Bundespatentgericht:
Beschluss vom 1. Juli 2009
Aktenzeichen: 7 W (pat) 315/09

(BPatG: Beschluss v. 01.07.2009, Az.: 7 W (pat) 315/09)

Tenor

Das Patent 102 36 774 wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen die am 22. September 2005 veröffentlichte Erteilung des Patents 102 36 774 (Streitpatent) mit der Bezeichnung "Befestigungsträger für den Fahrzeuginnenraum" ist Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei.

Die Einsprechende nennt zum Stand der Technik u. a. die Druckschrift DE 296 13 480 U1 (D1).

Sie macht geltend, dem Gegenstand nach dem Patentanspruch 1 fehle gegenüber dem Stand der Technik nach Druckschrift D1 die erforderliche Neuheit und zumindest unter Einbeziehung des fachmännischen Könnens und einer der weiteren Entgegenhaltungen eine erfinderische Tätigkeit. Mit dem Wegfall des Anspruchs 1 seien auch die Gegenstände der ihm nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 7 nicht rechtsbeständig.

Der Patentinhaber hat mit Schriftsatz vom 1. Mai 2006 neue Patentansprüche 1 bis 3 sowie eine neue Beschreibung mit Zeichnung (Figuren 1 bis 4) eingereicht und erklärt, dass er auf den Patentanspruch 6, der die Teleskopierbarkeit des Trägers betreffe, verzichte, da er kein wesentlicher Bestandteil des Streitpatents sei.

Mit Zwischenverfügung vom 5. Juli 2007 hat der zum damaligen Zeitpunkt zuständige 20. Senat mitgeteilt, dass nach seiner vorläufigen Auffassung kaum eine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Streitpatents bestehe und im Übrigen der Schutzbereich des Streitpatents durch den neuen Anspruch 1 unzulässig erweitert sei.

Hierauf hat der Patentinhaber mit Schreiben vom 29. Februar 2008 jeweils neue Patentansprüche 1 bis 5 nach einem Hauptund einem Hilfsantrag vorgelegt. Im Anschluss an eine weitere Verfügung des nunmehr zuständigen 7. Senats vom 15. Juni 2009, in der Zweifel an der Zulässigkeit der Anspruchsfassungen und an einer erfinderischen Tätigkeit des beschränkt verteidigten Gegenstandes geäußert wurden, hat der Patentinhaber erneut sein Patentbegehren durch Einreichung von jeweils neuen Patentansprüchen 1 bis 4 nach einem Hauptund einem Hilfsantrag vom 16. Juni 2009 geändert.

In der mündlichen Verhandlung hat der Patentinhaber des Weiteren neue Patentansprüche 1 bis 4 gemäß einem zweiten Hilfsantrag überreicht.

Die Einsprechende macht geltend, dass auch die hilfsweise verteidigten Gegenstände nicht patentfähig seien, sie vielmehr ausgehend von der Druckschrift D1 im Griffbereich des Fachmannes lägen.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent 102 36 774 zu widerrufen.

Der Patentinhaber, der zunächst die Teilung des Patents erklärt, stellt den Antrag, das Patent 102 36 774 beschränkt mit den folgenden Unterlagen aufrecht zu erhalten: -Patentansprüchen laut Hauptantrag vom 16. Juni 2009, -Beschreibung und Zeichnungen laut erteiltem Patent. Hilfsweise beantragt er, 1.

das Patent 102 36 774 beschränkt mit den folgenden Unterlagen aufrecht zu erhalten:

-Patentansprüche laut Hilfsantrag vom 16. Juni 2009 -Beschreibung und Zeichnungen laut erteiltem Patent.

2.

das Patent 102 36 774 beschränkt mit den folgenden Unterlagen aufrecht zu erhalten:

-Patentansprüche laut dem am 1. Juli 2009 in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsantrag 2

-Beschreibung und Zeichnungen laut erteiltem Patent.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

"Träger zum Befestigen von Gegenständen, insbesondere Fahrrädern, an einer im Innenraum eines Kraftfahrzeugs umgelegten Rücksitzbank mit Verriegelungen, in denen am Träger angeordnete Bügel eingreifen, und mit mindestens einer am Träger angeordneten Gabelaufnahme, dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die Bügel in mindestens einer am Träger angeordneten Nut, als auch die mindestens eine Gabelaufnahme in mindestens einer am Träger angeordneten Nut fixiert und jeweils an beliebiger Stelle in der jeweiligen Nut positionierbar aufgenommen sind."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 lautet (Änderungen gegenüber Hauptantrag kursiv):

"Träger zum Befestigen von Gegenständen, insbesondere Fahrrädern, an einer im Innenraum eines Kraftfahrzeugs umgelegten Rücksitzbank mit Verriegelungen, in denen am Träger angeordnete Bügel einrasten, und mit mindestens einer am Träger angeordneten Gabelaufnahme, dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die Bügel in mindestens einer an einer Trägerunterseite des Trägers angeordneten Nut, als auch die mindestens eine Gabelaufnahme in mindestens einer an einer Trägeroberseite des Trägers angeordneten Nut fixiert und jeweils an beliebiger Stelle in der jeweiligen Nut positionierbar aufgenommen sind."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lautet (Änderungen gegenüber Hilfsantrag 1 kursiv):

"Träger zum Befestigen von Gegenständen, insbesondere Fahrrädern, an einer im Innenraum eines Kraftfahrzeugs umgelegten Rücksitzbank mit Verriegelungen, in denen am Träger angeordnete Bügel einrasten, und mit mindestens einer am Träger angeordneten Gabelaufnahme, dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die Bügel in mindestens einer an einer Trägerunterseite des Trägers angeordneten Nut, in welche die als geschlossene Bügel ausgebildeten Bügel an der Unterseite des Trägers positionierbar sind, als auch die mindestens eine Gabelaufnahme in mindestens einer an einer Trägeroberseite des Trägers angeordneten Nut fixiert und jeweils an beliebiger Stelle in der jeweiligen Nut positionierbar aufgenommen sind."

Weitere Ausgestaltungen des Trägers nach Anspruch 1 sind in nachgeordneten Ansprüchen 2 bis 4, jeweils gleichlautend für den Hauptantrag und die beiden Hilfsanträge, angegeben. Zum Wortlaut dieser Ansprüche wird auf die Anlagen zum Verhandlungsprotokoll bzw. die Akte verwiesen.

II.

Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der -mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten -Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG noch auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH GRUR 2009, 184, 185 -Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II).

III.

Der fristund formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig und begründet.

Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt in keiner der beschränkt verteidigten Fassungen der Patentansprüche eine patentfähige Erfindung i. S. d. §§ 1 bis 5 PatG dar.

Gegen die Zulässigkeit der geltenden Anspruchsfassungen bestehen keine Bedenken.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 der jeweiligen Anträge ist zwar neu, er beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Als hier zuständiger Fachmann ist ein Maschinenbau-Ingenieur anzusehen, der mit der Konstruktion und Entwicklung von Fahrradtransportsystemen für Personenkraftwagen befasst ist.

In der Streitpatentschrift sind Nachteile wie erhöhter Spritverbrauch, Diebstahlgefahr, verändertes Fahrverhalten etc. angesprochen, die mit einem Fahrradtransport verbunden sind, wenn die Fahrräder außerhalb des Fahrzeugs am Dach oder Heck befestigt und transportiert werden müssen (Abs. 0001). Die sicherste und sauberste Art, das Fahrrad zu transportieren, sei demnach im Fahrzeuginnenraum (Abs. 0002). Auf dem Markt seien hierfür schon Träger mit Gabelaufnahmen bekannt, die teleskopartig an den Seiten des Kraftfahrzeuginnenraums verklemmt würden. Damit sei jedoch kein sicherer Halt gegen Verrutschen gegeben (Abs. 0006).

Als Aufgabe nennt die Streitpatentschrift daher, ein Fahrradtransportsystem für den PKW-Innenraum zu schaffen, das einfach zu montieren ist, das eine flexible und stufenlose Positionierung (der Haltemittel) erlaubt, keine Veränderungen am PKW und am Fahrrad erfordert, für verschiedene Fahrzeuge einsetzbar ist, eine platzsparende Positionierung der Fahrräder gestattet, eine feste Verbindung zum Fahrzeugboden ermöglicht, eine Ausrichtung des Fahrrads nach vorne sicherstellt und die Verkleidung des Fahrzeugs nicht beschädigt.

Zur Lösung dieser Aufgabe lehrt der Anspruch 1 nach Hauptantrag im Kern einen 1.

Träger zum Befestigen von Fahrrädern an einer umgelegten Rücksitzbank mit Verriegelungen im Innenraum eines Kraftfahrzeugs.

2.

An dem Träger sind Bügel in mindestens einer Nut angeordnet.

3.

An dem Träger ist mindestens eine Gabelaufnahme in mindestens einer Nut angeordnet.

4.

Die Bügel und die Gabelaufnahme sind jeweils an beliebiger Stelle der jeweiligen Nut positionierbar.

5.

Die Bügel greifen in die Verriegelungen der Rücksitzbank ein.

In der Gebrauchsmusterschrift DE 296 13 480 U1 (D1) ist bereits ein die Aufgabe des Streitpatents lösendes Trägersystem zum stehenden Transport von Fahrrädern mit demontiertem Vorderrad, also Gabelaufnahme, im Innern von Kraftfahrzeugen, die über eine unklappbare Rücksitzbank verfügen, beschrieben, bei dem zur Befestigung des Trägers 3 an der umgeklappten Rückenlehne 1 die dort links und rechts angebrachten Verriegelungsmechanismen 2 genutzt werden (Anspruch 1, Figur 1). Der Träger weist eine Nut 8 auf (Anspruch 4, Fig. 3), in die seitlich, d. h. in Längsrichtung der Nut 8, verschiebbar eine Halteeinrichtung 7 zur Aufnahme der Vorderradgabel eines Fahrrades fixiert werden kann (Anspruch 5, Fig. 5). Der Träger umfasst Seitenteile 5 mit Bolzen 4 zur Anpassung an die je nach Kraftfahrzeugtyp unterschiedlichen Verriegelungsmechanismen der Rückenlehne (Anspruch 3). Gemäß dem einzigen Ausführungsbeispiel nach den Figuren 1 bis 5 bilden die Seitenteile mit dem Bolzen ein am Mittelteil des Trägers 3 längsverschiebbares und mittels Schrauben 6 mehr oder weniger an beliebiger Stelle positionierbzw. festlegbares, bügelartiges Bauteil, wobei die Seitenteile als rechteckige Profile dargestellt sind, die stirnseitig in das ebenso rechteckige, als Hohlprofil ausgebildete Mittelteil des Trägers eingeführt sind.

Von dem bekannten Träger nach D1 unterscheidet sich der nach Anspruch 1 des Hauptantrags noch im Wesentlichen dadurch, dass die an die Verriegelungsmechanismen örtlich und funktional anzupassenden Elemente, hier allgemein als Bügel bezeichnet, in zumindest einer Nut des Trägers verschieblich angeordnet sind.

Dieser Unterschied kann jedoch eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Denn der Fachmann kennt aufgrund seiner im Studium erworbenen Grundkenntnisse der Konstruktionslehre vielfältige Varianten für die Verbindung zweier zueinander verschieblicher Bauteile. Zu den der Fachwelt geläufigen Verbindungen gehören dabei Nutverbindungen und teleskopartige Verbindungen, die beide bei dem Träger nach der Druckschrift D1 bereits gemeinsam angewendet worden sind, erstere für die Halterung des Gabelaufnehmers, letztere zum Zwecke der Anpassung der Bügel an die Lage der vorgegebenen Verriegelungsmechanismen an der Rücksitzlehne. Ohne dass sich an der grundsätzlichen Funktionsweise des bekannten Trägers etwas ändert, können -wie der Fachmann ohne weiteres erkennt -die bügelartigen Seitenteile auch außerhalb des Hohlraums des Trägerprofils verschieblich angeordnet werden, ähnlich wie der oder die Gabelaufnehmer, wobei sich -wie bei diesen -eine Nut am Träger zur Positionierung der bügelartigen Seitenteile anbietet. Von welcher der an sich bekannten konstruktiven Varianten der Fachmann Gebrauch macht, entscheidet er nach Abwägung der Vorund Nachteile der jeweiligen Variante im Rahmen seines routinemäßigen Vorgehens. Die Lehre des Anspruchs 1 nach Hauptantrag lag somit im Griffbereich des Fachmannes.

Entsprechendes gilt für den Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1, der gegenüber dem nach Hauptantrag zusätzlich angibt, dass die mindestens eine Nut für die Gabelaufnahme auf der Trägeroberseite, die mindestens eine Nut für die Bügel auf der Trägerunterseite vorgesehen ist.

Das liegt für den Fachmann nämlich auf der Hand, da wie aus Druckschrift D1 schon ersichtlich, bei Einbau des Trägers dessen Unterseite den Verriegelungsstellen an der Rückbanklehne und dessen Oberseite den Gabelaufnahmen zugewendet ist.

Der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 ist gegenüber dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 noch weiter dadurch beschränkt, dass die an der Unterseite des Trägers positionierten Bügel als geschlossene Bügel ausgebildet sind.

Auch dieses Merkmal kann eine erfinderische Tätigkeit des verteidigten Patentgegenstandes nicht stützen. Wie in Druckschrift D1 bereits ausgeführt, wird der Fachmann das Element für die Verrastung an der Rückenlehne entsprechend den Vorgaben des in Betracht gezogenen Personenkraftwagens geeignet auswählen. Soweit der Patentinhaber geltend macht, dass ein geschlossener Bügel hinsichtlich Stabilität und Positioniergenauigkeit gegenüber einfachen Bolzen oder L-förmigen Bügeln Vorteile aufweise, ist dem zuzustimmen. Um diese Vorteile weiß aber der Fachmann und er wird sie bei seiner Konstruktion auch berücksichtigen. Im Übrigen wurde seitens der Einsprechenden eingewendet, dass geschlossene und offene Bügel schon vor dem Anmeldetag des Streitpatents bei Rücksitzbank-Verriegelungen verbreitet gewesen seien. Dem hat der Patentinhaber nicht widersprochen.

Dass in den Unteransprüchen noch Merkmale von erfinderischer Bedeutung enthalten sind, hat der Patentinhaber nicht geltend gemacht und ist für den Senat auch nicht ersichtlich.

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