Landgericht München I:
Urteil vom 2. September 2010
Aktenzeichen: 36 S 19072/09

(LG München I: Urteil v. 02.09.2010, Az.: 36 S 19072/09)

Tenor

I. Auf die Berufung der Kläger gegen das Endurteil des Amtsgerichts München vom 24.09.2009 hin wird dieses insofern aufgehoben, als die gegen den unter TOP 6 der Eigentümerversammlung vom 01.04.2009 gefaßten Beschluß gerichtete Anfechtungsklage zurückgewiesen wurde.

II. Der unter TOP 6 der Eigentümerversammlung vom 01.04.2009 gefaßte Beschluß wird für ungültig erklärt.

III. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

IV. Das Urteil des Amtsgerichts wird im Kostenpunkt aufgehoben. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Kläger samtverbindlich 1/4, die Beklagten samtverbindlich 3/4.

V. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten samtverbindlich zu tragen.

VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

VII. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO ist eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit der Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen entbehrlich, da gegen das vorliegende Urteil unzweifelhaft kein Rechtsmittel zulässig ist (Thomas/Putzo, ZPO, § 540 Rn. 4 m. w. N.).

Die Revision wurde nicht zugelassen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 62 Abs 2 WEG n. F. ausgeschlossen, da es sich vorliegend um ein Verfahren nach § 43 Nr. 4 WEG handelt.

II.

Die Berufung ist der Kläger ist zulässig, und hat in der Sache, soweit sie überhaupt eingelegt war, nämlich hinsichtlich der Abweisung der gegen den unter TOP 6 der Eigentümerversammlung vom 01.04.2009 gerichteten Anfechtungsklage, auch Erfolg. Die Berufung der Beklagten dagegen war zurückzuweisen. Das Amtsgericht hat den ursprünglich erhobenen, gegen die Beschlüsse zu TOP 1, 5 und 6 der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung gerichteten Anfechtungsklagen insoweit stattgegeben, als es den Beschluß zu TOP 5 für ungültig erklärt hat. Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten. Mit ihrer eigenen Berufung betreiben die Kläger das Anfechtungsverfahren hinsichtlich des unter TOP 6 der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung gefassten Beschlusses weiter.

Im Einzelnen waren in Hinblick auf das jeweilige Berufungsvorbringen für die Bestätigung bzw. Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung folgende Begründungen veranlasst, § 540 Abs. I S. 1 Nr. 2 ZPO:

51.) Die Anfechtungsklagen der Kläger sind nicht wegen der € rechtzeitig erhobenen € Rüge der Beklagten in Bezugnahme auf die in Anlage 4 zur Teilungserklärung der streitgegenständlichen Wohnungseigentümergemeinschaft enthaltenen Schiedsgerichtsvereinbarung als unzulässig abzuweisen. Vielmehr hält das Amtsgericht zu Recht diese in der durch die Beklagten angegriffenen Entscheidung im konkreten Fall für unwirksam gemäß §§ 1032 Hs. 1 ZPO, 138 Abs. I BGB. Gleich eingangs stellt das Berufungsgericht klar, daß es nicht der Auffassung ist, die vom Anwendungsbereich des § 43 Nr. 4 WEG erfassten Beschlußmängelstreitigkeiten seien generell einer Schiedsvereinbarung nicht zugänglich. Die auch zur Begründung des Antrags auf Revisionszulassung von den Beklagten angenommene Divergenz zu den Beschlüssen des BayObLG, ZMR 1991, 232 und OLG Zweibrücken, ZMR 1986, 63, die sich ohnehin mit völlig anders strukturiertem Vorschaltverfahren befassen sowie zum alten Recht ergangen sind, liegt durch die den hiesigen Streitgegenstand betreffende Entscheidung des Berufungsgerichts nicht vor. Das Berufungsgericht hält es eben nicht für ausgeschlossen, daß auch wohnungseigentumsrechtliche Beschlußmängelstreitigkeiten grundsätzlich einer Schiedsvereinbarung unterworfen werden können. Allerdings kann, wie hier, die Beschlußmängelstreitigkeiten einbeziehende Schiedsvereinbarung im Einzelfall insoweit gemäß § 138 Abs. I BGB unwirksam sein. Auch im Wohnungseigentumsrecht unterliegt die Schiedsvereinbarung als Unterfall des Prozessvertrages (BGHZ 99, 143, 147) materiellen Gültigkeitsgrenzen, die durch § 138 Abs. 1 BGB gezogen werden. Nach § 138 Abs. 1 BGB (dazu BGHZ 106, 336, 338 f.) sind Schiedsvereinbarungen nichtig, wenn sie eine übermäßige Einschränkung des Rechtsschutzes zum Gegenstand haben. § 138 Abs. 1 BGB hat die Funktion, den wesentlichen Grundsätzen und grundlegenden Maßstäben der Rechtsordnung € zu denen auch das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes gehört € gegenüber einem Missbrauch der Vertragsfreiheit Achtung zu verschaffen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ist für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten. Wegen seiner für den Bestand der Rechtsordnung wesentlichen Bedeutung kann der Rechtsschutz durch Parteivereinbarung allenfalls in einzelnen konkreten Ausgestaltungen, nicht aber in seiner Substanz abbedungen werden. Führt die Vereinbarung einer Schiedsklausel dazu, dass eine Partei € hier im weiten Sinne als von der Rechtskraftwirkung eines stattgebenden Schiedsspruchs Betroffenen verstanden € benachteiligt bzw. dass ihr der notwendige Rechtsschutz entzogen wird, ist die Schiedsvereinbarung mit den guten Sitten unvereinbar und daher nichtig (vgl. zu den vorstehenden Ausführungen die vom Amtsgericht und den Parteien in Bezug genommene Entscheidung des BGH, NJW 2009, 1962 ff.). Daß die vorstehend wiedergegebenen, aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Grundsätze auch im Wohnungseigentumsrecht generell Anwendung zu finden haben (vgl. auchElzer/Kern,MietRB 2010, 150), diesem treten auch die Beklagten mit ihrer Berufungsbegründung nicht ernsthaft entgegen. Sie machen vielmehr geltend, daß ein in diesem Sinne gleichwertiger Standard garantiert sei, der gleichzeitig in einem wesentlichen Unterschied zur vom BGH entschiedenen Fallkonstellation begründet sei. Die Anfechtungsklage sei nämlich nicht gegen den Verband, sondern gegen alle übrigen Wohnungseigentümer zu richten, weswegen sowohl ausreichende Mitwirkungsrechte aller Wohnungseigentümer, als auch die erforderliche Zuständigkeitskonzentration aller Beschlußanfechtungsverfahren bei einem Schiedsgericht gewährleistet sei. Vertieft und unter Angabe zahlreicher Fundstellen arbeiten sie heraus, daß, wenn ein Wohnungseigentümer einen Anfechtungsantrag entsprechend der Schiedsklausel stelle, weiteren Anfechtungsanträgen anderer Wohnungseigentümer die "Schiedshängigkeit" des Schiedsverfahrens entgegenstünde. Letztendlich sei daher das Erfordernis einer Zuständigkeitskonzentration gewahrt. Dennoch vermögen die Ausführungen das Berufungsgericht im Ergebnis nicht zu überzeugen. Nicht nur dürften € eben auch im Rahmen der wohnungseigentumsrechtlichen Beschlußmängelklage zu fordernde € ausreichende Beteiligungsmöglichkeiten für den einzelnen Wohnungseigentümer bei Zugrundelegung dieser Ansichten nicht gegeben sein. Die konkrete Schiedsvereinbarung enthält keine € zur Sicherung der Beteiligungsmöglichkeit für sämtliche Wohnungseigentümer unerlässliche € Bestimmung dahingehend, dass der Verfahrenseinleitungsantrag ohne Festlegung des Antragstellers auf einen Schiedsrichter einzureichen und sämtlichen Miteigentümern mit der Aufforderung zuzustellen sei, binnen einer bestimmten Frist über einen Beitritt auf Seiten des Antragstellers oder der übrigen Wohnungseigentümer zu entscheiden. Der erste anfechtende Wohnungseigentümer hätte es somit in der Hand, alle übrigen Miteigentümer in die Parteirolle der Beklagten zu drängen. Den von den Beklagten in diesem Zusammenhang angesprochenen Parteiwechsel sieht die konkrete Vereinbarung nicht vor. Jeder Wohnungseigentümer müsste also ein "Rennen" dahingehend befürchten, daß ein anderer Wohnungseigentümer ihm mit der Anfechtung zuvorkommt und ihn selbst so zumindest zunächst in die Rolle des Beklagten drängt. Dies verkürzt im Endeffekt auch die von § 46 Abs. I WEG vorgesehene Monatsfrist zur Anfechtung und entspricht auch unter diesem Aspekt nicht dem durch staatliche Gerichte garantierten Rechtsschutz in vergleichbarem Maße. Völlig zu Recht hat das Amtsgericht jedoch entscheidend darauf abgestellt, daß die von § 47 S. 1 WEG geforderte Zuständigkeitskonzentration nicht gewährleistet ist. Die in Bezug genommene BGH-Rechtsprechung NJW 2009, 1962 ff. ist in diesem Bezug im Wohnungseigentumsrecht umso mehr anwendbar, als dieses Erfordernis vom Gesetzgeber unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 246 Abs. III S. 3 AktG als ausdrückliches Ziel des § 47 WEG erklärt wurde (BT-Drucksache 16/887, S. 39). Es trifft nun nicht zu, daß die Antragseinreichung durch den ersten anfechtenden Wohnungseigentümer eine Rechtshängigkeit dieses ersten Schiedsverfahrens begründen würde. Eine solche Sperrwirkung sieht die konkrete Vereinbarung nicht vor und sie ergibt sich auch nicht aus dem Gesetz, da vor der Konstituierung des Schiedsgerichts keine Rechtshängigkeit vor diesem eintreten kann (Reichold,in Thomas/Putzo, ZPO, § 1004, Rz. 2). Diesen Umstand, nämlich daß kein vorab festgelegtes Schiedsgericht in der konkret zu prüfenden Vereinbarung für die Beschlußmängelklage vorgesehen ist, hält das Berufungsgericht für entscheidend. Gerade unter Zugrundelegung z. B. der von den Beklagten angegebenen Fundstelle Baumbach-Hartmann, 68. Auflage 2010, § 1004, Rz. 3 zeigt sich doch, daß die in der Praxis auftretenden Besonderheiten der wohnungseigentumsrechtlichen Beschlußmängelklage in Bezug auf das Erfordernis einer Zuständigkeitskonzentration nicht ausreichend geregelt werden. Der von Baumbach-Hartmann in Bezug genommene Zeitpunkt ist gemäß § 1004 ZPO iVm. II. Nr. 2 der streitgegenständlichen Vereinbarung der Tag, an dem die Beklagten den Antrag € unter Benennung des Schiedsrichters von Klägerseite aus € empfangen, die Streitigkeit einem Schiedsgericht vorzulegen. Selbst wenn dafür den Tag annimmt, an dem der Antrag dem Verwalter zugeht, stellt sich die Frage, wie es sich mit mehreren, an einem Tag eingebenden Anträgen verhält. Gemäß II. Nr. 2 der streitgegenständlichen Vereinbarung muß jeder dieser Anträge einen Schiedsrichter benennen. Die Gefahr der Konstituierung unterschiedlicher Schiedsgerichte wird so nicht wirkungsvoll begegnet.

Es verbleibt daher dabei, daß die Verfahrensvorgaben der konkreten Schiedsvereinbarung nicht ausreichen, um der von den Beklagten erhobenen Schiedseinrede zum Erfolg zu verhelfen. Die Schiedsklausel ist vielmehr nach § 138 BGB jedenfalls insoweit nichtig, als sie Beschlussmängelstreitigkeiten in ihren Anwendungsbereich einbezieht; zur Wirksamkeit im Übrigen bzw. zur Anwendung des § 139 BGB auf die gesamte Schiedsklausel muß das Berufungsgericht nicht Stellung nehmen, da das gesamte Verfahren nur Anfechtungsklagen betrifft. Denn sie sichert die Belange der übrigen Wohnungseigentümer nicht in einer den Geboten des Rechtsstaatsprinzips genügenden Weise mindestens insoweit, als sie nicht die notwendige Zusammenfassung sämtlicher einen Beschluss betreffenden Anfechtungsverfahren bei einem Schiedsgericht gewährleistet. Damit bleiben die allgemeinen Vorgaben der Klausel so weit hinter dem Standard eines Verfahrens vor den staatlichen Gerichten zurück, dass sie am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB scheitert.

2.) Nachdem sich die Beklagten nicht auf die Schiedsvereinbarung berufen können, war die Rechtmäßigkeit der beiden hier noch streitgegenständlichen Beschlüsse in der Sache zu prüfen. Neben den Ausführungen unter 1.) kann die Berufung der Beklagten gegen die amtsgerichtliche Ungültigerklärung des Beschlusses zu TOP 5 der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung nicht etwa deswegen Erfolg haben, weil dieser Beschluß in der Sache ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen würde. Das Berufungsgericht sieht den Beschluß auch unter Zugrundelegung der Ausführungen der Beklagten in der Berufungsinstanz in jedenfalls zweierlei Hinsicht nicht als ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechend an. So ist dieser durch den anspruchsbegründenden, aber unbestimmten Begriff des "berechtigterweise" so unklar formuliert, daß er bei Eintritt seiner Bestandskraft ein stetes Quell von Streitigkeiten innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft dahingehend darstellen wird, daß jedes Mal unklar sein wird, ob der Beschluß für den konkreten Fall eine Anspruchgrundlage darstellt oder nicht. Die Beantwortung wird dabei jedes Mal von der Beantwortung der Erfolgsaussichten des Falls über die angebliche Persönlichkeitsverletzung abhängen und trägt damit diesen Streit unverändert in die Gemeinschaft hinein. Bereits dahingehend entspricht die Beschlußfassung nicht ordnungsgemäßer Verwaltung (Merle,in Bärmann, Wohnungseigentumsgesetz, 10. Auflage, § 21, Rz. 40). Zum anderen entspricht der Beschluß auch nicht dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer. Eine Verwaltungsmaßnahme liegt dann im Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer, wenn sie bei objektiv vernünftiger Betrachtung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls nützlich ist (Spielbauer,in Spielbauer/Then, WEG, § 21, Rz. 23). Nun führen die Beklagten zwar eine beabsichtigte Schutzfunktion an. Einer solchen bedarf es bei objektiver vernünftiger Betrachtung jedoch nicht. Sollte das Vorgehen von Verwaltung und Verwaltungsbeirat im Rahmen der Gesetze tatsächlich berechtigt sein, können sich diese über entsprechende Schadensersatzansprüche und gesetzliche Kostenfolgen beim Gegner schadlos halten. Sie haben jedoch keinen Anspruch auf eine "Vollkaskoversicherung", die ihnen jegliches Prozeßrisiko, auch z. B. im Rahmen des Abschlusses eines Vergleichs, nimmt. Eine derartige Belastung bietet den Wohnungseigentümern keinerlei korrespondierende Vorteile. Insgesamt ist es dem Berufungsgericht unverständlich, warum die Beklagten weiterhin an dem Ziel einer entsprechenden Beschlußfassung festhalten.

83.) Auf die Berufung der Kläger hin war auch der Beschluß zu TOP 6 der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung für ungültig zu erklären. Dabei kann dahinstehen, ob der Beschluß bereits wegen nicht ordnungsgemäßer Bezeichnung in der Einladung zur streitgegenständlichen Versammlung, mithin aus formellen Gründen, für ungültig zu erklären wäre. Jedenfalls entspricht er in der Sache wegen der Rückwirkung auf die Jahre 2007 und 2008 nicht ordnungsgemäßer Verwaltung. Dabei ist festzustellen, daß der BGH die von den Beklagten in der Berufungserwiderung ausführlich angebrachten Ausführungen jüngst teilweise aufgegriffen hat, insbesondere, was die Zeiträume der Rückwirkung und die Qualität des Vertrauensschutzes angeht. So führt er in WuM 2010, 524 ff. aus: "Das ändert allerdings nichts daran, dass ein Wohnungseigentümer grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass die bis zu einer Änderung des Verteilungsschlüssels angefallenen Kosten nach dem bis dahin geltenden (bisherigen) Schlüssel umgelegt werden (ähnlich Riecke/Schmid/Elzer, aaO, § 16 Rdn. 86; Schmid,ZMR 2010, 259, 260). Erst recht führt dieser Vertrauensschutzgedanke dazu, dass in der Regel nicht in bereits abgeschlossene Abrechnungszeiträume rückwirkend eingegriffen werden darf. Eine Abweichung hiervon kommt nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände In Betracht, etwa wenn der bisherige Schlüssel unbrauchbar oder in hohem Maße unpraktikabel ist oder dessen Anwendung zu grob unbilligen Ergebnissen führt (vgl. auchOLG Hamm ZMR 2007, 293, 295; Riecke/Schmid/Elzer, aaO, Rdn. 86 a). Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen solcher Ausnahmetatbestände sind bei der Beschlussmängelklage die beklagten Wohnungseigentümer. Anders verhält es sich dagegen bei noch laufenden Zeiträumen, wenn sich bei typisierender Betrachtung kein schutzwürdiges Vertrauen herausgebildet hat, etwa wenn für das laufende Wirtschaftsjahr kein auf der Grundlage des alten Schlüssels aufbauender Wirtschaftsplan beschlossen worden ist und die Abrechnung noch in der Schwebe ist. Allein der Umstand, dass Vorschüsse auf der Grundlage des alten Verteilungsschlüssels erhoben worden sind, vermag kein schutzwürdiges Vertrauen zu begründen (vgl. auch Becker in Bärmann, aaO, § 16 Rdn. 104)."

9Auf der Grundlage dieser Ausführungen, denen das Berufungsgericht folgt, ist festzustellen, daß die Abänderung des bisher geltenden Verteilungsschlüssels im Jahre 2009 beginnend mit dem Abrechnungsjahr 2007 nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht. So ist entgegen der Ansicht der Beklagten festzuhalten, daß 2009 vom Zeitpunkt der Beschlußfassung her gesehen ein laufendes Wirtschaftsjahr im Sinne dieser BGH-Entscheidung gewesen sein mag, nicht aber die Jahre 2007 und 2008. Die Ausführungen der Beklagten zu den Anforderungen an die Qualität des Vertrauens im Einzelfall überzeugen vor dem Hintergrund der dargelegten BGH-Rechtsprechung nicht. Die Beklagten müssten vielmehr darlegen, daß der bisherige Verteilerschlüssel unbrauchbar bzw. unpraktikabel sei oder seine Anwendung zu grob unbilligen Ergebnissen führe. Für ersteres gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Letzteres wird von den Beklagten dahingehend geltend gemacht, als daß die bereits aufgrund des nunmehr beschlossenen Verteilerschlüssels erteilten Abrechnungen aufwendig abgeändert werden müssten, was entsprechende Kostenfolgen nach sich ziehe. Dies stellt jedoch die regelmäßige Folge dar, wenn ein entsprechender Streit über die Abrechnung eines bereits abgeschlossenen Zeitraums entsteht. Würden die Abänderungskosten eine grobe Unbilligkeit darstellen, wäre den auf einer unzulässigen Rückwirkung basierenden Anfechtungsklagen regelmäßig kein Erfolg beschert.

Schließlich kam auch keine ledigliche Teilungültigerklärung des Beschlusses in Frage. Erstreckt sich, wie hier, die Klage auf Ungültigerklärung des gesamten Beschlusses und ist dieser nur bezüglich einer Teilregelung mangelhaft, so ist der Beschluß entsprechend § 139 BGB grundsätzlich in seiner Gesamtheit für ungültig zu erklären, es sei denn, die Wohnungseigentümer hätten den mangelfreien Teil auch ohne den ungültigen Teil beschlossen (Merle,aaO., § 23, Rz. 191, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Für letzteres hat das Berufungsgericht keine Anhaltspunkte. Vielmehr geht aus dem Beschluß hervor, daß den Eigentümern gerade die Rückwirkung auf die Jahre 2008 und 2007 wegen der bereits vorgelegten Abrechnungen wichtig war und es keineswegs feststeht, daß sie bei Inkaufnahme der in jedem Fall abzuändernden Abrechnungen für die Jahre 2007 und 2008 überhaupt noch die Änderung des Verteilerschlüssels beschlossen hätten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97, 92 ZPO, wobei sich das Berufungsgericht an den dem amtsgerichtlichen Urteil zu entnehmenden Quoten orientiert hat, vgl. auch unten die Ausführungen zur Streitwertfestsetzung.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO. Insbesondere die Frage des Bestands der Schiedsvereinbarung betrifft lediglich den konkreten Einzelfall. Dahingehend ist diese anhand ihrer einzelfallbezogenen Formulierungen an den Maßstäben des Rechtsstaatsprinzips, wie es in bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten seine Ausprägung gefunden hat, überprüft worden. Grundsätzliche Bedeutung hat dies nicht.

Bei der Streitwertfestsetzung hat sich das Berufungsgericht an den insoweit unbeanstandet gebliebenen Festsetzungen durch das Amtsgericht orientiert. Dieses geht bei einem Gesamtstreitwert von 5.000,00Euro (die temporäre Klageerweiterung in erster Instanz spielt hier keine Rolle, da sie in erster Instanz vor Erlaß des Endurteils bereits wieder zurückgenommen war), von einer Kostenaufhebung aus, vor dem Hintergrund, daß die Kläger mit der Anfechtung zu TOP 5 obsiegt haben, sowie im Übrigen unterlegen sind. Daraus zieht das Berufungsgericht die entsprechenden Schlüsse für die Streitwertfestsetzung in der Berufungsinstanz, in der der Beschluß zu TOP 1 nicht mehr Streitgegenstand war.






LG München I:
Urteil v. 02.09.2010
Az: 36 S 19072/09


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