Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 29. Juli 1999
Aktenzeichen: 3 Ws 407/99

(OLG Hamm: Beschluss v. 29.07.1999, Az.: 3 Ws 407/99)

Tenor

Der angefochtene Beschluß wird insoweit aufgehoben, als er

die Auskunftserteilung von Verbindungsdaten für den Zeit-

raum vom 1. Juni 1999 bis zum 10. August 1999 anordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der der

Beschwerdeführerin insoweit erwachsenen notwendigen Aus-

lagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

Die Strafkammer hat mit dem angefochtenen Beschluß vom 1. Juni 1999 folgendes angeordnet:

In der Zeit bis zum 10. August 1999 einschließlich ist auf

entsprechendes Verlangen der Ermittlungsbehörden jeweils

rückwirkend für die vorangegangenen Zeiträume eine Auskunft

der Fa. E3, ...... N über den Fernmeldeverkehr zu

erteilen, soweit dieser seit dem 22. Dezember 1998 (Tages-

beginn) bis zum Vortag des jeweiligen Auskunftsersuchens

über das Verbindungsnetz der Fa. E3 bzw. das vormalige

"...#-Netz" der E2 AG über den Fernmeldean-

schluß

......#/......(Anschlußinhaber S)

abgewickelt worden ist.

Gegen diesen Beschluß wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde vom 4. Juni 1999, insoweit, als die Auskunftserteilung über Verbindungsdaten für die Zeit vom

1. Juni 1999 bis zum 10. August 1999 in Rede steht. Sie macht mit näheren Ausführungen geltend, daß für eine derartige Anordnung über den Zeitpunkt der Beschlußfassung durch die Strafkammer hinausgehend, d.h. für die Zeit ab 1. Juni 1999, eine Rechtsgrundlage nicht bestehe.

Die Beschwerde erweist sich als zulässig und begründet.

Die Beschwerdeführerin ist als Telekommunikationsnetzbetreiberin Adressatin des angefochtenen Beschlusses und somit "andere Person" d.h. Betroffene i.S.d. § 304 Abs. 2 StPO (Beck'scher TKG-Kommentar/Ehmer, § 88 TKG Randziffer 31; Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Gesetz über Fernmeldeanlagen-Lampe § 12 Randziffer 20 f). Da die Beschwerdeführerin geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt, ist sie nach § 85 Abs. 2 TKG zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses - Art. 10 GG - verpflichtet. Damit obliegt ihr, auf die Wahrung dieses Grundrechts einschließlich seiner Einschränkungen zu achten. Insoweit hat sie nach allgemeiner Meinung zwar kein uneingeschränktes Recht zur Nachprüfung der rechtlichen Voraussetzungen für eine gerichtliche Anordnung, so z.B. dann nicht, wenn es um die Frage des Verdachts gegen den Beschuldigten geht. Sie ist aber befugt, im Beschwerdewege das Vorliegen der formellen Voraussetzungen einer gerichtlichen Auskunfts- oder Herausgabeanordnung überprüfen zu lassen (vgl. LG Bremen, 14 Qs 133/99, Beschluß vom 12. April 1999 unter Bezug auf die zu §§ 100 a, 100 b StPO vertretenen Lehrmeinungen: SK-Rudolphi, § 100 b StPO Randziffer 6 i.V.m. § 100 Randziffer 6 m.w.N.). Da mit der vorliegenden Beschwerde lediglich geltend gemacht wird, daß für die Folgezeit ab Beschlußfassung durch das Landgericht (ab

1. Juni 1999) § 12 FAG keine Ermächtigungsgrundlage für die getroffene Anordnung darstelle, erweist sich die Beschwerde somit als zulässig. Hierauf hat auch keinen Einfluß, daß zwischenzeitlich bis zur Senatsentscheidung weiterer Zeitablauf eingetreten ist.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Anordnung auf Auskunftserteilung durch die Strafkammer für die Zeit vom 1. Juni 1999 bis zum 10. August 1999 erweist sich als rechtswidrig. Die spezielle gesetzliche Ermächtigungsnorm des § 12 FAG, die den Eingriff in das Grundrecht des Art. 10 Abs. 1 GG erlaubt, rechtfertigt die Auskunftsanordnung für den genannten Zeitraum nicht. Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 12 FAG "In strafrechtlichen Untersuchungen kann der Richter ... Auskunft über die Telekommunikation verlangen, wenn die Mitteilungen an den Beschuldigten gerichtet waren oder wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß die Mitteilungen von dem Beschuldigten herrührten oder für ihn bestimmt waren ..." ergibt sich, daß diese Vorschrift nur zur Anordnung einer Auskunftserteilung über solche Telekommunikationsvorgänge ermächtigt, die bereits zum Zeitpunkt der Anordnung stattgefunden haben. § 12 FAG bietet entgegen der Auffassung der Strafkammer keine Ermächtigungsgrundlage für eine Auskunftserteilung über Gesprächsverbindungen, die erst zukünftig, also nach der gerichtlichen Anordnung aufgezeichnet und gespeichert werden. Dies entspricht allgemein herrschender Meinung (Erbs/Kohlhaas-Lampe, a.a.O., § 12 Randziffer 12; Beck'scher TKG-Kommentar/Ehmer, § 88 Randziffer 18 m.w.N.; LG Bremen, 14 Qs 133/99 vom 12. April 1999; LG Aschaffenburg Qs 8/99 Beschluß vom 12. Februar 1999). Daher ist die Anordnung der Strafkammer, wonach auf entsprechendes künftiges Verlangen der Ermittlungsbehörden jeweils Auskunft über den Fernmeldeverkehr für dann bereits zurückliegende Zeiträume verlangt wird, nicht durch § 12 FAG gedeckt.

Entgegen der Auffassung im angefochtenen Beschluß handelt es sich bei dem Erfordernis, daß zum Zeitpunkt der Anordnung der Auskunftserteilung die entsprechende Telekommunikation bereits stattgefunden haben muß, auch nicht um bloße Förmelei. Erforderlich ist, daß im Zeitpunkt der Anordnung das Vorliegen der gesamten Voraussetzungen nach § 12 FAG vom Gericht und bei Gefahr im Verzug von der Staatsanwaltschaft zu prüfen ist. Mag es im konkreten Fall auch nicht naheliegen, daß der Verdacht gegen den Angeklagten T, der ein umfassendes Geständnis abgelegt hat, sich derart verringert hätte, daß Maßnahmen nach § 12 FAG nicht geboten wären, so ist doch nicht gänzlich ausgeschlossen, daß der Angeklagte T entsprechend seiner Ankündigung seinem Leben ein Ende gesetzt hätte und somit weitere Überwachungsmaßnahmen nicht gerechtfertigt wären. Die Prüfung dieser Frage obliegt dem Gericht vor einer entsprechenden Anordnung über stattgefundene Telekommunikation.

Der gegenteiligen Auffassung des Landgerichts München (NStZ-RR 99/85 f), wonach § 12 FAG auch zur Auskunftserteilung über solche Gesprächsverbindungsdaten ermächtige, die in der Zukunft liegend, erst nach Beschlußfassung aufgezeichnet und gespeichert werden, vermag demgegenüber nicht zu überzeugen. Das Landgericht München stellt darauf ab, daß die Vergangenheitsform im Wortlaut des § 12 FAG dadurch bedingt sei, daß Telekommunikationsvorgänge, über die - nach Speicherung - Auskunft erteilt werden solle, notwendigerweise in der Vergangenheit geschehen sein müssen. Auskunft könne nur über stattgefundene Ereignisse erteilt werden, nicht aber über Vorfälle in der Zukunft. Dabei wird übersehen, daß der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 12 FAG die Auslegung, daß die Gesprächsverbindungsdaten erst zum Zeitpunkt der Auskunftserteilung, nicht aber schon zum Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung der Auskunftserteilung angefallen sein müssen, nicht zuläßt. Eingriffe in künftigen Fernmeldeverkehr sind vielmehr nur unter den erheblich strengeren Voraussetzungen des § 100 a StPO zulässig, die indessen - auch nach Auffassung der Strafkammer - vorliegend nicht gegeben sind. Hätte der Gesetzgeber ähnlich wie bei § 100 a StPO auch Anordnungen betreffend zukünftigen Fernmeldeverkehr mit § 12 FAG ermöglichen wollen, so hätte es nahegelegen, bei Änderung des § 12 FAG am 25. Juli 1996 nicht nur das Wort "Fernmeldeverkehr" durch "Telekommunikation" zu ersetzen und im übrigen zu bestimmen, daß mit dieser Vorschrift das Grundrecht des Art. 10 des Grundgesetzes eingeschränkt wird. Vielmehr wäre dann auch die durchgängig benutzte Vergangenheitsform geändert worden.

Nach alledem erweist sich die von der Strafkammer getroffene Auskunftsanordnung, soweit sie den Zeitraum ab 1. Juni 1999 bis zum 10. August 1999, als rechtswidrig. Der angefochtene Beschluß war insoweit mit der Kostenfolge aus § 473 StPO aufzuheben.






OLG Hamm:
Beschluss v. 29.07.1999
Az: 3 Ws 407/99


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