Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 13. April 2011
Aktenzeichen: VII-Verg 4/11

(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 13.04.2011, Az.: VII-Verg 4/11)

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 17. Dezember 2010 (VK 2 - 119/10) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 118 Abs.1 S. 3 GWB sowie der außergerichtlichen Aufwendungen der Antragsgegnerinnen und der Beigeladenen zu 1. und 2. trägt die Antragstellerin.

Gründe

(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)

I.

Die Antragsgegnerinnen zu 1. bis 36. führen derzeit ein europaweites offenes Vergabeverfahren zum Abschluss von Arzneimittelrabattverträgen für eine Vielzahl von Fachlosen durch. Als im Namen und für Rechnung der Antragsgegnerinnen handelnde Vergabestelle fungiert die GWQ Service-Plus AG. Die Antragsgegnerinnen beabsichtigen, mit jeweils drei Rahmenvertragspartnern pro Los Rabattverträge zu schließen.

Die Antragstellerin gab fristgerecht ein Angebot u.a. für die Lose 8 und 49 ab. Neben weiteren Bietern beteiligten sich an der Ausschreibung für diese Lose auch die Beigeladenen zu 1. und 2. Alle Beteiligten versicherten in ihren Angeboten durch Abgabe der geforderten Eigenerklärungen, keine wettbewerbswidrigen Abreden getroffen zu haben.

Die Beigeladenen zu 1. und 2. sind Unternehmen der X...-Unternehmensgruppe. Einziger Gesellschafter der Beigeladenen zu 2. ist die X... AG, die zugleich sämtliche Anteile der Y... GmbH, der Alleingesellschafterin der Beigeladenen zu 1., hält. Zwischen der Beigeladenen zu 2. und der X... AG besteht ebenso wie zwischen der Beigeladenen zu 1. und der Y... GmbH sowie zwischen dieser und der X... AG ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Die Beigeladene zu 2. und die X... AG haben wie die Y... GmbH ihren Geschäftssitz unter derselben Anschrift in …, während die Beigeladene zu 1. ihren Sitz in … hat.

Zwischen den Unternehmen bestehen auch personelle Verflechtungen. So ist Herr A. Prokurist sowohl bei der Beigeladenen zu 1. als auch bei der Beigeladenen zu 2. und bei der X... AG. Herr B. übt neben seiner Funktion als Prokurist der X... AG auch die Funktion des Geschäftsführers der Beigeladenen zu 2. und eines Prokuristen der Beigeladenen zu 1. aus.

Die Angebote der Beigeladenen zu 1. wurden von der Geschäftsführerin C. und der Prokuristin D., diejenigen der Beigeladenen zu 2. von dem Geschäftsführer E. und dem Prokuristen F. unterzeichnet.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2010 unterrichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin darüber, dass auf ihre Angebote für die Lose 8 und 49 kein Zuschlag erteilt werden könne, da diese nicht zu drei wirtschaftlichsten gehörten. Sie beabsichtige, den Zuschlag für die Lose 8 und 49 auf die Angebote der Beigeladenen zu 1. und 2. sowie jeweils eines weiteren Bieter zu erteilen.

Die Antragstellerin rügte gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 2. November 2010 die beabsichtigten Vergabeentscheidungen. Sie machte geltend, es bestehe Anlass zu der Annahme, dass ein schwerwiegender Verstoß gegen den Grundsatz des vergaberechtlichen Geheimwettbewerbs vorliege, da hinsichtlich der Beigeladenen zu 1. und 2. aufgrund der bestehenden Unternehmensverbindungen die Voraussetzungen für eine unabhängige Angebotsabgabe nicht vorlägen.

Den nach Zurückweisung der Rüge erhobenen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wies die Vergabekammer mit der Begründung zurück, ein Verstoß der Beigeladenen zu 1. und 2. gegen den vergaberechtlich gebotenen Geheimwettbewerb sei nicht nachgewiesen. Soweit es den Beigeladenen oblegen habe, Anhaltspunkte für wettbewerbswidrige Verhaltensweisen zu entkräften, seien sie dem durch ihren Vortrag nachgekommen.

Der Ausschluss eines Angebots setze gesicherte Erkenntnisse seitens des Auftraggebers darüber voraus, dass die jeweiligen Ausschlussvoraussetzungen vorlägen. Für eine Absenkung dieser Anforderungen in Fallgestaltungen wie der vorliegenden dahingehend, dass eine bloße Gefährdung des Geheimwettbewerbes für einen Ausschluss ausreichen solle, bestehe keine Veranlassung. Soweit bestimmte Anhaltspunkte einen Wettbewerbsverstoß nahelegten, rechtfertige dies keine Korrektur des Ausschlusstatbestandes selbst, sondern allenfalls eine Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast. Da die Umstände, die einem Angebotsausschluss entgegenstehen könnten, aus dem alleinigen Verantwortungs- und Einflussbereich der betroffenen Bieter stammten, sei es diesen relativ leicht möglich, diejenigen Umstände darzutun, die die Besorgnis einer Wettbewerbsbeeinträchtigung entfallen ließen.

Die weitergehende Ansicht der Antragstellerin, jedenfalls bei einer Ausschreibung im Mehr-Partner-Modell müsse bei personellen und gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen bereits die Möglichkeit von wettbewerbsbeschränkenden Abrede für den Ausschluss der betreffenden Bieter genügen, sei abzulehnen.

Nach diesen Maßstäben sei ein Verstoß der Beigeladenen zu 1. und 2. gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs zu verneinen. Die Beigeladenen hätten ausführlich und detailliert dargetan, dass mit der Erstellung der Angebote keine Mitarbeiter befasst gewesen seien, die mit der Erstellung der Angebote des konkurrierenden Unternehmens zu tun gehabt hätten und umgekehrt. Sie hätten zudem Vertraulichkeitserklärungen vorgelegt und damit konkrete Vorkehrungen für die Wahrung des Geheimwettbewerbs belegt. Es bestehe kein Anlass an der Richtigkeit der entsprechenden Erklärungen zu zweifeln.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

Sie macht geltend, dass im Fall von Rabattvertragsausschreibungen im sog. "Mehr-Partner-Modell", in dem gleichzeitig mehrere Unternehmen den Zuschlag auf ein Los erhalten können, insbesondere für verbundene Unternehmen, die einer entsprechenden Konzernstrategie folgend möglichst viele Zuschläge zum wirtschaftlichen Vorteil des gesamten Unternehmensverbundes erlangen sollten, der Anreiz, sich über Angebotsinhalte auszutauschen, wesentlich größer als in anderen Situationen sei. Bei derartigen Ausschreibungen ergebe sich bereits aus der Verbundenheit von Unternehmen durch personelle und gesellschaftsrechtliche Verflechtungen ein vergaberechtlich relevanter Verstoß gegen den Geheimwettbewerb, es sei denn, die Gefahren für den Geheimwettbewerb seien durch gesellschaftsrechtliche, vertragliche und/oder tatsächliche Maßnahme effektiv ausgeschlossen. Unabhängig davon, ob sich im Zuge der Angebotserstellung und Angebotsabgabe die durch die Verbundenheit geschaffene Gefahr in Form eines tatsächlichen Informationsaustausches realisiert habe, liege ein Verstoß gegen den Geheimwettbewerb vor, sofern dessen Wahrung seitens der betroffenen verbundenen Unternehmen lediglich behauptet, nicht aber substantiiert durch Darlegung von im Vorfeld ergriffenen effektiven Maßnahmen nachgewiesen werden könne.

Einen Gegenbeweis in diesem Sinne hätten die Beigeladenen nicht erbracht.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 17. Dezember 2010 (VK 2-119/10) aufzuheben;

die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren keine Zuschläge an die Beigeladenen zu 1. und 2. hinsichtlich der Lose Nr. 8 und Nr. 49 zu erteilen, die Angebote der Beigeladenen zu 1. und 2. hinsichtlich der Lose Nr. 8 und Nr. 49 wegen Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb auszuschließen und nach erneuter Information gemäß § 101a GWB Zuschläge nur unter Berücksichtigung des Angebots der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Lose Nr. 8 und Nr. 49 sowie unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senates zu erteilen

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen

Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss und treten dem Beschwerdevorbringen entgegen. Die bloße Vermutung eines Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb sei nicht ausreichend, um einen Bieter vom Wettbewerb auszuschließen. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin belegten auch nicht bereits die behaupteten strukturellen und personellen Verflechtungen sowie die gemeinsame Konzernstrategie einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb. Auch für eine Umkehr der Beweislast sei kein Raum. Im Übrigen hätten die Beigeladenen jedenfalls ausreichend nachgewiesen, dass sie konzernintern Vorkehrungen getroffen hätten, um eine Verletzung des Geheimwettbewerbs zu verhindern.

Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Ein Verstoß gegen den Geheimwettbewerb habe nicht vorgelegen und sei von der Antragstellerin auch nicht durch konkrete Anhaltspunkte substantiiert dargelegt worden. Die Vergabekammer habe deshalb zutreffend festgestellt, dass die angefochtene Entscheidung der Antragsgegnerinnen nicht zu beanstanden sei.

II.

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.

Durch die Entscheidung der Antragsgegnerinnen, die Angebote der Beigeladenen zu 1. und 2. nicht wegen Verstoßes gegen den vergaberechtlichen Geheimwettbewerb gemäß § 19 Abs. 3 lit. f VOL/A-EG auszuschließen, ist die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt worden.

1.

§ 97 Abs. 1 GWB und § 2 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A-EG bestimmen, dass der öffentliche Auftraggeber seine Leistungen im Wettbewerb zu beschaffen hat. § 19 Abs. 3 lit. f VOL/A-EG ordnet ergänzend an, dass die Angebote derjenigen Bieter, die in Bezug auf die Vergabe eine unzulässige, wettbewerbsbeschränkende Abrede getroffen haben, ausgeschlossen werden. Der Begriff der wettbewerbsbeschränkenden Abrede ist mit Blick auf den das gesamte Vergabeverfahren beherrschenden Wettbewerbsgrundsatz weit auszulegen. Er ist nicht auf gesetzeswidriges Verhalten beschränkt, sondern umfasst auch alle sonstigen Absprachen und Verhaltensweise eines Bieters, die mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgebot unvereinbar sind (vgl. Senat, Beschl. v. 16.9.2003, VII-Verg 52/03; v. 27.7.2006, VII-Verg 23/06, OLG München, Beschl. v. 11.8.2008, Verg 16/08).

Wesentliches und unverzichtbares Merkmal einer Auftragsvergabe im Wettbewerb ist die Gewährleistung eines Geheimwettbewerbs zwischen den an der Ausschreibung teilnehmenden Bietern. Nur dann, wenn jeder Bieter die ausgeschriebenen Leistungen in Unkenntnis der Angebote und Angebotsgrundlagen sowie der Angebotskalkulation seiner Mitbewerber anbietet, ist ein echter Bieterwettbewerb um den Zuschlag möglich (vgl. Senat, Beschl. v. 16.9.2003, VII-Verg 52/03). Folgerichtig verpflichtet die Verdingungsordnung für Leistungen den öffentlichen Auftraggeber deshalb auch zur Vertraulichkeit (vgl. § 17 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 VOL/A-EG).

Das Zustandekommen einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache erfordert nicht eine ausdrückliche Verständigung zwischen zwei Unternehmen darüber, wer welche Leistung zu welchem Preis anbietet. Sie ist vielmehr in aller Regel schon dann verwirklicht, wenn ein Angebot in Kenntnis der Bedingungen des Konkurrenzangebots erstellt wird (vgl. Senat, Beschl. v. 27.7.2006, VII-Verg 23/06; Thüringer OLG, Beschl. v. 19.4.2004, 6 Verg 3/04).

Die strenge Ausprägung, die der Vertraulichkeitsgrundsatz in den geltenden Vergaberechtsbestimmungen erfahren hat, gewährleistet zum einen, dass der öffentliche Auftraggeber seiner gesetzlichen Pflicht zur wirtschaftlichen Beschaffung und die Ausschreibung damit ihrer Funktion als Auswahlverfahren zur Ermittlung des annehmbarsten Angebots gerecht werden kann (vgl. Glahs in Kapellmann/Messerschmidt, VOB/A, § 2 Rdn. 46). Gerade weil der einzelne Bieter nicht weiß, welche Konditionen der Konkurrent seiner Offerte zu Grunde legt, wird er, um seine Aussicht auf den Erhalt des Zuschlags zu steigern, bis an die Rentabilitätsgrenze seiner individuell berechneten Gewinnzone kalkulieren. Kennt ein Bieter Leistungsumfang und Preise seines Konkurrenten, muss er nicht mehr potentiell preisgünstigere Angebote unterbieten, sondern braucht sein Angebot nur noch an den ihm bekannten Bedingungen auszurichten (vgl. Senat, Beschl. v. 27.7.2006, VII-Verg 23/06).

Darüber hinaus kommt dem Vertraulichkeitsgrundsatz wegen seiner Wettbewerbsbezogenheit aber auch eine dritt- und damit bieterschützende Funktion und Wirkung zu. Nicht nur wird das Interesse der Bieter gewahrt, dass kein Wettbewerber durch die Kenntnis der Angebotskalkulation einen Einblick in ihr Betriebs- und Wirtschaftlichkeitskonzept gewinnt. Die Bezuschlagung eines unter Verstoß gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz gelegten Angebots entfaltet - vergleichbar der Bezuschlagung eines Angebots mit einem unangemessen niedrigen Preis - automatisch Reflexwirkungen zu Lasten der Mitbieter. Während aber dem in § 16 Abs. 6 S. 2 VOL-A, § 19 Abs. 6 S. 2 VOL/A-EG enthaltenen Verbot, den Zuschlag auf ein unangemessen niedriges Angebot zu erteilen, drittschützender Charakter nur zukommt, wenn der Grund für den unangemessen niedrigen Preis nicht wettbewerblicher Natur ist, sondern das Angebot in der Absicht abgegeben worden ist, Wettbewerber gezielt und planmäßig zu verdrängen oder zumindest die Gefahr einer dauerhaften Verdrängung besteht, basiert ein Angebot, das auf der Kenntnis eines oder mehrerer konkurrierender Angebote kalkuliert worden ist, denknotwendig auf einem wettbewerbswidrigen Verhalten.

Das Recht der Bieter, in einem fairen und uneingeschränkten Leistungswettbewerb um die Zuschlagschance zu konkurrieren, wird somit nicht nur dann beeinträchtigt, wenn ein in Kenntnis der Inhalte anderer Angebote kalkuliertes Angebot in Verdrängungsabsicht gelegt wird, sondern unabhängig davon bereits durch den einen echten Leistungswettbewerb ausschließenden Verstoß gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz.

2.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin liegt ein zum Ausschluss der Angebote der Beigeladenen zu 1. und 2. führender Verstoß gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz nicht vor.

a.

Ein Ausschluss ist nicht bereits deshalb veranlasst, weil es sich bei den Beigeladenen um verbundene Unternehmen im Sinne von §§ 15, 18 AktG handelt. Eine unwiderlegbare Vermutung des Inhalts, dass Angebote verbundener Unternehmen für denselben Auftrag infolge der typischerweise bestehenden gesellschaftsrechtlichen, personellen und organisatorischen Verflechtungen stets voneinander beeinflusst worden sind, existiert nicht. Vielmehr steht einem systematischen, zwingenden Ausschluss verbundener Unternehmen nicht nur das sich aus dem Wettbewerbsgrundsatz ergebende Interesse an der Beteiligung möglichst vieler Bieter an einer Ausschreibung entgegen. Ein derartiger Automatismus verstieße auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da verbundenen Unternehmen damit die Möglichkeit genommen würde, nachzuweisen, dass zwischen ihnen keine Gefahr einer Beeinträchtigung der Transparenz und Verfälschung des Wettbewerbs bestehe. Die bloße Feststellung der Verbundenheit zweier oder mehrerer sich um den Auftrag bewerbender Unternehmen berechtigt und verpflichtet die Vergabestelle somit noch nicht dazu, diese Unternehmen von dem Vergabeverfahren auszuschließen. Vielmehr hat die Vergabestelle, nachdem sie Kenntnis von der Verbundenheit erlangt hat, zu prüfen und zu würdigen, ob der Inhalt der von den verbundenen Unternehmen abgegebenen Angebote durch die sich aus der Verbundenheit ergebenden Verflechtungen und Abhängigkeiten beeinflusst worden ist, wobei die Feststellung eines wie auch immer gearteten Einflusses für den Ausschluss dieser Unternehmen genügt (vgl. EuGH, Urteil v. 19.5.2009, Rs. C-538/07 "Assitur").

Für die Beteiligung verbundener Unternehmen an Rabattausschreibungen mit "Mehr-Partner-Modell" gelten keine anderen Maßstäbe. Dabei ist der Antragstellerin zuzugestehen, dass das ausgeschriebene "Mehr-Partner-Modell" einen im Verhältnis zum Normalfall der Ausschreibung stärkeren Anreiz für wettbewerbswidrige Verhaltensweisen konzernverbundener Unternehmen setzt. Da mehrere Bieter den Zuschlag auf ein Los erhalten können, besteht ein über das wirtschaftliche Interesse der einzelnen Bieter hinausgehendes Konzerninteresse an der Erlangung von Zuschlägen, weil der Gesamtumsatz verbundener Unternehmen dadurch erhöht wird.

Dieser der "Mehr-Partner-Modell" - Ausschreibung immanente Effekt schließt es aber keineswegs aus, dass verbundene Unternehmen durch ihre Geschäftspolitik und entsprechende organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass bei der Ausarbeitung von Angeboten ihre Unabhängigkeit und die Vertraulichkeit gewahrt werden.

b.

Allerdings hatte die Antragsgegnerin die Angebote der erkennbar verbundenen Beigeladenen zu 1. und 2. zum Anlass für eine Prüfung zu nehmen, ob der jeweilige Angebotsinhalt durch die Verbundenheit der Unternehmen in wettbewerbswidriger Weise beeinflusst worden ist.

aa.

Beteiligen sich mehrere konzernverbundene Unternehmen mit eigenen Angeboten an einem Vergabeverfahren, besteht grundsätzlich eine - widerlegbare - Vermutung dafür, dass der Geheimwettbewerb zwischen ihnen nicht gewahrt ist.

Der Vermutungstatbestand greift nicht erst ein, wenn die Vergabestelle inhaltliche Übereinstimmungen in den Angeboten oder personelle, räumliche und infrastrukturelle Verflechtungen festgestellt hat (a.A. Verfürth in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 16 Rdn. 140). Ob derartige Verflechtungen oder auch eine abgestimmte Konzernstrategie im Einzelfall existieren, kann die Vergabestelle, die im Regelfall keine spezifischen Kenntnisse über Unternehmensinterna hat, weder anhand des Inhalts der Angebote noch sonstiger allgemein zugänglicher Informationen erkennen und beurteilen. Maßgeblich ist vielmehr, dass bei der Angebotslegung durch verbundene Unternehmen allein im Hinblick auf die zwischen ihnen durch die Konzernverbundenheit bestehenden möglichen Schnittstellen und Berührungspunkte eine im Vergleich zur Angebotslegung voneinander vollkommen unabhängiger Unternehmen objektiv erhöhte Gefahr von Verstößen gegen den Geheimhaltungswettbewerb durch abgestimmtes Verhalten besteht.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerinnen ist ein Ausschluss der Angebote verbundener Unternehmen nicht erst dann gerechtfertigt, wenn der sichere Nachweis eines Wettbewerbsverstoßes durch den Auftraggeber erbracht ist. Vielmehr obliegt die Widerlegung dieser Vermutung den betreffenden Unternehmen. Abweichend von der üblichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast haben sie diejenigen Umstände und Vorkehrungen aufzuzeigen und nachzuweisen, die die Unabhängigkeit und Vertraulichkeit der Angebotserstellung gewährleisten. Der Grundsatz, dass der Auftraggeber den zum Angebotsausschluss führenden Sachverhalt sicher festzustellen und gegebenenfalls nachzuweisen hat, kann in der streitgegenständlichen Konstellation keine Geltung beanspruchen. Die Umstände und Vorkehrungen, die die Unabhängigkeit und Vertraulichkeit der Angebotserstellung trotz der Verbundenheit gewährleisten sollen, stammen ausschließlich aus der Sphäre und dem Verantwortungsbereich der betroffenen Unternehmen, so dass es geboten ist, ihnen die Darlegung und den Nachweis aufzubürden, dass infolge besonderer von ihnen veranlasster Umstände das Verhältnis der Unternehmen den Inhalt der Angebote nicht beeinflusst hat.

bb.

Eine Obliegenheit, bereits mit dem Angebot diejenigen besonderen Umstände und Vorkehrungen bei der Angebotserstellung aufzuzeigen, kann verbundene Unternehmen indes nur dann treffen, wenn ihnen der den Anfangsverdacht eines Verstoßes gegen den Geheimwettbewerb auslösende tatsächliche Umstand - Angebotsabgabe auch durch verbundenes Unternehmen - bewusst und bekannt war. Das ist aber gerade dann nicht der Fall, wenn die Unternehmen effektive Vorkehrungen zur Gewährleistung der Unabhängigkeit und Vertraulichkeit der Angebotserstellung getroffen haben. Erkennt der Auftraggeber somit bei der Sichtung der Angebote oder durch entsprechende Rüge eines Bieters, dass sich verbundene Unternehmen mit Angeboten an der Ausschreibung beteiligt haben, so kann ein Ausschluss der Angebote nicht allein darauf gestützt werden, dass in den Angeboten Darlegungen zu den Umständen und Maßnahmen, die die Einhaltung des Geheimwettbewerbs sicherstellen sollen, fehlen.

Insoweit unterscheidet sich die streitgegenständliche Konstellation maßgeblich von dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Senats vom 27. Juli 2006 (VII-Verg 23/06) zugrunde lag und in dem aufgrund der unstreitigen Umstände davon auszugehen war, dass sowohl dem antragstellenden als auch dem beigeladenen Unternehmen, die Parallelangebote unterbreitet hatten, dieser Umstand bekannt war. Auch für Bieter, die ein eigenes Angebot unterbreiten und zugleich als Mitglied einer sich ebenfalls an der Ausschreibung beteiligenden Bietergemeinschaft auftreten (vgl. OLG Düsseldorf, VI-W (Kart) 24/04) gilt, dass sie bereits mit dem jeweiligen Angebot die Umstände dartun müssen, die einen Verstoß gegen den Geheimwettbewerb ausschließen, da ihnen der den Verstoß gegen den Geheimwettbewerb indizierende Umstand bei Angebotslegung bekannt ist.

cc.

Die auch vom Europäischen Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 19. Mai 2009 (C-538/07) ausdrücklich vorgesehene Prüfung durch den Auftraggeber umfasst eine Aufforderung an die betroffenen Unternehmen, die sich aus der Verbundenheit ergebenden Bedenken an der Einhaltung des Geheimwettbewerbs durch entsprechende Einlassungen und Erörterungen auszuräumen. Maßstab der einer Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen unterliegenden inhaltlichen Prüfung ist, ob der Auftraggeber sich angesichts der Darlegungen der Unternehmen davon überzeugen kann, dass effektive Vorkehrungen und Maßnahmen wechselseitige Kenntnis und Einflussnahme auf die Angebotsinhalte ausschließen.

Insoweit reicht es im Regelfall nicht aus, dass Unternehmen durch entsprechende Erklärungen der mit der Angebotserstellung befassten Mitarbeiter versichern, Vertraulichkeit gewahrt zu haben. Auch kann die Überzeugung des Auftraggebers, Unabhängigkeit und Vertraulichkeit der Angebotserstellung seien gewährleistet, grundsätzlich nicht allein auf Vertraulichkeitsverpflichtungen der mit der Angebotserstellung befassten Mitarbeiter durch die Unternehmensleitung sowie der Abgabe entsprechender Erklärungen durch die betreffenden Mitarbeiter gestützt werden. Zur Widerlegung des Vermutungstatbestands reicht es nicht, dass die verbundenen Unternehmen versichern, sich im Rahmen der konkreten Ausschreibung wettbewerbskonform verhalten zu haben. Vielmehr obliegt ihnen die Darstellung derjenigen strukturellen Umstände, die einen Wettbewerbsverstoß bereits im Ansatz effektiv verhindern.

Erforderlich sind konkrete Ausführungen zu den strukturellen Bedingungen der Angebotserstellung, insbesondere dazu, ob und in welcher Form die Konzernmutter Einfluss auf das Ausschreibungsverhalten nimmt und die Unternehmen einer entsprechenden Konzernstrategie unterworfen sind, ob und auf welchen Unternehmensebenen Abstimmungen vorgenommen werden, ob und ggfs. welche organisatorischen und personellen Verflechtungen bestehen und ob die Unternehmen räumlich getrennt agieren.

Für die vom Auftraggeber anzuwendende Prüfungstiefe bei der Verifizierung und Kontrolle entsprechender Eigenerklärungen verbundener Unternehmen gilt, dass ebenso wie bei der Kontrolle von Eigenerklärungen zu Eignungsmerkmalen (vgl. Senat, Beschl. v. 2.12.2009, VII-Verg 39/09) die Anforderungen an den Grad der Erkenntnissicherheit nicht nur an den vergaberechtlichen Grundsätzen der Transparenz und Diskriminierungsfreiheit, sondern auch am Interesse des öffentlichen Auftraggebers an einer zügigen Umsetzung von Beschaffungsabsichten und einem raschen Abschluss von Vergabeverfahren zu messen sind. Die aus dem auch im Vergaberecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben abzuleitenden Zumutbarkeitsgrenzen für Überprüfungs- und Kontrollpflichten gelten auch bei der Prüfung, ob es zu wettbewerbswidrigem Verhalten gekommen ist.

Für die Überzeugungsbildung des Auftraggebers, dass verbundene Unternehmen nicht gegen den Geheimwettbewerb verstoßen, sondern voneinander unabhängige und unbeeinflusste Angebote gelegt haben, ist demnach nicht erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber sämtliche in Betracht kommenden Erkenntnisquellen ausschöpft, um die gemachten Angaben zu verifizieren. Vielmehr darf er seine Entscheidung auf eine methodisch vertretbar erarbeitete, befriedigende Erkenntnislage stützen und von einer Überprüfung von Eigenerklärungen absehen, soweit diese konkrete, plausible und nachvollziehbare Darlegungen, wie die Vertraulichkeit und Unabhängigkeit der Angebotserstellung effektiv gewährleistet wird, enthalten.

c.

Eine den dargestellten Maßstäben genügende Auseinandersetzung und Prüfung hat im Vergabeverfahren selbst nicht stattgefunden, da die Antragsgegnerinnen unter Verkennung der die Beigeladenen treffenden Darlegungs- und Beweislast sowie der Substantiierungsanforderungen einen Wettbewerbsverstoß mit dem bloßen Hinweis abgelehnt haben, inhaltliche Auffälligkeiten, Besonderheiten bei der Einreichung oder verdächtige Übereinstimmungen im äußeren Erscheinungsbild seien nicht aufgetreten.

Soweit die Antragsgegnerinnen ihre Überzeugung, die streitgegenständlichen Angebote seien nicht in unzulässiger Weise voneinander beeinflusst, unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beigeladenen im Verfahren vor der Vergabekammer sowie der ergänzenden Einlassungen im Beschwerdeverfahren gebildet haben, ist die darauf beruhende Entscheidung, die Angebote nicht wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens auszuschließen, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Beigeladenen haben durch umfängliche schriftsätzliche Ausführungen im Verfahren vor der Vergabekammer wie auch im Beschwerdeverfahren sowie durch Einlassungen und Erläuterungen auf entsprechende Fragen des Senats im Termin zur mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und plausibel dargelegt, dass sie bei der Bewerbung um öffentliche Aufträge vollkommen unabhängig voneinander agieren und ihr Ausschreibungsverhalten weder ausdrücklich noch mittelbar durch eine entsprechende Konzernstrategie miteinander abgestimmt ist. Sie haben zudem konkret dargetan, dass bei der Ausarbeitung von Angeboten keine Schnittstellen und Berührungspunkte in personeller, organisatorischer und räumlicher Hinsicht bestehen, sondern die Angebote von unabhängig voneinander arbeitenden Teams erstellt werden. Genau das hat auch die Vernehmung der Zeugin Moriz erbracht. Zweifel an der Richtigkeit ihrer Ausführungen ergeben sich nicht. Die gegen die Beigeladenen sprechende Vermutung ist damit widerlegt. Es ist davon auszugehen, dass sie wirtschaftlich eigenständig agieren und ihr Verhalten bei Ausschreibungen durch die Konzernverbundenheit nicht beeinflusst wird.

Insofern ist die unschädlich, dass die Prüfung eines Wettbewerbsverstoßes durch die Antragsgegnerinnen im Vergabeverfahren unzureichend war. Maßgeblich ist, dass ihre Entscheidung nunmehr auf hinreichenden tatsächlichen Erkenntnissen beruht, nicht aber, dass diese bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätten gewonnen werden können. Der Auftraggeber darf die seiner Einschätzungsprärogative zugrunde liegende Erkenntnisgrundlage beständig erweitern, Beurteilungserwägungen nachschieben und absichern. Dass die Antragsgegnerinnen erst auf der Grundlage des Vorbringens im Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren annehmen konnten, dass die Angebote der Beigeladenen unabhängig und unbeeinflusst voneinander erstellt worden sind, kann nicht dazu führen, dass das Vergabeverfahren zurückzuversetzen ist und ihnen eine nochmalige Überprüfung aufzugeben ist.

Da die von den Antragsgegnerinnen zugrunde gelegte Annahme, die Angebote der Beigeladenen seien in wettbewerbskonformer Weise erarbeitet, im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde auf einer gesicherten Erkenntnisgrundlage beruht und somit feststeht, dass eine Rechtsverletzung der Antragstellerin insoweit ausscheidet, wäre eine dahingehende Verpflichtung der Antragsgegnerin nicht nur unnötig formal, sondern widerspräche auch dem Gebot der Verfahrensökonomie (vgl. auch Senat, Beschl. v. 26.11.2008, VII-Verg 54/08; Beschl. v. 2.12.2009, VII-Verg 39/09; Beschl. v. 23.03.2011, VII-Verg 63/10).

III.

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 120 Abs. 2 i.V.m. § 78 GWB.

Die Beigeladenen werden im Hinblick auf ihren Schriftsatz vom 23.03.2011 darauf hingewiesen, dass die Vergabekammer bereits eine Entscheidung über ihre außergerichtlichen Aufwendungen sowie die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten getroffen hat.

Eine Streitwertfestsetzung ist dem Senat auf der Basis der Vergabeunterlagen, in denen die u.a. Angebote nicht enthalten sind, derzeit nicht möglich. Die Verfahrensbevollmächtigten werden um entsprechende Angaben binnen zwei Wochen gebeten.

Der Senat betont insoweit, dass die beabsichtigte Festsetzung des Streitwertes keine Stellungnahme zu dem Problem beinhaltet, ob in diesem Beschwerdeverfahren Gerichtskosten erhoben werden können.

Die Beschwerde ist - nach der damaligen Rechtslage zu Recht - vor dem Landessozialgericht eingelegt worden. Infolge des § 207 SGG, eingefügt durch Art. 2 Nr. 5 des Arzneimittelneuordnungsgesetzes vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I .S. 2262,2271) ist das Beschwerdeverfahren kraft Gesetzes auf das Oberlandesgericht übergegangen. Insoweit liegt eine seltene Ausnahme von dem Grundsatz vor, dass sich die Zulässigkeit des Rechtsweges nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Antrages richtet und nachträgliche Änderungen an der Zuständigkeit des zu Recht angerufenen Gerichts nichts ändern. Nach der Rechtsprechung des BSG (NZBau 2010, 777) fielen im vergaberechtlichen Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht keine Gerichtskosten an. Ob in einem derartigen Fall hinsichtlich der Gerichtskosten zu gewähren ist, ist unklar (vgl. auch Gabriel/Weiner, NZS 2010, 423). Denkbar wäre eine (analoge) Anwendung des § 71 Abs. 2 GKG. Gegebenenfalls wäre zu klären, ob - anders als noch BVerfGE 11, 139 angenommen hat - nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG zur unechten Rückwirkung (vgl. NJW 2010, 3629 ff.) jedenfalls für einen gewissen Zeitraum aus verfassungsrechtlichen Gründen Vertrauensschutz zu gewähren ist. Einer weiteren Stellungnahme enthält sich der Senat, weil zum einen zuvor der Justizfiskus angehört werden müsste und weil er nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts für etwaige Erinnerungen gegen Gerichtskostenfestsetzungen nicht zuständig ist.

S. F. L.






OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 13.04.2011
Az: VII-Verg 4/11


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