Verwaltungsgericht Gießen:
Urteil vom 18. Januar 2010
Aktenzeichen: 9 K 3977/09.GI

(VG Gießen: Urteil v. 18.01.2010, Az.: 9 K 3977/09.GI)

Anders als bei monofunktionalen Rundfunkempfangsgeräten ist bei "neuartigen Rundfunkempfangsgeräten" das Bereithalten zum Empfang nicht ohne Weiteres anzunehmen, sondern bedarf des positiven Nachweises.

Tenor

Der Bescheid des Beklagten vom 4. Januar 2008 und derWiderspruchsbescheid des Beklagten vom 13. September 2008 werdenaufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten desKlägers vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf dieVollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nachMaßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der Gläubigervor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, ein Fachverband für moderne Selbstverteidigung, der als gemeinnütziger Verein organisiert ist, wendet sich gegen die Heranziehung zu Rundfunkgebühren für einen internetfähigen Rechner.

Mit Schreiben vom 18. Juni 2007 teilte der Kläger der GEZ mit, dass ein sogenanntes €neuartiges Rundfunkgerät€ bereit gehalten werde und meldete dieses Gerät mit Wirkung zum Jahresbeginn an. Zugleich teilte der Kläger mit, dass nach seiner Auffassung erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Erhebung einer Rundfunkgebühr für internetfähige PCs bestünden. Aufgrund des Schreibens vom 18. Juni 2007 ist der Kläger seit Januar 2007 im Datenbestand der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) mit einem neuartigen Rundfunkempfangsgerät gemeldet. Da der Kläger die fälligen Rundfunkgebühren nicht beglich , setzte der Beklagte mit Gebührenbescheid vom 4. Januar 2008 für den Zeitraum von Januar 2007 bis einschließlich September 2007 rückständige Rundfunkgebühren in Höhe von 49,68 Euro (5,52 Euro pro Monat) nebst eines Säumniszuschlages in Höhe von 5,11 Euro, mithin insgesamt 54,79 Euro fest.

Gegen den Bescheid vom 4. Januar 2008 erhob der Kläger mit Schreiben vom 27. Januar 2008 Widerspruch. Zur Begründung des Widerspruchs führte der Kläger im Wesentlichen aus, dass der Rechner in keinster Weise für den Rundfunkempfang erworben oder genutzt werde. Er diene einzig und allein der Verwaltung der Verbandsmitglieder, zu der zeitgemäß selbstverständlich auch eine eigene Internetpräsenz bzw. die Korrespondenz per E-Mail gehöre. Wegen der Einzelheiten der Widerspruchsbegründung wird auf das Widerspruchsschreiben vom 27. Januar 2008 (Bl. 12/13 der Behördenakte) verwiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück; wegen der Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid vom 13. September 2008 (Bl. 3 bis 6 der Gerichtsakte) verwiesen.

Am 9. Oktober 2008 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Klagebegründung hat der Kläger vorgetragen, bei ihm handele es sich um einen kleinen Fachverband, der im Wesentlichen rein ehrenamtlich geführt werde. Zur Erledigung der notwendigen Verwaltungsarbeiten habe der Verband von einem ortsansässigen Großverein einen kleinen Büroraum angemietet. Dort würden die notwendigen Verwaltungsarbeiten - an einem internetfähigen PC - von sogenannten 400-Euro-Kräften erledigt. Die Mitarbeiter des Verbandes, die im Wochenschnitt acht bis zehn Stunden beschäftigt seien, hätten durch die Fülle der zu erledigenden Vorgänge faktisch keine Zeit sich mit Tätigkeitsfremdem, wie Rundfunk- und Fernsehprogramm zu empfangen, zu beschäftigen. Ein solches Verhalten wäre für den Verband überdies ein Kündigungsgrund, der zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen würde. Aufgrund dieser Rahmenbedingungen sei keinesfalls zu erwarten, dass der Rechner zum Rundfunkempfang genutzt werde, die Rundfunkgebühr stelle demnach eine unzulässige Besitzabgabe dar. Des Weiteren hat der Kläger darauf hingewiesen, dass der vier Jahre alte PC mit typischer Bürosoftware genutzt werde; keinesfalls sei der PC mit typischer multimedia-tauglicher Software ausgestattet, sondern lediglich mit den üblichen - meist - kostenfreien Internetbrowsern versehen. Ferner habe bei der Anschaffung und Auswahl der technischen Ausstattung ausschließlich die Nutzung als Bürorechner im Vordergrund gestanden, dazu gehöre üblicherweise auch die Möglichkeit des Internetzugangs für E-Mails und des Webs für Verbandszwecke. Schließlich sei mit dem vorhandenen Gerät ein Fernsehempfang technisch auch nicht möglich. Ausweislich der von der Telekom im Auftrag des Klägers erhobenen Messergebnisse sei aufgrund der vorhandenen Leistungskapazität, insbesondere wegen der nicht ausreichenden Übertragungsgeschwindigkeit ein zufriedenstellender Fernsehempfang nicht gewährleistet. Wegen der weiteren Einzelheiten des klägerischen Vorbringens wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 7. Oktober 2008 (Bl. 1/2 der Gerichtsakte) sowie vom 4. Januar 2010 (Bl. 80 bis 82 der Gerichtsakte) verwiesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 4. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Heranziehung des Klägers zur Zahlung von Rundfunkgebühren für rechtmäßig. Nach seiner Auffassung stellt der internetfähige PC des Klägers ein Rundfunkempfangsgerät im Sinne des Rundfunkgebührenstaatsvertrages dar; und zwar handele es sich um ein sogenanntes neuartiges Rundfunkempfangsgerät im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV). Neuartige Rundfunkempfangsgeräte seien eine Untergruppe der Rundfunkempfangsgeräte im Sinne von § 1 Abs. 1 RGebStV. Bei dem Gesetzeswortlaut €neuartiges Rundfunkempfangsgerät€ in § 5 Abs. 3 Satz 1 RGebStV handele es sich um einen €technisch mitwachsenden€ unbestimmten Rechtsbegriff. Dass der Gesetzgeber mit den €neuartigen Rundfunkempfangsgeräten€ einen unbestimmten Rechtsbegriff gewählt habe, sei verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden. Das Regelbeispiel in § 5 Abs. 3 RGebStV verleihe dem Begriff hinreichend scharfe Konturen, die Rundfunkgebührenpflicht für internetfähige PCs sei damit ausreichend konkretisiert. Ebenso wie bei den herkömmlichen Rundfunkempfangsgeräten sei auch bei neuartigen Rundfunkempfangsgeräten das Bereithalten zum Empfang ein zulässiger Anknüpfungspunkt für die Rundfunkgebührenpflicht. Für das Bereithalten zum Empfang genüge allerdings die technische Empfangsmöglichkeit, ohne dass es auf die tatsächliche Nutzung zum Rundfunkempfang ankäme oder ankommen könnte. Zwar sei zuzugestehen, dass internetfähige Rechner vor allem für die Textverarbeitung, die Tabellenkalkulation, für den E-Mail-Verkehr, die Internetrecherche, die elektronische Steuererklärung etc. benutzt würden. Trotzdem sei auch bei neuartigen Rundfunkempfangsgeräten ein Anknüpfen an das Bereithalten zum Empfang im Sinne einer technischen Empfangsmöglichkeit sachlich gerechtfertigt. Denn die Entwicklung der letzten Jahre habe gezeigt, dass neuartige Rundfunkempfangsgeräte tatsächlich zunehmend zum Rundfunkempfang genutzt würden. Der Boom der Radionutzung über das Internet werde auch weiter anhalten, zumal die Internetzugänge immer schneller würden und die Anbieter mit günstigen Flatrates lockten. Insgesamt mache das Internet den herkömmlichen Medien wie Hörfunk und Fernsehen mittlerweile ernsthaft Konkurrenz, insbesondere bei der jüngeren Generation. Die durch diese Entwicklung drohende Flucht aus der Rundfunkgebührenpflicht zu verhindern und die Finanzierungsgrundlage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erhalten, sei nicht nur ein zulässiger Gesetzeszweck, sondern folge auch verfassungsrechtlichen Geboten. Würde der Radioempfang über das Internet weiterhin von der Rundfunkgebührenpflicht freigestellt, so wäre mit einer regelrechten Flucht aus der Rundfunkgebührenpflicht zu rechnen; diese Flucht zu verhindern und die Finanzierungsgrundlage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Erfüllung seines verfassungsrechtlichen Grundversorgungsauftrages zu sichern, sei Pflicht und Aufgabe des Gesetzgebers. Vor diesem Hintergrund sei die Erhebung von Rundfunkgebühren auch für neuartige Rundfunkempfangsgeräte unerlässlich. Anderenfalls müsste nämlich ein Teil der Gesellschaft - derjenige der herkömmliche Geräte nutzt - den Radioempfang des anderen Teils - der Rundfunk mit neuartigen Rundfunkgeräten empfängt - finanzieren, ein Ergebnis, das dem verfassungsrechtlichen Gebot der Lastengleichheit und Artikel 3 Abs. 1 GG widerspräche. Des Weiteren weist der Beklagte darauf hin, dass das €Bereithaltungskriterium€ (vgl. § 1 Abs. 2 RGebStV) auch bei neuartigen Rundfunkempfangsgeräten ein sachgerechtes Kriterium sei, um Missbrauch einzudämmen. Aus Praktikabilitätsgründen könne die subjektive Nutzungsabsicht in einem Massenverfahren wie der Rundfunkgebührenerhebung grundsätzlich keine Rolle spielen. Bezüglich herkömmlicher Rundfunkgeräte habe die Rechtsprechung zwar in zwei Fallgruppen - Verkauf originalverpackter Geräte in Lebensmitteldiscountern und Nutzung von Funkpeilgeräten - das Bereithalten zum Empfang verneint, weil die €mangelnde subjektive Nutzungsabsicht des jeweiligen Rundfunkteilnehmers anhand objektiver Indizien nachweisbar gewesen sei€. Objektive Indizien dafür, dass der internetfähige PC tatsächlich nie für den Rundfunkempfang genutzt werde, lägen aber gerade nicht vor. Die bloße Behauptung, das Gerät werde nur für andere Anwendungsprogramme genutzt, dürfe die Rundfunkgebührenpflicht nicht ausschließen. Ansonsten könnten sich demnächst sämtliche Rundfunkteilnehmer unter Verweis auf die Multifunktionalität ihrer jeweiligen Geräte der Rundfunkgebührenpflicht entziehen. Da trotz entgegenstehender Beteuerungen niemals ausgeschlossen werden könne, dass ein Internet-PC zum Empfang des heutzutage umfangreichen Rundfunkprogramms im Internet verwendet werde, sei es sachgerecht, auch bei neuartigen Rundfunkgeräten an die technische Empfangsmöglichkeit anzuknüpfen. Dabei sei es insgesamt hinzunehmen, dass auch solche Internet-PCs der Rundfunkgebührenpflicht unterlägen, deren Nutzer diese tatsächlich nicht für den Rundfunkempfang verwendeten. Dass gewisse Ungleichbehandlungen im Rundfunkgebührenrecht durch Praktikabilitätserwägungen gerechtfertigt sein könnten, solange eine Typengerechtigkeit gewährleistet sei, werde von der Rechtsprechung allgemein anerkannt. Der - in einem Massenverfahren unmögliche - Nachweis der konkreten Nutzung des jeweiligen PCs könne dem Beklagten nicht auferlegt werden. Des Weiteren verletze die €PC-Gebühr€ den Kläger auch nicht seinen Grundrechten. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beklagtenvorbringens wird auf den Schriftsatz vom 24. November 2009 (Bl. 41 - 75 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Rundfunkgebührenbescheid des Beklagten vom 4. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Kläger ist für den in seinem Büroraum vorgehalten internetfähigen PC nicht rundfunkgebührenpflichtig.

Rechtsgrundlage für die Erhebung von Rundfunkgebühren ist im Hinblick auf den streitgegenständlichen Gebührenzeitraum von April 2008 bis einschließlich September 2008 der Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) vom 31. August 1991 (GVBl. S. 451 bis 472) in seiner jeweils geltenden Fassung.

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RGebStV hat jeder Rundfunkteilnehmer vorbehaltlich der Regelungen der §§ 5 und 6 RGebStV für jedes von ihm zum Empfang bereitgehaltene Rundfunkempfangsgerät eine Grundgebühr und für das Bereithalten jedes Fernsehgerätes zusätzlich eine Fernsehgebühr zu entrichten. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 RGebStV sind Rundfunkempfangsgeräte im Sinne dieses Staatsvertrages technische Einrichtungen, die zur drahtlosen oder drahtgebundenen, nicht zeitversetzten Hör- oder Sichtbarmachung oder Aufzeichnung von Rundfunkdarbietungen (Hörfunk oder Fernsehen) geeignet sind. Rundfunkteilnehmer ist, wer ein Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereit hält (§ 1 Abs. 2 Satz 1 RGebStV). Ein Rundfunkempfangsgerät wird zum Empfang bereit gehalten, wenn damit ohne besonderen zusätzlichen technischen Aufwand Rundfunkdarbietungen, unabhängig von Art, Umfang und Anzahl der empfangbaren Programme, unverschlüsselt oder verschlüsselt, empfangen werden können (§ 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV). Nach § 5 Abs. 3 RGebStV sind Rechner, die Rundfunkprogramme ausschließlich über Angebote aus dem Internet wiedergeben können, als €neuartige Rundfunkempfangsgeräte€ aufzufassen.

Hiernach ist der Kläger für den im Büroraum des Verbands vorgehaltenen internetfähigen PC nicht rundfunkgebührenpflichtig.

Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich zwar bei der Verbreitung von Hörfunk und Fernsehen über das Internet um Rundfunk und internetfähige PCs - wie das vom Kläger für die notwendigen Verwaltungsarbeiten des Verbandes vorgehaltene Gerät - sind grundsätzlich als Rundfunkempfangsgeräte zu qualifizieren. Allerdings wird der Kläger durch das Vorhalten eines internetfähigen PCs in seinem Büroraum nicht Rundfunkteilnehmer im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 RGebStV, weil er diesen internetfähigen PC nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV zum Empfang bereit hält.

Bei der Verbreitung von Hörfunk und Fernsehen über das Internet handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um Rundfunk im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) vom 31. August 1991 in der jeweils anzuwendenden Fassung. Die über das Internet als €Livestream€ verbreiteten Hörfunk- und Fernsehdarbietungen unterscheiden sich ihrem Inhalt nach nicht von den auf herkömmlichem Wege € das heißt etwa terrestrisch oder über Satellit € zum Empfang durch Radio- und Fernsehgeräte ausgestrahlten Darbietungen. Sie sind ebenso wie diese für eine flächendeckende Verbreitung an eine verstreute unbestimmte und beliebige Vielzahl von Empfängern € mithin die Allgemeinheit € bestimmt. Uneingeschränkt gilt dies für die Ausstrahlung öffentlich-rechtlicher Radioprogramme als €web-radio€, deren Empfang über einen Computer mit Internetzugang flächendeckend als €Livestream€ möglich ist. Nicht anders als beim herkömmlichen Radio- und Fernsehempfang kann sich die Allgemeinheit die Programminhalte auch bei einem Empfang mittels eines internetfähigen PCs durch einfaches Ein- und Ausschalten bzw. Anklicken verfügbar machen. Wegen der verfassungsrechtlich gebotenen Offenheit des Rundfunkbegriffs für technische Neuerungen ist die Verbreitung von Hörfunk und Fernsehen als €Stream-Programm€ über das Internet demnach als elektronisch vermittelte Kommunikation und damit als Rundfunk im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages anzusehen (vgl. hierzu ausführlich OVG NW, Urteile vom 26.05.2009 € 8 A 2690/08 € und vom 01.06.2009 € 8 A 732/09 € jeweils mit weiteren Nachweisen).

Internetfähige PCs wie das vom Kläger vorgehaltenen Gerät sind nach Ansicht des Gerichts des weiteren grundsätzlich als Rundfunkempfangsgeräte im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 RGebStV zu qualifizieren (ebenso OVG NW, a. a. O.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 12.03.2009 € 7 A 10959/08 € sowie Bay. VGH, Urteil vom 19.05.2009 € 7 B 08.2922 -). Ein internetfähiger PC ist grundsätzlich dazu geeignet, Hörfunk und Fernsehen nicht zeitversetzt als €Livestream€ hör- bzw. sichtbar zu machen. Minimale, technisch bedingte Zeitverzögerungen bei der Übertragung von Rundfunkdarbietungen über das Internet können nach Auffassung des Gerichts nicht als Zeitversatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 RGebStV aufgefasst werden und sind mithin unbeachtlich (ebenso OVG NW, a.a.O., OVG Rh.-Pf., a.a.O. sowie Bay. VGH, a.a.O.). Aus diesem Grund sind auch die in § 5 Abs. 3 Satz 1 RGebStV genannten €neuartigen Rundfunkempfangsgeräte€ wie insbesondere Rechner, die Rundfunkprogramme ausschließlich über Angebote aus dem Internet wiedergeben können, Rundfunkempfangsgeräte im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 RGebStV.

Der Kläger wird durch die Verwendung eines internetfähigen PCs in seinen Büroräumen allerdings nicht zum Rundfunkteilnehmer im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 RGebStV, weil er den in seinem Büroraum verwendeten internetfähigen PC nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV zum Empfang bereit hält.

Wie bereits zuvor dargelegt, wird ein Rundfunkempfangsgerät nach § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV zum Empfang bereit gehalten, wenn damit ohne besonderen zusätzlichen technischen Aufwand Rundfunkdarbietungen, unabhängig von Art, Umfang und Anzahl der empfangbaren Programme, verschlüsselt oder unverschlüsselt, empfangen werden können. Der Tatbestand des Bereithaltens knüpft nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich nicht an die konkrete Nutzung als Empfangsgerät an, es bedarf auch keines Empfangswillens. Ausreichend ist die Geeignetheit des Gerätes zum Empfang. Zudem kommt es nach der Definition in § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV auch nicht auf die Art, den Umfang und die Anzahl der empfangbaren Programme an, schon die Möglichkeit der Nutzung zum Rundfunkempfang stellt einen rechtserheblichen Vorteil dar (vgl. hierzu insgesamt, Beck€scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Auflage, § 1 RGebStV, Rn. 38, 40, 41 m.w.N.).

Diese Definition des Bereithaltens zum Empfang und deren Auslegung ist mit Blick auf die herkömmlichen Rundfunkempfangsgeräte regelmäßig gerechtfertigt. Denn der schlichte Besitz eines solchen monofunktionalen Rundfunkempfangsgerätes lässt das Bereithalten zum Empfang schon deshalb vermuten, weil eine andere Zweckverwendung bei herkömmlichen Rundfunkempfangsgeräten in der Regel ausgeschlossen ist. Bei den herkömmlichen monofunktionalen Rundfunkempfangsgeräten, die speziell für den Hörfunk- oder Fernsehempfang ausgerichtet sind, entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Besitzer sie gerade dafür angeschafft hat. So will etwa derjenige, der ein Fernseh- oder Radiogerät vorhält, dieses regelmäßig auch zum Rundfunkempfang nutzen, da sich diese Nutzung als die allein mögliche bzw. kennzeichnende Verwendungsform darstellt. Die objektive Zweckbestimmung des Gerätebesitzes wird mithin bereits durch die Art des € monofunktionalen € Gerätes indiziert, weshalb eine Verwendung des Gerätes €zum Empfang€ vermutet werden kann und besondere Feststellungen insoweit grundsätzlich entbehrlich sind (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08.09.2009 € 11 K 1310/08.F -)

Anders verhält es sich jedoch bei neuartigen multifunktionalen Geräten, die neben einer Vielzahl anderer Funktionen auch Rundfunkprogramme empfangen können, wie beispielsweise internetfähigen PCs, Notebooks, UMTS-Handys und weiteren internetfähigen Multifunktionsgeräten. All diesen neuartigen multifunktionalen Geräten ist gemein, dass sie nicht typischerweise zum Empfang von Rundfunk erworben und bereitgehalten, sondern in vielfacher Weise anderweitig genutzt werden. Insbesondere internetfähige PCs werden in Deutschland nach Auffassung des Gerichts typischerweise (noch) nicht als Rundfunkempfangsgeräte genutzt (ebenso VG Frankfurt, a.a.O.; VG Wiesbaden, Urt. vom 15.11.2008 € 5 K 243/08.WI € anderer Ansicht OVG NW, Urteile vom 26.05. und 01.06.2009, a.a.O.; OVG Rh.-Pf. vom 12.03.2009, a.a.O. sowie Bay. VGH, Urteil vom 19.05.2009, a.a.O.). Auch wenn ein internetfähiger PC grundsätzlich die theoretische Möglichkeit der Nutzung des Rundfunks bietet, so erfolgt weit überwiegend eine Nutzung dieser Geräte für Zwecke der Textverarbeitung, zur Informationsverarbeitung und -verschaffung, für telekommunikative Anwendungen, Internetdienstleistungen, als Datenbank, für Tabellenkalkulationen sowie zum Programmieren. Typischerweise werden derzeit die in Behörden, Unternehmen, aber auch in Privatwohnungen vorhandenen internetfähigen PCs für die oben aufgeführten Zwecke und gerade nicht für den Rundfunkempfang genutzt (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08.09.2009, a.a.O.). Auch über diese genannten Fälle hinaus wird ein internetfähiger PC (noch nicht) regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise zum Rundfunkempfang genutzt. Dies belegt nach Auffassung des Gerichts die sogenannte ARD/ZDF-Online-Studie 2007, die seit 1997 jährlich durchgeführt wird. Hiernach €nutzten im Jahr 2007 rund 1,4 Millionen täglich das Netzradio € dies entspräche einem Anteil von 3,4 % an allen €Onlinern€ und 2,1 % bezogen auf die Gesamtbevölkerung ab 14 Jahre; der Anteil der täglichen Live-Radiohörer im Web war im Vergleich zu den 50,2 Millionen Hörern über traditionelle Empfangswege relativ gering€ (vgl. hierzu van Eimeren und Frees, ARD/ZDF-Online-Studie 2007 zitiert in VG Frankfurt, Urteil vom 08.09.2009, a.a.O.).

Aufgrund dessen kann nach Auffassung des Gerichts bei einem neuartigen multifunktionalen Gerät wie einem internetfähigen PC nicht aus dem bloßen Besitz eines internetfähigen PCs automatisch darauf geschlossen werden, dass dieser auch zum Rundfunkempfang im Sinne des § 1 Abs. 2 RGebStV zum Rundfunkempfang bereit gehalten wird. Denn es trifft € wie zuvor dargelegt € die in § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV zugrundeliegende typisierende Annahme, ein vorhandenes Rundfunkempfangsgerät werde auch tatsächlich zum Empfang genutzt, bei diesen Geräten regelmäßig nicht zu. Der von der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG NW, Urteile vom 01.06. und 26.05.2009, a.a.O., Bay. VGH, Urteil vom 19.05.2009, a.a.O. sowie OVG Rh.-Pf., Urteil vom 12.03.2009, a.a.O.) vertretenen Wertung, die Nutzung eines internetfähigen PCs zum Rundfunkempfang sei mittlerweile weder im privaten noch im gewerblichen Bereich atypisch, weshalb die Grundannahme des § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV, wonach im Besitz eines empfangsbereiten Geräts ein potenzieller Nutzungsvorteil liegt, auch für multifunktionale internetfähige PCs gelten müsse, vermag das Gericht deshalb nicht zu folgen. Nach seiner Einschätzung entspricht es gerade nicht allgemeiner Erfahrung, dass an vielen Arbeitsplätzen in den Pausen oder gar während der Arbeitszeit vorhandene Rechner mit Internetanschluss zum Rundfunkempfang genutzt werden, wenn kein herkömmliches Rundfunkempfangsgerät zur Verfügung steht (so aber ausdrücklich Bay. VGH, Urteil vom 19.05.2009, a.a.O.).

Ohne Bedeutung ist des Weiteren, dass es in einer kleineren Untergruppe der PC-Nutzer, nämlich denjenigen privaten Haushalten, die zusätzlich kein herkömmliches Rundfunkempfangsgerät bereithalten, eher zu einer PC-Nutzung zum Rundfunkempfang kommen mag (so OVG NW, Urteile vom 01.06. und 26.05.2009, a.a.O.), denn nach Auffassung des Gerichts ist hinsichtlich der Beurteilung der Frage, in welchem Umfang multifunktionale Geräte € wie internetfähige PCs € zum Rundfunkempfang benutzt werden, ausschließlich auf die Gesamtheit der PC-Benutzer abzustellen.

Ist somit derzeit (noch) davon auszugehen, dass ein internetfähiger PC typischerweise (noch) nicht als Rundfunkempfangsgerät genutzt wird, so kann allein aus dem Besitz eines solchen Gerätes nicht € wie bei herkömmlichen Rundfunkempfangsgeräten € auf die Nutzung zum Rundfunkempfang geschlossen werden (vgl. hierzu auch die obergerichtliche Rechtsprechung zur Rundfunkgebührenpflicht für original verpackte herkömmliche Rundfunkempfangsgeräte, die in Lebensmitteldiscountern zum Verkauf angeboten werden, siehe nur Hess. VGH, Beschluss vom 27.06.2006 € 10 UE 43/06 € sowie OVG NW, Urteil vom 02.03.2007 € 19 A 379/06 -). Als Folge dieser Wertung trifft nach Ansicht des Gerichts die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächliche Nutzung eines internetfähigen PCs € im Gegensatz zur Beweislage bei herkömmlichen Rundfunkempfangsgeräten € den Beklagten.

Ausschließlich eine solche Betrachtungsweise trägt nach Auffassung des Gerichts dem Grundsatz der Gebührengerechtigkeit Rechnung. Wird hingegen € wie vom Beklagten gefordert € ausschließlich auf die bloße Möglichkeit des Empfangs von Rundfunkdarbietungen durch internetfähige PCs abgestellt, obwohl die Eigentümer oder Besitzer solcher Geräte dieses nicht zum Empfang von Rundfunkdarbietungen nutzen, so wird der Eigentümer oder Besitzer eines solchen multifunktionalen Gerätes letztlich nur aufgrund des Besitzes eines neuartigen Rundfunkempfangsgerätes mit einer Rundfunkgebühr belastet, die sich dann als bloße Besitzabgabe darstellt (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08.09.2009, a.a.O.). In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass der Eigentümer oder Besitzer eines internetfähigen PCs einer solchen Rundfunkgebühr nur dadurch entgehen könnte, dass er seinen vorhandenen Internetanschluss deaktiviert, was praktisch einer Besitzaufgabe des Internet-PCs oder einer Unbrauchbarmachung des Gerätes gleichkäme und sich zudem im nicht-privaten Bereich häufig als undurchführbar und damit als unzumutbar erweisen wird. Dies gilt umso mehr, als die im Internet angebotenen Rundfunkdarbietungen für die überwiegende Mehrzahl der PC-Benutzer nur eine €aufgedrängte€ Verwendungsmöglichkeit darstellt.

Infolge dessen ist der Beklagte nach Auffassung des Gerichts darauf zu verweisen, die tatsächliche Nutzung eines internetfähigen PC zum Zwecke des Radioempfangs im Einzelfall nachzuweisen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der dem Beklagten obliegende Nachweis der tatsächlichen Nutzung in der Praxis schwierig zu führen sein wird. Die Schwierigkeiten der Nachweisführung liegen aber ausschließlich im Rundfunkgebührenstaatsvertrag begründet. Solange dieser an der gerätebezogenen Gebührenpflicht festhält, ohne den neueren technischen Entwicklungen erkennbar Rechnung zu tragen, ist die von der Kammer vorgenommene einschränkende Auslegung des § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV geboten, weil die Rundfunkgebühr anderenfalls tatsächlich eine unzulässige Besitzabgabe für internetfähige PCs darstellt (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08.09.2009, a.a.O.). Auch Gründe der Verwaltungspraktikabilität vermögen deshalb nicht eine verallgemeinernde und typisierende Anknüpfung der Gebührenpflicht an die durch ein Bereithalten eines Empfangsgeräts verschaffte bloße Nutzungsmöglichkeit zum Rundfunkempfang zu rechtfertigen (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08.09.2009, a.a.O.)

Der Kläger nutzt den in seinen Büroräumen vorgehaltenen internetfähigen PC nach seinen glaubhaften und vom Beklagten nicht bestrittenen Angaben ausschließlich für die Verwaltung der Mitglieder und andere Verwaltungsarbeiten, die eigene Internetpräsenz sowie die Korrespondenz per E-Mail; Radio- oder Fernsehempfang ist den Mitarbeitern des Verbands untersagt. Der Beklagte hat seinen Vortrag € aus seiner Rechtsansicht folgerichtig € deshalb darauf beschränkt, der Kläger besitze in seinen Büroräumen einen internetfähigen PC. Damit ist eine Rundfunkgebührenpflicht des Klägers für den in seinen Büroräumen vorgehaltenen internetfähigen PC nicht begründet, so dass der angegriffene Gebührenbescheid rechtswidrig und daher aufzuheben ist. Wegen der fehlenden Rundfunkgebührenpflicht des Klägers sind die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Säumniszuschlages ebenfalls nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit und Abwendungsbefugnis beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 711 Nr. 11, § 711 ZPO.

Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, da die Frage der Gebührenpflicht für internetfähige PCs grundsätzliche Bedeutung hat.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 54,79 Euro festgesetzt.

Gründe

Gemäß § 52 Abs. 3 GKG wurde die streitgegenständliche Gebührenforderung bei der Streitwertbemessung in Ansatz gebracht.






VG Gießen:
Urteil v. 18.01.2010
Az: 9 K 3977/09.GI


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