Landgericht Bochum:
Beschluss vom 10. Mai 2006
Aktenzeichen: 10 Qs 8, 9/06

(LG Bochum: Beschluss v. 10.05.2006, Az.: 10 Qs 8, 9/06)

Tenor

Die Beschwerden werden als unbegründet verworfen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die ehemaligen Angeklagten sind durch Urteil des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 12.04.05 freigesprochen worden. Eine dagegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung ist vor deren Begründung zurückgenommen worden.

Mit am 26.07.05 eingegangenen Anträgen begehrten die Verteidiger der Freigesprochenen Hannelore und Martin T die Festsetzung der ihren Mandanten entstandenen Auslagen wie folgt:

1. Instanz

2. Instanz

Summe

Martin T

1.589,20 €

649,60 €

2.238,80 €

Hannelore T

1.667,27 €

649,60 €

2.316,87 €

Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf Bl. 275 und 278b Bezug genommen.

Mit den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlüssen wurden die erstattungsfähigen Auslagen wir folgt festgesetzt:

1. Instanz

2. Instanz

Summe

Martin T

1.310,80 €

0,00 €

1.310,80 €

Hannelore T

1.388,87 €

0,00 €

1.388,87 €

Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf Bl. 286 und 290 Bezug genommen.

Die Absetzungen sind wie folgt begründet:

Die Bedeutung, der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und die Schwierigkeit lägen zwar über dem Durchschnitt der bei dem Amtsgericht verhandelten Strafsachen, seien jedoch nicht als außergewöhnlich hoch zu bewerten. Kompensiert würde dies durch die unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse der Freigesprochenen, so daß die Gebühren im einzelnen wie folgt zu bemessen wären: Gebühr statt beantragter VV 4100 250,00 € 300,00 € VV 4106 200,00 € 250,00 € VV 4108 330,00 € 400,00 € VV 4108 330,00 € 400,00 €.

Auslagen für die zweite Instanz seien grundsätzlich nicht erstattungsfähig, da das Rechtsmittel vor dessen Berufung zurückgenommen worden sei. Eine anwaltliche Beratung sei ohne Berufungsbegründung effektiv nicht möglich.

Mit ihren Beschwerden verfolgen die Freigesprochenen ihre Festsetzungsanträge in ursprünglicher Höhe unter Bezugnahme auf die hierfür angegebene Begründung weiter und führen ergänzend aus, daß der Auftrag zur Vertretung in der Berufungsinstanz bereits am Tage der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils erteilt worden wäre, als die Staatsanwältin die Einlegung einer Berufung ankündigte. Sie hätten daraufhin mehrfach fernmündlichen Kontakt zur sachbearbeitenden Staatsanwältin aufgenommen und so eine Rücknahme der Berufung erreicht.

II.

Die statthaften und zulässig eingelegten Beschwerden sind unbegründet.

Die durch den Rechtspfleger beim Amtsgericht Herne-Wanne festgesetzten Gebühren sind zutreffend und berücksichtigen sämtliche Aspekte der anwaltlichen Tätigkeit angemessen. Die Gebührenbestimmung der beteiligten Rechtsanwälte, die die Höchstgebühren in Ansatz gebracht haben, ist aufgrund von Unbilligkeit nicht bindend.

Aufgrund des Freispruchs des Amtsgerichts Herne-Wanne hat die Staatskasse den früheren Angeklagten die eigenen notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Höhe der zu erstattenden Gebühren setzt nach der für Rahmengebühren einschlägigen Vorschrift des § 14 Satz 1 RVG grundsätzlich der Rechtsanwalt unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen fest. Hat - wie hier - ein Dritter die Gebühren zu ersetzen, ist diese Bestimmung verbindlich, sofern sie nicht unbillig ist, § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG.

Vorliegend entspricht die Festsetzung der Höchstgebühren nicht dem billigen Ermessen. Ob eine Unbilligkeit im Sinn dieser Vorschrift vorliegt, muss anhand der Umstände des Einzelfalls geprüft werden. Dabei ist dem Umstand Rechung zu tragen, dass dem Verteidiger ein Ermessen zusteht, so dass nicht jede abweichende Wertung dazu führen kann, dass das anwaltliche Ermessen durch das gerichtliche Ermessen ersetzt wird. Andererseits ist eine Korrektur auch nicht auf die Fälle der groben Unbilligkeit beschränkt (vgl. Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 16. Auflage, § 14 Rdnr. 12). Unbilligkeit liegt nach gefestigter Rechtsprechung entsprechend dann vor, wenn die Bestimmung durch den Rechtsanwalt um mehr als 20% von den angemessenen Gebühren abweicht (vgl. Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 16. Auflage, § 14 Rdnr. 34; Hartmann, Kostengesetze, § 14, Rdnr. 24). Indizien für die Unbilligkeit sind dabei die völlig fehlende Nichtbeachtung eines auf der Hand liegenden Umstandes sowie die Zugrundelegung eines abwegigen Maßstabes (Gerold/Schmidt/v.Eicken/ Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 16. Auflage, § 14 Rdnr. 13).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände begegnet die Festsetzung von Höchstgebühren erheblichen Bedenken. Auch die Frage, ob Höchstgebühren angemessen sind, ist eine Einzelfallentscheidung. Man darf den Höchstwert des Rahmens nur bei überdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen und einer besonderen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ansetzen, nicht schon dann, wenn die Sache zwar eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung hat, rechtlich aber einfach gelagert ist ( Mü VersR 77, 1036, aM AG Betzdorf AnwBl 84, 454). Die Höchstgebühr ist andererseits nicht von einem lückenlosen Zusammentreffen sämtlicher Erhöhungsmerkmale abhängig (vgl. Hartmann a.a.O. Rdnr. 15).

Die somit vorzunehmende Gesamtschau rechtfertigt nicht die Ansetzung von Höchstgebühren. Die Kammer verkennt nicht, dass der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit über dem Durchschnitt der vor dem Amtsgericht verhandelten Strafsachen liegt. Sie vermag indes weder eine besondere Schwierigkeit noch einen besonderen Umfang festzustellen. Die Schwierigkeit der Strafsache lag ausschließlich im Bereich der tatsächlichen Feststellungen, wobei die Beweisaufnahme mit der Vernehmung von sieben Zeugen auch noch einen überschaubaren Umfang hatte. Auch die Dauer der einzelnen Hauptverhandlungstage mit 4:20 Stunden und 4:25 Stunden rechtfertigt keine andere Beurteilung. Insoweit ist auf die Wertung des RVG hinzuweisen. Bei der Vergütung eines Pflichtverteidigers ist erst bei einer Verhandlungsdauer ab 5 Stunden eine weitere Gebühr nach Nr. 4111 zu zahlen. Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber eine Verhandlungsdauer von bis zu 5 Stunden als normal erachtet.

Auch der Umfang der Akte und der Prozeßstoff erscheinen nicht so komplex und umfänglich, dass von einer besonderen Schwierigkeit und einem besonderen Umfang auszugehen ist. Dabei ist ein objektiver Maßstab anzulegen, der nicht an die Befähigungen des konkret beauftragten Rechtsanwaltes festmacht. Insoweit ist im Hinblick auf die Beschwerdebegründung einzuräumen, dass auch die Mitglieder der Kammer keine konkreten Kenntnisse über die Arbeitsweise von Verteidigern haben. Die Kammer ist jedoch aufgrund ihrer täglichen Befassung mit Strafsachen der sicheren Überzeugung einordnen zu können, ob Verfahren einfach oder schwer zu erfassen und zu bearbeiten sind. Insoweit gibt es hinsichtlich des zugrundeliegenden Verfahrens zumindest keine Anhaltspunkte für einen besonderen Umfang und Schwierigkeit. Die Hauptakte hatte bei Anklagerhebung einen Umfang von nur 138 Seiten, bei Beginn der Hauptverhandlung einen Umfang von nur 204 Seiten (einschließlich ZU’en, Ladungsverfügungen, Aussagegenehmigungen).

Soweit das Amtsgericht darüber hinaus auf die (unter-)durchschnittlichen Einkommensverhältnisse der Freigesprochenen abstellt, ist dem beizutreten. Hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Auftraggeber ist davon auszugehen, daß sie zumindest bei dem Freigesprochenen Martin T unterdurchschnittlich sind und auch die Freigesprochene Hannelore T ebenfalls nur über unterdurchschnittlich hohe laufende Einnahmen verfügt, unabhängig davon, ob ihr ein nur verzögerlich zu realisierender - Darlehensrückzahlungsanspruch zusteht oder nicht.

Selbst wenn man die Bedeutung der Angelegenheit im Hinblick auf die dahinter stehenden wirtschaftlichen Interessen (Höhe von Unterhaltszahlungen) als über dem Durchschnitt wertet, rechtfertigt dies unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen nicht den Ansatz von Höchstgebühren. Die als billig erscheinende Gebühr liegt danach sicherlich unterhalb von 80% mit der Folge, dass die Bestimmung der Rechtsanwälte nicht verbindlich ist. Der Rechtspfleger hat damit die festzusetzenden Gebühren zu Recht gekürzt. Da er dies in allen Fällen erheblich oberhalb der Mittelgebühr getan hat, besteht seitens der Kammer kein Anlass, diese Festsetzung abzuändern.

Die angemeldeten Kosten 2. Instanz sind den Freigesprochenen nicht zu erstatten. Es besteht kein Anspruch auf Erstattung der Gebühren nach Nr. 4124 und 4141 RVG.

Soweit die Beschwerdeführer die Entscheidung des Rechtspflegers und die von ihm zitierte Entscheidung des Landgerichts Bochum (3 Qs 3/01) als falsch bezeichnet, beruht dies offensichtlich auf der mangelnden Kenntnis der entsprechenden Rechtsprechung. Zahlreiche Obergerichte (OLG München, OLG Zweibrücken; OLG Düsseldorf, OLG Koblenz) vertreten die Auffassung, dass im Fall der Berufungseinlegung durch die Staatsanwaltschaft eine Tätigkeit des Verteidigers nicht erstattungsfähig sei, wenn noch keine Berufungsbegründung vorliege (vgl. Mümmler/Göttlich, RVG, Seite 884 m.w.N.). Damit mag diese Rechtsanwendung streitig und zweifelhaft sein. Nach juristischer Methodik ist sie sicherlich nicht als falsch zu bezeichnen.

Die Kammer schließt sich nach umfänglicher Prüfung der Entscheidung der genannten Obergerichte an. Die Berufungseinlegung der Staatsanwaltschaft erfolgt häufig allein fristwahrend, um möglicherweise auch die schriftlichen Urteilsgründe zu prüfen. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass ein von der Staatsanwaltschaft durchgeführtes Rechtsmittel auch tatsächlich durchgeführt wird. Deshalb kann sich der Rechtsanwalt vor der gemäß § 320 StPO zuzustellenden Berufungsbegründung auch nur abstrakt mit dem Rechtsmittel befassen. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde auf Blatt 3 die Kommentierung der BRAGO mit einem möglicherweise anders lautenden Inhalt zitiert, trifft dies den vorliegenden Fall nicht. Diese Kommentierung betrifft die Erstbeauftragung nach einem Urteil. Vorliegend war der Rechtsanwalt bereits in der ersten Instanz tätig. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Gebühr für die erste Instanz auch die Beratung über die Zulässigkeit und die Zweckmäßigkeit einer Berufung umfasst (Göttlich/Mümmler, a.a.O. Seite 884, 2.4). Die Gespräche zwischen den Verteidigern und den Freigesprochenen können vorliegend wegen der Unkenntnis der staatsanwaltschaftlichen Sicht auch keinen umfassenderen Inhalt gehabt haben.

Aufgrund der nur abstrakten Befassung mit der Berufung -mehr war aufgrund der fehlenden Berufungsbegründung für die Verteidiger nicht möglich- ist kein Gebührentatbestand entstanden.

Diese Einordnung wird gedeckt durch die Einordnung der damals zuständigen Staatsanwältin. Diese hat -telefonisch angehört- erklärt, dass die Anrufe des Verteidigers keinen Einfluss auf die Entscheidung gehabt hätten, die Berufung zurückzunehmen. Sie habe damals vielmehr zunächst das schriftliche Urteil lesen und danach mit der Sitzungsvertreterin die Sach- und Rechtslage erörtern wollen. Nachdem das erfolgt sei, habe sie die Berufung zurückgenommen. Damit liegt der Ausschlusstatbestand von Nr. 4141 Abs. 2 RVG vor.

Die Kammer weist insoweit ausdrücklich darauf hin, dass dieses Argument nicht entscheidungserheblich war, da sie ansonsten insoweit rechtliches Gehör gewährt hätte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 RVG.






LG Bochum:
Beschluss v. 10.05.2006
Az: 10 Qs 8, 9/06


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https://www.admody.com/urteilsdatenbank/eaba1773e23f/LG-Bochum_Beschluss_vom_10-Mai-2006_Az_10-Qs-8-9-06




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