Bundespatentgericht:
Urteil vom 22. Dezember 2009
Aktenzeichen: 4 Ni 47/08

(BPatG: Urteil v. 22.12.2009, Az.: 4 Ni 47/08)

Tenor

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung hinsichtlich der Kosten in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents DE 197 24 857 (Streitpatent), das am 12. Juni 1997 angemeldet worden ist. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Herstellung von Kunststoff-Wellrohren und umfasst in der erteilten Fassung 16 Ansprüche, die insgesamt angegriffen sind. Die Ansprüche 1 und 6 lauten wie folgt:

Wegen der weiter angegriffenen und unmittelbar oder mittelbar auf die Ansprüche 1 beziehungsweise 6 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 5 und 7 bis 16 wird auf die Streitpatentschrift DE 197 24 857 C1 Bezug genommen.

Die Klägerin behauptet, der Gegenstand des Streitpatents sei weder neu noch beruhe er auf erfinderischer Tätigkeit. Zur Begründung trägt sie vor, Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents seien im Stand der Technik zum Anmeldezeitpunkt entweder bereits bekannt gewesen oder sie ergäben sich in naheliegender Weise aus dem seinerzeitigen Stand der Technik. Vorrichtungen mit den Merkmalen des Anspruchs 6 des Streitpatents seien ebenfalls im Stand der Technik zum Anmeldezeitpunkt bereits bekannt gewesen. Hierzu beruft sie sich auf folgende Druckschriften:

D1 JP 54-001375 mit englischem Abstract (D1b) und englischer Übersetzung

(D1c)

D2 WO 95/21051 A1 D3 EP 0 007 556 A1 Die Klägerin beantragt, das Patent DE 197 24 857 in vollem Umfang für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise mit der Maßgabe, das Patent mit den Ansprüchen gemäß Hilfsantrag 1, weiter hilfsweise mit den Ansprüchen gemäß Hilfsantrag 2 (beide Hilfsanträge gemäß Schriftsatz vom 30. April 2009, Blatt 94 bis 99 der Gerichtsakte) aufrecht zu erhalten.

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und ist der Ansicht, das Streitpatent sei patentfähig.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Gegenstand des Streitpatents ist sowohl hinsichtlich des Verfahrensanspruchs 1 als auch des Vorrichtungsanspruchs 6 in der erteilten Fassung neu und beruht gegenüber dem maßgeblichen Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass ein Nichtigkeitsgrund nicht gegeben ist (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 4 PatG). Die abhängigen Unteransprüche 2 bis 5 und 7 bis 16 haben mit Patenanspruch 1 beziehungsweise Patentanspruch 6 Bestand. Auf die Hilfsanträge kommt es daher nicht an.

1.

Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Kunststoff-Wellrohren, insbesondere solcher mit einem großen Außendurchmesser, etwa im Bereich von 1 bis 2 Metern, wobei eine Kunststoffmasse mittels einer Extrusionseinrichtung in eine durch bewegliche Formbacken gebildete Formstrecke geleitet und dort durch äußeren Unterdruck und/oder inneren Überdruck formgebend zur Anlage gebracht wird (Spalte 1, Zeilen 3 bis 11). Daneben betrifft das Streitpatent eine Vorrichtung zur Herstellung solcher Kunststoff-Wellrohre mit großem Außendurchmesser mit einer Extrusionseinrichtung, die mit mindestens einem Spritzkopf verbunden ist und der eine Formstrecke mit beweglichen Formbacken zugeordnet ist (Spalte 1, Zeilen 11 bis 16). Die Anwendung der Erfindung soll dabei nicht auf die Herstellung einschichtiger Wellrohre beschränkt sein, sondern kann grundsätzlich auch bei der Herstellung mehrschichtiger Rohre, bei denen zusätzlich zu wenigstens einer gewellten Schicht noch eine glatte Innenund/oder Außenhaut vorhanden ist, Verwendung finden (Spalte 1, Zeilen 16 bis 24). Nach der Beschreibung des Streitpatents ist bei den im Stand der Technik bekannten Vorrichtungen die Formstrecke stets horizontal orientiert, was den maximalen Außendurchmesser limitiere, da beim Ausformvorgang durch äußeren Unterdruck bzw. inneren Überdruck insbesondere im oberen Abschnitt oder im oberen Drittel des herzustellenden Rohrs infolge der dicker werdenden Wandstärke immer mehr Kunststoffmasse in die Formbacken geblasen oder gesaugt werden müsse, was nicht nur höhere Druckbzw. Saugkräfte erfordere, sondern auch eine reduzierte Extrusionsgeschwindigkeit bedinge (Spalte 1, Zeilen 25 bis 43). Daneben seien bei dieser Methode die Wellenabstände benachbarter Wellen nach unten begrenzt und eventuelle Leckagen würden auf Grund der relativ großen Dimensionen der Kunststoff-Wellrohre bei Anwendung einer Druckkalibrierung immer größer und blieben wegen der relativ geringen Extrusionsgeschwindigkeit auch länger erhalten (Spalte 1, Zeilen 43 bis 60). Derartige Vorrichtungen seien etwa aus der Patentschrift DE 36 22 775 C2 und der Offenlegungsschrift DE 31 20 480 A1 bekannt (Spalte 1, Zeile 61, bis Spalte 2, Zeile 27). In dem englischsprachigen Abstract zur Druckschrift JP 59-131.433 (Anlage D1b) werde hingegen ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Herstellung von perforierten Rohren bzw. Rippenrohren erläutert, bei dem eine Extrusion lotrecht nach unten erfolgt (Spalte 2, Zeilen 28 bis 35). Die Auslegungsschrift DE-AS 10 39 741 offenbare eine Vorrichtung zur Feinbearbeitung von Kunststoffsträngen, die Auslegungsschrift DE-AS 12 80 552 eine Vorrichtung zum kontinuierlichen Herstellen von Querrillen u. ä. auf einem Rohr aus Thermoplasten und die Auslegungsschrift DE-AS 12 48 913 eine Vorrichtung zur Herstellung gewellter Kunststoffrohre (Spalte 2, Zeile 27, bis Spalte 3, Zeile 17).

2.

Vor diesem Hintergrund macht sich das Streitpatent zur Aufgabe, ein Verfahren und eine Vorrichtung der genannten Art zu schaffen, mittels derer die Extrusion von Kunststoff-Wellrohren großen Außendurchmessers bei relativ hoher Geschwindigkeit realisierbar ist und wobei gleichzeitig Leckagen entlang der Formstrecke auf einfache Weise verhindert werden (Spalte 3, Zeilen 22 bis 28).

a) Diese Aufgabe wird hinsichtlich des Verfahrens durch die im erteilten Patentanspruch 1 angegebenen Merkmale gelöst. In gegliederter Fassung lautet dieser Anspruch wie folgt:

a) Verfahren zur Herstellung von Kunststoff-Wellrohren, insbesondere von Wellrohren mit einem großen Außendurchmesser von größenordnungsmäßig 1 bis 2 Metern, b) wobei eine Kunststoffmasse mittels einer Extrusionseinrichtung (12) durch einen Spritzkopf (16) in eine durch bewegliche Formbacken (24, 26, 28) gebildete Formstrecke (30) geleitet wird.

c) In der Formstrecke wird durch äußeren Unterdruck und/oder durch inneren Überdruck die Kunststoffmasse formgebend zur Anlage gebracht.

d) Die Kunststoffmasse wird durch wenigstens einen lotrecht angeordneten Spritzkopf (16) nach unten in eine lotrecht vorgesehene Formstrecke (30) geleitet, in welcher die Formung der Kunststoff-Wellrohre erfolgt, e) wobei die Formstrecke (30) von übereinander vorgesehenen Formbacken-Paaren (24, 26, 28) gebildet wird.

f) Die Formbacken-Paare werden mittels zugehöriger Antriebseinrichtungen (46) wiederholt ausgehend von einer Ausgangsposition in radialer Richtung (38) aufeinander zu, danach in axialer Richtung (32) der Formstrecke (30) nach unten, anschließend radial voneinander weg (Pfeil 34) und daran anschließend axial nach oben (Pfeil 36) in die Ausgangsposition zurückverstellt.

3. Der Senat legt dem erteilten Patentanspruch 1 folgendes Verständnis zu Grunde:

Gemäß dem Wortlaut des Anspruchs betrifft das streitpatentgemäße Verfahren "insbesondere" die Herstellung von relativ großen Wellrohren mit einem Außendurchmesser von größenordnungsmäßig 1 bis 2 Metern. Dies ist aber nicht zwingend, d. h. das Verfahren ist für die Herstellung aller Wellrohre, also auch kleinerer Wellrohre, vorgesehen.

Als wesentlich ist insbesondere das Merkmal f anzusehen. Demnach werden die Formbacken-Paare mittels zugehöriger Antriebseinrichtungen wiederholt ausgehend von einer Ausgangsposition in radialer Richtung aufeinander zu, danach in axialer Richtung der Formstrecke nach unten, anschließend radial voneinander weg und daran anschließend axial nach oben in die Ausgangsposition zurückverstellt. Dem Fachmann, einem Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Kunststofftechnik mit besonderen Kenntnissen auf dem Gebiet der Wellrohrherstellung, erschließt sich bereits durch diese Formulierung, spätestens jedoch in Verbindung mit der zeichnerischen Darstellung gemäß den Figuren 2 bis 4, dass hier jedes einzelne Formbackenpaar eine Mehrzahl von Antriebseinrichtungen aufweist, nämlich zumindest eine Antriebsvorrichtung für jede Formbackenhälfte, damit der in Spalte 6, Zeilen 54 bis 65, beschriebene, simultan passende Bewegungsablauf für jedes Formbackenpaar mit seinen zwei Formbackenhälften verwirklicht werden kann.

Weiterhin ist der beschriebene, von einer bestimmten Ausgangsposition beginnende, sich mehrfach wiederholende Bewegungsablauf der einzelnen Formbackenpaarhälften als wesentlich anzusehen. Durch die klare Aneinanderreihung der Schrittfolgen für die Bewegung der einzelnen Formbackenpaarhälften, nämlich zunächst in radialer Richtung aufeinander zu, danach in axialer Richtung der Formstrecke nach unten, anschließend radial voneinander weg und daran anschließend axial nach oben in die Ausgangsposition, wird deutlich, dass dadurch einerseits ein klarer zeitlicher Ablauf beschrieben wird. Insbesondere belegen die Worte "danach" und "anschließend", dass die einzelnen Schrittfolgen unmittelbar aufeinanderfolgen, ohne dass weitere Zwischenschritte oder Unterbrechungen vorhanden wären. Andererseits enthält dieses Merkmal auch die eindeutigen Richtungsangaben "axial" und "radial", die der Fachmann bei dem beschriebenen zylinderförmigen Formtunnel unmissverständlich als genau parallel zur Formtunnelachse bzw. als entlang des Radius und somit senkrecht zur axialen Richtung verlaufend versteht. Somit entsteht durch die ausschließlich axialen und radialen Bewegungsschritte, ausgehend von der bestimmten Ausgangsposition, eine simultan übereinstimmende Rechteckbewegung jeder der einzelnen Formbackenpaare, bei der die Ausrichtung der einzelnen Formbackenhälften während ihres Umlaufs jeweils gleich bleibt.

Diese nach Überzeugung des Senats einzig mögliche Auslegung des Merkmals f des Patentanspruchs 1 (Hauptantrag) im Sinne der simultan übereinstimmenden Rechteckbewegung jeder der einzelnen Formbackenpaare, bei gleichbleibender Ausrichtung der einzelnen Formbackenhälften, findet bereis ihren Niederschlag durch den Verweis im Patentanspruch 1 auf die in der Figur 1 gezeigten Pfeile 34 bzw. 36, welche die axiale und radiale Richtung im Sinne des Streitpatents definieren und auf diese Weise dem Fachmann die unmissverständliche Rechteckbewegung der einzelnen Formbackenhälften vorgeben. Auch alle diesbezüglichen Erläuterungen in der Beschreibung sowie die einzelnen Ausführungsbeispiele lassen ausschließlich diese simultan passende klare Rechteckbewegung der Formbackenhälften erkennen (z. B. Spalte 6, Zeilen 54 bis 66, oder Spalte 3, Zeilen 29 bis 43) und geben daher auch keinen Anlass für eine anderweitige Auslegung.

4. Der unabhängige Patentanspruch 6 betrifft die vorrichtungstechnische Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe, d. h. eineaa) Vorrichtung zur Herstellung von Kunststoffwellrohren, insbesondere von Wellrohren mit einem großen Außendurchmesser von größenordnungsmäßig 1 bis 2 Metern, bb) mit einer Extrusionseinrichtung (12), die mit mindestens einem Spritzkopf (16) verbunden ist, dem eine Formstrecke (30) mit beweglichen Formbacken (24, 26, 28) zugeordnet ist.

cc) Der wenigstens eine Spritzkopf (16) und die Formstrecke (30) sind lotrecht angeordnet, dd) wobei die Formstrecke (30) mindestens zwei Formbackenpaare (24, 26, 28) aufweist, die axial übereinander vorgesehen sind, ee) wobei jedem Formbacken-Paar (24, 26, 28) zur Verstellung der entsprechenden beiden Formbacken (24, 26, 28) in radialer Richtung (34, 38) und in axialer Richtung (32, 36) eine Antriebseinrichtung (46) zugeordnet ist.

Die Merkmale aa bis dd entsprechen hierbei sinngemäß den Merkmalen a, b, d und e des Verfahrensanspruchs, so dass diesbezüglich auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden kann.

Das Merkmal ee beschreibt im Wesentlichen die vorrichtungstechnische Lösung der im Merkmal f des Anspruchs 1 unter Schutz gestellten simultan übereinstimmenden Rechteckbewegung jeder der einzelnen Formbackenpaare bei gleichbleibender Ausrichtung der einzelnen Formbackenhälften. Dabei ist die Formulierung, wonach jedem einzelnen Formbackenpaar zur Verstellung der beiden Formbacken in radialer Richtung und in axialer Richtung eine Antriebsvorrichtung zugeordnet ist, in Übereinstimmung mit der Auslegung der Verfahrensansprüche nach Überzeugung des Senats nur so zu verstehen, dass auch hier die Formbackenhälften ausschließlich in rein radialer und rein axialer Richtung bewegt werden, so dass die vorstehend beschriebene simultan übereinstimmende Rechteckbewegung für jedes Formbackenpaar verwirklicht werden kann. Hierzu ist jedem einzelnen Formbackenpaar eine eigene Antriebsvorrichtung zugeordnet, worunter nach den Ausführungen in Spalte 6, Zeilen 54 bis 65, der Streitpatentschrift auch eine einen eigenen Antrieb für die linke Formbackenhälfte und einen simultan dazu arbeitenden Antrieb für die rechte Formbackenhälfte umfassende Antriebsvorrichtung verstanden werden kann. Auf diese Weise kann auch der in Spalte 5, Zeilen 3 bis 13, der Streitpatentschrift beschriebene einfache und schnelle Austausch aller Formbackenpaare verwirklicht werden.

5. Der Senat konnte nicht feststellen, dass das unstrittig gewerblich anwendbare streitpatentgemäße Verfahren zur Herstellung von Wellrohren nach den geltenden Patentansprüchen 1 bis 5 gemäß Hauptantrag gegenüber dem angeführten Stand der Technik nicht patentfähig ist.

a) Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Erfindung des Streitpatents nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht neu ist.

Die Druckschrift JP 54-001375 (D1, in englischer Übersetzung Anlage D1c) zeigt zwei Ausführungen von Vorrichtungen zum Herstellen von Kunststoffwellrohren, wobei bei beiden jeweils eine Kunststoffmasse (T) mittels einer Extrusionseinrichtung (extruder 1) durch einen Spritzkopf (die 3) in eine durch bewegliche Formbacken gebildete Formstrecke geleitet wird (Merkmale a und b). Um die Formmasse an die Formbacken anzudrücken, wird in der Formstrecke ein Überdruck (air for internal pressure -Seite 5, Zeilen 28 bis 37) in den Innenraum des Rohrs über einen zentralen Dorn (7) zugeführt (Merkmal c -eine der drei Alternativen).

Während die Figuren 1 und 2 horizontal angeordnete Extrusionsvorrichtungen zeigen, ist die in Figur 3 gezeigte Extrusionseinrichtung zumindest weitgehend vertikal ausgerichtet, wobei das Bezugszeichen 3 (crosshead die) ein Querspritzkopf oder Winkelspritzkopf ist, dessen Austrittsöffnung vertikal angeordnet ist, so dass die Kunststoffmasse (T) nach unten in eine lotrecht vorgesehene Formstrecke geleitet wird, in welcher die Formung der Kunststoff-Wellrohre erfolgt. Deshalb ist bei dem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 3 nach der Druckschrift D1 auch das Merkmal d des Patentanspruchs 1 des Streitpatents erfüllt.

Die Formstrecke wird gemäß dem Ausführungsbeispiel nach Figur 3 der Druckschrift D1 von mehreren übereinander vorgesehenen Formbacken-Paaren gebildet, wobei für die linken und rechten Formbackenhälften jeweils separate Antriebseinrichtungen vorgesehen sind, nämlich jeweils eine schleifenförmig umlaufende Ketteneinrichtung, an denen die linken bzw. die rechten Formbackenhälften befestigt sind. Der Antrieb beider Ketteneinrichtungen erfolgt mittels eines gemeinsamen Antriebsmotors (20) über angetriebene Kettenzahnräder, so dass die an der Kette befestigten Formbackenhälften der rechten bzw. linken Seite gemeinsam entlang der von den beiden Ketten vorgegebenen Umlaufbahnen transportiert werden. Dies führt dazu, dass jede der einzelnen Formbackenhälften zwar auch in radialer Richtung aufeinander zu, in axialer Richtung der Formstrecke nach unten, sowie axial nach oben transportiert wird, allerdings nicht in der vom Streitpatent offenbarten Rechteckbewegung unter Beibehaltung der Ausrichtung der jeweiligen Formbackenhälfte. Vielmehr hat die Befestigung der Formbackenhälften an einer Transportkette zwangsläufig die Folge, dass -nach der radialen Bewegung aufeinander zu -die jeweiligen Formbackenhälften jeweils um das jeweilige Kettenzahnrad 14 bzw. 17 entlang einem Viertelkreisbogen transportiert werden, wobei sie um 90¡ geschwenkt werden, so dass die beiden Formbackenhälften unter Ausbildung des Formhohlraums aneinanderliegen. Anschließend werden die beiden Formbackenhälften in axialer Richtung der Formstrecke nach unten entlang der Längsseite eines Rahmens (support frame 11, 11A) bewegt, bis sie zunächst unter einem spitzen Winkel zur axialen Richtung schräg nach unten, dann entlang eines Kreisbogenabschnitts jeweils entlang einem weiteren Kettenrad 15 bzw. 18 und schließlich unter einem spitzen Winkel zur axialen Richtung schräg nach oben transportiert werden. Wie die Figur 2 der Druckschrift D1 erkennen lässt, ändert sich dabei sowohl bei den schräg, unter einem spitzen Winkel zur axialen Richtung verlaufenden, als auch bei dem kreisbogenförmigen Transportbahnabschnitten jeweils die Ausrichtung der einzelnen Formbackenhälften. Schließlich werden die einzelnen Formbackenhälften in axialer Richtung nach oben transportiert, bevor sie um das jeweilige Kettenzahnrad 13 bzw. 16 entlang einem Viertelkreisbogen transportiert und dabei geschwenkt werden, um wieder die Ausgangsposition zu erreichen.

Die Druckschrift D1 gibt somit mit ihren Kettenumlaufantrieben -entgegen der Auffassung der Klägerin -ein völlig andersartiges Bewegungsmuster für die Formbackenhälften an, als es das Merkmal f des Streitpatents im Sinne einer simultan passenden Rechteckbewegung jeder der einzelnen Formhälften vorgibt. Das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 ist daher gegenüber dieser Druckschrift neu.

Die Entgegenhaltung D2 zeigt eine Vorrichtung zum Herstellen von Kunststoffwellrohren, bei der die Kunststoffmasse in einer waagerechten Formstrecke mit oberen und unteren Formhälften durch äußeren Unterdruck zur Anlage gebracht wird. Im Übrigen ist diese Vorrichtung -wie die Klägerin selbst einräumt -völlig gleich aufgebaut wie die der Druckschrift D1 und kann daher hinsichtlich des Merkmals f keinen zusätzlichen Beitrag geben. Daher ist das Verfahren nach dem erteilten Patentanspruch 1 auch gegenüber dem Inhalt der Druckschrift D2 neu.

Die Entgegenhaltung D3 zeigt eine Vorrichtung zum Herstellen von Kunststoffwellrohren, wobei eine Kunststoffmasse mittels einer Extrusionseinrichtung durch einen Spritzkopf (15) in eine durch bewegliche Formbacken gebildete Formstrecke geleitet wird (Merkmale a und b). Um die Formmasse an die Formbacken anzudrücken, wird gemäß den Ausführungen auf Seite 13, Zeilen 19 bis 33, in der Formstrecke durch äußeren Unterdruck die Kunststoffmasse formgebend zur Anlage gebracht (Merkmal c). Gemäß Figur 1 ist der Spritzkopf (15) vertikal ausgerichtet, so dass die Kunststoffmasse nach unten in eine lotrecht vorgesehene Formstrecke geleitet wird, in welcher die Formung der Kunststoff-Wellrohre erfolgt (Merkmal d). Die Formstrecke wird gemäß Figur 1 von mehreren übereinander vorgesehenen Formbacken-Paaren (2, 3) gebildet (Merkmal e).

Der Antrieb der Formbacken erfolgt innerhalb der Formstrecke in vertikaler Richtung über ein Antriebsrad (7), das über eine Welle (8) mit einem Antriebsritzel (9) drehfest verbunden ist, welches in an der Unterseite der Formhälften ausgebildete Zähne eingreift. Dadurch werden die Formhälften innerhalb der Formstrecke in axialer Richtung weitergeschoben. Am hinteren Ende (14) der Formstrecke (12) ist eine Keilplatte (17) angeordnet, die mit Schrägflächen (18) der Formabschnittshälften (2, 3) derart zusammenwirkt, dass die Formabschnittshälften (2, 3) eines Formabschnittes beim Auftreffen auf die Keilplatte (17) quer zur Bewegungsrichtung (4) auseinandergeschoben werden. An den den Anlageflächen entgegen gesetzten Außenseiten der Formabschnittshälften (2, 3) sind Spannprismen (19) angebracht, an die jeweils eine Rückführungsvorrichtung angekoppelt werden kann, welche die Formabschnittshälften (2, 3) entlang der Bewegungsbahn (26) zurückführt.

Diese Bewegungsbahn weist ausweislich der Figur 1 und den Ausführungen auf Seite 7 neben den beiden axial nach oben bzw. nach unten gehenden Abschnitten 26 bzw. 33 am oberen bzw. unteren Ende kreisabschnittförmig gekrümmte Abschnitte 22, 26' sowie geradlinige, jedoch unter einem spitzen Winkel zur Bewegungsbahn 4 verlaufende Abschnitte auf. Ähnlich wie die Schrift D1 zeigt daher auch die Entgegenhaltung D3 keine Rechteckbewegung für die einzelnen Formhälften im Sinne des Merkmals f des Streitpatents, weshalb auch diese Schrift dem erteilten Patentanspruch 1 nicht neuheitsschädlich entgegensteht.

b) Die Klägerin vermochte den Senat auch nicht davon zu überzeugen, dass das Verfahren zur Herstellung von Wellrohren nach dem Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin führen die Entgegenhaltungen D1, D2 und D3 den Fachmann weder je für sich alleine noch in Kombination untereinander zum streitpatentgemäßen Verfahren. Nachdem gemäß den vorstehenden Ausführungen zur Neuheit die Druckschriften D1 und D2 mit dem gemeinsamen Kettenantrieb für sämtliche Formbackenhälften eine im Vergleich mit Merkmal f des Streitpatents völlig andersartige Antriebsart und Antriebsweise aufweisen, können diese für sich gesehen den Fachmann nicht dazu anregen, das lange bekannte und bewährte Prinzip des Kettenantriebs zu verlassen.

Als einzige der im Verfahren befindlichen Druckschriften hat die Schrift D3 ein Verfahren zur Herstellung von Wellrohren zum Inhalt, das den Fachmann anleitet, auf die Verwendung von Kettenantrieben zu verzichten und einen Umlauf für die Formbackenhälften unter Beibehaltung ihrer Ausrichtung zu verwirklichen.

Anders als beim streitpatentgemäßen Verfahren weist jedoch die Bewegungsbahn der einzelnen Formbackenpaare nach diesem Verfahren ausweislich der Figur 1 sowie den Ausführungen auf Seite 7 der Druckschrift D3 neben den beiden axial nach oben bzw. nach unten gehenden Abschnitten 26 bzw. 33 am oberen bzw. unter Ende kreisabschnittförmig gekrümmte Abschnitte 22, 26' sowie geradlinige, jedoch unter einem spitzen Winkel zur Bewegungsbahn 4 verlaufende Abschnitte auf. Gemäß den Ausführungen auf Seite 7, Absatz 2, bis Seite 8, Absatz 1, der Schrift D3 werden die Formabschnittshälften am unteren Ende der Formstrecke getrennt, indem dort eine Keilplatte 17 angeordnet ist, die mit an den Formabschnittshälften angeordneten Schrägflächen zusammenwirkt und die Formabschnittshälften auseinander schiebt, weshalb die Formabschnittshälften dort entlang dem von der Keilplatte vorgegebenen spitzen Winkel schräg nach unten bewegt werden. Auch die kreisabschnittförmig gekrümmten Abschnitte 22, 26' sind nach den Ausführungen auf Seite 6, letzter Absatz, notwendig, um die beiden an der rückwärtigen Stirnseite 23 noch gegen die vorderen Stirnseiten 24 der nachfolgenden Formabschnittshälften anliegenden Formabschnittshälften zu trennen.

Die Entgegenhaltung D3 vermittelt somit dem Fachmann, dass sowohl der im spitzen Winkel zur axialen Richtung verlaufende Bewegungsabschnitt, als auch zumindest die am unteren Ende kreisabschnittförmig gekrümmten Abschnitte 22 unbedingt erforderlich sind, um die Formen zu trennen. Aus diesem Grund kann diese Schrift für sich gesehen den Fachmann auch nicht dazu anleiten, auf diese schräg und kreisabschnittsförmig gekrümmten Bahnabschnitte zu verzichten und die Formbackenhälften ausschließlich in rein radialer und rein axialer Richtung in Form einer Rechteckbewegung zu bewegen.

Auch eine Kombination der Druckschriften D1 und D3 führt entgegen der Auffassung des Klägers nicht zum streitpatentgemäßen Verfahren. Die Entgegenhaltung D3 vermittelt dem Fachmann die technische Lehre, dass sowohl die am oberen bzw. unteren Ende kreisabschnittförmig gekrümmten Abschnitte 22, 26', als auch die geradlinigen, jedoch unter einem spitzen Winkel zur Bewegungsbahn 4 verlaufenden Abschnitte erforderlich sind. Ausgehend davon wird der Fachmann nicht auf diese Bewegungsabschnitte verzichten und an Stelle dessen die Formbackenhälften in einer rein radialen und axialen Rechteckbewegung zurückführen, so wie es gemäß Merkmal f des Patentanspruchs 1 vorgesehen ist.

Patentanspruch 1 in der Fassung des erteilten Patents hat daher Bestand. Die auf diesen Anspruch unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Ansprüche 2 bis 5, die das Verfahren vorteilhaft weiter ausbilden, werden davon mit getragen.

6. Der Senat konnte auch nicht feststellen, dass die unstrittig gewerblich anwendbare streitpatentgemäße Vorrichtung zur Herstellung von Wellrohren nach den Patentansprüchen 6 bis 16 des erteilten Patents gegenüber dem angeführten Stand der Technik nicht patentfähig ist.

a) Die Erfindung des Streitpatents nach dem Patentanspruch 6 ist neu. Keine der von der Nichtigkeitsklägerin genannten Druckschriften weist das Merkmal ee auf, wie es sich dem Fachmann erschließt (s. o. 4.).

Die Entgegenhaltung D1 weist jeweils nur einen einzigen Antrieb (20) für die beiden Kettenumlaufeinrichtungen auf, an denen alle linken Formbackenhälften und alle rechten Formbackenhälften befestigt sind. Gleiches gilt für die Druckschrift D2.

Die Druckschrift D3 weist insgesamt nur drei Antriebseinrichtungen auf, nämlich eine Antriebseinrichtung für das Weiterschieben aller innerhalb der Formstrecke befindlichen Formbacken in vertikaler Richtung sowie die beiden Rückführungsvorrichtungen für die linken bzw. rechten Formabschnittshälften.

b) Die Klägerin vermochte den Senat auch nicht davon zu überzeugen, dass die streitpatentgemäße Vorrichtung zur Herstellung von Wellrohren nach dem Patentanspruch 6 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Wie bereits bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens nach dem Patentanspruch 1 ausgeführt ist, sind aus dem Stand der Technik keine Verfahren zur Herstellung von Kunststoff-Wellrohren mit den in Anspruch 1 des Streitpatents aufgeführten Merkmalen bekannt oder nahe gelegt, bei dem die einzelnen Formbackenpaare von einer bestimmten Ausgangsposition aus eine simultan übereinstimmende Rechteckbewegung bei einer jeweils gleichbleibenden Ausrichtung der einzelnen Formbackenhälften durchführen.

Da der auf eine Vorrichtung zur Herstellung von Kunststoffwellrohren, insbesondere von Wellrohren mit einem großen Außendurchmesser von größenordnungsmäßig 1 bis 2 Metern, gerichtete Patentanspruch 6 im Wesentlichen die vorrichtungstechnische Lösung des im Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten Verfahrens beschreibt, ist das Vorliegen der erfinderischen Tätigkeit übereinstimmend zu beurteilen. Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.

Insbesondere weisen die Druckschriften D1 und D2 mit dem gemeinsamen Kettenantrieb für sämtliche Formbackenhälften hinsichtlich des Merkmals ee eine gegenüber dem Streitpatent andersartige Antriebseinrichtung auf und können daher für sich gesehen den Fachmann nicht dazu anregen, das lange bekannte und bewährte Prinzip des Kettenantriebs zu verlassen.

Die Entgegenhaltung D3 leitet den Fachmann allenfalls an, eine Keilplatte zum Trennen der Formbackenpaare und lediglich zwei Antriebsvorrichtungen zum Zurückführen aller linken bzw. aller rechten Formbackenhälften vorzusehen. Aus diesem Grund kann auch die Schrift D3 weder für sich gesehen noch in Verbindung mit den Entgegenhaltungen D1 oder D2 den Fachmann zu der streitpatentgemäßen Vorrichtung nach Patentanspruch 6 führen, bei der jedem einzelnen Formbackenpaar eine eigene Antriebsvorrichtung zur Verstellung in radialer und axialer Richtung zugeordnet ist, so dass auf diese Weise die erfindungsgemäße simultan übereinstimmende Rechteckbewegung für jedes Formbackenpaar verwirklicht werden kann.

Die beanspruchte Lehre war auch nicht durch einfache fachübliche Erwägungen ohne weiteres auffindbar, sondern bedurfte darüber hinausgehender Gedanken und Überlegungen, die auf erfinderische Tätigkeit schließen lassen.

Der Patentanspruch 6 des erteilten Patents hat daher Bestand.

Dies gilt auch für die auf diesen Anspruch unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Ansprüche 7 bis 16. Denn diese Patentansprüche bilden die Vorrichtung nach dem Patentanspruch 6 vorteilhaft weiter aus. Sie werden daher von diesem auf Grund ihrer Rückbeziehungen getragen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.

Rauch Dr. Huber Voit Rippel Dr. Prasch Pr






BPatG:
Urteil v. 22.12.2009
Az: 4 Ni 47/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/e81992266e71/BPatG_Urteil_vom_22-Dezember-2009_Az_4-Ni-47-08




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share