Kammergericht:
Beschluss vom 2. September 2010
Aktenzeichen: 2 Ws 288/10 Vollz

(KG: Beschluss v. 02.09.2010, Az.: 2 Ws 288/10 Vollz)

Die Vollzugsbehörde darf ein im Vollstreckungsverfahren über den Gefangenen erstattetes schriftliches Prognosegutachten erfordern, an sich übermitteln lassen und zu den Gefangenenpersonalakten nehmen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin € Strafvollstreckungskammer € vom 24. März 2010 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I. Der Gefangene verbüßt zur Zeit eine Freiheitsstrafe von neun Jahren wegen schweren Raubes. Zwei Drittel der Strafe waren am 21. Januar 2008 vollstreckt; das Strafende ist auf den 21. Januar 2011 notiert.

Das Landgericht Berlin € Strafvollstreckungskammer - lehnte nach Einholung eines kriminalprognostischen Gutachtens gemäß § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO mit Beschluß vom 29. Mai 2008 den Antrag des Gefangenen, die Reststrafe nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung auszusetzen, ab. Seine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf der Senat mit Beschluß vom 19. August 2008 € 2 Ws 332/08 -.

Da der Gefangene bereits im April 2008 die Genehmigung einer externen Therapie beantragt hatte, forderte dessen Gruppenleiter das am 10. Januar 2008 für das vorbezeichnete Vollstreckungsverfahren erstattete schriftliche kriminalprognostische Gutachten des vom Landgericht beauftragten Sachverständigen Dr. G. H., eines Diplom-Psychologen, vom 10. Januar 2008 bei Gericht an, um es an den psychologischen Dienst der Justizvollzugsanstalt zur Prüfung der Genehmigung einer externen Therapie weiterzuleiten. Dies teilte er dem Verurteilten mit. Die vom Landgericht übersandte Kopie des Gutachtens wurde zur Gefangenenpersonalakte des Antragstellers genommen.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin den Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Abs. 1 StVollzG) abgelehnt, die Vollzugsbehörde zu verpflichten, die Kopie des Gutachtens aus den Gefangenenpersonalakten zu entfernen und an den Antragsteller herauszugeben, sowie alle vollzuglichen Vermerke in der Gefangenenpersonalakte, die sich auf dieses Gutachten beziehen oder dessen Inhalt erkennen lassen, zu löschen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung sachlichen Rechts.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, da es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Sie wirft datenschutzrechtliche Rechtsfragen auf, die der Senat zwar bereits teilweise erörtert hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. April 2010 - 2 Ws 8-9/10 Vollz - und 24. März 2010 € 2 Ws 24 und 81/10 Vollz -), die jedoch wegen ergänzender Überlegungen des Beschwerdeführers zur Nutzung von im Vollstreckungsverfahren erstatteter Gutachten für vollzugliche Zwecke, insbesondere zur Zweckbestimmung von Daten, einer Vertiefung bedürfen.

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet.

82. Das schriftliche Gutachten ist zu Recht von der Vollzugsbehörde erfordert, an sie übermittelt und in die von ihr über den Gefangenen geführten Personalakten genommen worden.

a) Das Recht auf informelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) gewährt insbesondere Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von individualisierten oder individualisierbaren Daten (vgl. BVerfGE 65, 1, 44 € Volkszählungsurteil -; BVerfG StV 2009, 449). Jede Beschränkung des Art. 2 Abs. 1 GG und damit jede Datenverarbeitung benötigt deshalb eine Rechtsgrundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben, damit sie dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen (BVerfG a.a.O.). Ein Gesetz ist hinreichend bestimmt, wenn sein Zweck aus dem Gesetzestext in Verbindung mit den Materialien deutlich wird. Das ist bei den hier anwendbaren Normen der Fall.

Mit der Einführung der §§ 179ff. StVollzG hat der Gesetzgeber der Forderung des Bundesverfassungsgerichts entsprochen, wonach der Grundsatz der Verfügungsgewalt über die eigenen Daten eine sorgfältige Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Datenverarbeitung und dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gebietet (vgl. Weichert in AK-StVollzG 5. Aufl., vor § 179 Rdnrn. 1, 15). Diese Vorschriften sind die zentrale Rechtsgrundlage für den Umgang mit sämtlichen personenbezogenen Daten des Justizvollzugs und umfassen namentlich die Behandlung der in einer Justizvollzugsanstalt vorhandenen Unterlagen, insbesondere auch der Gefangenenpersonalakte und Gesundheitsakte. Sie haben insoweit abschließenden Charakter, als alle nicht von diesen Vorschriften erfaßten Erhebungen, Übermittlungen oder Speicherungen von Daten nur mit wirksamer Einwilligung des Betroffenen zulässig sind (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 11. Aufl., § 180 Rdn. 1). Nicht in sich abschließend sind sie allerdings insoweit, als sie auf Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (§§ 179 Abs. 2, 187 Satz 1 StVollzG) und der Landesdatenschutzgesetze (§ 187 Satz 2 StVollzG) verweisen (vgl. Weichert in AK, vor § 179 StVollzG Rdn. 19).

aa) Die Voraussetzungen und die Art und Weise der rechtmäßigen Erhebung der personenbezogenen Daten sind in § 179 Abs. 1 und Abs. 2 StVollzG zwar unter Verwendung von Generalklauseln (in § 179 Abs. 2 StVollzG durch den Verweis auf § 4 Abs. 2 BDSG), jedoch hinreichend bestimmt gesetzlich normiert.

bb) Korrespondierend hierzu regelt § 479 Abs. 2 Nr. 2 StPO die Rechte und Pflichten derjenigen Stelle, die im Strafprozeß entstandene Daten an die Vollzugbehörde übermittelt, vergleichbar normenklar.

cc) Der die Verarbeitung und Nutzung der personenbezogenen Daten begrenzende Verwendungszweck ist in § 180 Abs. 1 StVollzG hinreichend präzise vorgegeben. Er stimmt mit dem Zweck ihrer Erhebung nach § 179 Abs. 1 StVollzG überein (vgl. Calliess/ Müller-Dietz, § 180 StVollzG Rdn. 2) und muß den Aufgaben des Vollzugs und namentlich der Erreichung des Vollzugsziels dienen.

b) Die Justizvollzugsanstalt hat die Daten rechtmäßig erhoben.

aa) Die Kenntnis der in einem für Zwecke der Strafvollstreckung erstellten kriminalprognostischen Gutachten erfaßten personenbezogenen Daten ist für den Vollzug der Freiheitsstrafe erforderlich.

In einem derartigen Gutachten, das zur Vorbereitung einer Entscheidung über die vorzeitige Entlassung des Gefangenen erstattet wird, werden auf der Grundlage seiner lebensgeschichtlichen Entwicklung die persönlichen Schwächen und Stärken des Probanden, insbesondere seine charakterlichen Defizite und ihre möglichen Ursachen beschrieben und seine vollzugliche Entwicklung dargestellt. Soweit es zu einem für den Verurteilten ungünstigen Ergebnis kommt und es dadurch zu einer Ablehnung der vorzeitigen Entlassung kommt, gehört es zu den Aufgaben des Vollzuges, die so erkannten Defizite des Verurteilten abzubauen, um seine Resozialisierung zu fördern und so seine Prognose zu verbessern. Es gehört zu den ureigensten Aufgaben der Justizvollzugsanstalten, die Persönlichkeit des Gefangenen zu erforschen, ihre Vollzugsplanung an den so gewonnenen Ergebnissen zu messen und sie auf dieser Grundlage - fortlaufend der Entwicklung der Gefangenen angepaßt € zu gestalten (vgl. Weichert in AK, § 179 Rdn. 3).

bb) Diese Daten sind grundsätzlich beim Betroffenen zu erheben (§ 179 Abs. 2 Satz 1 StVollzG). Im Strafvollzug geschieht das z. B. in der Behandlungsuntersuchung und der anschließenden Fassung des Vollzugsplans (§§ 6, 7 Abs. 1, 2 StVollzG) sowie bei der Vollzugsplanfortschreibung durch die Vollzugsplankonferenz (§§ 7 Abs. 3, 159 StVollzG) aufgrund der von den Anstaltsmitarbeitern mit dem Gefangenen gemachten Erfahrungen. Zur Ermittlung des ihrer Beurteilung zugrunde zu legenden Sachverhalts darf sich die Vollzugsbehörde ihrerseits sachkundiger Gutachter bedienen, die ihre Expertise aufgrund der Exploration des Gefangenen erstellen. Daß es der Justizvollzugsanstalt nicht verwehrt ist, kriminalprognostische Instrumente ergänzend für die Beurteilung der Mißbrauchsgefahr heranzuziehen, hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. April 2010 - 2 Ws 8-9/10 Vollz -, 15. Oktober 2009 € 2 Ws 464/09 Vollz - und 30. Oktober 2008 € 2 Ws 539/08 Vollz € jeweils mit weit. Nachw.).

cc) Eine verantwortungsvolle, an den gesetzlichen Vollzugszielen, insbesondere am Resozialisierungsgedanken ausgerichtete Vollzugsgestaltung ist jedoch mit ausschließlich bei dem Gefangenen erhobenen Daten nicht möglich. Das ergibt sich zwangsläufig aus der Notwendigkeit, die zu vollstreckenden Urteile zu kennen. Denn deren Inhalt, der die Grundlage der mittels des Strafvollzugs zu vollstreckenden Verurteilung darstellt, kann schwerlich nur mittels einer Befragung des Gefangenen wahrheitsgemäß und vollständig ermittelt werden. Die Behandlung und Beurteilung der Gefangenen muß sich an den Urteilsfeststellungen orientieren und darf nicht von ihnen abweichen (vgl. Senat ZfStrVO 1996, 247). Zwar sind die Begriffe Strafvollstreckung und Strafvollzug nicht deckungsgleich; ersterer betrifft das €ob€ der Verwirklichung der verhängten Freiheitsstrafe, letzterer das €Wie der praktischen Durchführung€ (vgl. Senat, Beschlüsse vom 18. März 2009 € 2 Ws 96/09 Vollz € und 23. Oktober 2008 € 2 Ws 525/08 Vollz -; Röttle/ Wagner, Strafvollstreckung 8. Aufl., Rdn. 2). Beide sind aber in der Weise verzahnt, daß sie auf unterschiedlichen Ebenen demselben Zweck dienen: der Verwirklichung der Kriminalstrafe (vgl. Röttle/ Wagner a.a.O). Dementsprechend bestimmt § 31 Abs. 1 Nr. 1 StVollstrO, daß dem Aufnahmeersuchen eine vollständige Abschrift der in § 16 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 StVollstrO genannten Entscheidungen beizufügen bzw. nachzureichen ist. Dabei handelt es sich um das zu vollstreckende Urteil (bzw. den Strafbefehl, den Gesamtstrafenbeschluß etc.)(Nr. 1) sowie die Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte und die nachfolgenden der Strafvollstreckungskammer (Nr. 3). Diese Erhebungen sind durch § 179 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2a BDSG gerechtfertigt.

dd) Gleiches gilt auch für die im Erkenntnisverfahren und im Vollstreckungsverfahren erstatteten Gutachten. Ihre Übersendung ist in § 31 Abs. 2 StVollstrO angeordnet, wenn sie für den Vollzug von Bedeutung sein kann.

Diese Verwaltungsvorschrift kann zwar die Rechtmäßigkeit nicht begründen. Diese ergibt sich aber ebenso aus § 179 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2a BDSG.

Die organisatorische Trennung von Vollstreckung und Vollzug steht der Erhebung der Daten durch die Anforderung des im Vollstreckungsverfahren verfaßten Gutachtens nicht entgegen. Im Gegenteil sind beide Bereiche durch einen übergeordneten gemeinsamen Zweck und Sachzusammenhang eng miteinander verzahnt (siehe oben cc), so daß ein geregelter Datenaustausch € auch im Interesse des Verurteilten - unabdingbar ist. In beiden Richtungen hat der Gesetzgeber diese Verzahnung normiert, in § 479 Abs. 2 Nr. 2 StPO für die Übermittlung vom Strafgericht oder der Strafverfolgungsbehörde zur Vollzugsbehörde, in der €Gegenrichtung€ vom Vollzug zur Strafvollstreckung in § 180 Abs. 2 Nr. 5 StVollzG. Während der Vollzug den Zweck erfüllt, den Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen und ferner die Allgemeinheit vor weiteren von ihm ausgehenden Straftaten zu schützen (§ 2 StVollzG), ist es Aufgabe der Vollstreckungsgerichte, neben der Umsetzung der strafrichterlichen Entscheidung in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht (§ 458 StPO) im Aussetzungsverfahren zu prüfen, ob dieser Vollzugszweck bereits erreicht ist und es unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden kann, den Gefangenen vorzeitig nach § 57 Abs. 1 StGB in Freiheit zu entlassen, weil nur noch ein vertretbar geringes Rückfallrisiko besteht. Dazu bedient sich die Strafvollstreckungskammer vielfach der Sachaufklärung mittels eines kriminalprognostischen Gutachtens (§ 454 Abs. 2 StPO) und gleichzeitig der Stellungnahme der Vollzugsanstalt.

Diese enge Verbindung zeigt sich insbesondere bei der Bedeutung, die die Vollstreckungsgerichte der Gewährung bzw. der Ablehnung von Vollzuglockerungen für die Aussetzungsentscheidung beimessen, und bei der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Einflußnahme der Gerichte bei rechtswidrig verweigerten Lockerungen (vgl. BVerfG NJW 2009, 246). Die Kenntnis eines vom Vollstreckungsgericht in Auftrag gegebenen Prognosegutachtens zur Gefährlichkeit des Verurteilten ist für den Vollzug gerade bei einer die Aussetzung ablehnenden Entscheidung deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie daran die weitere Vollzugsplanung ausrichten und dem Gefangenen eine auf die Gefährlichkeitsprognose abgestimmte Zulassung zu Vollzugslockerungen gewähren soll.

Gerade im Hinblick auf die Gewährung von Vollzugslockerungen dient ein kriminalprognostisches Gutachten zur Gefährlichkeit des Verurteilten der besseren Einschätzung einer möglichen Mißbrauchsgefahr und ermöglicht eine individuell angepaßte Gewährung von Vollzugslockerungen. Eine erfolgreiche Erprobung in Vollzugslockerungen hat wiederum unmittelbare Auswirkungen auf die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer im Aussetzungsverfahren, denn sie erweitert und stabilisiert die Basis der prognostischen Beurteilung. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 30. April 2009 (vgl. BVerfG a.a.O.) auf diese Wechselwirkung zwischen vollzuglichen Maßnahmen und vollstreckungsrechtlichen Entscheidungen ausdrücklich hingewiesen und ausgeführt, daß das Vollstreckungsgericht eigenständig prüfen muß, ob Lockerungen in der Vergangenheit rechtmäßig untersagt worden sind, so daß sich der Gefangene die Einschränkung der dem Gericht zur Verfügung stehenden Tatsachengrundlage zurechnen lassen muß. Diese Pflicht besteht selbst dann, wenn die Rechtmäßigkeit der Versagung von Lockerungen bereits Gegenstand gerichtlicher Überprüfung im Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz war (vgl. BVerfG a.a.O.). Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Einflußnahme der Vollstreckungsgerichte auf die vollzugliche Praxis bei rechtswidrig verweigerten Lockerungen geht bis zur Festlegung eines zukünftigen Entlassungszeitpunktes nach § 454 a Abs. 1 StPO, um die Vollzugsbehörde zu bestimmen, die Zwischenzeit zur angemessenen Erprobung des Verurteilten in Lockerungen zu nutzen. Dies setzt aber voraus, daß gutachterliche Erkenntnisse des Gerichts den Vollzugsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgabe zur Verfügung stehen und umgekehrt (vgl. Schmid bei Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG 5. Aufl., § 182 Rdn. 21; Arloth, StVollzG 2. Aufl., § 182 Rdn. 11).

Gerade der Vergleich des Verhaltens des Verurteilten vor der Inhaftierung mit dem nach Verbüßung von nahezu zwei Dritteln der Strafe gibt Aufschluß darüber, ob sich seine Legalprognose durch den Vollzug und die dortigen Behandlungsmaßnahmen verbessert hat oder ob und warum sie erfolglos geblieben sind. Die durch ein solches Gutachten vermittelte breite Kenntnis der Persönlichkeit des Gefangenen bietet die dafür erforderliche Grundlage und eröffnet der Vollzugsanstalt die Möglichkeit, die Effektivität ihrer bisherigen Behandlungsmaßnahmen zu überprüfen und in der letzten Phase des Vollzuges die Zeit zu nutzen, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Prognose zu verbessern und auch die Entlassungsvorbereitung enger auf die persönlichen Erfordernisse des Verurteilten abzustimmen.

ee) Hinzu tritt der Umstand, daß sich die Vollstreckungsgerichte in ihren Entscheidungen ausführlich mit den ihnen vorliegenden Gutachten auseinandersetzen und deren Inhalt bereits auf diese Weise der Vollzugsbehörde bekannt wird. Gerade in dem den Beschwerdeführer betreffenden Beschluß vom 19. August 2008 € 2 Ws 332/08 € hat sich der Senat wegen der gegen den Inhalt des Gutachtens geführten Angriffe der Beschwerde sehr ausführlich mit dessen Inhalt auseinandergesetzt und ihn auf diese Weise zwangsläufig wiedergegeben. Die Vollstreckungsgerichte wären auch nicht gehindert, in ihre Entscheidungen weite Teile der Gutachten einzurücken, solange nur sie nicht den Eindruck erwecken, keine eigenständige Entscheidung getroffen zu haben, sondern dem Sachverständigen lediglich unkritisch gefolgt zu sein (vgl. Senat, Beschluß vom 14. Januar 2008 € 2 Ws 747/07 -).

ff) Die Anforderung der anläßlich von solchen Entscheidungen erstatteten Gutachten ist auch gemäß § 179 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2b BDSG gerechtfertigt. Die Anstalt wäre durch nichts gehindert, ihrerseits denselben Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zur Lockerungsprognose zu beauftragen (siehe oben bb). Ein solches Gutachten hätte zwar gegenüber einer gemäß § 454 Abs. 2 StPO verfaßten Expertise einen anderen gesetzlichen Ausgangspunkt und mithin eine andere Fragestellung: Zu prüfen wären vornehmlich die lockerungsrelevanten Gesichtspunkte der Flucht- und Mißbrauchsgefahr, wohingegen das Gutachten gemäß § 454 Abs. 2 StPO an der Prognose ausgerichtet ist, wie sich der Proband verhalten wird, sobald er in die Freiheit gelangt.

Gleichwohl handelt es sich in beiden Fällen um kriminalprognostische Gutachten, bei denen im wesentlichen dieselben wissenschaftlichen Denkmuster und testpsychologischen Instrumente zum Einsatz kommen. Ein nach § 454 Abs. 2 StPO erstattetes Gutachten ist trotz seiner andersartigen Fragestellung in der Lage, wertvolle Hinweise zur Vollzugsgestaltung zu geben, solange nur die Justizvollzugsanstalt die unterschiedliche Ausgangsfrage beachtet und die Ergebnisse des Sachverständigen nicht unreflektiert auf die Mißbrauchsgefahr überträgt (vgl. Senat, Beschluß vom 27. August 2009 € 2 Ws 279/09 Vollz -).

Die erneute Beauftragung desselben Sachverständigen mit einem streckenweise überwiegend identischen Auftrag entfaltete einen unverhältnismäßigen Aufwand.

Überwiegend schutzwürdige Interessen des Gefangenen werden durch die Datenerhebung nicht beeinträchtigt, wie die vorstehenden (oben dd) Ausführungen belegen.

c) Damit korrespondierend folgt aus § 479 Abs. 2 Satz 2 StPO das Recht der Strafvollstreckungskammer, der Übersendungsanforderung zu entsprechen (oder das Gutachten von sich aus zu übersenden, wenn sie es für erforderlich hält) (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. April 2010 € 2 Ws 8-9/10 Vollz € und 24. März 2010 € 2 Ws 24 und 81/10 Vollz -).

Ebenso verleiht § 180 Abs. 1 StVollzG der Justizvollzugsanstalt das Recht der Verarbeitung (vgl. § 3 Abs. 4 BDSG) und Nutzung, das im Vollstreckungsverfahren erstattete Gutachten und die damit verbundene Datenerhebung in die Gefangenenpersonalakte aufzunehmen und es für Entscheidungen des Vollzugs zu verwenden, ohne daß es der Zustimmung des Verurteilten bedarf.

Dabei wird sie allerdings den Grundsatz zu beherzigen haben, daß die Zahl derjenigen, die davon Kenntnis erlangen klein gehalten und auf diejenigen Personen beschränkt wird, denen € im wesentlichen durch die Teilnahme an der Vollzugskonferenz (§ 159 StVollzG) die Verantwortung für die Entscheidungen über das Vollzugsgeschehen obliegt, § 183 StVollzG.

Soweit der Beschwerdeführer behauptet, das über ihn erstellte Gutachten €kursiere€ bereits in der Justizvollzugsanstalt Tegel im Bereich der Teilanstalt III hat der Senat mangels weiterer Angaben jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich andere als die nach § 183 StVollzG berechtigten Personen unbefugt Zugang zu den Gefangenenpersonalakten verschafft haben.

3. Soweit das hier gegenständliche Gefährlichkeitsgutachten auch die Krankenakten des Verurteilten auswertet, spricht dies nicht gegen seine Aufnahme in die Personalakten des Gefangenen und seine Verwertbarkeit im Vollzug. Diese Informationen sind mit Zustimmung des Gefangenen dem Gutachter bekannt geworden, der seinerseits gegenüber dem Gericht und der Staatsanwaltschaft nicht der Schweigepflicht unterliegt. Sie liegen als Gegenstand des Strafvollstreckungsverfahrens allen daran Beteiligten sowie berechtigten Empfängern offen. Diese Berechtigung kann nicht ihrerseits durch das Vorhandensein schützenswerter Daten nur deshalb in Zweifel gezogen werden, weil sich der Gefangene ihres Schutzes gegenüber dem, wie er wußte, nicht der Schweigepflicht unterliegenden Sachverständigen entäußert hat. Ein Übermaß der Datenerhebung ist in der Erhebung durch den Sachverständigen und dessen Auswertung nicht zu sehen und vom Beschwerdeführer im Vollstreckungsverfahren auch nicht beanstandet worden.

Ob das Gutachten den erforderlichen Qualitätsstandards entspricht, ist keine datenschutzrechtliche Frage. Im übrigen hat der Senat in seiner oben bezeichneten Entscheidung vom 19. August 2008 € 2 Ws 332/08 -, auf die wegen weiterer Einzelheiten verwiesen wird, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers dargelegt, daß diese Standards eingehalten waren.

Der Verwertung dieser persönlichen Daten steht deshalb auch § 182 StVollzG nicht entgegen. Unabhängig davon, daß nicht erkennbar ist, daß dem gerichtlich bestellten Sachverständigen während der Begutachtung über die gutachterliche Fragestellung hinaus Geheimnisse anvertraut worden sind, die dieser unzulässigerweise in seinem Gutachten verwertet hätte, ist diese Vorschrift nicht auf Ärzte und Psychologen, die im Auftrag von Strafverfolgungsbehörden oder Gerichten Gutachten erstatten, anwendbar. Denn ihre Erhebung erfolgt nicht aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses oder therapeutischen Bündnisses zwischen dem Gefangenen und dem Arzt bzw. Therapeuten, das durch eine Einschränkung der Weitergabe persönlicher Daten, die in diesem Zusammenhang bekannt geworden sind, besonders geschützt wird, sondern von vornherein zu dem dem Verurteilten bekannten und gebilligten Zweck der gerichtlichen Verwendung im Strafvollstreckungsverfahren (vgl. Calliess/ Müller-Dietz, § 182 Rdn. 12; Arloth a.a.O.).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.






KG:
Beschluss v. 02.09.2010
Az: 2 Ws 288/10 Vollz


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