Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 21. Juni 2005
Aktenzeichen: I-20 U 188/04

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 21.06.2005, Az.: I-20 U 188/04)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Kammer für Handelssa-chen des Landgerichts Kleve vom 05. November 2004 wird zurückgewie-sen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Beklagte stellt Süßigkeiten her, unter anderem "Yoghurt-Gums", "Euro Münzen" und "fresh Watermelon" in Kunststoffverpackungen zu je 200 g Inhalt. Die Vorderseiten der jeweiligen Verpackungen sind wie folgt gestaltet:

Sie weisen - besonders hervorgehoben - den Aufdruck "ohne Fett" auf. Auf der Verpackung sind die Inhaltsstoffe angegeben,

und zwar bei "Yoghurt Gums" auf der Rückseite wie folgt:

100 g enthalten im Durchschnitt:

Brennwert 1360 KJ (320 kcal)

Kohlenhydrate 77,0 g

Eiweiß 2,1 g

Fett 0,4 g

bei "Euro Münzen" und "fresh Watermelon" unmittelbar unter dem Aufdruck "ohne Fett" wie folgt:

100 g enthalten im Durchschnitt:

Brennwert 1405 KJ (331 kcal)

Kohlenhydrate 75,0 g

Eiweiß 7,0 g

Fett 0,2 g

Der Fettanteil ist darauf zurückzuführen, dass bei "Yoghurt Gums" der Grundstoff etwa 0,1 % Milchfett enthält und im Übrigen die Erzeugnisse mit Bienenwachs ummantelt sind.

Die Klägerin, der Dachverband der Verbraucherzentralen, welcher als qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, § 4 UKlaG eingetragen ist, beanstandet den Aufdruck "ohne Fett" als irreführend. Zum einen enthielten die Erzeugnisse, wenn auch in geringem Umfange, Fett, wobei die Aufklärung darüber in den Angaben über Inhaltsstoffe unerheblich sei. Zum anderen erwecke er den Eindruck, die Erzeugnisse seien gesundheitlich unbedenklich, obwohl sie in erheblichem Umfange Zucker enthielten.

Die Klage hat vor dem Landgericht, auf dessen Urteil wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, keinen Erfolg gehabt. Eine Irreführung des Verkehrs trete nicht ein. Der tatsächlich vorhandene Fettgehalt sei irrelevant, der Verkehr beziehe die Aussage "ohne Fett" nicht auch auf andere "fettmachende" Stoffe.

Ihren Anspruch verfolgt der klagende Verein mit der Berufung weiter. Sie beantragt daher,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Produkte "Yoghurt-Gums", "Euro-Münzen" und "fresh Watermelon" in Verpackungen wie nachfolgend abgebildet mit der Angabe "ohne Fett" anzubieten:

(es folgen die vorstehenden Abbildungen, jedoch schwarzweiß)

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil.

Die Berufung des klagenden Vereins hat - auch in der klarstellenden Fassung, die den Berufungsantrag dem Sprachgebrauch der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.3.2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (zukünftig Etikettierungs-Richtlinie) anpasst (diese Richtlinie unterscheidet zwischen der Etikettierung von Lebensmitteln [ Art. 2 Abs. 1] einerseits und der Werbung dafür [Art. 2 Abs. 3 lit. b)] andererseits [s. EuGH EuZW 2004, 657 - Douwe Egberts NV - unter Tz. 34]) - keinen Erfolg.

1.

Da der Unterlassungsantrag in die Zukunft gerichtet ist, besteht er nur dann, wenn das beanstandete Wettbewerbsverhalten der Beklagten zur Zeit seiner Begehung einen derartigen Anspruch begründet hat und dieser Anspruch auch auf der Grundlage der nunmehr geltenden Rechtslage noch gegeben ist (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 24.03.2005 - I ZR 131/02 - Handtuchklemmen, unter II.1. m.w.N.). Die zwischenzeitlichen Gesetzesänderungen haben in der Sache bisher zu keiner Änderung der Rechtslage geführt. Soweit möglicherweise in Zukunft eine erhebliche Rechtsänderung eintreten wird (vgl. nachfolgend unter 3.a)ee), c)ee)), ist dies im vorliegenden Verfahren noch nicht zu berücksichtigen.

2.

Der klagende Verein ist allerdings unstreitig gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 UKlaG aktivlegitimiert.

3.

In der Sache besteht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch jedoch nicht. Die beanstandete Angabe ist nicht wettbewerbsrechtlich unlauter (§ 3 UWG), denn sie ist nicht irreführend und verstößt auch nicht gegen lebensmittelkennzeichnungsrechtliche Vorschriften. Aus den gleichen Gründen besteht auch kein Anspruch aus § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG; auf die Frage, ob es sich bei den lebensmittelrechtlichen Vorschriften um Verbraucherschutzgesetze im Sinne dieser Vorschrift handelt (vgl. Palandt/ Bassenge, BGB, 64. Aufl., § 2 UKlaG Rdnr. 11), kommt es daher nicht an.

a) aa) Ob die Aussage auf der Etikettierung der Lebensmittel beanstandet werden kann, richtet sich zuvörderst nach der Etikettierungs-Richtlinie (die grundsätzlich durch die Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung in das deutsche Recht umgesetzt worden ist).

Die Richtlinie regelt vorbehaltlich ihres Art. 18 Abs. 2 abschließend die Etikettierung von Lebensmitteln (vgl. EuGH EuZW 2004, 657 - Douwe Egberts N.V. - unter Tz. 36 ff.; s. auch BGH WRP 2002, 1267 - Bodensee-Tafelwasser; BGH GRUR 2003, 628 - Klosterbrauerei). Sie sieht in Art. 2 Abs. 1 lit. a) i) vor, dass die Etikettierung nicht geeignet sein darf, den Käufer insbesondere über die Eigenschaften des Lebensmittels, namentlich über Art, Identität, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung oder Herkunft und Herstellungs- oder Gewinnungsart irrezuführen; die Richtlinien-Vorschrift ist in das deutsche Recht nicht gesondert, sondern nur in Form der allgemeinen Vorschrift des § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. b) LBMG umgesetzt worden (vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, § 17 LBMG Rdnr. 213b).

bb) Die Vorschriften über die Nährwertkennzeichnung sind letztlich nicht einschlägig.

Zwar handelt es sich bei der angegriffenen Angabe "ohne Fett" um eine nährwertbezogene Angabe im Sinne des Art. 1 Abs. 4 lit. a) der Richtlinie 90/496/EWG des Rates vom 24. September 1990 über die Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln (zukünftig Nährwertkennzeichnungs-Richtlinie) und des ihn in vereinfachter Form umsetzenden § 2 Nährwert-KennzeichnungsVO, weil sie eine Aussage in der Werbung darstellt, die erklärt, das Nahrungsmittel besitze besondere Nährwerteigenschaften, weil es Nährstoffe (zu denen Fett gehört, Art. 1 Abs. 4 lit. a) ii) der Richtlinie) in verminderter Menge bzw. nicht enthält (vgl. zu "fettarm" Zipfel/ Rathke, a.a.O., § 2 Nährwert-KennzVO Rdnr. 10). Die Vorschriften enthalten jedoch keine Regelung darüber, wann ein Lebensmittel als "ohne Fett" gekennzeichnet werden darf.

cc) Des Weiteren enthält Art. 16 der VO (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, welche insoweit am 01. Januar 2005 in Kraft getreten ist (Art. 65 Abs. 2), für Lebensmittel ein allgemeines Irreführungsverbot, welches allerdings nur vorbehaltlich besonderer Regelungen - hier der Etikettierungs-Richtlinie - gilt.

Inwieweit neben dieser EU-rechtlichen Regelung noch Raum für das Irreführungsverbot des § 17 Abs. 1 Nr. 5 lit. b) LBMG ist, bedarf keiner Entscheidung. Bedenken ergeben sich daraus, dass der Rechtsprechung des EuGH zufolge unmittelbar geltende Vorschriften des Gemeinschaftsrechts im Allgemeinen durch nationale Vorschriften nicht "wiederholt" werden dürfen (vgl. Nettesheim, in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 249 EG Rdnr. 121 m.w.N.; verneinend daher Meyer in Fezer, UWG, § 4 S-4 Rdnrn. 127, 206). Jedenfalls wäre die letztgenannte Vorschrift in Übereinstimmung mit den Regelungen der EU auszulegen und ergäbe keine weitergehenden Ansprüche.

dd) Unter diesen Umständen kann auch die allgemeine Vorschrift über Irreführungen (§ 5 UWG) nicht weiter ausgelegt werden, als es die vorgenannten EU-Regelungen gestatten (vgl. BGH GRUR 2003, 628 - Klosterbrauerei, unter II.1.; Bornkamm, in Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, § 5 UWG Rdnrn. 1.35/37/48).

ee) Weitergehende geplante Regelungen der EU über Werbung bei Lebensmitteln (vgl. den zwischen Ministerrat und Europäischem Parlament kontrovers diskutierten Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel [KOM 2003/0424 endg.], zukünftig "Vorschlag" genannt), die auch den von dem Kläger angesprochenen Problemen bei einer ausgewogenen und gesunden Ernährung teilweise Rechnung tragen sollen, sind bisher noch nicht verabschiedet worden, geschweige denn in Kraft getreten und können daher nicht berücksichtigt werden.

b) Die - herausgehobene - Angabe "ohne Fett" stellt nicht deswegen eine Irreführung des Verkehrs dar, weil die Erzeugnisse in geringem Umfange doch Fett enthalten.

Bei streng wörtlicher Auslegung trifft die Angabe allerdings nicht zu. Sie ist aber dennoch nicht zu beanstanden.

Nach den Angaben der Beklagten, denen der klagende Verein nicht widerspricht, ist der tatsächlich vorhandene Fettanteil ohne ernährungsphysiologische Wirkungen. Dementsprechend versteht der Verkehr die Aussage. Es ist für ihn irrelevant, ob das Erzeugnis überhaupt kein Fett oder Fett in für die Ernährung unerheblichem Umfange enthält. Dem Verkehr ist auch bekannt, dass Lebensmittel oft als "frei von ..." bezeichnet werden, obwohl sie den betreffenden Stoff in ganz geringem Umfange enthalten. Teilweise ist dies auch auf die Verfeinerung von Analysemethoden, die früher nicht entdeckte Stoffe zu Tage fördern, oder auf allgemeine Entwicklungen zurückzuführen, denen sich der einzelne Unternehmer nicht entgegenstemmen kann (vgl. die Fallgestaltung EuGH WRP 2000, 489 - darbo zur Angabe "naturrein"). Der Verkehr wird demgemäß die Aussage "ohne Fett" vielfach in dem Sinne "ohne Fett in ernährungsphysiologisch erheblichem Umfange" verstehen. Soweit der Verkehr die Aussage aber doch wörtlich verstehen sollte, ist die dadurch hervorgerufene Irreführung ohne Relevanz für den Verbraucher und aus diesem Grunde unschädlich (vgl. EuGH WRP 2000, 489 - darbo unter Tz. 28, BGH GRUR 2003, 628 - Klosterbrauer, unter II.3.).

Darüber hinaus wird der Fettanteil auf den Packungen nicht gänzlich verschwiegen, sondern durchaus, wenn auch abgesetzt und stark zurücktretend, angegeben. Entgegen der Auffassung des klagenden Vereins sind solche Erläuterungen in Fallgestaltungen, in denen allenfalls Teile des Verkehrs getäuscht werden können und dies keine oder nur eine geringe Relevanz aufweist, möglich (vgl. EuGH WRP 2000, 489 - darbo unter Tz. 22).

Dementsprechend weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass nach den Leitsätzen des Codex Alimentarius für die Verwendung nährwertbezogener Angaben ("Guidelines for Use of Nutrition Claims", CAC/GL 23-1997) unter 5.1 in Verbindung mit der Tabelle dazu Erzeugnisse als "Fat Free" bezeichnet werden dürfen, wenn sie - wie hier - weniger als "0,5 g per 100 g solids" enthalten. In ausdrücklichem Anschluss daran (vgl. geplanter Erwägungsgrund (4) ) ist dem oben erwähnten "Vorschlag" der EU-Kommission zufolge die Angabe "ohne Fett" zulässig (vgl. Anhang Stichworte; Fettfrei/ohne Fett).

Eine Angabe "wenig Fett" etwa wäre ihrerseits irreführend, weil sie nach den vorgenannten Regelwerken für einen höheren Fettgehalt vorgesehen ist.

c) Entgegen der Auffassung des klagenden Vereins ist die Angabe "ohne Fett" nicht als "macht nicht fett (= dick)" oder als Aussage zugleich über den Zuckergehalt zu verstehen.

aa) Bei natürlicher Auslegung, von der auszugehen ist, bezieht sich die Aussage nur auf den Fettgehalt, nicht auf sonstige Stoffe, insbesondere nicht auf den Zuckergehalt.

An der natürlichen Auslegung ist ungeachtet des Grundsatzes festzuhalten, dass bei gesundheitsbezogenen Aussagen besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit zu stellen sind (vgl. BGH WRP 2002, 74 - Das Beste jeden Morgen - unter II.2.a)bb) m.w.N.). Wenn eine Angabe ihrem Gehalt nach eindeutig aber nur Fett betrifft, kann ihr nicht zugleich die Behauptung des Fehlens von Zucker oder seines geringen Anteils entnommen werden (vgl. BGH, a.a.O., wonach die herausgehobene Bewerbung des Vorhandenseins bestimmter "gesunder" Stoffe in Lebensmitteln nichts zur Abwesenheit von Zucker besagt).

bb) Wie im Termin vom 24. Mai 2005 ausgeführt, liegt ein Missverständnis von "ohne Fett" als "macht nicht fett" wegen der Doppelbedeutung von "Fett/fett" näher als etwa bei einer Angabe "ohne Kohlenhydrate". Dies mag eine unterschwellige Beeinflussung des Verkehrs ermöglichen. Dagegen schützen die genannten Täuschungsverbote, welche eine konkrete Irreführungsgefahr voraussetzen (vgl. BGH WRP 2002, 1267 - Bodensee-Tafelwasser m.w.N.), jedoch nicht. Jedenfalls vor dem Hintergrund der nachfolgenden Erwägungen sind solche Insinuierungen vielmehr hinzunehmen. Unterschwelligen Beeinflussungen kann letztlich nur durch ein allgemeines Bewusstsein für eine gesunde und ausgewogene Ernährung sowie eine entsprechende Erziehung der Kinder entgegen gewirkt werden. Weitergehende Werbeeinschränkungen würden spezifische Rechtsvorschriften voraussetzen (vgl. den erwähnten "Vorschlag" der EU-Kommission).

cc) Zu Recht weist das Landgericht darauf hin, dass es sich bei den betreffenden Lebensmitteln nicht um Grundnahrungsmittel, sondern um Süßwaren handelt, welche - wie allgemein bekannt ist - durchweg stark zuckerhaltig sind. Bereits von daher wird der Verkehr die Aussage "ohne Fett" - selbst wenn sie herausgehoben ist - nicht dahin verstehen, der betreffende Artikel enthalte nicht nur kein Fett, sondern auch keinen Zucker oder weniger als üblich. Die angegriffenen Verpackungen enthalten auch keine allgemein gehaltenen Aussagen zur "Gesundheit" der Produkte, die den Verkehr zu einer weiten Deutung der Angabe "ohne Fett" veranlassen könnte.

dd) Der Verkehr weiß zudem, dass er sich, wenn er sich wegen der Einzelheiten der Zusammensetzung kundig machen will, auf die Einzelangaben achten muss. Die nach der Nährwert-Kennzeichnungs-Richtlinie sowie die Etikettierungs-Richtlinie vorgeschriebenen Angaben dienen gerade der Information der Kunden (vgl. Erwägungsgründe 4 und 5 zur Nährwertkennzeichnungs-Richtlinie sowie Erwägungsgrund 8 zur Etikettierungs-Richtlinie). Sind sie, wie hier in ordnungsgemäßer Form vorhanden, kann nicht geltend gemacht werden, die Informationsquelle sei für den Kunden unzumutbar (vgl. Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 Nährwertkennzeichnungs-Richtlinie, Art. 13 Abs. 2 Etikettierungs-Richtlinie). Die Tatsache, dass die Beklagte überhaupt nährwertbezogene Angaben macht (vgl. oben unter a)bb)), führt nach Art. 2 Abs. 2 der Nährwertwertkennzeichnungs-Richtlinie nur dazu, dass zusätzliche Angaben zu machen sind; diese Angaben sind in den Art. 4 ff. abschließend (vgl. Art. 7 Abs. 3, Art. 11 Abs. 1) vorgeschrieben. Die Richtlinie sieht als Folge einer bestimmten nährwertbezogenen Angabe zur Abwehr etwaig hervorgerufener weitergehender Insinuierungen, wie sie der klagende Verein letztlich geltend macht, bestimmte weitere Pflichtangaben als ausreichend an. Der klagende Verein greift die Nährwertkennzeichnung der Beklagten nicht als diesen Vorschriften zuwiderlaufend an.

ee) Auch die geplante Gemeinschaftsverordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln macht die Zulässigkeit der Aussage "ohne Fett" zunächst von einem bestimmten Fettgehalt, der nicht überschritten werden darf, abhängig, nicht aber von sonstigen Eigenschaften hinsichtlich bestimmter Stoffe oder allgemein von der insgesamt gesundheitsfördernden Wirkung des Lebensmittels (vgl. die Definition im Anhang). Obwohl gesundheitsbezogene Angaben nach ihrem Art. 11 auch "implizit" erfolgen können, unterscheidet sie ausdrücklich zwischen nähwertbezogenen Angaben einerseits und gesundheitsbezogenen Angaben andererseits. Auch sie geht mithin davon aus, dass mit nährwertbezogenen Angaben nicht unmittelbar eine allgemein gesundheitsfördernde Aussage getroffen wird.

Ob die Angabe dennoch der geplanten Regelung des Art. 4 Abs. 1 unterliegt (weil die Fruchtgummis der Beklagten möglicherweise nicht den betreffenden Nährwertprofilen entsprechen) oder Absatz 2 eingreift, kann offen bleiben; das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht einmal abgeschlossen.

ff) Entgegen der Auffassung des klagenden Vereins richtet sich die Werbung der Beklagten nicht in besonderem Maße an Kinder. Typisch kindbezogene Werbung wird vom klagenden Verein nicht behauptet und ist auch nicht Gegenstand des Klageantrages, der allein die Angaben auf der Verpackung betrifft. Es fehlen Zugaben, Bildsymbole oder in ähnlicher Weise wirkende Aufmachungen, die typischerweise die Aufmerksamkeit gerade von Kindern erwecken.

Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob Kinder, wenn sie die hier streitige Angabe lesen können, sie überhaupt anders verstehen als Erwachsene .

d) Der vom Landgericht behandelte Gesichtspunkt einer Täuschung des Verkehrs über eine Selbstverständlichkeit durch deren Hervorhebung ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die Berufungsbegründung des klagenden Vereins befasst sich mit diesem Gesichtspunkt, der einen gesonderten Streitgegenstand darstellt (vgl. Köhler, a.a.O., § 12 UWG Rdnr. 2.23 m.w.N.), nicht. Dass die Beklagte das Urteil des Landgerichts ausweislich der Berufungserwiderung auch in diesem Punkt verteidigt, macht ihn nicht zum Gegenstand des Berufungsverfahrens.

5.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO) sind nicht ersichtlich. Die von dem klagenden Verein als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene Frage, ob bei besonders an Kinder und Jugendliche gerichteten Angaben auf ihr Verständnis abzustellen ist und welche Folgen ein solches Verständnis für die Auslegung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften hat, stellt sich in diesem Fall aus tatsächlichen Gründen bereits nicht.

6.

Der Streitwert beträgt ohne Berücksichtigung einer Minderung 500.000 Euro, der verminderte Streitwert 50.000,00 Euro. Dafür sind folgende Erwägungen maßgeblich:

a) Der Streitwert für die Unterlassungsklage eines Verbraucherschutzvereins bemisst sich im Ausgangspunkt nach dem satzungsgemäß wahrgenommenen Interesse der Verbraucher (vgl. Köhler, in Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 12 Rdnr. 8.11; Berneke, in Pastor/Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl., Kap. 40 Rdnr. 48). Die wirtschaftlichen Belange von Mitbewerbern der Beklagten - anders als bei Verbänden im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, auf die sich die vom Bezirksrevisor herangezogene Rechtsprechung bezieht - oder die Beschwer der Beklagten sind demgegenüber unerheblich. Auf eine drohende Umsatzverlagerung zwischen Wettbewerbern kommt es daher nicht an.

Es sollen unmittelbar die Verbraucher geschützt werden, damit sie in ihrer Willensbildung nicht durch eine relevante Irreführung beeinflusst werden. Es kommt daher auf die ihnen durch entsprechende verfälschte Kaufentscheidungen entstehende Schäden an.

a) Der klagende Verein macht in diesem Zusammenhang geltend, durch die angegriffenen Aussagen würden Verbraucher dazu verleitet, "dickmachende" Süßigkeiten in dem Glauben zu kaufen und zu sich zu nehmen, es handele sich um insoweit harmlose Erzeugnisse.

Dabei ist ein Großteil der Bevölkerung angesprochen. Es handelt sich um ein Massenerzeugnis, welches nicht auf spezielle Bedürfnisse zugeschnitten ist. Zu den angesprochenen Verkehrskreisen zählen nicht nur Personen, die die fraglichen Erzeugnisse selbst essen, sondern für Dritte kaufen wollen. Es scheiden daher nur diejenigen Personen aus, die selbst noch keine Kaufentscheidungen treffen können oder die von vornherein den Erwerb von Süßigkeiten ablehnen. Dies spricht eher für einen hohen Streitwert.

Andererseits werden lediglich Aussagen auf Verpackungen eines einzigen Herstellers, die auf drei Erzeugnissen angebracht sind, angegriffen. Auch wenn Marktbedeutung und Anteil gerade dieser Erzeugnisse nicht angegeben sind, geht aus dem Vortrag der Parteien hervor, dass es sich nicht um unbedeutende Erzeugnisse eines unbedeutenden Herstellers handelt. Die Breitenwirkung der angegriffenen Aussage ist allerdings beschränkt, weil sie sich - wie außer Streit steht - nur auf der Verpackung selbst befindet. Die Kunden müssen sich daher, um mit der Aussage in Berührung zu kommen, im Allgemeinen bereits vorher für Süßigkeiten interessiert haben. Bei einem bedeutenden Anteil der Bevölkerung ist zudem davon auszugehen, dass sie nicht gerade durch die angegriffenen Aussagen dazu verleitet werden, stark zuckerhaltige Süßigkeiten zu kaufen und zu sich zu nehmen. Vielmehr ist vielfach damit zu rechnen, dass sie andernfalls entweder auf dieselben Erzeugnisse oder - ebenso zuckerhaltige - konkurrierende Erzeugnisse Dritter zurückgreifen. Es geht dann weniger darum, die Verbraucher vor dem Kauf eines für sie ungeeigneten Erzeugnisses zu schützen, sondern um ihr allgemeines Interesse an einer von Insinuierungen freien Willensbildung bei der Kaufentscheidung. Auch die nach dem Vorbringen des klagenden Vereins drohenden gesundheitlichen Gefahren können dann allenfalls durch die Aussage hervorgerufene "Mehrkäufe" betreffen, die nur gerade im Hinblick auf die angebliche gesundheitliche Unbedenklichkeit erfolgen.

Zu berücksichtigen sind des Weiteren gesundheitsbewusste Personenkreise, die die beworbenen Fruchtgummis nur und gerade wegen einer gesundheitlichen Unbedenklichkeit kaufen und zuckerhaltige Süßigkeiten ablehnen. Gerade in diesen Kreisen ist aber vielfach davon auszugehen, dass sie sich die Verpackungen näher ansehen und die vorhandenen Angaben über Inhaltsstoffe entdecken.

Der Senat hält daher einen Streitwert - noch ohne Berücksichtigung einer Minderung - von 500.000 Euro für angemessen. Soweit dies von der Festsetzung des Landgerichts abweicht, welche von den Parteien als solche nicht angegriffen wird, ist darauf hinzuweisen, dass letztlich nur der unter Berücksichtigung des § 12 Abs. 4 UWG festzusetzende Streitwert relevant ist und auch die Festsetzung eines höheren Streitwertes insoweit - wie aus nachfolgenden Ausführungen hervorgeht - kaum Auswirkungen hätte.

b) Der Streitwert von 500.000 Euro ist nach § 12 Abs. 4 UWG (auch i.V.m. § 5 UKlaG) zu mindern.

a) Allerdings kommt - wie die Beklagtenvertreter zu Recht geltend machen - eine Herabsetzung nach der 1. Alternative der Vorschrift nicht in Betracht. Die Sachlage ist zwar einfach und der klägerische Vortrag unstreitig, aber - anders als das Landgericht meint - ist die Rechtslage nicht einfach. Sie richtet sich nach einem komplexen Gemisch aus europarechtlichen und nationalen Vorschriften, welches zudem ständiger Veränderung unterliegt. Des Weiteren ist die Rechtsprechung des EuGH und des BGH zu analysieren und auf den vorliegenden Fall anzuwenden.

b) Demgegenüber ist aber eine Herabsetzung nach der 2. Alternative der Wertvorschrift vorzunehmen. Eine Kostenbelastung zu einem Streitwert von 500.000 Euro würde zu einer nicht tragbaren Belastung des Klägers führen.

Dem klagenden Verein, der unmittelbar und mittelbar hauptsächlich über die öffentliche Hand finanziert wird, steht ein planmäßiger Prozesskostenfonds von 230.000,00 Euro zur Verfügung. Darüber hinaus stehen ihm - anders als die Beklagte meint - nur dann Mittel zur Verfügung, wenn die Einnahmen aus Vertragsstrafen und Prozesskostenerstattung einen Betrag von 86.000,00 Euro übersteigen. Dies ist zwar - ebenso wie im Jahre 2003 - im Jahre 2004 geschehen (94.591,47 Euro). Die Einnahmen sind aber nahezu durch anderweitige Prozesskosten aufgezehrt. Der klagende Verein besitzt kein Vermögen, wie er - insoweit entgegen der Darstellung der Beklagten - angegeben hat.

Ein Prozess zu einem Streitwert von 500.000. Euro verursachte im Unterliegensfall - ohne Berücksichtigung von Mehrwertsteuer und Nebenkosten - in 1. Instanz Kosten von knapp 24.000 Euro und in zweiter Instanz von über 28.000 Euro (berechnet nach dem seit dem 01.07.2004 geltenden Recht). Selbst zu einem Streitwert von 250.000,00 Euro kämen in erster Instanz Kosten von rund 15.500,00 Euro und in zweiter Instanz von rund 18.500 Euro auf den klagenden Verein zu.

Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass ein Prozess zu einem hohen Streitwert, insbesondere zu einem von der Beklagten (bzw. ihren Prozessbevollmächtigten) begehrten Streitwert von 1 Mio. Euro für den klagenden Verein nicht mehr zu finanzieren wäre. Für eine Streitwertherabsetzung ist nicht erforderlich, dass gerade der jetzige Prozess nicht finanziert werden kann; es reicht vielmehr aus, wenn der Verband insgesamt seinen Aufgaben nicht mehr sachgerecht nachkommen kann. Die Streitwertherabsetzung soll u.a. dazu dienen, dass Verfahren im öffentlichen Interesse geführt werden können. Das gilt gerade für Verbraucherverbände wie den klagenden Verein, der sich weitgehend aus öffentlichen Mitteln speist.

Bei der Entscheidung über eine Herabsetzung ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass der Verein kleinere Verfahren auch ohne eine Herabsetzung führen können soll. Der Bundesgerichtshof ist dabei früher von der Revisionssumme (damals etwa 30.000 Euro) als Anhaltspunkt ausgegangen. Der "an sich" festzusetzende Streitwert liegt erheblich darüber.

Die Klage kann auch nicht, wie die Beklagte geltend macht, als "mutwillig" oder "unüberlegt" angesehen werden. Es mag sein, dass der klagende Verein selbst die Prozesschancen nicht als besonders hoch eingeschätzt hat. Es kann aber keine Rede davon sein, dass die Klage ersichtlich - ohne vertiefte Nachprüfung - unbegründet war.

Unter diesen Umständen hält der Senat einen Streitwert von 50.000,00 Euro für angemessen. Die sich daraus ergebenden Kosten sind für den Kläger tragbar.

B. Sch. H.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 21.06.2005
Az: I-20 U 188/04


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