Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. Januar 2010
Aktenzeichen: 19 W (pat) 310/09

(BPatG: Beschluss v. 25.01.2010, Az.: 19 W (pat) 310/09)

Tenor

Das Patent 103 60 016 wird widerrufen.

Gründe

I. Für die am 19. Dezember 2003 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Anmeldung wurde die Erteilung des nachgesuchten Patents am 7. Juli 2005 veröffentlicht.

Gegenstand des Patents ist eine Bedienvorrichtung mit digitalen Hallsensoren.

Der erteilte geltende Patentanspruch 1 lautet mit einer eingefügten Gliederung und unter Korrektur des offensichtlich fehlerhaften Bezugszeichens "(6)" in "(R)" im Merkmal 7 wie folgt:

"1. Bedienvorrichtung mit 2.

einer um eine Drehachse (3) drehbaren Handhabe (1), 3.

einer mittels der Handhabe (1) drehbaren Magnetanordnung (2), die eine senkrecht zur Drehachse (3)verlaufende Kreisfläche (7) aufweist und 4.

mindestens zwei in einer senkrecht zur Drehachse (3) verlaufenden Ebene in Abstand zur Drehachse (3) stationär angeordneten Hallsensoren (6), 5.

wobei die Ebene parallel zur Kreisfläche (7) der Magnetanordnung (2) verläuft und bei Drehung der Magnetanordnung (2) elektrische Signale in den Hallsensoren (6) erzeugt werden, dadurch gekennzeichnet, 6.

daß die Kreisfläche (7) der Magnetanordnung (2) in mindestens zwei Kreisringe (R) unterteilt ist, wobei jeder der Kreisringe (R) als Magnetpole ausgebildete Kreissegmente (S) aufweist und jedem der Kreisringe (R) mindestens einer der Hallsensoren zugeordnet ist, 7.

wobei die unterschiedlichen Kreisringen (R) zugeordneten Hallsensoren unterschiedliche Abstände zu der Drehachse aufweisen und die Hallsensoren ein digitales Signal erzeugen."

Gemäß Hilfsantrag 1 lautet der Patentanspruch 1 in den Merkmalen 1 und 4 wie folgt bei im übrigen unveränderten Merkmalen (Einfügungen gegenüber dem Hauptantrag in Fettdruck):

"1. Bedienvorrichtung, die als Drehsteller zur Bedienung eines elektrischen oder elektronischen Geräts ausgebildet ist, mit 4. mindestens zwei in einer senkrecht zur Drehachse (3) verlaufenden Ebene in Abstand zur Drehachse (3) auf einer Leiterplatte (5) stationär angeordneten Hallsensoren (6),..."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 ist gegenüber dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 am Ende durch das Merkmal

"8. und die Handhabe (1) und die Magnetanordnung (2) einstückig ausgebildet sind."

ergänzt, der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 gegenüber dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 am Ende durch das Merkmal

"9. wobei die Magnetanordnung (2) mit einem Kunststoffmaterial umspritzt ist und die Handhabe ausdem Kunststoffmaterial besteht."

Gegen das Patent hat die Firma L... in L... mit Schriftsatz vom 28. September 2005, eingegangen am 30. September 2005, Einspruch erhoben mit der Begründung, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei gegenüber einem im einzelnen genannten Stand der Technik nicht neu bzw. nicht erfinderisch, und auch die Unteransprüche könnten keine erfinderische Tätigkeit begründen.

Die Einsprechende trägt vor, dass die bekannte Bedienvorrichtung mit der Gangwahleinrichtung wenigstens implizit eine Handhabe offenbare. Der erteilte Anspruch 1 unterscheide sich dann aber von dem aus der US 5 307 013 bekannten Stand der Technik allenfalls dadurch, dass die Magnetanordnung anstelle eines Vollkreises nur eine Teil-Kreisfläche aufweise, die aber bedarfsweise ergänzt werde, wenn die Bedienvorrichtung einen entsprechenden Drehwinkel aufweise.

Die in alle Hilfsanträge zusätzlich aufgenommene Bezeichnung "Drehsteller" sei sehr weit gefasst; auch seien die Signale der aus der US 5 307 013 bekannten Anordnung zweifelsohne für elektrische bzw. elektronische Geräte bestimmt, so dass durch die Einfügung im Merkmal 1 auch kein sachlicher Unterschied gegeben sei.

Da die Hallelemente immer auf einem Substrat angeordnet sein müssten zur Halterung und Signalzuführung, könne die Verwendung einer Leiterplatte als Substrat die Patentfähigkeit des Gegenstandes gemäß Hilfsantrag 1 nicht begründen.

Für die einstückige Ausbildung gemäß Merkmal 8 sei ein synergistischer Effekt mit den übrigen Merkmalen ebenso wenig ersichtlich wie für die Umspritzung der Magnetanordnung mit Kunststoff, aus dem die Handhabe bestehe, gemäß Merkmal 9.

Alle Merkmale diese Merkmale seien aber dem Fachmann vertraut und bedarfsweise anwendbar ohne erkennbares erfinderisches Tun.

Die Einsprechende beantragt, das Patent 103 60 016 in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Streitpatent in der erteilten Fassung, hilfsweise beschränkt mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

-Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Patentansprüche 2 bis 9 gemäß Patentschrift,

-

Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag 2,

-

Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag 3, Hilfsanträge 2 und 3 überreicht in der mündlichen Verhandlung,

-übrige Unterlagen, Beschreibung und -2 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 4, jeweils gemäß Patentschrift.

Die Patentinhaberin verweist darauf, dass es im Streitpatent primär um einen Drehsteller gehe, dessen Handhabe um 360¡ und um die gleiche Drehachse drehbar sei wie die Magnetanordnung: Der Fachmann ziehe schon deshalb die aus der US 5 307 013 bekannte Gangwahleinrichtung gar nicht in Betracht.

Diese sei auch weder zur Bedienung elektrischer Geräte ausgebildet, noch sei das Teil, in dessen Vertiefungen die Hallelemente eingelassen seien, mit einer Leiterplatte vergleichbar.

Schon gar nicht veranlasst sei dort eine kompakte, verschleißfreie Handhabe, wie sie in den Hilfsanträgen 2 und 3 ausgebildet werde.

Im Laufe des Einspruchsverfahrens ist das angegriffene Patent von der S... AG, in M..., auf die C..., in H..., übertragen und am 18. Dezember 2008 im Register auf die neue Inhaberin umgeschrieben worden. Die C... GmbH hat daraufhin schriftsätzlich die Über nahme des Einspruchsverfahrens erklärt, der die Einsprechende -kunkludent -zugestimmt hat.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die gemäß § 147 Abs. 3 Nr. 1 PatG a. F. begründet Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den am 30. September 2005 eingelegten Einspruch besteht auch nach Aufhebung dieser Bestimmung zum 1. Juli 2006 (vgl. Art. 1 Nr. 17 u. Art. 8 des Gesetzes z. Änd. d. patentrechtl. Einspruchsverfahrensu. d. PatKostG v. 21. Juni 2006; BlPMZ 2006, 225, 226, 228) nach dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz der "perpetuatio fori" fort (vgl. u. a. BGH GRUR 2009, 184, 185 /(Nr. 5) - Ventilsteuerung).

Der Einspruch ist statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere hat die Einsprechende die geltend gemachten Widerrufsgründe und die den Einspruch rechtfertigenden Tatsachen innerhalb der Einspruchsfrist hinreichend substantiiert schriftlich vorgetragen (§ 59 Abs 1 Satz 2 bis 4 PatG).

Der Einspruch musste auch zum Erfolg führen, da sich der Gegenstand gemäß dem Patentanspruch 1 nach allen Anträgen für den Fachmann jeweils in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 1 Abs. 1, 4 PatG).

Als Fachmann sieht der Senat einen Ingenieur (FH) der Elektrotechnik an, der auch Kenntnisse in der Mechanik von Bedienvorrichtungen mit Hallsensoren aufweist.

1. Die Signale des aus der US 5 307 013 bekannten digitalen Positionssensors eines Gangwahl-Detektors werden zweifelsfrei irgendwelchen elektrischen oder elektronischen Geräten zur weiteren Verarbeitung und/oder Anzeige zugeleitet. Damit ist aber in Übereinstimmung mit den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 (Unterschiedsmerkmale unterstrichen oder weggelassen) dort bereits eine Bedienvorrichtung wie folgt bekannt:

1.

Bedienvorrichtung, mit 2.

einer um eine (dort nicht dargestellte) Drehachse drehbaren Handhabe (in Gestalt des hier mitzulesenden drehbaren Gangwahlhebels), 3.)teilweise einer mittels der Handhabe drehbaren Magnetanordnung 4, die eine senkrecht zu einer weiteren Drehachse (nämlich der Drehachse der Magnetanordnung) verlaufende Fläche aufweist (die Oberfläche des Rasthebels 11, in die die Magnetpole eingebettet sind, vgl. Fig. 3A)

4.)teilweise drei in einer senkrecht zur weiteren Drehachse (des Rasthebels 11) verlaufenden Ebene in Abstand zur weiteren Drehachse (des Rasthebels 11) stationär angeordneten Hallsensoren 1, 2, 3 (Fig. 1 und 3), 5.)teilweise wobei die Ebene parallel zur Fläche der Magnetanordnung 4 verläuft und bei Drehung der Magnetanordnung 4 elektrische Signale in den Hallsensoren 1, 2, 3 erzeugt werden (Sp. 3 Z 14 bis 18), wobei ferner 6.)teilweise die Fläche der Magnetanordnung 4 in drei Teil-Kreisringe 5, 6, 7 unterteilt ist, wobei jeder der Kreisringe 5, 6, 7 als Magnetpole ausgebildete Kreissegmente (vgl. Draufsicht Fig. 1 und 3) aufweist und jedem der Teil-Kreisringe 5, 6, 7 einer der Hallsensoren 1, 2, 3 zugeordnet ist, 7.)teilweise wobei die unterschiedlichen Teil-Kreisringen 5, 6, 7 zugeordneten Hallsensoren unterschiedliche Abstände zu der weiteren Drehachse aufweisen und die Hallsensoren ein digitales Signal erzeugen (Fig. 2, Sp. 5 Z 5 bis 8).

Die bekannte Anordnung hat - bedingt durch die übliche Bauart von Gangwahlhebeln in Automobilen - lediglich einen begrenzten Schwenkbereich, so dass die von den Magnetpolen gebildeten Bahnen lediglich Teilkreise sind. Auch sind der digitale Positionssensor und der Gangwahlhebel an verschiedenen Stellen montiert, und deshalb um verschiedene Drehachsen schwenkbar mittels eines Gestänges verbunden (vgl. Fig. 7 und 7A).

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 unterscheidet sich demnach von der bekannten Bedienvorrichtung dadurch,

-

dass die Magnetanordnung um die Drehachse der Handhabe drehbar ist (Unterschiedsmerkmale 3, 4 und 7),

-

dass dass die Fläche der Magnetanordnung anstelle einer Teil-Kreisfläche eine Kreisfläche ist (weiteres Unterschiedsmerkmal 3, 5 und 6) und -

dass (dementsprechend) anstelle von Teil-Kreisringen Kreisringe vorgesehen sind.

Diese Unterschiede können aber nicht patentbegründend sein.

Ausgehend von der bekannten Bedienvorrichtung stellt sich die im Streitpatent genannte Aufgabe, einen kompakten Aufbau der Bedienvorrichtung zu erreichen (Abs. (0005)) in der Praxis von selbst, wenn die Einbauverhältnisse des jeweiligen Fahrzeugs es erfordern.

Für Anwendungen, in denen anstelle einer begrenzten Winkeldrehung - wie bei der bekannten Gangwahl-Anordnung - eine vollständige Drehung der Handhabe digitalisiert werden soll, liegt es im handwerklichen Können des Fachmanns, die mit Magnetpolen versehene bekannte Sektorfläche zu einer Kreisfläche zu ergänzen, wobei sich die Teil-Kreisringe dann selbstverständlich als Kreisringe darstellen.

Auch die Frage, ob Magnetanordnung und Handhabe um die gleiche Drehachse drehbar ausgebildet werden, wie die Merkmale 2 bis 5 lehren, hängt von den jeweils vorliegenden Einbauverhältnissen ab. Bedienungsanordnungen mit gemeinsamer oder unterschiedlicher Drehachse sind dem Fachmann jedoch aus den Grundlagen der Konstruktionslehre bekannt; auf diese greift er auch zurück, ohne dass es einer erkennbaren erfinderischen Tätigkeit bedarf.

Ausgehend von der aus US 5 307 013 bekannten Bedienvorrichtung gelangt der Fachmann demnach ohne weiteres zu einer Vorrichtung mit allen Merkmalen des erteilten Anspruchs 1.

2. Da die Signale der bekannten Bedienvorrichtung - wie dargelegt - elektrischen oder elektronischen Geräten zur weiteren Verarbeitung und/oder Anzeige zugeleitet werden, und da ferner aufgrund der Bewegung der Magnetanordnung um eine Drehachse diese bekannte Anordnung auch als Drehsteller zu bezeichnen ist, nimmt die US 5 307 013 auch das Merkmal 1 des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 vorweg.

Merkmal 4 dieses Anspruchs ist durch den genannten Stand der Technik nahegelegt. Denn schon bei der bekannten Sensor-Haltevorrichtung 8 (Fig. 3, 3A) sind die drei Hall-Sensoren 1, 2, 3 in einer Ebene nebeneinander auf einer Fläche angeordnet, wie es auch für Leiterplatten typisch ist.

Für Einbausituationen, in denen keine seitliche Führung notwenig ist und keine Kräfte wirken, also die seitlichen Führungen 13 (Fig. 3A) nicht erforderlich sind, bedarf es des an der Unterseite des dortigen Substrates 8 vorspringenden Bereichs nicht, so dass eine einfache Leiterplatte zur Halterung verwendet werden kann, die auch noch die in der US 5 307 013 nicht dargestellten Leitungsverbindungen zu den Hallsensoren in bekanntermaßen einfachster Weise realisieren kann.

Deshalb konnte der Senat sich auch der Sicht der Patentinhaberin nicht anschließen, die Verwendung einer Leiterplatte habe für den Fachmann nicht nahegelegen.

3.

Der Senat kann hinsichtlich der gemäß Hilfsantrag 2 darüber hinaus beanspruchten einstückigen - d.h. im Sinne der Streitpatentschrift einteiligen - Ausgestaltung von Handhabe mit Magnetanordnung keinen synergistischen Effekt erkennen, sondern lediglich eine bedarfsweise vorzusehende Maßnahme, um die Zahl der Montageschritte (und damit auch der Montagekosten) gegenüber einer mehrteiligen Anordnung zu senken.

4.

Auch das Merkmal 9 des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 kann die Patentfähigkeit dieses Gegenstandes nicht begründen.

Der aus US 5 307 013 bekannte Rasthebel 3, in den die Magnetanordnung eingebettet ist, besteht zwar aus Stahl, was offensichtlich in den Festigkeitsanforderungen durch Beaufschlagung mit einer Haltefeder 10 begründet liegt (Fig. 3, Sp. 2 Z. 64 bis 67).

Für Anwendungen mit geringeren Festigkeitsanforderungen liegt es für den Fachmann aber schon aus Gründen der leichteren Verarbeitbarkeit dieses Werkstoffs und damit der kostengünstigeren Herstellbarkeit der Bauteile der Bedienvorrichtung auf der Hand, für eine gemäß Merkmal 8 mit der Magnetanordnung einstückige Handhabe Kunststoff zu verwenden, mit dem - wie die Einsprechende zur Überzeugung des Senats vorgetragen hat - mittels eines Spritzvorgangs auf einfache und schnelle Weise ein einstückiges (=einteiliges) Bauelement herstellbar ist, in dem die Magnete durch Umspritzen gleich mit eingebettet sind.

Bertl Dr. Kaminski Kirschneck Groß

prö






BPatG:
Beschluss v. 25.01.2010
Az: 19 W (pat) 310/09


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