Sozialgericht Würzburg:
Beschluss vom 22. Juli 2011
Aktenzeichen: S 2 SF 7/11 ER E

(SG Würzburg: Beschluss v. 22.07.2011, Az.: S 2 SF 7/11 ER E)

Tenor

I. Auf die Erinnerung der Antragsgegnerin vom 22.12.2010 wirdder Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14.12.2010 abgeändert.

II. Die nach dem Beschluss vom 06.11.2008 von derAntragsgegnerin an die Antragsteller zu erstattendenaußergerichtlichen Kosten werden gemäß § 197 Abs. 1 SGG auf 709,92Euro festgesetzt.

III. Die festgesetzten außergerichtlichen Kosten sind gemäß §197 Abs. 1 Satz 2 SGG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO ab 05.01.2010mit 5 v. H. über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zuverzinsen.

Gründe

I. Streitig ist, ob für das Antragsverfahren auf einstweiligenRechtsschutz (S 10 AS 825/08 ER) eine fiktive Terminsgebührangefallen ist. Hinsichtlich des Sachverhalts wird im vollen Umfangauf die Ausführungen des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom02.12.2010 Bezug genommen. Ergänzend wird ausgeführt, dass dieAntragsgegnerin mit Schriftsatz vom 22.12.2010 (Eingang am27.12.2010) mit der Begründung Erinnerung eingelegt hat, weil imeinstweiligen Rechtsschutz, in dem ein Termin ohnehin nur denAusnahmefall darstelle, keine fiktive Terminsgebühr anfallen könne.Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen, weil dasBayerische Landessozialgericht mit Beschluss vom 26.08.2009, Az.: L15 B 950/06 AS KO klargestellt habe, dass die Entstehung einerfiktiven Terminsgebühr in sozialgerichtlichen Eilverfahren nichtgrundsätzlich ausgeschlossen sei. Da die Urkundsbeamtin derErinnerung nicht abgeholfen hat, hat sie diese mit den Akten derzuständigen Kostenkammer zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Erinnerung istzulässig. Sie ist auch begründet. Ausgehend davon, dass dieTätigkeit des Bevollmächtigten der Antragsteller im Verfahren deseinstweiligen Rechtsschutzes mit der Verfahrensgebühr abgegoltenist und keine besondere Tätigkeit erforderlich war, einen Termin zuvermeiden, ist nach Sinn und Zweck keine besondere"Tätigkeitsgebühr" angefallen. Die Kammer schließt sichder Auffassung an, dass die fiktive Terminsgebühr als zusätzlicheGebühr nach Nr. 3106 Ziff. 3 VV RVG nur in solchen Verfahrenanfallen kann, in denen eine mündliche Verhandlung vorgeschriebenist bzw. regelmäßig stattfindet oder ein solcher Termin tatsächlichstattgefunden hat. Gemäß § 124 Abs. 3 SGG können Entscheidungen desGerichts, die nicht Urteile sind, ohne mündliche Verhandlungergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Nach § 86 b Abs. 4 SGGentscheidet das Gericht in Verfahren des einstweiligenRechtsschutzes durch Beschluss. Nach Nr. 3106 VV RVG entsteht eineTerminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denenBetragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), wenn ein Terminstattfindet. Die Gebühr entsteht auch, wenn 1. in einem Verfahren,für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnismit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, 2.nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durchGerichtsbescheid entschieden wird oder 3. das Verfahren nachangenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Die vonden Beteiligten aufgeführte unterschiedliche Rechtsprechung zeigt,dass die zitierte Ziff. 3 der Nr. 3106 VV RVG nicht eindeutigformuliert ist und damit auslegungsfähig ist. Entsprechend derAuslegungsvorschrift des § 133 BGB ist bei der Auslegung derwirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinndes Auszugs zu haften. Die Vorschrift der Nr. 3106 Ziff. 3 VV RVGist eine Willenserklärung des Gesetzgebers, die nicht eindeutigist. Die Auslegung einer Willenserklärung ist Ermittlung ihresrechtlich maßgebenden Sinnes. Dabei ist zwischen dem Gegenstand undden Mitteln der Auslegung zu unterscheiden. Auslegungsgegenstandist der konkrete Erklärungsakt, dessen rechtlicher Inhaltfestgestellt werden soll. Mittel der Auslegung sind die außerhalbdes Erklärungsaktes liegenden Umstände, die einen Schluss auf denSinn der Erklärung und damit auf ihren rechtlichen Inhalt zulassen(vgl. Palandt, Komm. z. BGB, 65. Aufl. 2006, zu § 133 Rdnrn. 1 und3). Die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren (Nr. 2400,2401) und die Verfahrensgebühr nach Nr. 3102, 3103 VV RVG sindGrundgebühren, die grundsätzlich in allen Verfahren anfallen.Sowohl die Erledigungs- und die Einigungsgebühr als auch dieTerminsgebühr sind Erfolgsgebühren bzw. Tätigkeitsgebühren, die fürzusätzliche Tätigkeiten des Rechtsanwaltes anfallen können. DieTerminsgebühr soll grundsätzlich dann anfallen, wenn derRechtsanwalt einen Termin wahrnimmt. Da der Rechtsanwalt nachseiner Bestellung zum Verfahrens- bzw. Prozessbevollmächtigten injeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- undRechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beitragen soll,soll die Terminsgebühr auch schon dann verdient sein, wenn derRechtsanwalt an auf die Erledigung des Verfahrens gerichtetenBesprechungen ohne Beteiligung des Gerichts mitwirkt, insbesondere,wenn diese auf den Abschluss des Verfahrens durch eine gütlicheRegelung zielen (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, Komm. z. RVG,19. Aufl., zu Vorbem. 3 VV Rdnr. 1). In seinen Entscheidungen zurErledigungsgebühr ist das Bundessozialgericht in ständigerRechtsprechung (vgl. BSG vom 05.05.2009 € B 13 R 137/08 R)der Auffassung, dass weitere Gebühren neben der Geschäftsgebührbzw. Verfahrensgebühr nur bei qualifizierter anwaltlicherMitwirkung entstehen können. So führt es in o.g. Entscheidung an,dass die Erledigungsgebühr nicht damit verdient wird, dass derRechtsanwalt das vom Beklagten abgegebene Anerkenntnis nachRücksprache mit seinem Mandanten angenommen hat. Zwar hat dieAnnahme des Anerkenntnisses gemäß § 101 Abs. 1 SGGverfahrensbeendende und damit den Rechtsstreit erledigende Wirkung.Die Annahme des Anerkenntnisses ist aber, wie auch eineKlagerücknahmeerklärung oder eine Erledigterklärung noch keine überdie normale Prozessführung hinausgehende, qualifizierte Mitwirkungdes Rechtsanwalts an der Erledigung. Die Abgabe einer solchenProzesserklärung wird mit der Verfahrensgebühr abgegolten. Einebesondere Mühewaltung des Rechtsanwalts, die die Entstehung derzusätzlichen Gebühr rechtfertigen würde, ist in einem solchen Fallnicht erkennbar. Wenn der Prozessgegner ein Aner-kenntnis abgegebenund damit dem Kläger den vollen Klageerfolg zugestanden hat, wirdein Rechtsanwalt seinen Mandanten regelmäßig ohne Mühe zur Annahmedes Anerkenntnisses bewegen können. Aus diesen Erwägungen herausschließt sich die Kammer der Rechtsprechung der von derAntragsgegnerin genannten Gerichte an. Diese führen zu Recht aus,dass aus dem Sinn und Zweck der Regelung der Nr. 3106 Satz 2 Nr. 3VV RVG sich eine Ausweitung des Anwendungsbereiches der Nr. 3106Satz 2 Nr. 3 VV RVG auf Beschlussverfahren nach § 86 b SGG nichtableiten lässt. Die Regelungen der Nr. 3106 Satz 2 VV RVG über denAnfall der sogenannten "fiktiven" Terminsgebühr dienenzur Entlastung der Gerichte, da vermieden werden soll, dass einRechtsanwalt aus Gebühreninteresse auf der Durchführung einermündlichen Verhandlung besteht. Es soll die Bereitschaft einesRechtsanwaltes somit gefördert werden, durch sein prozessualesVerhalten dem Gericht die Durchführung einer mündlichen Verhandlungzu ersparen (s.a. BGH vom 10.07.2006 € II ZB 28/05). Imeinstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 86 b SGG kann aber einRechtsanwalt eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durchsein prozessuales Verhalten nicht verhindern, da die Durchführungeiner mündlichen Verhandlung nicht vorgeschrieben, sondern nurfakultativ ist. Das Gericht entscheidet nach Ermessen, ob in einemVerfahren nach § 86 b SGG eine mündliche Verhandlung anberaumt wirdoder nicht. Des Weiteren soll ein Rechtsanwalt keinenGebührennachteil dadurch erleiden, dass er das Verfahren imschriftlichen Verfahren so vorbereitet, dass eine Klärung der Sach-und Rechtslage im Rahmen einer mündlichen Verhandlung nicht mehrerforderlich ist. Ihm soll eine Vergütung für die besondersgründliche und umfassende schriftliche Vorarbeit zugebilligtwerden, die regelmäßig erwartet werden darf, wenn aufgrund einerAusnahmevorschrift im Einzelfall ohne mündliche Verhandlungentschieden wird. Nach dem Willen des Gesetzgebers knüpft dieBestimmung der Nr. 3106 Satz 2 VV RVG bzw. der Nr. 3104 Abs. 1 VVRVG über den Anfall einer Terminsgebühr ohne Durchführung einesTermins im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG ingerichtskostenpflichtigen Verfahren an die Regelung des § 35 BRAGOan, wonach eine fiktive Verhandlungsgebühr bei entfallener, aber ansich vorgeschriebener Verhandlung entstehen konnte (Beschluss desLandessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 09.07.2010 € L19 B 395/09 AS). Die entgegenstehende Auffassung und derangegriffene Kostenfestsetzungsbeschluss, die sich auf eineEntscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26.08.2009beziehen, trägt den Kostenfestsetzungsbeschluss nicht. Denn dasBayerische Landessozialgericht führt in obiger Entscheidung aus,dass durchaus eine fiktive Terminsgebühr entstehen könne, wennintensive telefonische Bemühungen des Rechtsanwalts mit dem Zielder außergerichtlichen Erledigung des anhängigen Eilverfahrensgeführt worden sind und fast erfolgreich gewesen wären. Damit wirdaber nicht ausgesagt, dass der Rechtsanwalt in jedem Verfahren aufeinstweiligen Rechtsschutz Anspruch auf eine "fiktive"Terminsgebühr hat, wenn sich das Verfahren durch ein Anerkenntniserledigt. Die Kammer übernimmt die einzelnen Beträge imKostenfestsetzungsbeschluss mit Ausnahme der Terminsgebühr. Somitergibt sich für das Antragsverfahren vor dem Sozialgericht Würzburgeinschließlich Mehrwertsteuer ein Betrag von 347,48 Euro. UnterZusammenrechnung mit der Gebühr des Widerspruchsverfahrens ergibtsich ein Gesamtbetrag von 827,94 Euro. Da die Antragsgegnerin lautBeschluss der 10. Kammer vom 06.11.2008 lediglich denAntragstellern 6/7 der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreitszu erstatten hat, ergibt sich ein Endbetrag von 709,72 Euro. Dieserist entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu verzinsen. DieEntscheidung ist endgültig (§ 197 Abs. 2 SGG).






SG Würzburg:
Beschluss v. 22.07.2011
Az: S 2 SF 7/11 ER E


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