Landgericht Berlin:
Beschluss vom 10. Januar 2007
Aktenzeichen: 82 T 435/06

(LG Berlin: Beschluss v. 10.01.2007, Az.: 82 T 435/06)

Tenor

In Änderung des angefochtenen Beschlusses werden als der Beschwerdeführerin aus der Landeskasse zu zahlende Gebühren und Auslagen weitere 55,68 Euro festgesetzt.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hatte den Rechtsuchenden, Herrn € € , wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe für die Dauer von 3 Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Gleichzeitig hat das Amtsgericht die Auflage erteilt, binnen 6 Monaten nach Rechtskraft des Urteils eine Geldbuße in Höhe von 1.000,-- DM an einen näher bestimmten Empfänger zu zahlen. Dieser Auflage war der Rechtsuchende zunächst nicht nachgekommen, so dass das Amtsgericht die Bewährungszeit um 1 Jahr und 6 Monate verlängert hat. Durch Beschluss vom 12. August 2005 hat das Amtsgericht Tiergarten die bewilligte Bewährung widerrufen.

Die hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht Berlin mit der Maßgabe verworfen, dass die von dem Rechtsuchenden zwischenzeitlich gezahlten 50,-- Euro in Höhe von 2 Tagen auf die zu vollstreckende Strafe anzurechnen sind. Nachdem der Rechtsuchende hieraufhin zum Strafantritt geladen wurde, hat die Beschwerdeführerin im Rahmen der Beratungshilfe mit ihrem an die Staatsanwaltschaft des Landgerichts Berlin vom 21. Oktober 2005 gerichteten Schriftsatz "im Wege der Gnade gebeten€, die Strafvollstreckung auszusetzen bzw. die Strafe zu erlassen. Die Staatsanwaltschaft hat dieses Gnadengesuch zuständigkeitshalber an die Senatsverwaltung für Justiz weitergeleitet, die durch Verfügung vom 2. Januar 2006 die Vollstreckung im Wege der Gnade zur Bewährung ausgesetzt hat.

Für diese Tätigkeit hat die Beschwerdeführerin mit formfrei gestelltem Antrag vom 1. März 2006 die Festsetzung einer Geschäftsgebühr, einer Erledigungsgebühr, der Postentgeltpauschale und der Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 249,40 Euro beantragt.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat am 12. Januar 2006 eine Beratungsgebühr in Höhe von 30,-- Euro, die Postentgeltpauschale in Höhe von 6,00 Euro und 16 % Umsatzsteuer in Höhe von 5,76 Euro, insgesamt einen Betrag in Höhe von 41,76 Euro festgesetzt. Die hiergegen eingelegte Erinnerung der Beschwerdeführerin hat das Amtsgericht durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und die Beschwerde zugelassen.

Die gemäß § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde hat zum geringen Teil Erfolg.

II.

Dem Anspruch der Beschwerdeführerin auf Festsetzung steht nicht entgegen, dass die sie ihren Antrag nicht gemäß § 11 BerHG i.V.m. § 1 BerHiVordruckVO nicht auf dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck gestellt hat. Denn dieser Vordruck enthält lediglich die nach der BRAGO zu berechnenden Gebühren und Auslagen und ist seit dem Inkrafttreten des RVG am 01.07.2004 nicht für die nach dem RVG zu zahlenden Gebühren und Auslagen geändert worden. Da der Verordnungsgeber einen dem Rechnung tragenden neuen Vordruck nicht eingeführt hat, besteht insoweit für die Festsetzung von Gebühren und Auslagen nach dem RVG kein Vordruckzwang mehr (siehe hierzu Hansens RVGreport 2004, 461).

III.

Für die Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Verfahren nach der Gnadenordnung steht ihr nach Nr. 2603 VV RVG eine Geschäftsgebühr in Höhe von 70,-- Euro zu. Hierzu kann sich die Beschwerdeführerin allerdings nicht auf die zur Tätigkeit in Strafvollzugsangelegenheiten ergangene Rechtsprechung beziehen. Denn ihre Tätigkeit sollte gerade vermeiden, dass gegen den Rechtsuchenden die verhängte Strafe vollzogen wird. Dementsprechend richtete sich die Tätigkeit auch nicht auf eine Angelegenheit des Strafvollzuges, sondern ausdrücklich auf die Gewährung von Gnade. Die Stellung eines Gnadenantrages ist jedoch nicht dem Strafrecht zuzuordnen mit der Folge, dass Beratungshilfe gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 BerHG nur für die Beratung gewährt werden kann (so aber Schoreit/Dehn, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe, 8. Aufl., § 2 BerHG, Rd. 24). Das Strafverfahren gegen den Rechtsuchenden war längst rechtkräftig abgeschlossen. Eine Entscheidung der Strafgerichte kam nicht mehr in Betracht, nachdem die Strafkammer die Beschwerde des Rechtsuchenden gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zurückgewiesen hatte. Auch wenn die Beschwerdeführerin ihren Antrag vom 21. Oktober 2005 an die Staatsanwaltschaft des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungsbehörde - gerichtet hatte, ergab sich bereits aus dem Einleitungssatz, dass eine Entscheidung im Gnadenwege durch die hierfür zuständige Gnadenbehörde erstrebt wurde. Das war jedoch die Senatsverwaltung für Justiz, die dem Gnadengesuch auch entsprochen hat. Deshalb ist es allgemein anerkannt, dass Gnadensachen eher dem Verwaltungsrecht zuzuordnen sind, so AG Schöneberg StV 1985, 73 LS; AG Köln StV 1988, 353; Hansens in: Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 1. Aufl., Teil 6, Rn. 8.

1.

Somit hat das Einreichen des Gnadengesuches und die Empfangnahme der hierauf ergangenen Entscheidung der Gnadenbehörde eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2603 VV RVG ausgelöst.

2.

Demgegenüber steht der Beschwerdeführerin die beantragte Einigungs- und Erledigungsgebühr nach Nr. 2608 VV RVG nicht zu. Nach Abs. 1 der Anmerkung zu Nr. 2608 VV RVG sind die Anmerkungen zu Nrn. 1000 und 1002 VV RVG anzuwenden. Dies hat zur Folge, dass im Rahmen der Beratungshilfe die Einigungs- und Erledigungsgebühr nur anfällt, wenn entweder die Voraussetzungen der Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG oder der Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG erfüllt sind. Eine Einigungsgebühr ist offensichtlich nicht angefallen. Die Voraussetzungen der allenfalls in Betracht kommenden Erledigungsgebühr sind ebenfalls nicht erfüllt. Dies setzte nach der anzuwendenden Anmerkung zu Nr. 1002 VV RVG voraus, dass sich eine Rechtssache nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt hätte. Hier ist weder ein Verwaltungsakt gegen den Rechtsuchenden ergangen noch hat die Beschwerdeführerin einen solchen mit einem Rechtsbehelf angefochten. Ebenso wenig hat sich eine Rechtssache durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsaktes erledigt. Vielmehr hat die Beschwerdeführerin lediglich einen Gnadenantrag gestellt, dem die Gnadenbehörde entsprochen hat. Eine solche Entscheidung ist jedoch gerade kein der Anfechtung im Verwaltungsrechtswege unterliegender Verwaltungsakt, sondern ein außerhalb des Verwaltungsrechts liegender, gerichtlich grundsätzlich nicht überprüfbarer Gnadenakt.

Somit stehen der Beschwerdeführerin lediglich folgende Ansprüche gegen die Landeskasse zu:

1. Geschäftsgebühr, Nr. 2603 VV RVG70,00 Euro2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 14,00 Euro3. 16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG13,44 EuroSumme97,44 EuroAbzüglich der bereits festgesetzten41,76 Eurosind noch restliche55,68 Eurofestzusetzen.

Die weitergehende Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage, welche Beratungshilfe-Vergütung für die Tätigkeit im Gnadenverfahren entsteht, umstritten ist. Deshalb hat die Kammer die weitere Beschwerde zugelassen.

Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 9 RVG).






LG Berlin:
Beschluss v. 10.01.2007
Az: 82 T 435/06


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