) einen Hinweis zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe, nämlich der Vermeidung einer Überkräuselung im Zusammenhang mit einem Verfahren zur dauerhaften Verformung von Haaren, gebe. Beide Dokumente beschäftigten sich ausschließlich mit der Strukturverbesserung von Haaren. (1) nenne als in Betracht zu ziehende Wirkstoffe zwar neben Säuren auch deren Lactone, die beschriebenen Zubereitungen würden aber dann, wenn sie als stark alkalische Mittel zum Einsatz kämen, von vornherein nur freie Onsäuren enthalten. Eine Anregung Lactone zur Absenkung des pH-Wertes solcher Mittel zu verwenden, werde mit dieser Schrift daher ebenso wenig gegeben, wie mit dem Dokument (2). Dieses nenne ebenfalls ein Verfahren zur dauerhaften Verformung von Haaren, bei dem erst kurz vor Gebrauch spaltbare Verbindungen dem Dauerverformungsmittel zugesetzt werden. Dazu würden aber nur Substanzen, die entweder als gesundheitsschädlich gelten oder verhältnismäßig langsam hydrolysieren, verwendet. Es werde damit auch nur erreicht, dass die Haarfasern im Zuge einer Verformung nicht geschädigt werden. Eine Vermeidung der Überkräuselung des Haares sei damit nicht verbunden. Dies werde gemäß Streitpatent jedoch durch die gezielte Absenkung des pH-Wertes in einem vorgegebenen Zeitrahmen mit der Zugabe der genannten esterspaltbaren Verbindungen unmittelbar vor der Anwendung des Wellmittels erreicht.

Die Patentinhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 10 gemäß Hauptantrag und Beschreibung, überreicht in der mündlichen Verhandlung, hilfsweise auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 10 gemäß Hilfsantrag 1 und Beschreibung, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, weiter hilfsweise auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag 2 und Beschreibung, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Die Einsprechenden beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie widersprechen dem Vorbringen der Patentinhaberin.

Die Einsprechende 1 bestreitet die Neuheit des mit dem Patentanspruch 1 beanspruchten Verfahrens gegenüber der Entgegenhaltung (2), weil der Fachmann beim Lesen dieser Schrift den im Patentanspruch 1 ua genannten Oxalsäureester mitlese.

Das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit bestreiten beide Einsprechenden im Hinblick auf die Entgegenhaltungen (1) und (2). Die Entgegenhaltung (2) gäbe bereits ein Verfahren zur dauerhaften Verformung von Haaren an, bei dem zur Herabsetzung der Wirkstoffkonzentration alkalisch reagierenden Mitteln kurz vor ihrem Gebrauch alkalisch spaltbare Verbindungen zugesetzt werden, die im Stande sind, den pH-Wert der Zusammensetzungen abzusenken. (2) gäbe in diesem Zusammenhang ferner den Hinweis, dass sich mit diesen Verbindungen die Wirksamkeit kosmetischer Präparate selbsttätig steuern lasse und diese sich durch Wahl von Art und Menge des Zusatzes so einstellen ließen, dass die Konzentration des Alkali während der Einwirkungszeit des Präparates allmählich und in gewünschtem Umfange abnehme. Damit wisse der Fachmann, dass er mit einem von ihm entsprechend ausgewählten Acidogen auch die angestrebte pH-Änderung erreichen werde. Wolle er nun ausgehend von (2) die mit den dort genannten Substanzen zT verbundene Toxizität vermeiden, so werde er auf die Druckschrift (1) zurückgreifen. Diese lehre ihn nämlich, dass Haare im Zuge einer Behandlung zur dauerhaften Verformung dann geschont werden - und dies sei schließlich auch die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe -, wenn die dort genannten Säuren oder deren Lactone verwendet würden. Die Einsprechende 2 verwies in diesem Zusammenhang zusätzlich darauf, dass der Unterschied, die in (1) genannten Onsäuren seien bereits von vornherein als solche in den anzuwendenden Zubereitungen enthalten und würden nicht erst unmittelbar vor der Anwendung als Lactone zugegeben, die erfinderische Tätigkeit nicht begründen könne. Wie der Fachmann nämlich wisse, lägen diese Säuren in solchen Lösungen immer im Gleichgewicht mit ihrer Lacton-Form vor. Ferner habe auch kein Vorurteil gegenüber dem Einsatz der Lactone in einem Verfahren gemäß (2) bestanden, weil dem Fachmann bekannt gewesen sei, und hier verweist sie auf die Entgegenhaltung

(3) Biochim Biophys Acta 1960 (37) S 78 bis 82, dass die Lactone der in Rede stehenden Gluconsäure und Glucuronsäure leicht hydrolysieren.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die Beschwerde der Patentinhaberin ist zulässig (§ 73 PatG) und auch begründet, weil dem nunmehr beanspruchten Verfahren Patentfähigkeit zukommt.

1. Gegen die Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche 1 bis 10 gemäß Hauptantrag bestehen keine Bedenken.

Sie sind inhaltlich aus den ursprünglich eingereichten und so erteilten Patentansprüchen 1 bis 11 in Verbindung mit Beschreibung Seite 4 Absatz 3 bzw Streitpatentschrift Spalte 3 Zeilen 1 bis 6 herleitbar.

2. Das gemäß Patentanspruch 1 in der nunmehr geltenden Fassung beanspruchte Verfahren zur dauerhaften Verformung von Haaren ist neu, denn in keiner der im Verfahren genannten Entgegenhaltungen ist ein Verfahren beschrieben, bei dem eine der dort genannten Verbindungen unmittelbar vor der Anwendung mit einem keratinreduzierenden Wirkstoff vermischt wird.

Nun wird zwar auch mit der Entgegenhaltung (2) ein Verfahren zum dauerhaften Verformen von Haaren angegeben, bei dem erst unmittelbar vor der Anwendung zur Reduzierung des pH-Wertes fähige Substanzen zugegeben werden. Keine dieser Verbindungen ist aber unter die im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag angegebenen Substanzgruppen subsumierbar (vgl (2) Patentanspruch 1 iVm Beschreibung S 2 Abs 3 und S 5 Abs 2). Die einzige Verbindung in der auf der Seite 5 dieses Dokumentes enthaltenen Aufzählung in Frage kommender alkalisch spaltbarer Substanzen, die mit im geltenden Patentanspruch 1 genannten Estern, nämlich den Oxalsäuredialkylestern, als anderer Dicarbonsäuredialkylester eine strukturelle Gemeinsamkeit aufweist, ist der Malonsäurediethylester. Nachdem in (2) aber nur einzelne, ausgewählte Substanzen unabhängig von ihrer Verbindungsklasse genannt werden und der Malonsäureester darüber hinaus weder in der Beschreibung noch in den Beispielen weiter erwähnt wird, wird dem Fachmann beim Lesen dieser Schrift nicht vermittelt, dass es sich bei dieser Substanz um eine nur beispielhaft genannte Vertreterin einer ganzen Gruppe von als Wirkstoffe in Erwägung zu ziehender Verbindungen mit vergleichbaren Strukturelementen handeln könnte. Der Fachmann erhält damit daher nicht die Anregung, auch alle weiteren ihm bekannten, zu dieser Verbindungsklasse zählenden Substanzen als gleichwertig miteinzubeziehen.

Gegenüber den weiteren im Verfahren genannten Entgegenhaltungen wurde die Neuheit des beanspruchten Verfahrens von Seiten der Einsprechenden nicht bestritten. So kommen mit ihnen entweder keine Mittel zur Anwendung, denen erst unmittelbar vor der Anwendung alkalisch hydrolysierbare Verbindungen zugesetzt werden, oder es handelt sich bei ihnen um wissenschaftliche Aufsätze, die Untersuchungen zu den Eigenschaften einzelner Verbindungen zum Thema haben.

3. Das beanspruchte Verfahren beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, denn durch keine der im Verfahren genannten Entgegenhaltungen wird ein Stand der Technik vermittelt, der die beanspruchte Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe nahelegt.

Wie im einleitenden Teil der Streitpatentschrift ausgeführt wird, ist die Anwendung auch mildalkalischer Dauerwellpräparate damit verbunden, dass je nach Zustand des behandelten Haares eine Verlängerung der Einwirkungszeit bzw eine wiederholte Anwendung solcher Zubereitungen eine zunehmende Beanspruchung im Sinne einer irreversiblen Schädigung der Haarstruktur darstellt. Insbesondere bei langem, bereits mehrfach mit Dauerwellmitteln vorbehandelten Haaren ist daher die Festlegung des richtigen Endpunktes der Haarerweichung, die unter Umständen auch nach Erreichen der vorgeschriebenen Einwirkzeit voranschreitet, sehr wichtig. Die durch solche Behandlungsmethoden beeinträchtigte Haarstruktur ist für das Verformungsmittel nämlich besonders permeabel, so dass bereits bei relativ geringen Überschreitungen der optimalen Einwirkzeit eine Überkrausung eintreten kann. Die aus dem Stand der Technik bekannten Verfahren sind daher nicht nur mit dem Nachteil verbunden, dass viele der dort erwähnten Substanzen eine ungünstige Toxikologie und Hautverträglichkeit aufweisen, sondern insbesondere auch damit, dass sie eine zu geringe Verseifungsgeschwindigkeit besitzen. Diese führt aber dazu, dass in dem im allgemeinen zur Verfügung stehenden Zeitraum entweder eine unzureichende Menge an Säure zur Herabsetzung des pH-Wertes der alkalischen, den keratinreduzierenden Wirkstoff enthaltenden Lösung aus den hydrolysierbaren Verbindungen freigesetzt wird oder der Einsatz die Konfektionierung erschwerender Enzyme erforderlich ist (vgl Streitpatentschrift Sp 1 Z 39 bis Sp 2 Z 32).

Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur dauerhaften Verformung von Haaren zur Verfügung zu stellen, bei dem ohne die Verwendung von esterspaltenden Enzymen der pH-Wert im Verlauf der Einwirkungszeit genügend rasch sinkt, damit die Reduktionskraft des Wellmittels während der Einwirkungszeit geschwächt und dadurch die Haarstruktur geschont wird, wobei selbstverständlich dennoch eine ausreichende Umformung der Haare erreicht werden soll, insbesondere - wie die Patentinhaberin im Rahmen der mündlichen Verhandlung darlegt - im Zusammenhang damit aber eine Überkrausung der Haare vermieden wird (vgl Streitpatenschrift Sp 2 Z 33 bis 41).

Gelöst wird diese Aufgabe nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag mit einem Verfahren, bei dem unmittelbar vor der Anwendung einem alkalischen Dauerverformungsmittel mit einem Gehalt an einem keratinreduzierenden Wirkstoff und einem anfänglichen pH-Wert von 7,5 bis 10 eine der dort genannten alkalisch hydrolysierbaren Verbindungen zugesetzt wird (vgl geltenden Patentanspruch 1).

Anregungen dahingehend, ein Verfahren, das durch die im Patentanspruch 1 angegebenen Maßnahmen gekennzeichnet ist, bereitzustellen, werden dem Fachmann, hier ein mit der Entwicklung von haarkosmetischen Produkten befasster Diplom-Chemiker, mit keiner der im Verfahren genannten Entgegenhaltungen gegeben. Mit der Entgegenhaltung (2) wird zwar ein Verfahren zur Herabsetzung der Wirkstoffkonzentration in Dauerwellmitteln beschrieben, bei dem hydrolysierbare, Säure bildende Verbindungen kurz vor der Anwendung den alkalisch reagierenden Wirkstoff-Zubereitungen zugesetzt werden. Auch lehrt dieses Dokument, dass sich die Wirksamkeit solcher Präparate mit der Zugabe der alkalisch spaltbaren Verbindungen selbsttätig steuern lässt und zwar über die Wahl von Art und Menge dieses Zusatzes, wobei sich die Bedingungen so einstellen lassen, dass die Konzentration an Alkali während der Einwirkungszeit des Präparates allmählich und in gewünschtem Umfang abnimmt (vgl Patentanspruch 1 iVm Beschreibung S 1 Abs 2, S 2 Abs 3 und S 5 Abs 2). Bereitgestellt wird dieses Verfahren jedoch lediglich mit der Zielsetzung, die Schädigung des Haares im Zuge zB einer Dauerwellbehandlung zu vermindern. Im Zusammenhang mit der Anwendung alkalisch eingestellter Präparate werden Haare nämlich gequollen und erweicht, um sie für die zB zur Verformung erforderlichen Substanzen aufnahmefähiger zu machen. Eine gegebenenfalls längere Dauer dieses Verfahrens und die wiederholte Anwendung solcher Verformungsmittel führt schließlich jedoch zur Überbeanspruchung und Schädigung der Haare (vgl Beschreibung S 2 Abs 2). Somit vermittelt (2) dem Fachmann lediglich die Lehre, den pH-Wert in alkalisch eingestellten Präparaten, wie Dauerwellmitteln, mit fortschreitender Einwirkungsdauer zu reduzieren, um so die schädigende Wirkung dieser Zubereitungen auf die Struktur des Haares weitest gehend zu vermeiden. Diese Entgegenhaltung enthält jedoch an keiner Stelle Hinweise dahingehend, inwiefern auch die nach Erreichen der vorgeschriebenen Einwirkzeit weiter voranschreitende Haarerweichung und die damit verbundene Gefahr einer Überkräuselung vermieden werden könnte bzw, dass diesem Problem durch die Verwendung der im geltendem Patentanspruch 1 angegeben alkalisch hydrolysierbaren Verbindungen begegnet werden könnte.

Die Entgegenhaltung (1) vermag dem Fachmann die mit dem Streitpatent beanspruchte Lehre ebenfalls nicht zu vermitteln, denn auch mit den dort genannten Mitteln wird nur angestrebt, die Struktur und Widerstandsfähigkeit von Haaren zu verbessern, die durch die regelmäßige Behandlung mit alkalischen, stark reduzierenden Chemikalien im Zusammenhang mit zB einer Dauerwell-Behandlung geschädigt werden. Als Wirkstoffe enthält dieses Mittel Onsäuren, die von Aldohexosen oder Disacchariden mit unverschlossener Aldehydfunktion abgeleitet sind, und/oder deren - oder -Lactone. Danach werden mit (1) zwar Zubereitungen beschrieben, die ebenfalls die im geltenden Patentanspruch 1 genannten Lactone enthalten können, da diese Substanzen dem Mittel aber von vornherein beigefügt sind und nicht erst unmittelbar vor der Behandlung zugesetzt werden, ist mit deren Anwendung im Unterschied zum patentgemäßen Verfahren jedoch keine pH-Veränderung in einem zeitlich definierten Zeitraum verbunden. Daher wird mit (1) ausschließlich die Lehre vermittelt, dass es sich bei dem Zusatz der in Rede stehenden Onsäuren und/oder deren - oder -Lactonen um eine Maßnahme zur Strukturverbesserung des Haares handelt (vgl Patentanspruch 1 iVm Beschreibung S 1 Abs 1 und 2, S 2 Abs 3 und 4 sowie S 3 Abs 1 und 2).

Der Auffassung der Einsprechenden, weil (1) Lactone im Zusammenhang mit Dauerwellmitteln nenne und es sich bei diesen zudem, wie die Entgegenhaltung (3) zeige, um leicht hydrolysierbare Verbindungen handle, werde der Fachmann sie angesichts dieses Standes der Technik als geeignete Zusätze auch zur Reduzierung des pH-Wertes bei dem in Rede stehenden Verfahren in Erwägung ziehen, kann nicht gefolgt werden. Die Entgegenhaltung (1) lehrt ihn nämlich auch, dass die genannten Onsäuren in alkalischen Lösungen als Salze beständig sind, jedoch dann, wenn sie als freie Säuren vorliegen, was - wie der Fachmann weiß - für alkalische Lösungen nicht zutrifft, leicht in die - oder -Lactone übergehen (S 3 Abs 2). Da es sich bei den zur Verformung des Haares vorgesehenen Mitteln aber im allgemeinen um alkalische Mittel handelt, wird der Fachmann daher davon ausgehen, dass das Gleichgewicht in diesen Mitteln auf Seiten der in Form der Salze stabilisierten Säuren liegen wird und Lactone höchstenfalls in untergeordneten Mengen vorkommen. Damit kommt den im Patentanspruch 1 der Entgegenhaltung (1) genannten Säuren nur die Rolle eines Verbesserers der Struktur von Haaren zu. Eine mit dem gemäß geltendem Patentanspruch 1 beschriebenem Verfahren zugrunde liegende Reaktion, nämlich die Reduzierung der vorhandenen Alkali-Konzentration durch die Verseifung eines Esters oder eines Lactons wird mit (1) dagegen nicht beschrieben.

Auch der Verweis der Einsprechenden 2 auf die Entgegenhaltung (3) kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Obwohl dem Fachmann aus dieser bereits seit langem die leichte Hydrolysierbarkeit von Lactonen der Gluconsäure und der Glucuronsäure bekannt war (vgl S 90 Tabelle IV), hat er diese Verbindungen nämlich nicht als geeignete Zusätze zur Absenkung des pH-Wertes stark alkalischer Mittel in einem Verfahren wie es mit der Entgegenhaltung (2) angegeben wird, in Betracht gezogen. Somit hat er sie den anderen dort genannten verseifbaren Verbindungen augenscheinlich nicht als gleichwertig erachtet, weshalb keine Veranlassung besteht, davon auszugehen, dass der Fachmann die in Rede stehenden Lactone in Kenntnis der Entgegenhaltung (3) in Verbindung mit dem Dokument (2) ohne weiteres als zur Lösung des dem Streitpatent zugrunde liegenden Problems geeignet in Erwägung ziehen wird.

Damit wird dem Fachmann mit keiner der im Verfahren genannten Entgegenhaltungen die Lehre vermittelt, zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe ein Verfahren bereitzustellen, bei dem alkalischen Dauerverformungsmitteln mit einem Gehalt an einem keratinreduzierenden Wirkstoff unmittelbar vor der Anwendung eine alkalisch hydrolysierbare Verbindung, ausgewählt aus den Gruppen Lacton einer Onsäure oder einer Uronsäure, Acylsalicylsäure mit 1 bis 5 Kohlenstoffatomen in der Acylgruppe, Dialkylester der Oxalsäure mit jeweils 1 bis 4 Kohlenstoffatomen in der Alkylgruppe und polymeres Anhydrid, zugesetzt wird. Dieses trifft deshalb zu, weil dem Fachmann mit keinem dieser Dokumente Hinweise dahingehend gegeben werden, dass durch den gezielten Einsatz solcher alkalisch hydrolysierbarer Verbindungen nicht nur eine Schädigung der Haare reduziert werden kann, sondern auch die in Rede stehende Überkräuselung der Haare vermieden werden kann. Mit dem Einsatz gerade dieser Substanzen gelingt es nämlich, gezielt innerhalb eines festgelegten Zeitraumes, dh innerhalb von maximal 30 Minuten, den pH-Wert der Well-Lösungen um mindestens 0,5 Einheiten zu reduzieren, womit die Wirksamkeit der keratinreduzierenden Substanz selbst weitgehend eingeschränkt wird.

Somit kann die Bereitstellung des mit dem geltenden Patentanspruch 1 beanspruchten Verfahrens nicht als Folge eines durch den Stand der Technik nahegelegten Verfahrens angesehen werden.

4. Der Gegenstand nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag weist damit alle Kriterien der Patentfähigkeit auf. Der geltende Patentanspruch 1 ist daher rechtsbeständig. Die Patentansprüche 2 bis 10 betreffen besondere Ausgestaltungen des Verfahrens nach Patentanspruch 1 und haben aus diesem Grund ebenfalls Bestand.

5. Bei dieser Sachlage erübrigt sich ein Eingehen auf die Hilfsanträge 1 und 2. Vielmehr war der angefochtene Beschluss, dessen Gründe gegenüber dem neu formulierten eingeschränkten Patentbegehren nicht mehr zum Tragen kommen, aufzuheben und das Patent mit den im Tenor angegebenen Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten.

Dr. Wagner Harrer Dr. Proksch-Ledig Dr. Gerster Be






BPatG:
Beschluss v. 06.02.2004
Az: 14 W (pat) 63/02


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