Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Mai 2004
Aktenzeichen: 14 W (pat) 307/02

(BPatG: Beschluss v. 18.05.2004, Az.: 14 W (pat) 307/02)

Tenor

Das Patent 198 43 086 wird in vollem Umfang aufrechterhalten.

Gründe

I Die Erteilung des Patents 198 43 086 mit der Bezeichnung

"Schockgetrocknetes, mikroporöses Tonmineralpulver, Verfahren zu seiner Herstellung und dessen Verwendung"

ist am 24. Januar 2002 veröffentlicht worden. Das Patent umfasst 15 Patentansprüche, von denen die Ansprüche 1, 4 und 15 wie folgt lauten:

"1.Schockgetrocknetes, mikroporöses Tonmineralpulver, getrocknet und vermahlen aus grubenfeuchten, smektitischen Tonen, insbesondere natürlich vorkommenden Na-Bentoniten, alkalisch aktivierten Ca-Bentoniten und aktivierten Mischschichttonen, gekennzeichnet durch einen Korngrößenbereich bis 0,1 mm, eine Dichte von 900 bis 1200 kg/m3, einen Wassergehalt von 7 bis 12 Gew.-%, einen Na20-Gehalt von 0,5 bis 3,5 Gew.-% und eine spezifische Oberfläche pro Kornvolumen von 0,25 bis 0,5 m2/cm3.

4. Verfahren zur Herstellung des Tonmineralpulvers nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass ausgangsfeuchte smektitische Tone zweistufig in einer Trocken- und Mahltrockeneinrichtung oder einstufig in einer Mahltrockeneinrichtung schnell bei geringer Verweilzeit, geringer Guttemperatur unter Sprengung und Lockerung der ursprünglichen Mikrostruktur auf eine bestimmte Endfeuchte schockgetrocknet und vermahlen werden, wodurch eine spezifische Oberfläche von 0,25 bis 0,5 m2/cm3 erhalten wird.

15. Verwendung des Tonmineralpulvers nach Anspruch 1 zur Herstellung einer Dichtwandmasse."

Zum Wortlaut der Unteransprüche 2 und 3, die besondere Ausgestaltungen des Tonmineralpulvers nach dem Hauptanspruch betreffen, und der Unteransprüche 5 bis 14, welche auf besondere Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 4 gerichtet sind, wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Gegen dieses Patent ist am 19. April 2002 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist auf die Einspruchsgründe der mangelnden Offenbarung (§ 21 Abs 1 (2) PatG) und der mangelnden Patentfähigkeit (§ 21 Abs 1 (1) PatG) gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik gemäß

(D1) Technische Informationen Süd-Chemie TIXOTON CV15, August 1978

(D2) Ullmanns Enzyklopädie der technischen Chemie 4. Aufl. (1983), Bd. 23, S. 322

(D3) Technische Information Erbslöh Aktiv-Bentonit CT, November 1989,

(D4) Datenblatt IBECO Aktiv-Bentonit CT, Bentonit-Technologie GmbH, September 1994

(D5) EP 0 696 558 A2

(D6) DE 195 06 446 C1

(D7) EP 0 467 483 A1

(D8) EP 0 080 886 A1 gestützt. Die Einsprechende trägt vor, Anspruch 1 sei unklar formuliert und vermittle auch unter Berücksichtigung der Beschreibung keine nacharbeitbare Lehre zum technischen Handeln. Den Unterlagen sei nicht zu entnehmen, wie die Schocktrocknung durchgeführt werden solle; die hierzu gemachten Angaben seien nicht realisierbar. Für die Mikroporosität, den Korngrößenbereich, die Dichte und insbesondere die spezifische Oberfläche seien keine Messverfahren angegeben. Damit könnten Dritte nicht überprüfen, ob ein Material diese Parameter im anspruchsgemäßen Bereich aufweise und nach welcher Methode diese Größen bei bekannten Materialien zu bestimmen seien. Soweit feststellbar, lägen aber keine Unterschiede zu den in (D1), (D3) und (D4) beschriebenen Tonmineralpulvern vor. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei daher nicht mehr neu, jedenfalls aber nicht erfinderisch.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, hilfsweisedas Patent beschränkt aufrechtzuerhalten auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 11 und einer angepassten Beschreibung Spalten 1 bis 4, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, höchst hilfsweise wird die Teilung des Patents erklärt.

Sie hält die Ausführbarkeit trotz möglicherweise vorliegender Unvollkommenheiten für gegeben und den Gegenstand des Streitpatents auch für patentfähig. Zur Stützung ihres Vorbringens verweist sie ua auf

(PI 2) D. Heim, Tone und Tonminerale, Ferdinand Enke Verlag Stuttgart, 1990, Seite 95 sowie auf (D5).

Wegen weiterer Einzelheiten des schriftlichen Vorbringens der Beteiligten und zum Wortlaut der Patentansprüche 1 bis 11 gemäß Hilfsantrag wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II 1. Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben und mit Gründen versehen. Er ist somit zulässig, kann aber nicht zum Erfolg führen.

2. Die erteilten und unverändert geltenden Patentansprüche 1 bis 15 gemäß Hauptantrag sind zulässig.

Die Ansprüche 1 bis 3 und 5 bis 14 gehen inhaltlich auf die ursprünglichen Ansprüche 1, 4, 5, 2, 3, 7 bis 9, 11 bis 14 und 16 zurück.

Das Verfahren nach dem erteilten Anspruch 4 ist in den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 6 iVm dem Brückenabs Seiten 3/4 der ursprünglichen Beschreibung offenbart und die Verwendung nach Anspruch 15 auf Seite 2 Abs 6 der ursprünglichen Beschreibung.

3. Die Lehre des Streitpatents ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Die Einstellbarkeit und Nachprüfbarkeit der Parameter Wasser- und Na20-Gehalt ist von der Einsprechenden nicht in Frage gestellt worden. Zu der von ihr zu den weiteren Merkmalen vorgetragenen Kritik ist im einzelnen folgendes festzustellen:

3.1. Schocktrocknung und Mikroporosität Wie bei der Schocktrocknung zu verfahren ist, ist in den Patentansprüchen 4 bis 14 und den Abschnitten [0005] und [0020] bis [0022] näher ausgeführt. Hieraus ersieht der Fachmann, dass ein möglichst rasches Trocknen und Vermahlen erfolgen soll, dem eine Vortrocknung vorgeschaltet sein kann. Die Anfangsfeuchte des Eingangsmaterials (30 bis 42 %) und die Endfeuchte des Erzeugnisses (7 bis 12 %) sind festgelegt (Anspruch 7), für das Eingangsmaterial wird eine bevorzugte Ausgangskörnung im Bereich von 5 bis 20 mm angegeben (Anspruch 9). Ferner werden verschiedenen Trocknungsarten bestimmte Eingangstemperaturbereiche zugeordnet (Ansprüche 11 bis 13); bei entsprechender Dimensionierung der Trocknungsapparate und der Materialströme (Tonmaterial, Luftmenge) zur Schaffung einer großen Austauschfläche erscheint auch die im Anspruch 10 geforderte Verdampfungsleistung realisierbar.

Die Angabe mikroporös ist lediglich eine qualitative. Dies ist aber nicht zu beanstanden, sofern hiermit kein Unterschied zum Stand der Technik begründet werden soll.

Ob ein Tonmineralpulver schockgetrocknet und mikroporös im Sinne des Streitpatents ist, ist anhand der im Kennzeichen des Anspruchs 1 mit Zahlenbereichen definierten Parameter zu verifizieren.

3.2 Korngrößenbereich Das Messverfahren zur Korngrößenbestimmung ist im Anspruch 1 nicht definiert, und es ist bekannt, dass unterschiedliche Bestimmungsmethoden zu graduell abweichenden Ergebnissen führen können. Hieraus resultiert aber lediglich eine gewisse Unschärfe dieses Merkmals, aber keine Unmöglichkeit, es auf eine der üblichen Methoden zu bestimmen.

Die in der Beschreibung [0025] genannte Sichtung zur Auftrennung von Pulvermatierial in unterschiedliche Kornfraktionen ist nicht nur ausweislich der von der Patentinhaberin genannten (D5) üblich (Ansprüche 15 und 16 iVm S 6 Z 45 bis 55); sie ist dem Senat auch aus eigener Sachkunde als (neben dem weiter verbreiteten Sieben) geeignete Bestimmungsmethode bekannt. Auch einer auf diesem einzigen in der Beschreibung konkret genannten Weg vorgenommenen Korngrößenbestimmung könnte daher die Ausführbarkeit nicht abgesprochen werden.

3.3 Dichte Dem Fachmann ist bekannt, dass ein- und demselben Material je nach Definition unterschiedliche Dichtewerte zugeordnet werden können (vgl hierzu zB auch (D4)).

Ihm ist aber ferner bekannt, dass die kristallographische Dichte (welche bei von (mit der Meßflüssigkeit) nicht benetzten Hohlräumen freien Partikeln der Korndichte DIN 18 124 entspricht, vgl dort unter 3) eine von der Aufbereitung des Erzeugnisses unabhängige Materialkonstante ist, die im Falle von Tonminerialien bei ca 2,6 g/cm3 liegt. Die demgegenüber weniger als 1g/cm3 betragenden Werte gemäß Anspruch 1 müssen sich daher auf einen pulverförmigen Zustand beziehen. Mangels näherer Angaben denkt der Fachmann hier zunächst an die für Pulverschüttungen gebräuchlichste Größe, die Schüttdichte. Eine ungewöhnlichere Bezugsgröße wie beispielsweise die Rütteldichte hätte dagegen nach Auffassung des Senats einer besonderen Charakterisierung bedurft.

3.4 Spezifische Oberfläche pro Kornvolumen Die spezifische Oberfläche ist als auf eine Gewichtseinheit bezogene Oberfläche definiert und wird im allgemeinen in m2/g angegeben. Mit der bekannten Korndichte kann auf die spezifische Oberfläche pro Kornvolumen oder umgekehrt von der im Anspruch 1 angegebenen spezifischen Oberfläche pro Kornvolumen auf die gewichtsbezogene spezifische Oberfläche umgerechnet werden.

In der Streitpatentschrift ist - ebenso wie in (D5), insbesondere Tabellen 2 bis 5 - keine Bestimmungsmethode für die spezifische Oberfläche angegeben; nach (PI 2) muß die Belegung aller Oberflächen mit polaren organischen Molekülen als für Tonkomponenten etabliertes Verfahren angesehen werden.

Der Einsprechenden ist jedoch zuzugestehen, dass Ansprüche und Beschreibung des Streitpatents andere Meßmethoden wie die BET-Methode oder die Quecksilber-Instrusionsmethode nicht ausschließen und auch das Verfahren gemäß (PI 2) in Abhängigkeit von der verwendeten organischen Substanz zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.

Damit mangelt es diesem Merkmal - und mit ihm Anspruch 1 insgesamt - an Klarheit.

Der Einwand mangelnder Klarheit ist aber - so berechtigt er sein mag - kein Einspruchs- oder Widerrufsgrund (vgl Schulte PatG 6. Aufl § 21 Rdn 36, 37). Der Fall, dass der Fachmann auch bei redlichem Bemühen die spezifische Oberfläche eines Materials nicht bestimmen könnte, liegt ersichtlich nicht vor. Vielmehr stehen ihm hierzu bekannte Meßverfahren zur Verfügung, von denen er jedenfalls das in (PI 2) genannte als geeignet in Betracht zu ziehen hat.

4. Das Tonmineralpulver nach dem erteilten Patentanspruch 1 ist neu.

Es unterscheidet sich von den aus (D1), (D3) und (D4) bekannten Tonmineralpulvern jeweils schon durch die spezifische Oberfläche pro Kornvolumen von 0,25 bis 0,5 m2/cm3, was mit der unter 3.4 erwähnten Umrechnung einer spezifischen Oberfläche von (rd) 0,1 bis 0,2 m2/g entspricht (vgl auch Schriftsatz der Einsprechenden vom 20. März 2003 S 5 unten bis S 6 Z 7).

In (D1) , (D3) und (D4) sind keine spezifischen Oberflächen angegeben; nach (PI 2) liegen die spezifischen Oberflächen für Smectite üblicherweise im Bereich von 600 bis 800 m2/g. Die Einsprechende hat keine Messergebnisse vorgelegt, die auf einen hiervon um Größenordnungen kleineren Wert bei den Materialien nach (D1), (D3) oder (D4) hinweisen könnten, und keine Druckschrift eingeführt, aus der eine der patentgemäßen Schocktrocknung vergleichbare Behandlung von grubenfeuchten smektitischen Tonen abzuleiten wäre.

Die weiteren Druckschriften liegen ferner.

Auch das Argument, lagerstättenbedingt zementstabiler Bentonit ZBF müsse aufgrund seiner Eignung zur Herstellung von Dichtwandmassen einem Tonmineralpulver mit den Parametern des Anspruchs 1 entsprechen, kann die Neuheit des patentgemäßen Tonmineralpulvers nicht in Frage stellen. Nach Abschnitt [0015] der Streitpatentschrift weist ZBF bereits ursprünglich, also ohne Schocktrocknung, die zur Herstellung von Dichtwandmassen erforderliche Qualität auf. Dies bedeutet aber nicht, dass er bereits vor der Schocktrocknung die - zB nach (PI 2) - für smektitische Tonmineralien ungewöhnlich niedrige spezifische Oberfläche von 0,1 bis 0,2 m2/g hat.

5. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Wie bereits ausgeführt, ist seine spezifische Oberfläche mit 0,1 bis 0,2 m2/g ungewöhnlich niedrig, der in (PI 2) angeführte Bereich für Smectite liegt um den Faktor 3000 (= 600 : 0,2) bis 8000 (= 800 : 0,1)) höher.

Da der Stand der Technik weder Hinweise auf eine derart dramatische Absenkung der spezifischen Oberfläche noch eine Anregung zu einer dem patentgemäßen Schocktrocknen vergleichbare Wärmebehandlung liefert, die die Einstellung der anspruchsgemäßen Parameter bewirken könnte, ergibt sich der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

6. Bereits aus Vorstehendem ergibt sich, dass es nicht nur neu war, sondern auch einer erfinderischen Tätigkeit bedurfte, um zur Herstellung des in Rede stehenden Tonminerals nach Anspruch 4 zu verfahren.

7. Da - wie aufgezeigt - schon die Bereitstellung des Tonmineralpulvers nach Anspruch 1 die Kriterien der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit erfüllt, muß seine Verwendung nach Anspruch 15 diese Voraussetzungen zwangsläufig erfüllen.

8. Die Ansprüche 1, 4 und 15 gemäß Hauptantrag sind nach alledem rechtsbeständig; die auf die Ansprüche 1 und 4 rückbezogenen Unteransprüche 2, 3 und 5 bis 14 haben mit diesen Bestand.

Der Hilfsantrag der Patentinhaberin sowie ihre höchst hilfsweise abgegebene Teilungserklärung sind damit gegenstandslos.

Schröder Wagner Harrer Proksch-Ledig Na






BPatG:
Beschluss v. 18.05.2004
Az: 14 W (pat) 307/02


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